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Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.

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Saxifraga.
bey schönem Wetter kann man den glänzenden Saft deutlich sehen.
Gegen den Regen ist derselbe völlig gesichert.

Medikus führt in seiner oben angezeigten Abhandlung
S. 150. eine Stelle aus des Linne Schriften an, welche diese
Blume betrifft, und zu merkwürdig ist, als daß ich sie mit Still-
schweigen übergehen könnte. Linne sagt nemlich in seiner Flora
Suecica Ed. 2. p.
98. also: "Sub florescentia germen stylo
"stigmatibusque destitutum (quod sit stigmate destitutum,
"vitium typographicum esse reor; germen enim sine concursu
"stigmatis nunquam foecundatur
. Medicus.) apice perforatum
"est. Stamina tum alternatim antheram foramini imponunt,
"explodunt pollinem (in plantis hermaphroditis pollen non
"exploditur, sed blande e cellulis suis exsudat
. Medicus.), re-
"cedunt ad corollam reliquis pari modo succedentibus; stu-
"penda lege naturae in generatione plantarum."

Als ich im Frühjahr 1790 die Saxifraga granulata betrach-
tete, so bemerkte ich, daß einige Staubgefäße mit staubvollen
Antheren sich über das Pistill hingelehnt hatten, daß aber das
Pistill keine Stigmate hatte. Da mir nun damals die Dichogamie
noch nicht bekannt war, so wußte ich gar nicht, was ich von
dieser Erscheinung denken sollte. Zu meiner Schande muß ich be-
kennen, daß ich, denn ich erinnere mich dessen noch sehr wohl,
mir den unglücklichen Gedanken einkommen ließ, die Natur
meistern zu wollen, weil mir diese Einrichtung schlechterdings
zweckwidrig zu seyn schien. Dafür wurde ich denn auch nach
Verdienst dadurch bestraft, daß mir das Geheimniß der Dicho-
gamie noch verborgen blieb, welches ich schon damals nothwen-
dig hätte entdecken müssen, weil ich wußte, daß die Blume eine
Saftblume ist, wenn ich des unläugbaren Grundsatzes eingedenk
gewesen wäre: Die Natur thut nichts, was den Tadel eines
Sterblichen mit Recht verdienen sollte, und wo uns also eine
Einrichtung derselben unzweckmäßig, oder wohl gar zweckwidrig
zu seyn scheint, da liegt die Schuld nicht an der Natur, sondern
an uns.

Was ich nun an dieser Art bemerkte, eben das bemerkte
Linne an der Saxifraga tridactylites. Da er nun nicht wußte,
daß sie eine Saftblume ist (welches ich daraus schließe, daß er
weder in der Beschreibung der Gattung, noch bey irgend einer
Art vom Nectario etwas meldet): so war es für ihn um so viel
schwerer, wenn nicht gar unmöglich, hier die Dichogamie zu ent-
decken. Wie half er sich nun aber aus dieser Schwierigkeit?
Er bildete sich entweder ein, oder erdichtete, daß die Spitze des
Fruchtknotens durchbohrt sey. Denn gesehen kann er dies nicht
haben, weil es gar nicht vorhanden ist. Nachdem er nun die
Blume auf solche Art mit einem Stigma versehen hat, so findet
[Spaltenumbruch]

Saxifraga.
er hier ein erstaunenswürdiges Gesetz der Natur, an welches die-
selbe nicht einmal gedacht hat. Und dies macht er als eine höchst
wichtige Entdeckung bekannt. Hier hat sich Linne keinesweges
als einen philosophischen Naturforscher gezeigt. Anstatt zu sagen:
Das begreife ich nicht, erdichtet er etwas, was gar nicht vorhan-
den ist, oder bildet es sich wenigstens ein.

