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Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.

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Vicia.
S. 202. hingegen, daß die Blumen der Vicia satiua und der
meisten Wickenarten den Bienen des Honigs wegen nützlich sind.

Vicia satiua a. Die Pflanze hat auch in den Höhlchen
ihrer Blattohren Saft, welchem die Ameisen nachgehen. Die
Blume wird von einem Dämmerungsschmetterling, Sphinx Eu-
phorbiae,
besucht, welches ich im August Abends um sieben Uhr
gesehen habe. In dieser Varietät sowohl, als in der zweyten,
habe ich nicht eine solche Saftdrüse, als Vicia Faba hat, sondern
eine solche, als Orobus niger hat, gefunden. Die zweyte Va-
rietät halte ich für eine besondere Art, weil sie in der hiesigen
Gegend nicht nur auf den Aeckern, sondern auch auf dem Felde
und in den Heiden wächst, wo niemand die erste antreffen wird.

Vicia Faba. Saubohne. Tab. XIX. 18--23. 27.

23. Die ein wenig vergrösserte Blume in natürlicher Stel-
lung, von der Seite gesehen.

18. Dieselbe, von vorne gesehen.

19. Das Pistill nebst der (punktirten) Saftdrüse.

20. Die Fahne, von vorne gesehen.

21. Die Flügel und das Schiffchen, von der Seite gesehen.

22. Ein Blattohr von der unteren, 27. von der oberen Seite.
Die Blattohren haben auf der unteren Seite ein schwarzes Höhl-
chen, welches ein Safttröpfchen absondert und enthält.

1. Die Saftdrüse, welche schon Linne und Gleditsch
(S. 240.) bemerkt haben, ist der längliche Körper, welcher un-
ter der Basis des Fruchtknotens sitzt.

2. Der Saft ist in dem Grunde der Röhre, welche die Fila-
mente bilden, befindlich. Auf beiden Seiten des einfachen Fila-
ments sind auch hier zwey Oeffnungen für die Insekten. In ver-
schiedenen Blumen fand ich auf der oberen Seite des Kelchs und
am Nagel der Fahne ein Loch, welches ein Insekt eingebissen
hatte, dem der natürliche Eingang vermuthlich zu enge gewesen
war.

3. Der röhrenförmige Nagel der Fahne umschließt den übri-
gen inneren Theil der Blume sehr genau, und läßt keinen Regen-
tropfen durch.

4. Die Blume soll nicht von oben, sondern von vorne den
Insekten in die Augen fallen. Da sie nun nicht, wie gewöhn-
lich, eine horizontale, sondern eine mehr aufrechte Stellung hat,
so mußte die Fahne mit dem übrigen Theil der Krone nicht, wie
gewöhnlich, einen rechten, sondern einen sehr spitzen Winkel ma-
chen. Sie hat ein doppeltes Saftmaal. Denn die Krone ist
weiß; die Flügel aber sind mit einem großen schwarzen Fleck, und
die Fahne grade da, wo sie an den Flügeln anliegt, und wo die
Insekten in die Blume hineinkriechen, oder ihren Saugerüssel
hineinstecken müssen, mit schwarzen Linien geziert.

[Spaltenumbruch]
Vicia.

