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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
schehen/ daß die gegenseitige sich nicht darüber beschwehren können/ als die
eben gleiche wort auch brauchen würden; und gleichwohl wo man auff die
vorbedeutete weise den grund ihres glaubens und ungrund jener irrthümer
beygebracht hat/ ist solche dehortation so kräfftig/ als wann fort und fort
der nahmen meldung geschehe/ und sie auffs hefftigste verdammt würden;
bey wem aber jene gründliche abwarnung nicht fruchtet/ bey solchem wird
dieser scheinende eyffer nicht mehrers ausrichten. 3. weil aber die allermei-
ste ursach der abfälle nicht so wohl eine eigentliche verführung/ daß solche
leute sich in ihrem gewissen meinten überzeugt zuseyn/ daß unsere lehre
nicht recht seye/ als vielmehr eine leichtsinnigkeit entweder/ daß ein solcher
mensch seine eigene religion niemahl recht verstanden/ noch je eine überzeu-
gung von dero wahrheit bey sich gehabt hat/ sondern nur weil er so erzogen
worden/ dabey geblieben ist/ oder daß er gar das geistliche sich nicht lässet
angelegen seyn/ sondern sein hertz an die dinge dieser welt gehengt hat/ daß
er dannenhero leicht dahin gehet/ wo er in dem zeitlichen mehr gelegenheit
reichthum/ ehre/ bequemlichkeit/ gunst/ beförderung und anders dergleichen
vor sich sihet/ als welche seine götzen seynd: so ist dahin aller fleiß zurich-
ten/ wie diesen ursachen als den quellen begegnet/ und sie gleichsam ver-
stopffet werden. Damit würde dem abfallen gewehret/ ohne daß nie-
mand auch der widrigen selbs etwas dagegen zusagen vermag. Der ersten
ursache wehret die oben recommendirte unterrichtung der gemeinde in der
kinderlehr/ wo dieselbe gründlich geführet wird/ nebens den predigten/
welche auch also sollen bewandt seyn/ daß die gemeinde allen rath GOttes
daraus lernen möge. Gegen die andere ursach/ welche fast die meiste und
gefährlichste ist/ haben wir nicht weniger zukämpffen/ dazu aber wird er-
fordert/ daß wir aus unseren zuhörern rechtschaffene Christen machen/
die nicht nur allein eine buchstäbliche erkäntnüß und wissenschafft ha-
ben/ sondern bey denen wahrhafftig eine lebendige und innerliche erkänt-
nüß der wahrheit und hertzliche gottseligkeit sich befinde. Dann gewiß
ist/ werden wir solche Christen machen/ die nur das einfältigste ihres
glaubens wol gefaßt/ trachten und verlangen ihrem GOTT allein zu
dienen/ der welt/ reichtum/ ehre/ und wollüsten abgestorben sind/
und ihr heil ihnen lassen angelegen seyn/ folglich ein recht gottse-
liges leben führen/ und also die früchten der wahrheit bringen/ so
haben wir gewonnen. Dann haben wir solche Christen so sind sie am

besten

Das andere Capitel.
ſchehen/ daß die gegenſeitige ſich nicht daruͤber beſchwehren koͤnnen/ als die
eben gleiche wort auch brauchen wuͤrden; und gleichwohl wo man auff die
vorbedeutete weiſe den grund ihres glaubens und ungrund jener irrthuͤmer
beygebracht hat/ iſt ſolche dehortation ſo kraͤfftig/ als wann fort und fort
der nahmen meldung geſchehe/ und ſie auffs hefftigſte verdam̃t wuͤrden;
bey wem aber jene gruͤndliche abwarnung nicht fruchtet/ bey ſolchem wird
dieſer ſcheinende eyffer nicht mehrers ausrichten. 3. weil aber die allermei-
ſte urſach der abfaͤlle nicht ſo wohl eine eigentliche verfuͤhrung/ daß ſolche
leute ſich in ihrem gewiſſen meinten uͤberzeugt zuſeyn/ daß unſere lehre
nicht recht ſeye/ als vielmehr eine leichtſinnigkeit entweder/ daß ein ſolcher
menſch ſeine eigene religion niemahl recht verſtanden/ noch je eine uͤberzeu-
gung von dero wahrheit bey ſich gehabt hat/ ſondern nur weil er ſo erzogen
worden/ dabey geblieben iſt/ oder daß er gar das geiſtliche ſich nicht laͤſſet
angelegen ſeyn/ ſondern ſein hertz an die dinge dieſer welt gehengt hat/ daß
er dannenhero leicht dahin gehet/ wo er in dem zeitlichen mehr gelegenheit
reichthum/ ehre/ bequemlichkeit/ gunſt/ befoͤrderung und anders dergleichen
vor ſich ſihet/ als welche ſeine goͤtzen ſeynd: ſo iſt dahin aller fleiß zurich-
ten/ wie dieſen urſachen als den quellen begegnet/ und ſie gleichſam ver-
ſtopffet werden. Damit wuͤrde dem abfallen gewehret/ ohne daß nie-
mand auch der widrigen ſelbs etwas dagegen zuſagen vermag. Der erſten
urſache wehret die oben recommendirte unterrichtung der gemeinde in der
kinderlehr/ wo dieſelbe gruͤndlich gefuͤhret wird/ nebens den predigten/
welche auch alſo ſollen bewandt ſeyn/ daß die gemeinde allen rath GOttes
daraus lernen moͤge. Gegen die andere urſach/ welche faſt die meiſte und
gefaͤhrlichſte iſt/ haben wir nicht weniger zukaͤmpffen/ dazu aber wird er-
fordert/ daß wir aus unſeren zuhoͤrern rechtſchaffene Chriſten machen/
die nicht nur allein eine buchſtaͤbliche erkaͤntnuͤß und wiſſenſchafft ha-
ben/ ſondern bey denen wahrhafftig eine lebendige und innerliche erkaͤnt-
nuͤß der wahrheit und hertzliche gottſeligkeit ſich befinde. Dann gewiß
iſt/ werden wir ſolche Chriſten machen/ die nur das einfaͤltigſte ihres
glaubens wol gefaßt/ trachten und verlangen ihrem GOTT allein zu
dienen/ der welt/ reichtum/ ehre/ und wolluͤſten abgeſtorben ſind/
und ihr heil ihnen laſſen angelegen ſeyn/ folglich ein recht gottſe-
liges leben fuͤhren/ und alſo die fruͤchten der wahrheit bringen/ ſo
haben wir gewonnen. Dann haben wir ſolche Chriſten ſo ſind ſie am

