Ohr traf -- ja, dann war es doch wieder Melitta, seine Melitta . . . Und immer wieder jagten sich Zwei¬ fel, die sich zu wahnsinniger Angst steigerten, und Ge¬ wißheit, die ihn mit unsäglichem Entzücken erfüllte, durch seine Seele, wie tiefdunkle Schatten und heller Sonnenschein über eine Sommerlandschaft jagen, und um dieser süßen Qual, dieser bittern Wonne zu ent¬ gehen, schlürfte er mit hastigen, gierigen Zügen den berauschenden Trank, der, aus blendenden Lichtern, jubelnden Tönen und wollüstigen Düften so seltsam gemischt, in einem Ballsaal die Sinne der Tanzenden bis zum bacchantischen Taumel aufregt und das Ge¬ hirn umnelbelt.
Oswald lachte und scherzte wie von der tollsten Laune ergriffen: hier ein übermüthiges keckes Wort, dort eine feine Schmeichelei; hier eine satyrische Be¬ merkung, dort eine Sentimentalität . . . Die Damen schienen vollkommen vergessen zu haben, daß ein so unermüdlicher und gewandter Tänzer, ein so hübscher Mann, der ihnen so viele hübsche Sachen zu sagen wußte, doch nur ein Bürgerlicher sei, der auf alle diese Vorzüge eigentlich gar keinen Anspruch machen durfte, und wenn ja eine der hochadligen Mütter dem Töchterchen ihr unpassendes Benehmen mit dem jungen Menschen, dem Doctor Stein, verwies, so fiel das
Ohr traf — ja, dann war es doch wieder Melitta, ſeine Melitta . . . Und immer wieder jagten ſich Zwei¬ fel, die ſich zu wahnſinniger Angſt ſteigerten, und Ge¬ wißheit, die ihn mit unſäglichem Entzücken erfüllte, durch ſeine Seele, wie tiefdunkle Schatten und heller Sonnenſchein über eine Sommerlandſchaft jagen, und um dieſer ſüßen Qual, dieſer bittern Wonne zu ent¬ gehen, ſchlürfte er mit haſtigen, gierigen Zügen den berauſchenden Trank, der, aus blendenden Lichtern, jubelnden Tönen und wollüſtigen Düften ſo ſeltſam gemiſcht, in einem Ballſaal die Sinne der Tanzenden bis zum bacchantiſchen Taumel aufregt und das Ge¬ hirn umnelbelt.
Oswald lachte und ſcherzte wie von der tollſten Laune ergriffen: hier ein übermüthiges keckes Wort, dort eine feine Schmeichelei; hier eine ſatyriſche Be¬ merkung, dort eine Sentimentalität . . . Die Damen ſchienen vollkommen vergeſſen zu haben, daß ein ſo unermüdlicher und gewandter Tänzer, ein ſo hübſcher Mann, der ihnen ſo viele hübſche Sachen zu ſagen wußte, doch nur ein Bürgerlicher ſei, der auf alle dieſe Vorzüge eigentlich gar keinen Anſpruch machen durfte, und wenn ja eine der hochadligen Mütter dem Töchterchen ihr unpaſſendes Benehmen mit dem jungen Menſchen, dem Doctor Stein, verwies, ſo fiel das
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Ohr traf — ja, dann war es doch wieder Melitta,
ſeine Melitta . . . Und immer wieder jagten ſich Zwei¬
fel, die ſich zu wahnſinniger Angſt ſteigerten, und Ge¬
wißheit, die ihn mit unſäglichem Entzücken erfüllte,
durch ſeine Seele, wie tiefdunkle Schatten und heller
Sonnenſchein über eine Sommerlandſchaft jagen, und
um dieſer ſüßen Qual, dieſer bittern Wonne zu ent¬
gehen, ſchlürfte er mit haſtigen, gierigen Zügen den
berauſchenden Trank, der, aus blendenden Lichtern,
jubelnden Tönen und wollüſtigen Düften ſo ſeltſam
gemiſcht, in einem Ballſaal die Sinne der Tanzenden
bis zum bacchantiſchen Taumel aufregt und das Ge¬
hirn umnelbelt.
Oswald lachte und ſcherzte wie von der tollſten
Laune ergriffen: hier ein übermüthiges keckes Wort,
dort eine feine Schmeichelei; hier eine ſatyriſche Be¬
merkung, dort eine Sentimentalität . . . Die Damen
ſchienen vollkommen vergeſſen zu haben, daß ein ſo
unermüdlicher und gewandter Tänzer, ein ſo hübſcher
Mann, der ihnen ſo viele hübſche Sachen zu ſagen
wußte, doch nur ein Bürgerlicher ſei, der auf alle
dieſe Vorzüge eigentlich gar keinen Anſpruch machen
durfte, und wenn ja eine der hochadligen Mütter dem
Töchterchen ihr unpaſſendes Benehmen mit dem jungen
Menſchen, dem Doctor Stein, verwies, ſo fiel das
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/70>, abgerufen am 29.04.2024.
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