5. Im letztvergangenen Sommer sahe ich, daß eine Hum-
mel die Blumen besuchte. Schon in einiger Entfernung konnte
ich bemerken, daß diejenigen, welche sie besucht hatte, eine an-
dere Gestalt hatten, als die übrigen. Als ich dieselben näher be-
sahe, so fand ich, daß das Schiffchen und die Flügel von der
Hummel herabgedrückt worden waren, so daß der vorderste oder
oberste Theil des Pistills und der Staubgefäße zum Vorschein ge-
kommen war, und ganz frey stand. Indessen behielten sie diese
Gestalt nicht lange, sondern das Schiffchen begab sich nebst den
Flügeln nach und nach wieder in die Höhe, umfaßte von neuem
das Pistill und die Staubgefäße, und die Blumen erhielten auf
solche Art die vor dem Besuch gehabte Gestalt wieder. Nach ei-
nigen Tagen traf ich die Vicia Cracca auf dem Felde an. Ich
wollte wissen, ob, wenn diese Blume von einem ähnlichen Insekt
besucht würde, eine gleiche Erscheinung erfolgen würde. Ich
drückte also mit einem Stöckchen die Flügel und das Schiffchen
ein wenig, und sahe, daß dieselben sich sehr leicht herabdrücken
ließen, wodurch das Pistill und die Staubgefäße zum Vorschein
kamen, daß sie aber, wenn ich zu drücken aufhörte, sich wieder
in die Höhe begaben, und das Pistill und die Staubgefäße wie-
der umfaßten und verbargen.

Hier ging mir ein großes Licht auf. Ich ward nicht
nur überzeugt, daß diese Blumen von den Insekten befruchtet
werden, sondern sahe auch die Ursache ihrer Struktur, vornehm-
lich der Struktur des Schiffchens, ein. Das Schiffchen dient
bloß dazu, die Antheren und das Stigma vor der Nässe zu ver-
wahren, und daß das Insekt, welches eine solche Blume besucht,
sich auf dasselbe setzen könne. Sobald dies geschehen ist, drückt
es dasselbe vermöge seiner Schwere herab, entblößt dadurch die
Antheren und das Stigma, berührt beide mit seinem Unterleibe,
und streift den Staub von jenen ab, und bringt ihn auf dieses.
Nachdem es den Saft verzehrt, und die Blume verlassen hat,
so begiebt sich das Schiffchen nach und nach wieder in die Höhe,
und umschließt und verbirgt die Antheren und das Stigma eben
so, als vor dem Besuch. Zu diesem letzten Endzweck schien nicht
nur bey diesen beiden Arten, sondern auch bey verschiedenen an-
deren Blumen dieser Ordnung ein großer Theil ihrer Struktur
zu dienen, und sehr leicht aus demselben erklärt werden zu kön-
nen. Nemlich:

1) Die Glätte, welche ich bey diesen Blumen bemerkte.
Wenn sich das vom Insekt herabgedrückte Schiffchen von selbst
wieder in die Höhe begeben sollte, so mußte nicht nur es selbst,
sondern auch die Filamente und der Griffel glatt seyn.

2) Der Umstand, daß die Flügel an Einer Stelle auf beiden
Seiten an das Schiffchen entweder wirklich angewachsen sind,

Z 3

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Vicia.
S. 202. hingegen, daß die Blumen der Vicia ſatiua und der
meiſten Wickenarten den Bienen des Honigs wegen nuͤtzlich ſind.

Vicia ſatiua α. Die Pflanze hat auch in den Hoͤhlchen
ihrer Blattohren Saft, welchem die Ameiſen nachgehen. Die
Blume wird von einem Daͤmmerungsſchmetterling, Sphinx Eu-
phorbiae,
beſucht, welches ich im Auguſt Abends um ſieben Uhr
geſehen habe. In dieſer Varietaͤt ſowohl, als in der zweyten,
habe ich nicht eine ſolche Saftdruͤſe, als Vicia Faba hat, ſondern
eine ſolche, als Orobus niger hat, gefunden. Die zweyte Va-
rietaͤt halte ich fuͤr eine beſondere Art, weil ſie in der hieſigen
Gegend nicht nur auf den Aeckern, ſondern auch auf dem Felde
und in den Heiden waͤchſt, wo niemand die erſte antreffen wird.

Vicia Faba. Saubohne. Tab. XIX. 18—23. 27.

