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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. II. SECTIO XI.
ches wir aber insgemein meistens zu sehen haben. Ja ich kan wol sagen/
daß es ohne dergleichen zwang oder illationem kaum möglich ist/ allen rath
GOttes/ wie wir doch thun sollen/ einer Christlichen gemeinde zu offenbah-
ren/ wie sichs zeiget/ wer die materien erwegt/ die er etwa zu treiben nö-
thig findet/ und hält sie nachmal gegen die Evangelia. Jn welchem fall
ich alsdann viel nöthiger halte/ bey einigen Evangelien diejenige dinge zu
tractiren/ die nicht eben selbs daraus fliessen/ aber der gemeinde vor die da-
malige predigt mögen das auferbaulichste gewesen seyn/ als diese versäu-
men/ und allzu scrupulose bey dem text und dessen natürlichen ordnung/
welche sonst freylich den vorzug haben soll/ verharren. Also habe ich vor 2.
jahren nöthig erachtet/ daß ich einmal in einem jahr alle die articulos des
glaubens meiner gemeinde vortrüge/ dieses jahr aber alle die tugenden:
Nun ists an dem/ daß unterschiedliche so articuli als tugenden aus denen
Evangelien sehr wol geflossen/ und tanquam ex propria sede daraus tra-
ctir
et werden könten/ ich leugne aber auch nicht/ daß es bey etlichen eines
zwangs bedorfft hat/ und ich in den Evangelien nur anlaß suchen/ die sache
aber selbs folglich aus andern orten der schrifft/ sie herbey ziehende/ habe
abhandlen/ oder aber hätte unterschiedliche zu meinem vorgenommenen me-
thodo
nöthige stücke/ articul oder tugenden/ die nirgend ex professo in den
Evangelien vorkommen/ auslassen müssen. Da ich das erste viel entschuld-
barer als das letzte geachtet habe/ ob ich wol sonsten/ wo es nicht derglei-
chen ursach hat/ am liebsten bey der natürlichen ordnung des textes bleibe-
und solches von andern zu geschehen wünsche: als daß ich sehe/ wo insge-
mein dieser methodus gebraucht werden/ würde er mehr schaden als nutzen/
und die leute offt irr machen/ denen es nützlicher ist/ daß sie gewöhnlich in
den predigten lauter solche dinge hören/ die sie ohne viele kunst und zwang
selbs in dem text sehen/ oder da sie ihnen gewiesen werden/ stracks zu erken-
nen vermögen. Jch achte aber diese predigt dieser zweiten art/ und glaube/
daß der autor seine gute ursachen werde gehabt haben/ warum er verlangt/
auf einmal und also uno intuitu die gantze epitomen der heylß-lehre vorzu-
stellen/ da er dann/ weil das evangelium ihm vorgekommen/ und er keinen
freyen text gehabt (indem er sonsten viel schönere hätte finden können/ die
sich zu dieser materie geschickt) dasselbe auf das evangelium accommodiren
wollen. Welches also seine gültige entschuldigung hat/ aber nicht würde
zu loben seyn/ wo man sich allezeit oder meistens eines dergleichen intricate-
ren (in ansehen des texts zu reden) methodi ausser obiger ursach gebrauchen
oder seine freude oder ehr darinnen suchen wolte.

SECT.
d d 2

ARTIC. II. SECTIO XI.
ches wir aber insgemein meiſtens zu ſehen haben. Ja ich kan wol ſagen/
daß es ohne dergleichen zwang oder illationem kaum moͤglich iſt/ allen rath
GOttes/ wie wir doch thun ſollen/ einer Chriſtlichen gemeinde zu offenbah-
ren/ wie ſichs zeiget/ wer die materien erwegt/ die er etwa zu treiben noͤ-
thig findet/ und haͤlt ſie nachmal gegen die Evangelia. Jn welchem fall
ich alsdann viel noͤthiger halte/ bey einigen Evangelien diejenige dinge zu
tractiren/ die nicht eben ſelbs daraus flieſſen/ aber der gemeinde vor die da-
malige predigt moͤgen das auferbaulichſte geweſen ſeyn/ als dieſe verſaͤu-
men/ und allzu ſcrupuloſe bey dem text und deſſen natuͤrlichen ordnung/
welche ſonſt freylich den vorzug haben ſoll/ verharren. Alſo habe ich vor 2.
jahren noͤthig erachtet/ daß ich einmal in einem jahr alle die articulos des
glaubens meiner gemeinde vortruͤge/ dieſes jahr aber alle die tugenden:
Nun iſts an dem/ daß unterſchiedliche ſo articuli als tugenden aus denen
Evangelien ſehr wol gefloſſen/ und tanquam ex propria ſede daraus tra-
ctir
et werden koͤnten/ ich leugne aber auch nicht/ daß es bey etlichen eines
zwangs bedorfft hat/ und ich in den Evangelien nur anlaß ſuchen/ die ſache
aber ſelbs folglich aus andern orten der ſchrifft/ ſie herbey ziehende/ habe
abhandlen/ oder aber haͤtte unterſchiedliche zu meinem vorgenommenen me-
thodo
noͤthige ſtuͤcke/ articul oder tugenden/ die nirgend ex profeſſo in den
Evangelien vorkommen/ auslaſſen muͤſſen. Da ich das erſte viel entſchuld-
barer als das letzte geachtet habe/ ob ich wol ſonſten/ wo es nicht derglei-
chen urſach hat/ am liebſten bey der natuͤrlichen ordnung des textes bleibe-
und ſolches von andern zu geſchehen wuͤnſche: als daß ich ſehe/ wo insge-
mein dieſer methodus gebraucht werden/ wuͤrde er mehr ſchaden als nutzen/
und die leute offt irr machen/ denen es nuͤtzlicher iſt/ daß ſie gewoͤhnlich in
den predigten lauter ſolche dinge hoͤren/ die ſie ohne viele kunſt und zwang
ſelbs in dem text ſehen/ oder da ſie ihnen gewieſen werden/ ſtracks zu erken-
nen vermoͤgen. Jch achte aber dieſe predigt dieſer zweiten art/ und glaube/
daß der autor ſeine gute urſachen werde gehabt haben/ warum er verlangt/
auf einmal und alſo uno intuitu die gantze epitomen der heylß-lehre vorzu-
ſtellen/ da er dann/ weil das evangelium ihm vorgekommen/ und er keinen
freyen text gehabt (indem er ſonſten viel ſchoͤnere haͤtte finden koͤnnen/ die
ſich zu dieſer materie geſchickt) daſſelbe auf das evangelium accommodiren
wollen. Welches alſo ſeine guͤltige entſchuldigung hat/ aber nicht wuͤrde
zu loben ſeyn/ wo man ſich allezeit oder meiſtens eines dergleichen intricate-
ren (in anſehen des texts zu reden) methodi auſſer obiger urſach gebrauchen
oder ſeine freude oder ehr darinnen ſuchen wolte.

