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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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oder seinen personalen Wert allem verdinglichten Geiste überlegen;
ob innerhalb seines eigenen Geisteslebens die objektiven, historisch
gegebenen Elemente eine Macht eigener Gesetzmässigkeit sind, so dass
diese und der eigentliche Kern seiner Persönlichkeit sich wie un-
abhängig voneinander entwickeln, oder ob die Seele sozusagen Herr
im eigenen Hause ist oder wenigstens zwischen ihrem innersten Leben
und dem, was sie als impersonale Inhalte in dasselbe aufnehmen muss,
eine Harmonie in Bezug auf Höhe, Sinn und Rhythmus annehmen
kann. Diese abstrakten Formulierungen zeichnen doch das Schema
für unzählige konkrete Interessen und Stimmungen des Tages und des
Lebens und damit also das Mass, in dem die Beziehungen zwischen
objektiver und subjektiver Kultur den Stil des Daseins bestimmen.

Wurde nun die gegenwärtige Gestaltung dieses Verhältnisses von
der Arbeitsteilung getragen, so ist sie auch ein Abkömmling der Geld-
wirtschaft. Und zwar einmal, weil die Zerlegung der Produktion in
sehr viele Teilleistungen eine mit absoluter Genauigkeit und Zuver-
lässigkeit funktionierende Organisation fordert, wie sie, seit dem Auf-
hören der Sklavenarbeit, nur bei Geldentlohnung der Arbeiter her-
stellbar ist. Jede anders vermittelte Beziehung zwischen Unternehmer
und Arbeiter würde unberechenbarere Elemente enthalten, teils weil
naturaleres Entgelt nicht so einfach beschaffbar und genau bestimmbar
ist, teils weil nur das reine Geldverhältnis den bloss sachlichen und auto-
matischen Charakter hat, ohne den sehr differenzierte und komplizierte
Organisationen nicht auskommen. Und dann, weil der wesentliche Ent-
stehungsgrund des Geldes überhaupt in dem Masse wirksamer wird, in dem
die Produktion sich mehr spezialisiert. Denn es handelt sich doch im
wirtschaftlichen Verkehr darum, dass der eine fortgiebt, was der andere
begehrt, wenn dieser andere dem ersteren dasselbe thut. Jene Sitten-
regel: den Menschen zu thun, wovon man wünscht, dass sie es einem
thun -- findet das umfassendste Beispiel ihrer formalen Verwirk-
lichung an der Wirtschaft. Wenn nun ein Produzent für den Gegen-
stand A, den er in Tausch geben will, auch einen Abnehmer bereit
findet, so wird der Gegenstand B, den dieser letztere dagegen zu
geben im stande ist, jenem häufig gar nicht erwünscht sein. Dass so
die Verschiedenheit der Begehrungen zwischen zwei Personen nicht
immer mit der Verschiedenheit der Produkte zusammenfällt, die sie
beide anzubieten haben, fordert bekanntlich die Einschiebung eines
Tauschmittels; so dass, wenn die Besitzer von A und von B sich nicht
über unmittelbaren Tausch einigen können, der erstere sein A gegen
Geld fortgiebt, für das er sich nun das ihm erwünschte C verschaffen
kann, während der Besitzer von B das Geld für den Kauf von A da-

oder seinen personalen Wert allem verdinglichten Geiste überlegen;
ob innerhalb seines eigenen Geisteslebens die objektiven, historisch
gegebenen Elemente eine Macht eigener Gesetzmäſsigkeit sind, so daſs
diese und der eigentliche Kern seiner Persönlichkeit sich wie un-
abhängig voneinander entwickeln, oder ob die Seele sozusagen Herr
im eigenen Hause ist oder wenigstens zwischen ihrem innersten Leben
und dem, was sie als impersonale Inhalte in dasselbe aufnehmen muſs,
eine Harmonie in Bezug auf Höhe, Sinn und Rhythmus annehmen
kann. Diese abstrakten Formulierungen zeichnen doch das Schema
für unzählige konkrete Interessen und Stimmungen des Tages und des
Lebens und damit also das Maſs, in dem die Beziehungen zwischen
objektiver und subjektiver Kultur den Stil des Daseins bestimmen.