23. Die ein wenig vergroͤſſerte Blume in natuͤrlicher Stel-
lung, von der Seite geſehen.

18. Dieſelbe, von vorne geſehen.

19. Das Piſtill nebſt der (punktirten) Saftdruͤſe.

20. Die Fahne, von vorne geſehen.

21. Die Fluͤgel und das Schiffchen, von der Seite geſehen.

22. Ein Blattohr von der unteren, 27. von der oberen Seite.
Die Blattohren haben auf der unteren Seite ein ſchwarzes Hoͤhl-
chen, welches ein Safttroͤpfchen abſondert und enthaͤlt.

1. Die Saftdruͤſe, welche ſchon Linné und Gleditſch
(S. 240.) bemerkt haben, iſt der laͤngliche Koͤrper, welcher un-
ter der Baſis des Fruchtknotens ſitzt.

2. Der Saft iſt in dem Grunde der Roͤhre, welche die Fila-
mente bilden, befindlich. Auf beiden Seiten des einfachen Fila-
ments ſind auch hier zwey Oeffnungen fuͤr die Inſekten. In ver-
ſchiedenen Blumen fand ich auf der oberen Seite des Kelchs und
am Nagel der Fahne ein Loch, welches ein Inſekt eingebiſſen
hatte, dem der natuͤrliche Eingang vermuthlich zu enge geweſen
war.

3. Der roͤhrenfoͤrmige Nagel der Fahne umſchließt den uͤbri-
gen inneren Theil der Blume ſehr genau, und laͤßt keinen Regen-
tropfen durch.

4. Die Blume ſoll nicht von oben, ſondern von vorne den
Inſekten in die Augen fallen. Da ſie nun nicht, wie gewoͤhn-
lich, eine horizontale, ſondern eine mehr aufrechte Stellung hat,
ſo mußte die Fahne mit dem uͤbrigen Theil der Krone nicht, wie
gewoͤhnlich, einen rechten, ſondern einen ſehr ſpitzen Winkel ma-
chen. Sie hat ein doppeltes Saftmaal. Denn die Krone iſt
weiß; die Fluͤgel aber ſind mit einem großen ſchwarzen Fleck, und
die Fahne grade da, wo ſie an den Fluͤgeln anliegt, und wo die
Inſekten in die Blume hineinkriechen, oder ihren Saugeruͤſſel
hineinſtecken muͤſſen, mit ſchwarzen Linien geziert.

[Spaltenumbruch]
Vicia.

5. Im letztvergangenen Sommer ſahe ich, daß eine Hum-
mel die Blumen beſuchte. Schon in einiger Entfernung konnte
ich bemerken, daß diejenigen, welche ſie beſucht hatte, eine an-
dere Geſtalt hatten, als die uͤbrigen. Als ich dieſelben naͤher be-
ſahe, ſo fand ich, daß das Schiffchen und die Fluͤgel von der
Hummel herabgedruͤckt worden waren, ſo daß der vorderſte oder
oberſte Theil des Piſtills und der Staubgefaͤße zum Vorſchein ge-
kommen war, und ganz frey ſtand. Indeſſen behielten ſie dieſe
Geſtalt nicht lange, ſondern das Schiffchen begab ſich nebſt den
Fluͤgeln nach und nach wieder in die Hoͤhe, umfaßte von neuem
das Piſtill und die Staubgefaͤße, und die Blumen erhielten auf
ſolche Art die vor dem Beſuch gehabte Geſtalt wieder. Nach ei-
nigen Tagen traf ich die Vicia Cracca auf dem Felde an. Ich
wollte wiſſen, ob, wenn dieſe Blume von einem aͤhnlichen Inſekt
beſucht wuͤrde, eine gleiche Erſcheinung erfolgen wuͤrde. Ich
druͤckte alſo mit einem Stoͤckchen die Fluͤgel und das Schiffchen
ein wenig, und ſahe, daß dieſelben ſich ſehr leicht herabdruͤcken
ließen, wodurch das Piſtill und die Staubgefaͤße zum Vorſchein
kamen, daß ſie aber, wenn ich zu druͤcken aufhoͤrte, ſich wieder
in die Hoͤhe begaben, und das Piſtill und die Staubgefaͤße wie-
der umfaßten und verbargen.

