Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

lein, der schon sechs Jahre bei ihm ist, hat eine Pre¬
digerstelle bekommen und wird uns in diesen Tagen
verlassen. Nun weiß ich nicht -- aber da kommt die
Baronin -- ich muß meine tausend und eine Frage
über tausend und ein verschiedene Dinge, die mir so voll¬
kommen fremd sind wie meinem guten Bemperlein,
der längst verlernt hat, wie es in der Stadt aussieht,
wenn er es überhaupt jemals wußte, auf eine gelege¬
nere Zeit versparen. Hier kommt man ja doch nicht
dazu. Wie wär's, Herr Doctor, wenn Sie mich in
diesen Tagen mit Ihrem Besuche beehrten; morgen
Nachmittag etwa?"

Oswald verbeugte sich.

"Ich habe den Herrn Doctor gebeten, mir morgen
seinen Besuch zu schenken," sagte Melitta, zur Baronin
gewandt, die in diesem Augenblick mit Mademoiselle
Marguerite wieder in's Zimmer trat. "Es ist wegen
der Grünwalder Angelegenheit. Ihr habt doch nicht
morgen Nachmittag etwas Besonderes vor, denn ich
möchte nicht, daß der Herr Doctor mir ein allzugroßes
Opfer bringt."

"Wir etwas vorhaben?" sagte die Baronin; "Sie
kennen ja unser stilles Leben, liebe Melitta; im Gegen¬
theil, ich denke, eine kleine Zerstreuung der Art wird
Herrn Doctor Stein, der die Einförmigkeit eines länd¬

lein, der ſchon ſechs Jahre bei ihm iſt, hat eine Pre¬
digerſtelle bekommen und wird uns in dieſen Tagen
verlaſſen. Nun weiß ich nicht — aber da kommt die
Baronin — ich muß meine tauſend und eine Frage
über tauſend und ein verſchiedene Dinge, die mir ſo voll¬
kommen fremd ſind wie meinem guten Bemperlein,
der längſt verlernt hat, wie es in der Stadt ausſieht,
wenn er es überhaupt jemals wußte, auf eine gelege¬
nere Zeit verſparen. Hier kommt man ja doch nicht
dazu. Wie wär’s, Herr Doctor, wenn Sie mich in
dieſen Tagen mit Ihrem Beſuche beehrten; morgen
Nachmittag etwa?‟

Oswald verbeugte ſich.

„Ich habe den Herrn Doctor gebeten, mir morgen
ſeinen Beſuch zu ſchenken,‟ ſagte Melitta, zur Baronin
gewandt, die in dieſem Augenblick mit Mademoiſelle
Marguerite wieder in's Zimmer trat. „Es iſt wegen
der Grünwalder Angelegenheit. Ihr habt doch nicht
morgen Nachmittag etwas Beſonderes vor, denn ich
möchte nicht, daß der Herr Doctor mir ein allzugroßes
Opfer bringt.‟

„Wir etwas vorhaben?" ſagte die Baronin; „Sie
kennen ja unſer ſtilles Leben, liebe Melitta; im Gegen¬
theil, ich denke, eine kleine Zerſtreuung der Art wird
Herrn Doctor Stein, der die Einförmigkeit eines länd¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0086" n="76"/>
lein, der &#x017F;chon &#x017F;echs Jahre bei ihm i&#x017F;t, hat eine Pre¬<lb/>
diger&#x017F;telle bekommen und wird uns in die&#x017F;en Tagen<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en. Nun weiß ich nicht &#x2014; aber da kommt die<lb/>
Baronin &#x2014; ich muß meine tau&#x017F;end und eine Frage<lb/>
über tau&#x017F;end und ein ver&#x017F;chiedene Dinge, die mir &#x017F;o voll¬<lb/>
kommen fremd &#x017F;ind wie meinem guten Bemperlein,<lb/>
der läng&#x017F;t verlernt hat, wie es in der Stadt aus&#x017F;ieht,<lb/>
wenn er es überhaupt jemals wußte, auf eine gelege¬<lb/>
nere Zeit ver&#x017F;paren. Hier kommt man ja doch nicht<lb/>
dazu. Wie wär&#x2019;s, Herr Doctor, wenn Sie mich in<lb/>
die&#x017F;en Tagen mit Ihrem Be&#x017F;uche beehrten; morgen<lb/>
Nachmittag etwa?&#x201F;</p><lb/>
        <p>Oswald verbeugte &#x017F;ich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich habe den Herrn Doctor gebeten, mir morgen<lb/>
&#x017F;einen Be&#x017F;uch zu &#x017F;chenken,&#x201F; &#x017F;agte Melitta, zur Baronin<lb/>
gewandt, die in die&#x017F;em Augenblick mit Mademoi&#x017F;elle<lb/>
Marguerite wieder in's Zimmer trat. &#x201E;Es i&#x017F;t wegen<lb/>
der Grünwalder Angelegenheit. Ihr habt doch nicht<lb/>
morgen Nachmittag etwas Be&#x017F;onderes vor, denn ich<lb/>
möchte nicht, daß der Herr Doctor mir ein allzugroßes<lb/>
Opfer bringt.&#x201F;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir etwas vorhaben?" &#x017F;agte die Baronin; &#x201E;Sie<lb/>
kennen ja un&#x017F;er &#x017F;tilles Leben, liebe Melitta; im Gegen¬<lb/>
theil, ich denke, eine kleine Zer&#x017F;treuung der Art wird<lb/>
Herrn Doctor Stein, der die Einförmigkeit eines länd¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0086] lein, der ſchon ſechs Jahre bei ihm iſt, hat eine Pre¬ digerſtelle bekommen und wird uns in dieſen Tagen verlaſſen. Nun weiß ich nicht — aber da kommt die Baronin — ich muß meine tauſend und eine Frage über tauſend und ein verſchiedene Dinge, die mir ſo voll¬ kommen fremd ſind wie meinem guten Bemperlein, der längſt verlernt hat, wie es in der Stadt ausſieht, wenn er es überhaupt jemals wußte, auf eine gelege¬ nere Zeit verſparen. Hier kommt man ja doch nicht dazu. Wie wär’s, Herr Doctor, wenn Sie mich in dieſen Tagen mit Ihrem Beſuche beehrten; morgen Nachmittag etwa?‟ Oswald verbeugte ſich. „Ich habe den Herrn Doctor gebeten, mir morgen ſeinen Beſuch zu ſchenken,‟ ſagte Melitta, zur Baronin gewandt, die in dieſem Augenblick mit Mademoiſelle Marguerite wieder in's Zimmer trat. „Es iſt wegen der Grünwalder Angelegenheit. Ihr habt doch nicht morgen Nachmittag etwas Beſonderes vor, denn ich möchte nicht, daß der Herr Doctor mir ein allzugroßes Opfer bringt.‟ „Wir etwas vorhaben?" ſagte die Baronin; „Sie kennen ja unſer ſtilles Leben, liebe Melitta; im Gegen¬ theil, ich denke, eine kleine Zerſtreuung der Art wird Herrn Doctor Stein, der die Einförmigkeit eines länd¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/86
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/86>, abgerufen am 02.05.2024.