Wenn Linne sagt, der Fruchtknoten habe keine Stigmate,
so kann Medikus dies nicht begreifen, und hält es daher für
einen Druckfehler. Aber wie ist es möglich, daß der Schrift-
setzer einen solchen Fehler begangen habe? Wie ist es möglich,
daß er hinter das Wort stylo noch das Wort stigmatibusque ge-
setzt habe, welches im Manuscript nicht vorhanden war? Man
würde annehmen müssen, daß er die Weglassung des Worts
stigmatibusque für einen Fehler gehalten, und sich Amts halber
nothgedrungen gesehen habe, denselben zu verbessern. Daraus
aber würde folgen, daß er Lateinisch verstanden habe, daß er bo-
tanische Kenntnisse besessen habe, daß er endlich ein gar seltsamer
Mensch gewesen sey, indem er es für seine Pflicht gehalten habe,
seine Schriftsteller zu verbessern. Diese drey Eigenschaften aber
wird man schwerlich bey irgend einem Schriftsetzer beysammen
antreffen. Linne hat sich nur etwas unrichtig ausgedrückt; er
wollte aber sagen, der Fruchtknoten habe keine Stigmate von ge-
wöhnlicher Gestalt, sondern sein Stigma sey ein Loch, welches
aber seine Einbildungskraft, nicht die Natur, in denselben hinein-
gebohrt hat. So wie also Linne die Natur, so hat Medikus
den Linne ganz unrecht verstanden. Was aber die zweyte An-
merkung des Medikus betrifft, so dachte er, als er dieselbe
niederschrieb, nicht daran, daß er selbst vorher S. 129. gesagt hatte,
daß die Staubgefäße der Kalmia den Staub mit einem Geräusch
hinwegspritzen.

Saxifraga Cotyledon. Gänsezunge. In Ansehung
der Saftdrüse und des Safthalters ist diese Art der Saxifraga
granulata
ähnlich. Sie hat aber ein Saftmaal, welches jener
fehlt. Denn die weißen Kronenblätter sind an der Basis mit
purpurfarbenen Punkten geziert.

Leske hat, wie Medikus S. 158. meldet, beobachtet,
daß auch in dieser Blume die Staubgefäße sich wechselsweise über
die Stigmate hinbeugen. Er hat sich aber hier eben so, als beym
Allium, geirrt. Denn so lange die Staubgefäße sich einander
ablösen, liegen die beiden Stigmate noch dicht an einander, und
können folglich keinen Staub erhalten. Erst nachdem alle Staub-
gefäße verblühet sind, und sich an die Krone angelehnt haben,
fangen die Griffel an sich von einander zu begeben. Dieses habe
ich im Botanischen Garten zu Berlin sehr wohl bemerkt. Ein
Umstand aber kam mir noch merkwürdig vor. Nemlich in den

Q 2

[Spaltenumbruch]

Saxifraga.
bey ſchoͤnem Wetter kann man den glaͤnzenden Saft deutlich ſehen.
Gegen den Regen iſt derſelbe voͤllig geſichert.

Medikus fuͤhrt in ſeiner oben angezeigten Abhandlung
S. 150. eine Stelle aus des Linné Schriften an, welche dieſe
Blume betrifft, und zu merkwuͤrdig iſt, als daß ich ſie mit Still-
ſchweigen uͤbergehen koͤnnte. Linné ſagt nemlich in ſeiner Flora
Suecica Ed. 2. p.
98. alſo: „Sub floreſcentia germen ſtylo
„ſtigmatibusque deſtitutum (quod ſit ſtigmate deſtitutum,
„vitium typographicum eſſe reor; germen enim ſine concurſu
„ſtigmatis nunquam foecundatur
. Medicus.) apice perforatum
„eſt. Stamina tum alternatim antheram foramini imponunt,
„explodunt pollinem (in plantis hermaphroditis pollen non
„exploditur, ſed blande e cellulis ſuis exſudat
. Medicus.), re-
„cedunt ad corollam reliquis pari modo ſuccedentibus; ſtu-
„penda lege naturae in generatione plantarum.“

