Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Du bist jetzt in der rechten Stimmung für die
trockene Arbeit, sagte er bitter und holte das Packet
wieder aus der Ecke hervor, in die er es vorhin ge¬
schleudert hatte. Er setzte sich an den Tisch und be¬
gann zu schreiben. Zuerst den Brief an den Geometer
-- das ging noch; auch der Brief an den Advocaten
kam, obgleich nicht ohne einige heimliche Verwünschun¬
gen, glücklich zu Ende; aber die Abschrift der beiden
Contracte zu fertigen, mußte er seine ganze Geduld zu¬
sammennehmen. Mehr noch als die Langweiligkeit der
Arbeit selbst, ärgerten ihn die von der Hand der Ba¬
ronin eingestreuten Bemerkungen, in welcher sie die in
den Contracten von ihr beliebten Veränderungen in
den Augen des Advocaten, vielleicht auch in ihren eig¬
nen, zu motiviren suchte. Die Höhe der Pacht war
in beiden Fällen fast um das Doppelte gesteigert, was
Oswald um so mehr Wunder nahm, als er den In¬
spector Wrampe wiederholt hatte sagen hören: Herr
Pathe, der Pächter der beiden Güter, ein außeror¬
deutlich fleißiger, strebsamer und ökonomischer Mann,
sei so gestellt, daß ihn eine einzige Misernte ruiniren
müßte, In einer Notiz der Baronin hieß es: "Herr
P. ist ein nachlässiger Monsieur und sein sauberer In¬
spector W. ist nicht besser. Je humaner man gegen
dergleichen Menschen ist, desto fauler werden sie." In

Du biſt jetzt in der rechten Stimmung für die
trockene Arbeit, ſagte er bitter und holte das Packet
wieder aus der Ecke hervor, in die er es vorhin ge¬
ſchleudert hatte. Er ſetzte ſich an den Tiſch und be¬
gann zu ſchreiben. Zuerſt den Brief an den Geometer
— das ging noch; auch der Brief an den Advocaten
kam, obgleich nicht ohne einige heimliche Verwünſchun¬
gen, glücklich zu Ende; aber die Abſchrift der beiden
Contracte zu fertigen, mußte er ſeine ganze Geduld zu¬
ſammennehmen. Mehr noch als die Langweiligkeit der
Arbeit ſelbſt, ärgerten ihn die von der Hand der Ba¬
ronin eingeſtreuten Bemerkungen, in welcher ſie die in
den Contracten von ihr beliebten Veränderungen in
den Augen des Advocaten, vielleicht auch in ihren eig¬
nen, zu motiviren ſuchte. Die Höhe der Pacht war
in beiden Fällen faſt um das Doppelte geſteigert, was
Oswald um ſo mehr Wunder nahm, als er den In¬
ſpector Wrampe wiederholt hatte ſagen hören: Herr
Pathe, der Pächter der beiden Güter, ein außeror¬
deutlich fleißiger, ſtrebſamer und ökonomiſcher Mann,
ſei ſo geſtellt, daß ihn eine einzige Misernte ruiniren
müßte, In einer Notiz der Baronin hieß es: „Herr
P. iſt ein nachläſſiger Monſieur und ſein ſauberer In¬
ſpector W. iſt nicht beſſer. Je humaner man gegen
dergleichen Menſchen iſt, deſto fauler werden ſie.“ In

