Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

gewitterschweren Hintergrunde. Er steht allein in der
Welt, verkannt von Allen, gefürchtet von den Meisten,
geliebt von Niemanden. Warum dem so ist, darüber
könnte ich mich selbst Ihnen gegenüber nicht auslassen,
denn jede Freundschaft ist ein Tempel, zu dem jedem
Dritten der Zutritt versagt bleiben muß. Aber ich
schaudere, so oft ich das Dunkel heraufbeschwöre, das
über ihn hereinbrechen muß, wenn einst das Alter die
strahlende Fackel seines Genius, die jetzt einzig und
allein die schauerliche Oede seiner Seele erhellt, düstrer
und düstrer brennen macht. Vielleicht -- wer weiß
es? -- mag das auch ein Glück für ihn sein. Viel¬
leicht mag dann das Wort, das er jetzt oft halb im
grimmen Spotte und halb voll wehmüthen Glaubens
im Munde führt, das alte Wort: "Selig sind die
Einfältigen," an ihm zur Wahrheit werden.

Der vertraute Umgang mit dem gelehrten Manne
hatte mich in den Augen aller Andern in einen Nimbus
gehüllt, in welchem ich, wie die homerischen Helden
die Gefahren der Schlacht, die Schrecknisse des Exa¬
mens ungefährdet durchwandeln konnte. Am Morgen
des entscheidenden Tages sagte Berger zu mir: "Wissen
Sie, lieber Oswald, daß ich große Lust habe, Sie
durchfallen zu lassen?"

"Warum?"

gewitterſchweren Hintergrunde. Er ſteht allein in der
Welt, verkannt von Allen, gefürchtet von den Meiſten,
geliebt von Niemanden. Warum dem ſo iſt, darüber
könnte ich mich ſelbſt Ihnen gegenüber nicht auslaſſen,
denn jede Freundſchaft iſt ein Tempel, zu dem jedem
Dritten der Zutritt verſagt bleiben muß. Aber ich
ſchaudere, ſo oft ich das Dunkel heraufbeſchwöre, das
über ihn hereinbrechen muß, wenn einſt das Alter die
ſtrahlende Fackel ſeines Genius, die jetzt einzig und
allein die ſchauerliche Oede ſeiner Seele erhellt, düſtrer
und düſtrer brennen macht. Vielleicht — wer weiß
es? — mag das auch ein Glück für ihn ſein. Viel¬
leicht mag dann das Wort, das er jetzt oft halb im
grimmen Spotte und halb voll wehmüthen Glaubens
im Munde führt, das alte Wort: „Selig ſind die
Einfältigen,“ an ihm zur Wahrheit werden.

Der vertraute Umgang mit dem gelehrten Manne
hatte mich in den Augen aller Andern in einen Nimbus
gehüllt, in welchem ich, wie die homeriſchen Helden
die Gefahren der Schlacht, die Schreckniſſe des Exa¬
mens ungefährdet durchwandeln konnte. Am Morgen
des entſcheidenden Tages ſagte Berger zu mir: „Wiſſen
Sie, lieber Oswald, daß ich große Luſt habe, Sie
durchfallen zu laſſen?“

„Warum?“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0032" n="22"/>
gewitter&#x017F;chweren Hintergrunde. Er &#x017F;teht allein in der<lb/>
Welt, verkannt von Allen, gefürchtet von den Mei&#x017F;ten,<lb/>
geliebt von Niemanden. Warum dem &#x017F;o i&#x017F;t, darüber<lb/>
könnte ich mich &#x017F;elb&#x017F;t Ihnen gegenüber nicht ausla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
denn jede Freund&#x017F;chaft i&#x017F;t ein Tempel, zu dem jedem<lb/>
Dritten der Zutritt ver&#x017F;agt bleiben muß. Aber ich<lb/>
&#x017F;chaudere, &#x017F;o oft ich das Dunkel heraufbe&#x017F;chwöre, das<lb/>
über ihn hereinbrechen muß, wenn ein&#x017F;t das Alter die<lb/>
&#x017F;trahlende Fackel &#x017F;eines Genius, die jetzt einzig und<lb/>
allein die &#x017F;chauerliche Oede &#x017F;einer Seele erhellt, dü&#x017F;trer<lb/>
und dü&#x017F;trer brennen macht. Vielleicht &#x2014; wer weiß<lb/>
es? &#x2014; mag das auch ein Glück für ihn &#x017F;ein. Viel¬<lb/>
leicht mag dann das Wort, das er jetzt oft halb im<lb/>
grimmen Spotte und halb voll wehmüthen Glaubens<lb/>
im Munde führt, das alte Wort: &#x201E;Selig &#x017F;ind die<lb/>
Einfältigen,&#x201C; an ihm zur Wahrheit werden.</p><lb/>
        <p>Der vertraute Umgang mit dem gelehrten Manne<lb/>
hatte mich in den Augen aller Andern in einen Nimbus<lb/>
gehüllt, in welchem ich, wie die homeri&#x017F;chen Helden<lb/>
die Gefahren der Schlacht, die Schreckni&#x017F;&#x017F;e des Exa¬<lb/>
mens ungefährdet durchwandeln konnte. Am Morgen<lb/>
des ent&#x017F;cheidenden Tages &#x017F;agte Berger zu mir: &#x201E;Wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Sie, lieber Oswald, daß ich große Lu&#x017F;t habe, Sie<lb/>
durchfallen zu la&#x017F;&#x017F;en?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum?&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0032] gewitterſchweren Hintergrunde. Er ſteht allein in der Welt, verkannt von Allen, gefürchtet von den Meiſten, geliebt von Niemanden. Warum dem ſo iſt, darüber könnte ich mich ſelbſt Ihnen gegenüber nicht auslaſſen, denn jede Freundſchaft iſt ein Tempel, zu dem jedem Dritten der Zutritt verſagt bleiben muß. Aber ich ſchaudere, ſo oft ich das Dunkel heraufbeſchwöre, das über ihn hereinbrechen muß, wenn einſt das Alter die ſtrahlende Fackel ſeines Genius, die jetzt einzig und allein die ſchauerliche Oede ſeiner Seele erhellt, düſtrer und düſtrer brennen macht. Vielleicht — wer weiß es? — mag das auch ein Glück für ihn ſein. Viel¬ leicht mag dann das Wort, das er jetzt oft halb im grimmen Spotte und halb voll wehmüthen Glaubens im Munde führt, das alte Wort: „Selig ſind die Einfältigen,“ an ihm zur Wahrheit werden. Der vertraute Umgang mit dem gelehrten Manne hatte mich in den Augen aller Andern in einen Nimbus gehüllt, in welchem ich, wie die homeriſchen Helden die Gefahren der Schlacht, die Schreckniſſe des Exa¬ mens ungefährdet durchwandeln konnte. Am Morgen des entſcheidenden Tages ſagte Berger zu mir: „Wiſſen Sie, lieber Oswald, daß ich große Luſt habe, Sie durchfallen zu laſſen?“ „Warum?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/32
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/32>, abgerufen am 26.04.2024.