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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
ret als dann auf, wie eine bewegung, dadurch man zu der ruhe sich bestrebet,
da diese erhalten ist, aufhöret. Dieser verstand des worts glaubens schei-
net wohl der vornehmste in der schrifft zu seyn: und da wird 2. Cor. 5, 7. die-
ser gegensatz des gegenwärtigen und künfftigen lebens gemacht, daß wir hie
im glauben, dorten aber im schauen, und also nicht im glauben wand-
len.
Wo wir aber den glauben nehmen für die erkäntnüß und beyfall
des jenigen, was wir von GOTT erkennen ins gemein, und also auch der
dinge, die wir selbs sehen, so dann für das vertrauen auf die göttliche
gnade in CHristo, wie dieselbe ewig unausgesetzt über uns walten werde, so
bleibet freylich der glaube in solchem verstand auch noch in jenem leben, und
sind alle solche stücke in grösserer vollkommenheit als in dem itzigen leben da-
selbs anzutreffen. Jndessen wird doch der erste verstand der art zu reden
der schrifft gemässer seyn. Die andere frage war: ob man salva conscien-
tia toler[ir]
en könns, daß Reformirte herrschafften in den Lutheri-
schen schulen ihre namen-bücher, welche zwat unserm glauben nicht
zuwider zu seyn scheinen, doch nicht gäntzlich, was die zehen gebot
und das vater unser betrifft, mit unsern namen-büchern
concordi-
ren, introducirten: Antwort. Jch verstehe durch die namen-bücher die
jenigen, aus denen die kleinste jugend allein buchstabiren und lesen lernet,
nicht aber welche als ein Catechismus eingeführet, und der jugend zum aus-
wendig lernen aufgegeben werden. Voraus gesetzt dessen, so hielte dafür,
daß der herrschafft gleichwol mit demüthiger bescheidenheit vorgetragen
würde, daß durch dergleichen neuerung unnöthige irrung (davon weder sie
ihres noch wir unsers orts einigen vortheil nicht haben) bey der kleinen ju-
gend gemacht würde/ da sie ein anders erstmal gelesen, ein anderes aus dem
nachmal vorgelegten Catechismo hörten, ob man damit die sache abwenden
möchte. 2. Beharret die Obrigkeit darauf, so sehe ich nicht, wie man sich
hefftig dagegen setzen könte: in dem 1. solche namen-bücher nicht gleicher
massen als die Catechismi als ein eigenlich stück unserer bekäntnüß anzuse-
hen, und an sich selbs wenig daran gelegen ist, aus was vor einem büchlein
buchstabiren und lesen gelernet wird. 2. So ist auch der unterscheid
der zehen gebot, wie sie bey den Reformirten und uns gebräuchlich, nicht so
bewandt, daß wir jene formul blosser dings verwerffen könten, als die den
worten nach in der schrifft stehet, auch ist in der Straßburgischen kirchen
von alters her bereits solche abtheilung und völlige behaltung aller wort
hergebracht, auch noch deßwegen in gebrauch, welche kirche wir nichts
desto weniger vor rein gläubig, und mit uns in einigkeit des glaubens ste-
hende erkennen. 3. So ists auch mit dem vater unser, da wir in unseren

eigenen

Das ſiebende Capitel.
ret als dann auf, wie eine bewegung, dadurch man zu der ruhe ſich beſtrebet,
da dieſe erhalten iſt, aufhoͤret. Dieſer verſtand des worts glaubens ſchei-
net wohl der vornehmſte in der ſchrifft zu ſeyn: und da wird 2. Cor. 5, 7. die-
ſer gegenſatz des gegenwaͤrtigen und kuͤnfftigen lebens gemacht, daß wir hie
im glauben, dorten aber im ſchauen, und alſo nicht im glauben wand-
len.
Wo wir aber den glauben nehmen fuͤr die erkaͤntnuͤß und beyfall
des jenigen, was wir von GOTT erkennen ins gemein, und alſo auch der
dinge, die wir ſelbs ſehen, ſo dann fuͤr das vertrauen auf die goͤttliche
gnade in CHriſto, wie dieſelbe ewig unausgeſetzt uͤber uns walten werde, ſo
bleibet freylich der glaube in ſolchem verſtand auch noch in jenem leben, und
ſind alle ſolche ſtuͤcke in groͤſſerer vollkommenheit als in dem itzigen leben da-
ſelbs anzutreffen. Jndeſſen wird doch der erſte verſtand der art zu reden
der ſchrifft gemaͤſſer ſeyn. Die andere frage war: ob man ſalva conſcien-
tia toler[ir]
en koͤnns, daß Reformirte herrſchafften in den Lutheri-
ſchen ſchulen ihre namen-buͤcher, welche zwat unſerm glauben nicht
zuwider zu ſeyn ſcheinen, doch nicht gaͤntzlich, was die zehen gebot
und das vater unſer betrifft, mit unſern namen-buͤchern
concordi-
ren, introducirten: Antwort. Jch verſtehe durch die namen-buͤcher die
jenigen, aus denen die kleinſte jugend allein buchſtabiren und leſen lernet,
nicht aber welche als ein Catechiſmus eingefuͤhret, und der jugend zum aus-
wendig lernen aufgegeben werden. Voraus geſetzt deſſen, ſo hielte dafuͤr,
daß der herrſchafft gleichwol mit demuͤthiger beſcheidenheit vorgetragen
wuͤrde, daß durch dergleichen neuerung unnoͤthige irrung (davon weder ſie
ihres noch wir unſers orts einigen vortheil nicht haben) bey der kleinen ju-
gend gemacht wuͤrde/ da ſie ein anders erſtmal geleſen, ein anderes aus dem
nachmal vorgelegten Catechiſmo hoͤrten, ob man damit die ſache abwenden
moͤchte. 2. Beharret die Obrigkeit darauf, ſo ſehe ich nicht, wie man ſich
hefftig dagegen ſetzen koͤnte: in dem 1. ſolche namen-buͤcher nicht gleicher
maſſen als die Catechiſmi als ein eigenlich ſtuͤck unſerer bekaͤntnuͤß anzuſe-
hen, und an ſich ſelbs wenig daran gelegen iſt, aus was vor einem buͤchlein
buchſtabiren und leſen gelernet wird. 2. So iſt auch der unterſcheid
der zehen gebot, wie ſie bey den Reformirten und uns gebraͤuchlich, nicht ſo
bewandt, daß wir jene formul bloſſer dings verwerffen koͤnten, als die den
worten nach in der ſchrifft ſtehet, auch iſt in der Straßburgiſchen kirchen
von alters her bereits ſolche abtheilung und voͤllige behaltung aller wort
hergebracht, auch noch deßwegen in gebrauch, welche kirche wir nichts
deſto weniger vor rein glaͤubig, und mit uns in einigkeit des glaubens ſte-
hende erkennen. 3. So iſts auch mit dem vater unſer, da wir in unſeren