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[752/0768] Das andere Capitel. ſchehen/ daß die gegenſeitige ſich nicht daruͤber beſchwehren koͤnnen/ als die eben gleiche wort auch brauchen wuͤrden; und gleichwohl wo man auff die vorbedeutete weiſe den grund ihres glaubens und ungrund jener irrthuͤmer beygebracht hat/ iſt ſolche dehortation ſo kraͤfftig/ als wann fort und fort der nahmen meldung geſchehe/ und ſie auffs hefftigſte verdam̃t wuͤrden; bey wem aber jene gruͤndliche abwarnung nicht fruchtet/ bey ſolchem wird dieſer ſcheinende eyffer nicht mehrers ausrichten. 3. weil aber die allermei- ſte urſach der abfaͤlle nicht ſo wohl eine eigentliche verfuͤhrung/ daß ſolche leute ſich in ihrem gewiſſen meinten uͤberzeugt zuſeyn/ daß unſere lehre nicht recht ſeye/ als vielmehr eine leichtſinnigkeit entweder/ daß ein ſolcher menſch ſeine eigene religion niemahl recht verſtanden/ noch je eine uͤberzeu- gung von dero wahrheit bey ſich gehabt hat/ ſondern nur weil er ſo erzogen worden/ dabey geblieben iſt/ oder daß er gar das geiſtliche ſich nicht laͤſſet angelegen ſeyn/ ſondern ſein hertz an die dinge dieſer welt gehengt hat/ daß er dannenhero leicht dahin gehet/ wo er in dem zeitlichen mehr gelegenheit reichthum/ ehre/ bequemlichkeit/ gunſt/ befoͤrderung und anders dergleichen vor ſich ſihet/ als welche ſeine goͤtzen ſeynd: ſo iſt dahin aller fleiß zurich- ten/ wie dieſen urſachen als den quellen begegnet/ und ſie gleichſam ver- ſtopffet werden. Damit wuͤrde dem abfallen gewehret/ ohne daß nie- mand auch der widrigen ſelbs etwas dagegen zuſagen vermag. Der erſten urſache wehret die oben recommendirte unterrichtung der gemeinde in der kinderlehr/ wo dieſelbe gruͤndlich gefuͤhret wird/ nebens den predigten/ welche auch alſo ſollen bewandt ſeyn/ daß die gemeinde allen rath GOttes daraus lernen moͤge. Gegen die andere urſach/ welche faſt die meiſte und gefaͤhrlichſte iſt/ haben wir nicht weniger zukaͤmpffen/ dazu aber wird er- fordert/ daß wir aus unſeren zuhoͤrern rechtſchaffene Chriſten machen/ die nicht nur allein eine buchſtaͤbliche erkaͤntnuͤß und wiſſenſchafft ha- ben/ ſondern bey denen wahrhafftig eine lebendige und innerliche erkaͤnt- nuͤß der wahrheit und hertzliche gottſeligkeit ſich befinde. Dann gewiß iſt/ werden wir ſolche Chriſten machen/ die nur das einfaͤltigſte ihres glaubens wol gefaßt/ trachten und verlangen ihrem GOTT allein zu dienen/ der welt/ reichtum/ ehre/ und wolluͤſten abgeſtorben ſind/ und ihr heil ihnen laſſen angelegen ſeyn/ folglich ein recht gottſe- liges leben fuͤhren/ und alſo die fruͤchten der wahrheit bringen/ ſo haben wir gewonnen. Dann haben wir ſolche Chriſten ſo ſind ſie am beſten

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 752. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/768>, abgerufen am 29.04.2024.