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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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als das allein geziemende gepriesen worden ist. So z. B. bei den Adligen
der schottischen Hochlande, die bis zum vorigen Jahrhundert ein ganz iso-
liertes und rein autochthones Dasein führten, das aber ganz unter dem
Ideal der denkbar höchsten persönlichen Freiheit stand. Denn so sehr
das Geld diese fördern kann, wenn erst einmal ein eng gesponnener
Verkehr die Menschen in sich verwebt und eingeschlungen hat, so stark
muss man doch vom Standpunkt einer freien, auf sich gestellten und
sich selbst genügenden Existenz aus empfinden, dass der Austausch von
Besitz und Leistungen gegen Geld das Leben entpersonalisiert. Wenn
die subjektiven und die objektiven Seiten des Lebens sich erst ge-
sondert haben, so kann freilich die Entpersonalisierung, die letzteren
immer entschiedener ergreifend, der reinen Herausarbeitung der ersteren
dienen; bei einer primitiveren und einheitlicheren Existenz muss es
umgekehrt als eine Unverhältnismässigkeit und ein Verlust gelten, wenn
Besitz und Leistung, bisher nur persönlich genossen oder persönlich
gewährt, bloss zum Element eines Geldverkehrs und zum Gegenstand
seiner objektiven Gesetzmässigkeiten werden. Bei dem Übergange der
mittelalterlichen Grundherrschaft des Ritters zu der modernen Land-
wirtschaft ist zu konstatieren, dass seine Standesbegriffe sich zwar da-
hin erweitern: ausser der Kriegsthätigkeit sei doch auch Erwerbsthätig-
keit für ihn zulässig -- aber dies sei eben nur der Betrieb der eigenen
Güter; ein Erwerb, dessen Eigenart ihn nun den Kaufmann, den
Händler womöglich noch mehr verachten lässt, als es vor seiner Wen-
dung zum Ökonomischen der Fall war. Das spezifische Gefühl der
Würdelosigkeit des Geldverkehrs tritt hier grade deshalb so schroff
hervor, weil die beiden Wirtschaftsarten jetzt nahe aneinander gerückt
sind. Es ist eine der durchgehendsten soziologischen Erscheinungen,
dass der Gegensatz zwischen zwei Elementen nie stärker hervortritt,
als wenn derselbe sich von einem gemeinsamen Boden aus entwickelt:
Sekten der gleichen Religion pflegen sich intensiver zu hassen als ganz
verschiedene Religionsgemeinschaften, die Feindschaften kleiner benach-
barter Stadtstaaten waren, die ganze bekannte Geschichte hindurch,
leidenschaftlicher als die grosser Staaten mit ihren räumlich und sach-
lich getrennten Interessengebieten, ja, man hat behauptet, dass der
glühendste Hass, den es giebt, der zwischen Blutsverwandten wäre.
Diese Steigerung des Antagonismus, der sich gleichsam von dem Hinter-
grund einer Gemeinsamkeit abhebt, scheint in manchen Fällen dann
ein Maximum zu erreichen, wenn die Gemeinsamkeit oder Ähnlichkeit
in der Zunahme begriffen ist und damit die Gefahr droht, dass der
Unterschied und Gegensatz überhaupt verwischt werde, an dessen Be-
stand wenigstens eine der Parteien lebhaft interessiert ist. Je mehr