Wurde nun die gegenwärtige Gestaltung dieses Verhältnisses von
der Arbeitsteilung getragen, so ist sie auch ein Abkömmling der Geld-
wirtschaft. Und zwar einmal, weil die Zerlegung der Produktion in
sehr viele Teilleistungen eine mit absoluter Genauigkeit und Zuver-
lässigkeit funktionierende Organisation fordert, wie sie, seit dem Auf-
hören der Sklavenarbeit, nur bei Geldentlohnung der Arbeiter her-
stellbar ist. Jede anders vermittelte Beziehung zwischen Unternehmer
und Arbeiter würde unberechenbarere Elemente enthalten, teils weil
naturaleres Entgelt nicht so einfach beschaffbar und genau bestimmbar
ist, teils weil nur das reine Geldverhältnis den bloſs sachlichen und auto-
matischen Charakter hat, ohne den sehr differenzierte und komplizierte
Organisationen nicht auskommen. Und dann, weil der wesentliche Ent-
stehungsgrund des Geldes überhaupt in dem Maſse wirksamer wird, in dem
die Produktion sich mehr spezialisiert. Denn es handelt sich doch im
wirtschaftlichen Verkehr darum, daſs der eine fortgiebt, was der andere
begehrt, wenn dieser andere dem ersteren dasselbe thut. Jene Sitten-
regel: den Menschen zu thun, wovon man wünscht, daſs sie es einem
thun — findet das umfassendste Beispiel ihrer formalen Verwirk-
lichung an der Wirtschaft. Wenn nun ein Produzent für den Gegen-
stand A, den er in Tausch geben will, auch einen Abnehmer bereit
findet, so wird der Gegenstand B, den dieser letztere dagegen zu
geben im stande ist, jenem häufig gar nicht erwünscht sein. Daſs so
die Verschiedenheit der Begehrungen zwischen zwei Personen nicht
immer mit der Verschiedenheit der Produkte zusammenfällt, die sie
beide anzubieten haben, fordert bekanntlich die Einschiebung eines
Tauschmittels; so daſs, wenn die Besitzer von A und von B sich nicht
über unmittelbaren Tausch einigen können, der erstere sein A gegen
Geld fortgiebt, für das er sich nun das ihm erwünschte C verschaffen
kann, während der Besitzer von B das Geld für den Kauf von A da-

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[502/0526] oder seinen personalen Wert allem verdinglichten Geiste überlegen; ob innerhalb seines eigenen Geisteslebens die objektiven, historisch gegebenen Elemente eine Macht eigener Gesetzmäſsigkeit sind, so daſs diese und der eigentliche Kern seiner Persönlichkeit sich wie un- abhängig voneinander entwickeln, oder ob die Seele sozusagen Herr im eigenen Hause ist oder wenigstens zwischen ihrem innersten Leben und dem, was sie als impersonale Inhalte in dasselbe aufnehmen muſs, eine Harmonie in Bezug auf Höhe, Sinn und Rhythmus annehmen kann. Diese abstrakten Formulierungen zeichnen doch das Schema für unzählige konkrete Interessen und Stimmungen des Tages und des Lebens und damit also das Maſs, in dem die Beziehungen zwischen objektiver und subjektiver Kultur den Stil des Daseins bestimmen. Wurde nun die gegenwärtige Gestaltung dieses Verhältnisses von der Arbeitsteilung getragen, so ist sie auch ein Abkömmling der Geld- wirtschaft. Und zwar einmal, weil die Zerlegung der Produktion in sehr viele Teilleistungen eine mit absoluter Genauigkeit und Zuver- lässigkeit funktionierende Organisation fordert, wie sie, seit dem Auf- hören der Sklavenarbeit, nur bei Geldentlohnung der Arbeiter her- stellbar ist. Jede anders vermittelte Beziehung zwischen Unternehmer und Arbeiter würde unberechenbarere Elemente enthalten, teils weil naturaleres Entgelt nicht so einfach beschaffbar und genau bestimmbar ist, teils weil nur das reine Geldverhältnis den bloſs sachlichen und auto- matischen Charakter hat, ohne den sehr differenzierte und komplizierte Organisationen nicht auskommen. Und dann, weil der wesentliche Ent- stehungsgrund des Geldes überhaupt in dem Maſse wirksamer wird, in dem die Produktion sich mehr spezialisiert. Denn es handelt sich doch im wirtschaftlichen Verkehr darum, daſs der eine fortgiebt, was der andere begehrt, wenn dieser andere dem ersteren dasselbe thut. Jene Sitten- regel: den Menschen zu thun, wovon man wünscht, daſs sie es einem thun — findet das umfassendste Beispiel ihrer formalen Verwirk- lichung an der Wirtschaft. Wenn nun ein Produzent für den Gegen- stand A, den er in Tausch geben will, auch einen Abnehmer bereit findet, so wird der Gegenstand B, den dieser letztere dagegen zu geben im stande ist, jenem häufig gar nicht erwünscht sein. Daſs so die Verschiedenheit der Begehrungen zwischen zwei Personen nicht immer mit der Verschiedenheit der Produkte zusammenfällt, die sie beide anzubieten haben, fordert bekanntlich die Einschiebung eines Tauschmittels; so daſs, wenn die Besitzer von A und von B sich nicht über unmittelbaren Tausch einigen können, der erstere sein A gegen Geld fortgiebt, für das er sich nun das ihm erwünschte C verschaffen kann, während der Besitzer von B das Geld für den Kauf von A da-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/526>, abgerufen am 30.04.2024.