Hier ging mir ein großes Licht auf. Ich ward nicht
nur uͤberzeugt, daß dieſe Blumen von den Inſekten befruchtet
werden, ſondern ſahe auch die Urſache ihrer Struktur, vornehm-
lich der Struktur des Schiffchens, ein. Das Schiffchen dient
bloß dazu, die Antheren und das Stigma vor der Naͤſſe zu ver-
wahren, und daß das Inſekt, welches eine ſolche Blume beſucht,
ſich auf daſſelbe ſetzen koͤnne. Sobald dies geſchehen iſt, druͤckt
es daſſelbe vermoͤge ſeiner Schwere herab, entbloͤßt dadurch die
Antheren und das Stigma, beruͤhrt beide mit ſeinem Unterleibe,
und ſtreift den Staub von jenen ab, und bringt ihn auf dieſes.
Nachdem es den Saft verzehrt, und die Blume verlaſſen hat,
ſo begiebt ſich das Schiffchen nach und nach wieder in die Hoͤhe,
und umſchließt und verbirgt die Antheren und das Stigma eben
ſo, als vor dem Beſuch. Zu dieſem letzten Endzweck ſchien nicht
nur bey dieſen beiden Arten, ſondern auch bey verſchiedenen an-
deren Blumen dieſer Ordnung ein großer Theil ihrer Struktur
zu dienen, und ſehr leicht aus demſelben erklaͤrt werden zu koͤn-
nen. Nemlich:

1) Die Glaͤtte, welche ich bey dieſen Blumen bemerkte.
Wenn ſich das vom Inſekt herabgedruͤckte Schiffchen von ſelbſt
wieder in die Hoͤhe begeben ſollte, ſo mußte nicht nur es ſelbſt,
ſondern auch die Filamente und der Griffel glatt ſeyn.

2) Der Umſtand, daß die Fluͤgel an Einer Stelle auf beiden
Seiten an das Schiffchen entweder wirklich angewachſen ſind,

