Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.Das erste Capitel. aber unsre differenz auff diejenige beyde stücke. 1. Was dasjenige seye/ wasan uns GOtt vor seinem gericht ansehe/ uns die sünde zu vergeben/ und das recht des ewigen lebens zuzusprechen. 2. Worinnen solche rechtfertigung bestehe/ ob sie nemlich bestehe in einer loß- und zusprechung/ oder in einer ein- giessung einer gewissen heiligkeit. Dieses ist der streit zu allen zeiten gewe- sen zwischen uns/ und bleibet derselbe noch/ ohngehindert oder beygelegt. Bey der ersten frage sagen wir/ daß nicht die wercke oder einige heiligkeit/ so GOtt in uns gewircket/ oder die wercke/ die bey dem lebendigen glauben sind/ sondern allein der glaube selbs/ wie er die annehmung der göttlichen gnade und das vertrauen auff dieselbige ist/ vor GOttes gericht angesehen werde/ um welcher willen er uns die verdienste seines Sohnes schencket/ und also uns von sunden loßspricht/ und hingegen das recht der seligkeit zuspricht. Also auch 2. bey der andern frage bekennen wir/ daß die rechtfertigung/ das ist/ dasjenige/ daraus wir selig werden/ nicht bestehe in der wirckung einer hei- ligkeit in uns/ die GOtt damit ansehe/ sondern in gedachter loßsprechung von sünden und zusprechung der seligkeit/ wie dann die schrifft ordentlich (sihe Rom. 5/ 18.) die rechtfertigung und verdammnüß einander entgegen setzt/ daß sie also alle beyde in einer gerichtlichen zusprechung dorten der ge- rechtigkeit und seligkeit/ hie der verdammnüß bestehe/ welche unsre lehr biß- her aus der schrifft/ sonderlich Rom. 3. und 4. gründlich von den unsrigen ausgeführet worden/ ich auch selbs in dem werck wider D. Breving c. 7. und 8. zur gnüge dargethan zu haben getraue. Und also kommet alles dahin/ ob wir also gerechtfertiget werden/ daß die seligkeit nur ein blosses gnaden- geschenck bleibe/ oder auch einiger massen von uns verdienet worden/ und al- so ob GOtt die ehre bloß allein behalten solle/ oder ob wir auch doch etlicher massen wegen unsrer werck und heiligkeit ein stücke der ehre mit participiren: da das erste allezeit unsre/ das andre ihre/ der Römischen/ lehre ist: auff sol- che weise aber deutlich vorgestellt/ hoffentlich jedem Christlichen gemüth/ so die schrifft etwas eingesehen/ und erkennet/ wie alle göttliche ordnung GOt- tes ehre auffs höchste erhebet/ viel eher als die andre einleuchten wird. Also sihet man/ daß es auch nicht ein lediger wort-streit seye/ weil wir Evangeli- sche/ gleichwol unter dem nahmen der heiligung nachmals die gute werck trei- ben/ welche die Päbstische in der rechtfertigung einmischen/ da man sagen möchte/ es läge nicht groß daran/ ob man das wort rechtfertigung so oder so nehme. Denn es ligt freylich daran/ weil die rechtfertigung das jenige ist/ daraus unsre seligkeit fliessen solle/ nicht aber die heiligung. Man möchte aber sagen/ P. Dez verwerffe ja austrücklich p. 27. aus dem chen/
Das erſte Capitel. aber unſre differenz auff diejenige beyde ſtuͤcke. 1. Was dasjenige ſeye/ wasan uns GOtt vor ſeinem gericht anſehe/ uns die ſuͤnde zu vergeben/ und das recht des ewigen lebens zuzuſprechen. 2. Worinnen ſolche rechtfertigung beſtehe/ ob ſie nemlich beſtehe in einer loß- und zuſprechung/ oder in einer ein- gieſſung einer gewiſſen heiligkeit. Dieſes iſt der ſtreit zu allen zeiten gewe- ſen zwiſchen uns/ und bleibet derſelbe noch/ ohngehindert oder beygelegt. Bey der erſten frage ſagen wir/ daß nicht die wercke oder einige heiligkeit/ ſo GOtt in uns gewircket/ oder die wercke/ die bey dem lebendigen glauben ſind/ ſondern allein der glaube ſelbs/ wie er die annehmung der goͤttlichen gnade und das vertrauen auff dieſelbige iſt/ vor GOttes gericht angeſehen werde/ um welcher willen er uns die verdienſte ſeines Sohnes ſchencket/ und alſo uns von ſunden loßſpricht/ und hingegen das recht der ſeligkeit zuſpricht. Alſo auch 2. bey der andern frage bekennen wir/ daß die rechtfertigung/ das iſt/ dasjenige/ daraus wir ſelig werden/ nicht beſtehe in der wirckung einer hei- ligkeit in uns/ die GOtt damit anſehe/ ſondern in gedachter loßſprechung von ſuͤnden und zuſprechung der ſeligkeit/ wie dann die ſchrifft ordentlich (ſihe Rom. 5/ 18.) die rechtfertigung und verdammnuͤß einander entgegen ſetzt/ daß ſie alſo alle beyde in einer gerichtlichen zuſprechung dorten der ge- rechtigkeit und ſeligkeit/ hie der verdammnuͤß beſtehe/ welche unſre lehr biß- her aus der ſchrifft/ ſonderlich Rom. 3. und 4. gruͤndlich von den unſrigen ausgefuͤhret worden/ ich auch ſelbs in dem werck wider D. Breving c. 7. und 8. zur gnuͤge dargethan zu haben getraue. Und alſo kommet alles dahin/ ob wir alſo gerechtfertiget werden/ daß die ſeligkeit nur ein bloſſes gnaden- geſchenck bleibe/ oder auch einiger maſſen von uns verdienet worden/ und al- ſo ob GOtt die ehre bloß allein behalten ſolle/ oder ob wir auch doch etlicher maſſen wegen unſrer werck und heiligkeit ein ſtuͤcke der ehre mit participiren: da das erſte allezeit unſre/ das andre ihre/ der Roͤmiſchen/ lehre iſt: auff ſol- che weiſe aber deutlich vorgeſtellt/ hoffentlich jedem Chriſtlichen gemuͤth/ ſo die ſchrifft etwas eingeſehen/ und erkennet/ wie alle goͤttliche ordnung GOt- tes ehre auffs hoͤchſte erhebet/ viel eher als die andre einleuchten wird. Alſo ſihet man/ daß es auch nicht ein lediger wort-ſtreit ſeye/ weil wir Evangeli- ſche/ gleichwol unter dem nahmen der heiligung nachmals die gute werck trei- ben/ welche die Paͤbſtiſche in der rechtfertigung einmiſchen/ da man ſagen moͤchte/ es laͤge nicht groß daran/ ob man das wort rechtfertigung ſo oder ſo nehme. Denn es ligt freylich daran/ weil die rechtfertigung das jenige iſt/ daraus unſre ſeligkeit flieſſen ſolle/ nicht aber die heiligung. Man moͤchte aber ſagen/ P. Dez verwerffe ja austruͤcklich p. 27. aus dem chen/
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Das erſte Capitel.