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0225" n="215"/>
        <p>Du bi&#x017F;t jetzt in der rechten Stimmung für die<lb/>
trockene Arbeit, &#x017F;agte er bitter und holte das Packet<lb/>
wieder aus der Ecke hervor, in die er es vorhin ge¬<lb/>
&#x017F;chleudert hatte. Er &#x017F;etzte &#x017F;ich an den Ti&#x017F;ch und be¬<lb/>
gann zu &#x017F;chreiben. Zuer&#x017F;t den Brief an den Geometer<lb/>
&#x2014; das ging noch; auch der Brief an den Advocaten<lb/>
kam, obgleich nicht ohne einige heimliche Verwün&#x017F;chun¬<lb/>
gen, glücklich zu Ende; aber die Ab&#x017F;chrift der beiden<lb/>
Contracte zu fertigen, mußte er &#x017F;eine ganze Geduld zu¬<lb/>
&#x017F;ammennehmen. Mehr noch als die Langweiligkeit der<lb/>
Arbeit &#x017F;elb&#x017F;t, ärgerten ihn die von der Hand der Ba¬<lb/>
ronin einge&#x017F;treuten Bemerkungen, in welcher &#x017F;ie die in<lb/>
den Contracten von ihr beliebten Veränderungen in<lb/>
den Augen des Advocaten, vielleicht auch in ihren eig¬<lb/>
nen, zu motiviren &#x017F;uchte. Die Höhe der Pacht war<lb/>
in beiden Fällen fa&#x017F;t um das Doppelte ge&#x017F;teigert, was<lb/>
Oswald um &#x017F;o mehr Wunder nahm, als er den In¬<lb/>
&#x017F;pector Wrampe wiederholt hatte &#x017F;agen hören: Herr<lb/>
Pathe, der Pächter der beiden Güter, ein außeror¬<lb/>
deutlich fleißiger, &#x017F;treb&#x017F;amer und ökonomi&#x017F;cher Mann,<lb/>
&#x017F;ei &#x017F;o ge&#x017F;tellt, daß ihn eine einzige Misernte ruiniren<lb/>
müßte, In einer Notiz der Baronin hieß es: &#x201E;Herr<lb/>
P. i&#x017F;t ein nachlä&#x017F;&#x017F;iger Mon&#x017F;ieur und &#x017F;ein &#x017F;auberer In¬<lb/>
&#x017F;pector W. i&#x017F;t nicht be&#x017F;&#x017F;er. Je humaner man gegen<lb/>
dergleichen Men&#x017F;chen i&#x017F;t, de&#x017F;to fauler werden &#x017F;ie.&#x201C; In<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[215/0225] Du biſt jetzt in der rechten Stimmung für die trockene Arbeit, ſagte er bitter und holte das Packet wieder aus der Ecke hervor, in die er es vorhin ge¬ ſchleudert hatte. Er ſetzte ſich an den Tiſch und be¬ gann zu ſchreiben. Zuerſt den Brief an den Geometer — das ging noch; auch der Brief an den Advocaten kam, obgleich nicht ohne einige heimliche Verwünſchun¬ gen, glücklich zu Ende; aber die Abſchrift der beiden Contracte zu fertigen, mußte er ſeine ganze Geduld zu¬ ſammennehmen. Mehr noch als die Langweiligkeit der Arbeit ſelbſt, ärgerten ihn die von der Hand der Ba¬ ronin eingeſtreuten Bemerkungen, in welcher ſie die in den Contracten von ihr beliebten Veränderungen in den Augen des Advocaten, vielleicht auch in ihren eig¬ nen, zu motiviren ſuchte. Die Höhe der Pacht war in beiden Fällen faſt um das Doppelte geſteigert, was Oswald um ſo mehr Wunder nahm, als er den In¬ ſpector Wrampe wiederholt hatte ſagen hören: Herr Pathe, der Pächter der beiden Güter, ein außeror¬ deutlich fleißiger, ſtrebſamer und ökonomiſcher Mann, ſei ſo geſtellt, daß ihn eine einzige Misernte ruiniren müßte, In einer Notiz der Baronin hieß es: „Herr P. iſt ein nachläſſiger Monſieur und ſein ſauberer In¬ ſpector W. iſt nicht beſſer. Je humaner man gegen dergleichen Menſchen iſt, deſto fauler werden ſie.“ In

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/225
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/225>, abgerufen am 29.04.2024.