Z 3
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Die Fahne, von vorne geſehen. 21. Die Fluͤgel und das Schiffchen, von der Seite geſehen. 22. Ein Blattohr von der unteren, 27. von der oberen Seite. Die Blattohren haben auf der unteren Seite ein ſchwarzes Hoͤhl- chen, welches ein Safttroͤpfchen abſondert und enthaͤlt. 1. Die Saftdruͤſe, welche ſchon Linné und Gleditſch (S. 240.) bemerkt haben, iſt der laͤngliche Koͤrper, welcher un- ter der Baſis des Fruchtknotens ſitzt. 2. Der Saft iſt in dem Grunde der Roͤhre, welche die Fila- mente bilden, befindlich. Auf beiden Seiten des einfachen Fila- ments ſind auch hier zwey Oeffnungen fuͤr die Inſekten. In ver- ſchiedenen Blumen fand ich auf der oberen Seite des Kelchs und am Nagel der Fahne ein Loch, welches ein Inſekt eingebiſſen hatte, dem der natuͤrliche Eingang vermuthlich zu enge geweſen war. 3. Der roͤhrenfoͤrmige Nagel der Fahne umſchließt den uͤbri- gen inneren Theil der Blume ſehr genau, und laͤßt keinen Regen- tropfen durch. 4. Die Blume ſoll nicht von oben, ſondern von vorne den Inſekten in die Augen fallen. Da ſie nun nicht, wie gewoͤhn- lich, eine horizontale, ſondern eine mehr aufrechte Stellung hat, ſo mußte die Fahne mit dem uͤbrigen Theil der Krone nicht, wie gewoͤhnlich, einen rechten, ſondern einen ſehr ſpitzen Winkel ma- chen. Sie hat ein doppeltes Saftmaal. Denn die Krone iſt weiß; die Fluͤgel aber ſind mit einem großen ſchwarzen Fleck, und die Fahne grade da, wo ſie an den Fluͤgeln anliegt, und wo die Inſekten in die Blume hineinkriechen, oder ihren Saugeruͤſſel hineinſtecken muͤſſen, mit ſchwarzen Linien geziert. 5. Im letztvergangenen Sommer ſahe ich, daß eine Hum- mel die Blumen beſuchte. Schon in einiger Entfernung konnte ich bemerken, daß diejenigen, welche ſie beſucht hatte, eine an- dere Geſtalt hatten, als die uͤbrigen. Als ich dieſelben naͤher be- ſahe, ſo fand ich, daß das Schiffchen und die Fluͤgel von der Hummel herabgedruͤckt worden waren, ſo daß der vorderſte oder oberſte Theil des Piſtills und der Staubgefaͤße zum Vorſchein ge- kommen war, und ganz frey ſtand. Indeſſen behielten ſie dieſe Geſtalt nicht lange, ſondern das Schiffchen begab ſich nebſt den Fluͤgeln nach und nach wieder in die Hoͤhe, umfaßte von neuem das Piſtill und die Staubgefaͤße, und die Blumen erhielten auf ſolche Art die vor dem Beſuch gehabte Geſtalt wieder. Nach ei- nigen Tagen traf ich die Vicia Cracca auf dem Felde an. Ich wollte wiſſen, ob, wenn dieſe Blume von einem aͤhnlichen Inſekt beſucht wuͤrde, eine gleiche Erſcheinung erfolgen wuͤrde. Ich druͤckte alſo mit einem Stoͤckchen die Fluͤgel und das Schiffchen ein wenig, und ſahe, daß dieſelben ſich ſehr leicht herabdruͤcken ließen, wodurch das Piſtill und die Staubgefaͤße zum Vorſchein kamen, daß ſie aber, wenn ich zu druͤcken aufhoͤrte, ſich wieder in die Hoͤhe begaben, und das Piſtill und die Staubgefaͤße wie- der umfaßten und verbargen. Hier ging mir ein großes Licht auf. Ich ward nicht nur uͤberzeugt, daß dieſe Blumen von den Inſekten befruchtet werden, ſondern ſahe auch die Urſache ihrer Struktur, vornehm- lich der Struktur des Schiffchens, ein. Das Schiffchen dient bloß dazu, die Antheren und das Stigma vor der Naͤſſe zu ver- wahren, und daß das Inſekt, welches eine ſolche Blume beſucht, ſich auf daſſelbe ſetzen koͤnne. Sobald dies geſchehen iſt, druͤckt es daſſelbe vermoͤge ſeiner Schwere herab, entbloͤßt dadurch die Antheren und das Stigma, beruͤhrt beide mit ſeinem Unterleibe, und ſtreift den Staub von jenen ab, und bringt ihn auf dieſes. Nachdem es den Saft verzehrt, und die Blume verlaſſen hat, ſo begiebt ſich das Schiffchen nach und nach wieder in die Hoͤhe, und umſchließt und verbirgt die Antheren und das Stigma eben ſo, als vor dem Beſuch. Zu dieſem letzten Endzweck ſchien nicht nur bey dieſen beiden Arten, ſondern auch bey verſchiedenen an- deren Blumen dieſer Ordnung ein großer Theil ihrer Struktur zu dienen, und ſehr leicht aus demſelben erklaͤrt werden zu koͤn- nen. Nemlich: 1) Die Glaͤtte, welche ich bey dieſen Blumen bemerkte. Wenn ſich das vom Inſekt herabgedruͤckte Schiffchen von ſelbſt wieder in die Hoͤhe begeben ſollte, ſo mußte nicht nur es ſelbſt, ſondern auch die Filamente und der Griffel glatt ſeyn. 2) Der Umſtand, daß die Fluͤgel an Einer Stelle auf beiden Seiten an das Schiffchen entweder wirklich angewachſen ſind, Z 3

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Zitationshilfe: Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793, S. [191]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/191>, abgerufen am 28.04.2024.