Als ich im Fruͤhjahr 1790 die Saxifraga granulata betrach-
tete, ſo bemerkte ich, daß einige Staubgefaͤße mit ſtaubvollen
Antheren ſich uͤber das Piſtill hingelehnt hatten, daß aber das
Piſtill keine Stigmate hatte. Da mir nun damals die Dichogamie
noch nicht bekannt war, ſo wußte ich gar nicht, was ich von
dieſer Erſcheinung denken ſollte. Zu meiner Schande muß ich be-
kennen, daß ich, denn ich erinnere mich deſſen noch ſehr wohl,
mir den ungluͤcklichen Gedanken einkommen ließ, die Natur
meiſtern zu wollen, weil mir dieſe Einrichtung ſchlechterdings
zweckwidrig zu ſeyn ſchien. Dafuͤr wurde ich denn auch nach
Verdienſt dadurch beſtraft, daß mir das Geheimniß der Dicho-
gamie noch verborgen blieb, welches ich ſchon damals nothwen-
dig haͤtte entdecken muͤſſen, weil ich wußte, daß die Blume eine
Saftblume iſt, wenn ich des unlaͤugbaren Grundſatzes eingedenk
geweſen waͤre: Die Natur thut nichts, was den Tadel eines
Sterblichen mit Recht verdienen ſollte, und wo uns alſo eine
Einrichtung derſelben unzweckmaͤßig, oder wohl gar zweckwidrig
zu ſeyn ſcheint, da liegt die Schuld nicht an der Natur, ſondern
an uns.

Was ich nun an dieſer Art bemerkte, eben das bemerkte
Linné an der Saxifraga tridactylites. Da er nun nicht wußte,
daß ſie eine Saftblume iſt (welches ich daraus ſchließe, daß er
weder in der Beſchreibung der Gattung, noch bey irgend einer
Art vom Nectario etwas meldet): ſo war es fuͤr ihn um ſo viel
ſchwerer, wenn nicht gar unmoͤglich, hier die Dichogamie zu ent-
decken. Wie half er ſich nun aber aus dieſer Schwierigkeit?
Er bildete ſich entweder ein, oder erdichtete, daß die Spitze des
Fruchtknotens durchbohrt ſey. Denn geſehen kann er dies nicht
haben, weil es gar nicht vorhanden iſt. Nachdem er nun die
Blume auf ſolche Art mit einem Stigma verſehen hat, ſo findet
[Spaltenumbruch]

Saxifraga.
er hier ein erſtaunenswuͤrdiges Geſetz der Natur, an welches die-
ſelbe nicht einmal gedacht hat. Und dies macht er als eine hoͤchſt
wichtige Entdeckung bekannt. Hier hat ſich Linné keinesweges
als einen philoſophiſchen Naturforſcher gezeigt. Anſtatt zu ſagen:
Das begreife ich nicht, erdichtet er etwas, was gar nicht vorhan-
den iſt, oder bildet es ſich wenigſtens ein.

Wenn Linné ſagt, der Fruchtknoten habe keine Stigmate,
ſo kann Medikus dies nicht begreifen, und haͤlt es daher fuͤr
einen Druckfehler. Aber wie iſt es moͤglich, daß der Schrift-
ſetzer einen ſolchen Fehler begangen habe? Wie iſt es moͤglich,
daß er hinter das Wort ſtylo noch das Wort ſtigmatibusque ge-
ſetzt habe, welches im Manuſcript nicht vorhanden war? Man
wuͤrde annehmen muͤſſen, daß er die Weglaſſung des Worts
ſtigmatibusque fuͤr einen Fehler gehalten, und ſich Amts halber
nothgedrungen geſehen habe, denſelben zu verbeſſern. Daraus
aber wuͤrde folgen, daß er Lateiniſch verſtanden habe, daß er bo-
taniſche Kenntniſſe beſeſſen habe, daß er endlich ein gar ſeltſamer
Menſch geweſen ſey, indem er es fuͤr ſeine Pflicht gehalten habe,
ſeine Schriftſteller zu verbeſſern. Dieſe drey Eigenſchaften aber
wird man ſchwerlich bey irgend einem Schriftſetzer beyſammen
antreffen. Linné hat ſich nur etwas unrichtig ausgedruͤckt; er
wollte aber ſagen, der Fruchtknoten habe keine Stigmate von ge-
woͤhnlicher Geſtalt, ſondern ſein Stigma ſey ein Loch, welches
aber ſeine Einbildungskraft, nicht die Natur, in denſelben hinein-
gebohrt hat. So wie alſo Linné die Natur, ſo hat Medikus
den Linné ganz unrecht verſtanden. Was aber die zweyte An-
merkung des Medikus betrifft, ſo dachte er, als er dieſelbe
niederſchrieb, nicht daran, daß er ſelbſt vorher S. 129. geſagt hatte,
daß die Staubgefaͤße der Kalmia den Staub mit einem Geraͤuſch
hinwegſpritzen.