SECT.
d d 2
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[211/0223] ARTIC. II. SECTIO XI. ches wir aber insgemein meiſtens zu ſehen haben. Ja ich kan wol ſagen/ daß es ohne dergleichen zwang oder illationem kaum moͤglich iſt/ allen rath GOttes/ wie wir doch thun ſollen/ einer Chriſtlichen gemeinde zu offenbah- ren/ wie ſichs zeiget/ wer die materien erwegt/ die er etwa zu treiben noͤ- thig findet/ und haͤlt ſie nachmal gegen die Evangelia. Jn welchem fall ich alsdann viel noͤthiger halte/ bey einigen Evangelien diejenige dinge zu tractiren/ die nicht eben ſelbs daraus flieſſen/ aber der gemeinde vor die da- malige predigt moͤgen das auferbaulichſte geweſen ſeyn/ als dieſe verſaͤu- men/ und allzu ſcrupuloſe bey dem text und deſſen natuͤrlichen ordnung/ welche ſonſt freylich den vorzug haben ſoll/ verharren. Alſo habe ich vor 2. jahren noͤthig erachtet/ daß ich einmal in einem jahr alle die articulos des glaubens meiner gemeinde vortruͤge/ dieſes jahr aber alle die tugenden: Nun iſts an dem/ daß unterſchiedliche ſo articuli als tugenden aus denen Evangelien ſehr wol gefloſſen/ und tanquam ex propria ſede daraus tra- ctiret werden koͤnten/ ich leugne aber auch nicht/ daß es bey etlichen eines zwangs bedorfft hat/ und ich in den Evangelien nur anlaß ſuchen/ die ſache aber ſelbs folglich aus andern orten der ſchrifft/ ſie herbey ziehende/ habe abhandlen/ oder aber haͤtte unterſchiedliche zu meinem vorgenommenen me- thodo noͤthige ſtuͤcke/ articul oder tugenden/ die nirgend ex profeſſo in den Evangelien vorkommen/ auslaſſen muͤſſen. Da ich das erſte viel entſchuld- barer als das letzte geachtet habe/ ob ich wol ſonſten/ wo es nicht derglei- chen urſach hat/ am liebſten bey der natuͤrlichen ordnung des textes bleibe- und ſolches von andern zu geſchehen wuͤnſche: als daß ich ſehe/ wo insge- mein dieſer methodus gebraucht werden/ wuͤrde er mehr ſchaden als nutzen/ und die leute offt irr machen/ denen es nuͤtzlicher iſt/ daß ſie gewoͤhnlich in den predigten lauter ſolche dinge hoͤren/ die ſie ohne viele kunſt und zwang ſelbs in dem text ſehen/ oder da ſie ihnen gewieſen werden/ ſtracks zu erken- nen vermoͤgen. Jch achte aber dieſe predigt dieſer zweiten art/ und glaube/ daß der autor ſeine gute urſachen werde gehabt haben/ warum er verlangt/ auf einmal und alſo uno intuitu die gantze epitomen der heylß-lehre vorzu- ſtellen/ da er dann/ weil das evangelium ihm vorgekommen/ und er keinen freyen text gehabt (indem er ſonſten viel ſchoͤnere haͤtte finden koͤnnen/ die ſich zu dieſer materie geſchickt) daſſelbe auf das evangelium accommodiren wollen. Welches alſo ſeine guͤltige entſchuldigung hat/ aber nicht wuͤrde zu loben ſeyn/ wo man ſich allezeit oder meiſtens eines dergleichen intricate- ren (in anſehen des texts zu reden) methodi auſſer obiger urſach gebrauchen oder ſeine freude oder ehr darinnen ſuchen wolte. 1681. SECT. d d 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/223>, abgerufen am 28.04.2024.