aber unſre differenz auff diejenige beyde ſtuͤcke. 1. Was dasjenige ſeye/ was
an uns GOtt vor ſeinem gericht anſehe/ uns die ſuͤnde zu vergeben/ und das
recht des ewigen lebens zuzuſprechen. 2. Worinnen ſolche rechtfertigung
beſtehe/ ob ſie nemlich beſtehe in einer loß- und zuſprechung/ oder in einer ein-
gieſſung einer gewiſſen heiligkeit. Dieſes iſt der ſtreit zu allen zeiten gewe-
ſen zwiſchen uns/ und bleibet derſelbe noch/ ohngehindert oder beygelegt.
Bey der erſten frage ſagen wir/ daß nicht die wercke oder einige heiligkeit/ ſo
GOtt in uns gewircket/ oder die wercke/ die bey dem lebendigen glauben ſind/
ſondern allein der glaube ſelbs/ wie er die annehmung der goͤttlichen gnade
und das vertrauen auff dieſelbige iſt/ vor GOttes gericht angeſehen werde/
um welcher willen er uns die verdienſte ſeines Sohnes ſchencket/ und alſo uns
von ſunden loßſpricht/ und hingegen das recht der ſeligkeit zuſpricht. Alſo
auch 2. bey der andern frage bekennen wir/ daß die rechtfertigung/ das iſt/
dasjenige/ daraus wir ſelig werden/ nicht beſtehe in der wirckung einer hei-
ligkeit in uns/ die GOtt damit anſehe/ ſondern in gedachter loßſprechung
von ſuͤnden und zuſprechung der ſeligkeit/ wie dann die ſchrifft ordentlich (ſihe
Rom. 5/ 18.) die rechtfertigung und verdammnuͤß einander entgegen
ſetzt/ daß ſie alſo alle beyde in einer gerichtlichen zuſprechung dorten der ge-
rechtigkeit und ſeligkeit/ hie der verdammnuͤß beſtehe/ welche unſre lehr biß-
her aus der ſchrifft/ ſonderlich Rom. 3. und 4. gruͤndlich von den unſrigen
ausgefuͤhret worden/ ich auch ſelbs in dem werck wider D. Breving c. 7.
und 8. zur gnuͤge dargethan zu haben getraue. Und alſo kommet alles dahin/
ob wir alſo gerechtfertiget werden/ daß die ſeligkeit nur ein bloſſes gnaden-
geſchenck bleibe/ oder auch einiger maſſen von uns verdienet worden/ und al-
ſo ob GOtt die ehre bloß allein behalten ſolle/ oder ob wir auch doch etlicher
maſſen wegen unſrer werck und heiligkeit ein ſtuͤcke der ehre mit participiren:
da das erſte allezeit unſre/ das andre ihre/ der Roͤmiſchen/ lehre iſt: auff ſol-
che weiſe aber deutlich vorgeſtellt/ hoffentlich jedem Chriſtlichen gemuͤth/ ſo
die ſchrifft etwas eingeſehen/ und erkennet/ wie alle goͤttliche ordnung GOt-
tes ehre auffs hoͤchſte erhebet/ viel eher als die andre einleuchten wird. Alſo
ſihet man/ daß es auch nicht ein lediger wort-ſtreit ſeye/ weil wir Evangeli-
ſche/ gleichwol unter dem nahmen der heiligung nachmals die gute werck trei-
ben/ welche die Paͤbſtiſche in der rechtfertigung einmiſchen/ da man ſagen
moͤchte/ es laͤge nicht groß daran/ ob man das wort rechtfertigung ſo oder ſo
nehme. Denn es ligt freylich daran/ weil die rechtfertigung das jenige iſt/
daraus unſre ſeligkeit flieſſen ſolle/ nicht aber die heiligung.
Man moͤchte aber ſagen/ P. Dez verwerffe ja austruͤcklich p. 27. aus dem
Trientiſchen Concilio, daß einige gute wercke die rechtfertigung verdienen:
aber man ſucht damit nur den leuten einen blauen dunſt vor die augen zu ma-
chen/
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/132>, abgerufen am 16.06.2024. |