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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
derseits blösse gekommen, nachmal aber mit ihrer schwester Lucre-
tia sich versprochen, nachdem ihn GOTT zur erkäntnüß seines vo-
rigen sündlichen zustandes und zur bekehrung gebracht, den gedach-
ten unreinen umgang mit Livia also anzusehen habe, daß er mit
Lucretia die ehe, um nicht blutschande zu begehen (weil im 3. B.

Mos. XX. v. 7. auch die beschauung der schaam vor eine blutschuld
angezeiget wird) nicht vollenziehen dörffte, sondern von ihr und
gethanem verspruch abgehen müsse.

§. 1.
WO die frage wäre von der sündlichkeit solches vorgestellten unreinen um-
ganges mit der Liuia, ist kein zweiffel, daß derselbe sreylich eine schwere
und grobe sünde vor GOtt seye, mit der sich beyde (am meisten Titius,
der es nicht alleine besser wissen, und sich züchtiger aufführen sollen, sondern auch
solche unzüchtige lüste mehr gesuchet, als darzu verleitet worden ist) aufs schwerlich-
ste versündiget; um so vielmehr, da solche lüste auf ein halbes jahr getrieben seyn
sollen. Dann wann der liebste Heyland es vor GOttes gerichte bereits vor einen
ehebruch hält Matth. 5. v. 28. Wer ein weib ansihet, ihr zu begehren, der
hat schon die ehe gebrochen in seinem hertzen:
da es gleichwol zu keiner
wircklichen that gelanget, so ist es vor dem, der die menschen mehr urtheilet nach
dem, was sie sind, als was eusserlich geschiehet, die sünde so viel schwerer, da den in-
nerlichen lüsten bereits so viel gewalt gelassen worden, daß sie auch in einigen thaten
bereits ausgebrochen, und wol durch nichts anders, als die furcht der eusserlichen
schande, wenn Liuia schwanger werden möchte, die eusserliche grobe schand-that
hinterblieben ist: da sich hingegen beyderseits seelen um solche zeit gegen einander
mit gelüsten verunreiniget, auch die leiber wol nicht ohne verunreinigung geblieben
seyn werden Diese sünde haben beyde, da sie es mit GOtt zu thun, nicht gering zu ach-
ten, sondern zur beforderung ihrer buß sich groß gnug vorzustellen, daß sie nemlich
solche gantze zeit über vor GOtt in beständiger hurerey gelebet, und sich seiner gnade
unfähig gemacht, deswegen darüber vor GOtt sich zu demüthigen und mit allerley
entschuldigungen des fleisches die schwere derselben sich nicht gering machen zu las-
sen. Ja wo nach der verlobung mit Lucretia dergleichen noch weiter mit Liuia
vorgegangen wäre, wie es vorhero geschehen, achtete ich es billich vor eine art einer
blutschande vor GOttes gericht.

§. II. Nachdem aber mit Liuia solcher unzüchtige umgang verübet worden,
hätte Titius sich mit ihrer schwester Lucretia nicht verloben sollen, hoffe auch, wo er

da-
Das ſiebende Capitel.
derſeits bloͤſſe gekommen, nachmal aber mit ihrer ſchweſter Lucre-
tia ſich verſprochen, nachdem ihn GOTT zur erkaͤntnuͤß ſeines vo-
rigen ſuͤndlichen zuſtandes und zur bekehꝛung gebꝛacht, den gedach-
ten unreinen umgang mit Livia alſo anzuſehen habe, daß er mit
Lucretia die ehe, um nicht blutſchande zu begehen (weil im 3. B.

Moſ. XX. v. 7. auch die beſchauung der ſchaam vor eine blutſchuld
angezeiget wird) nicht vollenziehen doͤrffte, ſondern von ihr und
gethanem verſpruch abgehen muͤſſe.