Saxifraga Cotyledon. Gaͤnſezunge. In Anſehung
der Saftdruͤſe und des Safthalters iſt dieſe Art der Saxifraga
granulata
aͤhnlich. Sie hat aber ein Saftmaal, welches jener
fehlt. Denn die weißen Kronenblaͤtter ſind an der Baſis mit
purpurfarbenen Punkten geziert.

Leske hat, wie Medikus S. 158. meldet, beobachtet,
daß auch in dieſer Blume die Staubgefaͤße ſich wechſelsweiſe uͤber
die Stigmate hinbeugen. Er hat ſich aber hier eben ſo, als beym
Allium, geirrt. Denn ſo lange die Staubgefaͤße ſich einander
abloͤſen, liegen die beiden Stigmate noch dicht an einander, und
koͤnnen folglich keinen Staub erhalten. Erſt nachdem alle Staub-
gefaͤße verbluͤhet ſind, und ſich an die Krone angelehnt haben,
fangen die Griffel an ſich von einander zu begeben. Dieſes habe
ich im Botaniſchen Garten zu Berlin ſehr wohl bemerkt. Ein
Umſtand aber kam mir noch merkwuͤrdig vor. Nemlich in den

Q 2
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[[135]/0135] Saxifraga. Saxifraga. bey ſchoͤnem Wetter kann man den glaͤnzenden Saft deutlich ſehen. Gegen den Regen iſt derſelbe voͤllig geſichert. Medikus fuͤhrt in ſeiner oben angezeigten Abhandlung S. 150. eine Stelle aus des Linné Schriften an, welche dieſe Blume betrifft, und zu merkwuͤrdig iſt, als daß ich ſie mit Still- ſchweigen uͤbergehen koͤnnte. Linné ſagt nemlich in ſeiner Flora Suecica Ed. 2. p. 98. alſo: „Sub floreſcentia germen ſtylo „ſtigmatibusque deſtitutum (quod ſit ſtigmate deſtitutum, „vitium typographicum eſſe reor; germen enim ſine concurſu „ſtigmatis nunquam foecundatur. Medicus.) apice perforatum „eſt. Stamina tum alternatim antheram foramini imponunt, „explodunt pollinem (in plantis hermaphroditis pollen non „exploditur, ſed blande e cellulis ſuis exſudat. Medicus.), re- „cedunt ad corollam reliquis pari modo ſuccedentibus; ſtu- „penda lege naturae in generatione plantarum.“ Als ich im Fruͤhjahr 1790 die Saxifraga granulata betrach- tete, ſo bemerkte ich, daß einige Staubgefaͤße mit ſtaubvollen Antheren ſich uͤber das Piſtill hingelehnt hatten, daß aber das Piſtill keine Stigmate hatte. Da mir nun damals die Dichogamie noch nicht bekannt war, ſo wußte ich gar nicht, was ich von dieſer Erſcheinung denken ſollte. Zu meiner Schande muß ich be- kennen, daß ich, denn ich erinnere mich deſſen noch ſehr wohl, mir den ungluͤcklichen Gedanken einkommen ließ, die Natur meiſtern zu wollen, weil mir dieſe Einrichtung ſchlechterdings zweckwidrig zu ſeyn ſchien. Dafuͤr wurde ich denn auch nach Verdienſt dadurch beſtraft, daß mir das Geheimniß der Dicho- gamie noch verborgen blieb, welches ich ſchon damals nothwen- dig haͤtte entdecken muͤſſen, weil ich wußte, daß die Blume eine Saftblume iſt, wenn ich des unlaͤugbaren Grundſatzes eingedenk geweſen waͤre: Die Natur thut nichts, was den Tadel eines Sterblichen mit Recht verdienen ſollte, und wo uns alſo eine Einrichtung derſelben unzweckmaͤßig, oder wohl gar zweckwidrig zu ſeyn ſcheint, da liegt die Schuld nicht an der Natur, ſondern an uns. Was ich nun an dieſer Art bemerkte, eben das bemerkte Linné an der Saxifraga tridactylites. Da er nun nicht wußte, daß ſie eine Saftblume iſt (welches ich daraus ſchließe, daß er weder in der Beſchreibung der Gattung, noch bey irgend einer Art vom Nectario etwas meldet): ſo war es fuͤr ihn um ſo viel ſchwerer, wenn