als das allein geziemende gepriesen worden ist. So z. B. bei den Adligen
der schottischen Hochlande, die bis zum vorigen Jahrhundert ein ganz iso-
liertes und rein autochthones Dasein führten, das aber ganz unter dem
Ideal der denkbar höchsten persönlichen Freiheit stand. Denn so sehr
das Geld diese fördern kann, wenn erst einmal ein eng gesponnener
Verkehr die Menschen in sich verwebt und eingeschlungen hat, so stark
muſs man doch vom Standpunkt einer freien, auf sich gestellten und
sich selbst genügenden Existenz aus empfinden, daſs der Austausch von
Besitz und Leistungen gegen Geld das Leben entpersonalisiert. Wenn
die subjektiven und die objektiven Seiten des Lebens sich erst ge-
sondert haben, so kann freilich die Entpersonalisierung, die letzteren
immer entschiedener ergreifend, der reinen Herausarbeitung der ersteren
dienen; bei einer primitiveren und einheitlicheren Existenz muſs es
umgekehrt als eine Unverhältnismäſsigkeit und ein Verlust gelten, wenn
Besitz und Leistung, bisher nur persönlich genossen oder persönlich
gewährt, bloſs zum Element eines Geldverkehrs und zum Gegenstand
seiner objektiven Gesetzmäſsigkeiten werden. Bei dem Übergange der
mittelalterlichen Grundherrschaft des Ritters zu der modernen Land-
wirtschaft ist zu konstatieren, daſs seine Standesbegriffe sich zwar da-
hin erweitern: auſser der Kriegsthätigkeit sei doch auch Erwerbsthätig-
keit für ihn zulässig — aber dies sei eben nur der Betrieb der eigenen
Güter; ein Erwerb, dessen Eigenart ihn nun den Kaufmann, den
Händler womöglich noch mehr verachten läſst, als es vor seiner Wen-
dung zum Ökonomischen der Fall war. Das spezifische Gefühl der
Würdelosigkeit des Geldverkehrs tritt hier grade deshalb so schroff
hervor, weil die beiden Wirtschaftsarten jetzt nahe aneinander gerückt
sind. Es ist eine der durchgehendsten soziologischen Erscheinungen,
daſs der Gegensatz zwischen zwei Elementen nie stärker hervortritt,
als wenn derselbe sich von einem gemeinsamen Boden aus entwickelt:
Sekten der gleichen Religion pflegen sich intensiver zu hassen als ganz
verschiedene Religionsgemeinschaften, die Feindschaften kleiner benach-
barter Stadtstaaten waren, die ganze bekannte Geschichte hindurch,
leidenschaftlicher als die groſser Staaten mit ihren räumlich und sach-
lich getrennten Interessengebieten, ja, man hat behauptet, daſs der
glühendste Haſs, den es giebt, der zwischen Blutsverwandten wäre.
Diese Steigerung des Antagonismus, der sich gleichsam von dem Hinter-
grund einer Gemeinsamkeit abhebt, scheint in manchen Fällen dann
ein Maximum zu erreichen, wenn die Gemeinsamkeit oder Ähnlichkeit
in der Zunahme begriffen ist und damit die Gefahr droht, daſs der
Unterschied und Gegensatz überhaupt verwischt werde, an dessen Be-
stand wenigstens eine der Parteien lebhaft interessiert ist. Je mehr

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[429/0453] als das allein geziemende gepriesen worden ist. So z. B. bei den Adligen der schottischen Hochlande, die bis zum vorigen Jahrhundert ein ganz iso- liertes und rein autochthones Dasein führten, das aber ganz unter dem Ideal der denkbar höchsten persönlichen Freiheit stand. Denn so sehr das Geld diese fördern kann, wenn erst einmal ein eng gesponnener Verkehr die Menschen in sich verwebt und eingeschlungen hat, so stark muſs man doch vom Standpunkt einer freien, auf sich gestellten und sich selbst genügenden Existenz aus empfinden, daſs der Austausch von Besitz und Leistungen gegen Geld das Leben entpersonalisiert. Wenn die subjektiven und die objektiven Seiten des Lebens sich erst ge- sondert haben, so kann freilich die Entpersonalisierung, die letzteren immer entschiedener ergreifend, der reinen Herausarbeitung der ersteren dienen; bei einer primitiveren und einheitlicheren Existenz muſs es umgekehrt als eine Unverhältnismäſsigkeit und ein Verlust gelten, wenn Besitz und Leistung, bisher nur persönlich genossen oder persönlich gewährt, bloſs zum Element eines Geldverkehrs und zum Gegenstand seiner objektiven Gesetzmäſsigkeiten werden. Bei dem Übergange der mittelalterlichen Grundherrschaft des Ritters zu der modernen Land- wirtschaft ist zu konstatieren, daſs seine Standesbegriffe sich zwar da- hin erweitern: auſser der Kriegsthätigkeit sei doch auch Erwerbsthätig- keit für ihn zulässig — aber dies sei eben nur der Betrieb der eigenen Güter; ein Erwerb, dessen Eigenart ihn nun den Kaufmann, den Händler womöglich noch mehr verachten läſst, als es vor seiner Wen- dung zum Ökonomischen der Fall war. Das spezifische Gefühl der Würdelosigkeit des Geldverkehrs tritt hier grade deshalb so schroff hervor, weil die beiden Wirtschaftsarten jetzt nahe aneinander gerückt sind. Es ist eine der durchgehendsten soziologischen Erscheinungen, daſs der Gegensatz zwischen zwei Elementen nie stärker hervortritt, als wenn derselbe sich von einem gemeinsamen Boden aus entwickelt: Sekten der gleichen Religion pflegen sich intensiver zu hassen als ganz verschiedene Religionsgemeinschaften, die Feindschaften kleiner benach- barter Stadtstaaten waren, die ganze bekannte Geschichte hindurch, leidenschaftlicher als die groſser Staaten mit ihren räumlich und sach- lich getrennten Interessengebieten, ja, man hat behauptet, daſs der glühendste Haſs, den es giebt, der zwischen Blutsverwandten wäre. Diese Steigerung des Antagonismus, der sich gleichsam von dem Hinter- grund einer Gemeinsamkeit abhebt, scheint in manchen Fällen dann ein Maximum zu erreichen, wenn die Gemeinsamkeit oder Ähnlichkeit in der Zunahme begriffen ist und damit die Gefahr droht, daſs der Unterschied und Gegensatz überhaupt verwischt werde, an dessen Be- stand wenigstens eine der Parteien lebhaft interessiert ist. Je mehr

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/453>, abgerufen am 30.04.2024.