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[50/0062] Das ſiebende Capitel. ret als dann auf, wie eine bewegung, dadurch man zu der ruhe ſich beſtrebet, da dieſe erhalten iſt, aufhoͤret. Dieſer verſtand des worts glaubens ſchei- net wohl der vornehmſte in der ſchrifft zu ſeyn: und da wird 2. Cor. 5, 7. die- ſer gegenſatz des gegenwaͤrtigen und kuͤnfftigen lebens gemacht, daß wir hie im glauben, dorten aber im ſchauen, und alſo nicht im glauben wand- len. Wo wir aber den glauben nehmen fuͤr die erkaͤntnuͤß und beyfall des jenigen, was wir von GOTT erkennen ins gemein, und alſo auch der dinge, die wir ſelbs ſehen, ſo dann fuͤr das vertrauen auf die goͤttliche gnade in CHriſto, wie dieſelbe ewig unausgeſetzt uͤber uns walten werde, ſo bleibet freylich der glaube in ſolchem verſtand auch noch in jenem leben, und ſind alle ſolche ſtuͤcke in groͤſſerer vollkommenheit als in dem itzigen leben da- ſelbs anzutreffen. Jndeſſen wird doch der erſte verſtand der art zu reden der ſchrifft gemaͤſſer ſeyn. Die andere frage war: ob man ſalva conſcien- tia toleriren koͤnns, daß Reformirte herrſchafften in den Lutheri- ſchen ſchulen ihre namen-buͤcher, welche zwat unſerm glauben nicht zuwider zu ſeyn ſcheinen, doch nicht gaͤntzlich, was die zehen gebot und das vater unſer betrifft, mit unſern namen-buͤchern concordi- ren, introducirten: Antwort. Jch verſtehe durch die namen-buͤcher die jenigen, aus denen die kleinſte jugend allein buchſtabiren und leſen lernet, nicht aber welche als ein Catechiſmus eingefuͤhret, und der jugend zum aus- wendig lernen aufgegeben werden. Voraus geſetzt deſſen, ſo hielte dafuͤr, daß der herrſchafft gleichwol mit demuͤthiger beſcheidenheit vorgetragen wuͤrde, daß durch dergleichen neuerung unnoͤthige irrung (davon weder ſie ihres noch wir unſers orts einigen vortheil nicht haben) bey der kleinen ju- gend gemacht wuͤrde/ da ſie ein anders erſtmal geleſen, ein anderes aus dem nachmal vorgelegten Catechiſmo hoͤrten, ob man damit die ſache abwenden moͤchte. 2. Beharret die Obrigkeit darauf, ſo ſehe ich nicht, wie man ſich hefftig dagegen ſetzen koͤnte: in dem 1. ſolche namen-buͤcher nicht gleicher maſſen als die Catechiſmi als ein eigenlich ſtuͤck unſerer bekaͤntnuͤß anzuſe- hen, und an ſich ſelbs wenig daran gelegen iſt, aus was vor einem buͤchlein buchſtabiren und leſen gelernet wird. 2. So iſt auch der unterſcheid der zehen gebot, wie ſie bey den Reformirten und uns gebraͤuchlich, nicht ſo bewandt, daß wir jene formul bloſſer dings verwerffen koͤnten, als die den worten nach in der ſchrifft ſtehet, auch iſt in der Straßburgiſchen kirchen von alters her bereits ſolche abtheilung und voͤllige behaltung aller wort hergebracht, auch noch deßwegen in gebrauch, welche kirche wir nichts deſto weniger vor rein glaͤubig, und mit uns in einigkeit des glaubens ſte- hende erkennen. 3. So iſts auch mit dem vater unſer, da wir in unſeren eigenen

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/62>, abgerufen am 28.04.2024.