nicht gar unmoͤglich, hier die Dichogamie zu ent- decken. Wie half er ſich nun aber aus dieſer Schwierigkeit? Er bildete ſich entweder ein, oder erdichtete, daß die Spitze des Fruchtknotens durchbohrt ſey. Denn geſehen kann er dies nicht haben, weil es gar nicht vorhanden iſt. Nachdem er nun die Blume auf ſolche Art mit einem Stigma verſehen hat, ſo findet er hier ein erſtaunenswuͤrdiges Geſetz der Natur, an welches die- ſelbe nicht einmal gedacht hat. Und dies macht er als eine hoͤchſt wichtige Entdeckung bekannt. Hier hat ſich Linné keinesweges als einen philoſophiſchen Naturforſcher gezeigt. Anſtatt zu ſagen: Das begreife ich nicht, erdichtet er etwas, was gar nicht vorhan- den iſt, oder bildet es ſich wenigſtens ein. Wenn Linné ſagt, der Fruchtknoten habe keine Stigmate, ſo kann Medikus dies nicht begreifen, und haͤlt es daher fuͤr einen Druckfehler. Aber wie iſt es moͤglich, daß der Schrift- ſetzer einen ſolchen Fehler begangen habe? Wie iſt es moͤglich, daß er hinter das Wort ſtylo noch das Wort ſtigmatibusque ge- ſetzt habe, welches im Manuſcript nicht vorhanden war? Man wuͤrde annehmen muͤſſen, daß er die Weglaſſung des Worts ſtigmatibusque fuͤr einen Fehler gehalten, und ſich Amts halber nothgedrungen geſehen habe, denſelben zu verbeſſern. Daraus aber wuͤrde folgen, daß er Lateiniſch verſtanden habe, daß er bo- taniſche Kenntniſſe beſeſſen habe, daß er endlich ein gar ſeltſamer Menſch geweſen ſey, indem er es fuͤr ſeine Pflicht gehalten habe, ſeine Schriftſteller zu verbeſſern. Dieſe drey Eigenſchaften aber wird man ſchwerlich bey irgend einem Schriftſetzer beyſammen antreffen. Linné hat ſich nur etwas unrichtig ausgedruͤckt; er wollte aber ſagen, der Fruchtknoten habe keine Stigmate von ge- woͤhnlicher Geſtalt, ſondern ſein Stigma ſey ein Loch, welches aber ſeine Einbildungskraft, nicht die Natur, in denſelben hinein- gebohrt hat. So wie alſo Linné die Natur, ſo hat Medikus den Linné ganz unrecht verſtanden. Was aber die zweyte An- merkung des Medikus betrifft, ſo dachte er, als er dieſelbe niederſchrieb, nicht daran, daß er ſelbſt vorher S. 129. geſagt hatte, daß die Staubgefaͤße der Kalmia den Staub mit einem Geraͤuſch hinwegſpritzen. Saxifraga Cotyledon. Gaͤnſezunge. In Anſehung der Saftdruͤſe und des Safthalters iſt dieſe Art der Saxifraga granulata aͤhnlich. Sie hat aber ein Saftmaal, welches jener fehlt. Denn die weißen Kronenblaͤtter ſind an der Baſis mit purpurfarbenen Punkten geziert. Leske hat, wie Medikus S. 158. meldet, beobachtet, daß auch in dieſer Blume die Staubgefaͤße ſich wechſelsweiſe uͤber die Stigmate hinbeugen. Er hat ſich aber hier eben ſo, als beym Allium, geirrt. Denn ſo lange die Staubgefaͤße ſich einander abloͤſen, liegen die beiden Stigmate noch dicht an einander, und koͤnnen folglich keinen Staub erhalten. Erſt nachdem alle Staub- gefaͤße verbluͤhet ſind, und ſich an die Krone angelehnt haben, fangen die Griffel an ſich von einander zu begeben. Dieſes habe ich im Botaniſchen Garten zu Berlin ſehr wohl bemerkt. Ein Umſtand aber kam mir noch merkwuͤrdig vor. Nemlich in den Q 2

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Zitationshilfe: Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793, S. [135]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/135>, abgerufen am 28.04.2024.