§. 1.
WO die frage waͤre von der ſuͤndlichkeit ſolches vorgeſtellten unreinen um-
ganges mit der Liuia, iſt kein zweiffel, daß derſelbe ſreylich eine ſchwere
und grobe ſuͤnde vor GOtt ſeye, mit der ſich beyde (am meiſten Titius,
der es nicht alleine beſſer wiſſen, und ſich zuͤchtiger auffuͤhren ſollen, ſondern auch
ſolche unzuͤchtige luͤſte mehr geſuchet, als darzu verleitet worden iſt) aufs ſchwerlich-
ſte verſuͤndiget; um ſo vielmehr, da ſolche luͤſte auf ein halbes jahr getrieben ſeyn
ſollen. Dann wann der liebſte Heyland es vor GOttes gerichte bereits vor einen
ehebruch haͤlt Matth. 5. v. 28. Wer ein weib anſihet, ihr zu begehren, der
hat ſchon die ehe gebrochen in ſeinem hertzen:
da es gleichwol zu keiner
wircklichen that gelanget, ſo iſt es vor dem, der die menſchen mehr urtheilet nach
dem, was ſie ſind, als was euſſerlich geſchiehet, die ſuͤnde ſo viel ſchwerer, da den in-
nerlichen luͤſten bereits ſo viel gewalt gelaſſen worden, daß ſie auch in einigen thaten
bereits ausgebrochen, und wol durch nichts anders, als die furcht der euſſerlichen
ſchande, wenn Liuia ſchwanger werden moͤchte, die euſſerliche grobe ſchand-that
hinterblieben iſt: da ſich hingegen beyderſeits ſeelen um ſolche zeit gegen einander
mit geluͤſten verunreiniget, auch die leiber wol nicht ohne verunreinigung geblieben
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ſolche gantze zeit uͤber vor GOtt in beſtaͤndiger hurerey gelebet, und ſich ſeiner gnade
unfaͤhig gemacht, deswegen daruͤber vor GOtt ſich zu demuͤthigen und mit allerley
entſchuldigungen des fleiſches die ſchwere derſelben ſich nicht gering machen zu laſ-
ſen. Ja wo nach der verlobung mit Lucretia dergleichen noch weiter mit Liuia
vorgegangen waͤre, wie es vorhero geſchehen, achtete ich es billich vor eine art einer
blutſchande vor GOttes gericht.

§. II. Nachdem aber mit Liuia ſolcher unzuͤchtige umgang veruͤbet worden,
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[708/0720] Das ſiebende Capitel. derſeits bloͤſſe gekommen, nachmal aber mit ihrer ſchweſter Lucre- tia ſich verſprochen, nachdem ihn GOTT zur erkaͤntnuͤß ſeines vo- rigen ſuͤndlichen zuſtandes und zur bekehꝛung gebꝛacht, den gedach- ten unreinen umgang mit Livia alſo anzuſehen habe, daß er mit Lucretia die ehe, um nicht blutſchande zu begehen (weil im 3. B. Moſ. XX. v. 7. auch die beſchauung der ſchaam vor eine blutſchuld angezeiget wird) nicht vollenziehen doͤrffte, ſondern von ihr und gethanem verſpruch abgehen muͤſſe. §. 1. WO die frage waͤre von der ſuͤndlichkeit ſolches vorgeſtellten unreinen um- ganges mit der Liuia, iſt kein zweiffel, daß derſelbe ſreylich eine ſchwere und grobe ſuͤnde vor GOtt ſeye, mit der ſich beyde (am meiſten Titius, der es nicht alleine beſſer wiſſen, und ſich zuͤchtiger auffuͤhren ſollen, ſondern auch ſolche unzuͤchtige luͤſte mehr geſuchet, als darzu verleitet worden iſt) aufs ſchwerlich- ſte verſuͤndiget; um ſo vielmehr, da ſolche luͤſte auf ein halbes jahr getrieben ſeyn ſollen. Dann wann der liebſte Heyland es vor GOttes gerichte bereits vor einen ehebruch haͤlt Matth. 5. v. 28. Wer ein weib anſihet, ihr zu begehren, der hat ſchon die ehe gebrochen in ſeinem hertzen: da es gleichwol zu keiner wircklichen that gelanget, ſo iſt es vor dem, der die menſchen mehr urtheilet nach dem, was ſie ſind, als was euſſerlich geſchiehet, die ſuͤnde ſo viel ſchwerer, da den in- nerlichen luͤſten bereits ſo viel gewalt gelaſſen worden, daß ſie auch in einigen thaten bereits ausgebrochen, und wol durch nichts anders, als die furcht der euſſerlichen ſchande, wenn Liuia ſchwanger werden moͤchte, die euſſerliche grobe ſchand-that hinterblieben iſt: da ſich hingegen beyderſeits ſeelen um ſolche zeit gegen einander mit geluͤſten verunreiniget, auch die leiber wol nicht ohne verunreinigung geblieben ſeyn weꝛdẽ Dieſe ſuͤnde haben beyde, da ſie es mit GOtt zu thun, nicht gering zu ach- ten, ſondern zur beforderung ihrer buß ſich groß gnug vorzuſtellen, daß ſie nemlich ſolche gantze zeit uͤber vor GOtt in beſtaͤndiger hurerey gelebet, und ſich ſeiner gnade unfaͤhig gemacht, deswegen daruͤber vor GOtt ſich zu demuͤthigen und mit allerley entſchuldigungen des fleiſches die ſchwere derſelben ſich nicht gering machen zu laſ- ſen. Ja wo nach der verlobung mit Lucretia dergleichen noch weiter mit Liuia vorgegangen waͤre, wie es vorhero geſchehen, achtete ich es billich vor eine art einer blutſchande vor GOttes gericht. §. II. Nachdem aber mit Liuia ſolcher unzuͤchtige umgang veruͤbet worden, haͤtte Titius ſich mit ihrer ſchweſter Lucretia nicht verloben ſollen, hoffe auch, wo er da-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 708. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/720>, abgerufen am 30.04.2024.