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Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.

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Aristolochia.
zwey oder drey auf die Blume, deren jede, durch den Schein be-
trogen, hineinkriecht. Auf solche Art findet sich endlich eine ganz
ansehnliche Gesellschaft von diesen Thierchen hier ein, denen eine
so unvermuthete Zusammenkunft in einem so engen Zimmer, und
eine so unverschuldete Gefangenschaft in einem so wohl verschlos-
senen Gefängniß sonderbar genug vorkommen mag. Es hat aber
noch keins von denselben Staub an seinem Körper, weil die An-
theren sich noch nicht geöffnet haben. Darauf folgt der zweyte
Zustand, in welchem die Blume reifen Antherenstaub, ein aus-
gebildetes Stigma, und Fliegen genug hat, welche jenen auf die-
ses bringen. Dieses kann zwar oftmals unterbleiben, weil auch
hier alles zufällig ist, muß aber auch öfters leicht geschehen.
Denn natürlicherweise sind die Fliegen, da sie nun schon so
lange eingesperrt gewesen sind, und nichts zu fressen bekommen
haben *), darüber ungeduldig geworden, und laufen unwillig
im Kessel umher; auch können bey solcher Gemüthsstimmung
Streitigkeiten nicht leicht unterbleiben, und es mag in diesen
kleinen Gefängnissen, in welche das menschliche Auge nicht
hineinschauen kann, zuweilen ziemlich kriegerisch hergehen. Auf
solche Art aber müssen sie unter andern auch an die Antheren
gerathen, ihren Staub abstreifen, denselben allenthalben um-
herschleppen, und unter andern auch auf das Stigma bringen.
Dieser Zustand darf daher von keiner langen Dauer seyn **).
Und daher kömmt es, daß man selten eine aufrecht stehende
Blume grade in diesem Zustande antrifft; die meisten, welche
man aufschneidet, sind noch in dem ersten Zustande. In die-
sem zweyten Zustande findet man oft, daß die Fliegen, welche
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Aristolochia.
schwarz sind, etwas weißes auf dem Rücken haben, Fig. 31.
Dieses ist Antherenstaub, welchen ich vermittelst des Vergrösse-
rungsglases aus Körnern bestehend gefunden habe. Sobald
nun die Natur ihren Endzweck erreicht hat, so versetzt sie die
Blume in den dritten Zustand, indem sie dieselbe umkehrt, und
die kleine Reuse verwelken und verschwinden läßt, damit nun
endlich einmal die armen Fliegen aus ihrem Gefängniß heraus-
kommen, und ihre Freyheit wiedererlangen können.

Die Fliegen, welche in die Blume hineinkriechen, sind
zwar insgesamt, wie sich von selbst versteht, sehr klein, aber
von verschiedener Gestalt. Diejenige Art, welche ich abgezeich-
net habe, ist die häufigste. Sie ist schwarz, und macht sich
durch ihre ungewöhnlich gestaltete Fühlhörner, welche, durch
das Vergrösserungsglas gesehen, nicht einfach, sondern büschel-
förmig erscheinen, kenntlich *). Um dieser Fliegen habhaft zu
werden, wußte ich wegen ihrer außerordentlichen Kleinheit kein
anderes Mittel zu ersinnen, als dieses, daß ich ein Stückchen
Papier mit Arabischem Gummi bestrich, in den Kessel ein Loch
machte, und das Papier vor dasselbe hielt. So wie nun eine
Fliege nach der anderen herauskroch, gerieth sie an das Gum-
mi, und blieb kleben.

Die Blumen setzen sehr wenig reife und mit guten Sa-
menkörnern angefüllte Samenkapseln an. Viele bleiben unbe-
fruchtet, welches man daran erkennt, daß nach vollendeter
Blühezeit, wann die Krone abgefallen ist, der Fruchtknoten
nicht zunimmt, sondern verwelkt. Eben dieses beweiset, daß
die Blumen von den kleinen Fliegen befruchtet werden, und
daß die Antheren keinesweges, wie Linne geglaubt hat, an
das Stigma angewachsen sind. Denn wenn die Sache sich so
verhielte, so müßten alle Blumen befruchtet werden, da we-
nigstens der Regen dieses nicht verhindern kann, indem un-

möglich
*) Daß die Insekten lange fasten können, ohne zu verhungern, ist
bekannt.
**) Daß dieser Zustand auch nicht von langer Dauer seyn könne,
folgt daraus, daß so überaus kleine Antheren, und ein Stigma,
welches zwar weit grösser ist, als jene, demungeachtet aber sehr
klein ist, unmöglich ihre aktive und passive Befruchtungsfähig-
keit lange behalten können, sondern bald verwelken und un-
brauchbar werden müssen. Das Stigma aber ist hier aus eben
derjenigen Ursache nach Verhältniß sehr groß, aus welcher es
bey der Asclepias fruticosa und vermuthlich auch bey der Nym-
phaea lutea
sehr groß ist, nemlich, damit der Fruchtknoten desto
gewisser befruchtet werde; indem die Insekten hier nicht auf
eine bestimmte und nothwendige Art, wie z. B. in der Didy-
namia,
sondern auf eine sehr unbestimmte und zufällige Art
den Staub auf das Stigma bringen. Eine Hummel, welche
das Lamium purpureum oder die Stachys syluatica besucht, muß
schlechterdings den Staub von den Antheren der jüngeren
Blume abstreifen, muß schlechterdings denselben an das Stigma
der älteren Blume anstreifen; in der Osterluzey aber kann sich
eine Fliege lange aufhalten, ohne weder die Antheren, noch
das Stigma zu berühren.
*) Damals, als ich diese Entdeckung machte, war mir noch kein
einziges von den entomologischen Werken des Fabricius
bekannt. Im gegenwärtigen Jahr aber, da ich mir dieselben
angeschafft hatte, fand ich eine Stelle in denselben, welche ich
nicht ohne große Verwunderung las. Er sagt nemlich (Spec.
Insect. T. II. p.
412., wie auch Philos. ent. p. 177.) von der
Tipula pennicornis, sie halte sich in den Blumen der Oster-
luzey auf, und befördere die Befruchtung derselben, welches
er zu Leipzig öfters bemerkt habe. Ich wünschte, daß er sich
hierüber näher erklärt hätte. Uebrigens glaube ich, daß das
Insekt, welches ich abgezeichnet habe, eben diese Tipula pen-
nicornis
ist. Die Fühlhörner müßten zwar, seiner Beschrei-
bung zufolge, noch mehr zusammengesetzt seyn; vielleicht aber
ist hieran Schuld, daß ich kein so gutes Vergrösserungsglas
zur Hand gehabt habe, als er. Die Farbe aber stimmt mit
seiner Beschreibung überein.

[Spaltenumbruch]

Ariſtolochia.
zwey oder drey auf die Blume, deren jede, durch den Schein be-
trogen, hineinkriecht. Auf ſolche Art findet ſich endlich eine ganz
anſehnliche Geſellſchaft von dieſen Thierchen hier ein, denen eine
ſo unvermuthete Zuſammenkunft in einem ſo engen Zimmer, und
eine ſo unverſchuldete Gefangenſchaft in einem ſo wohl verſchloſ-
ſenen Gefaͤngniß ſonderbar genug vorkommen mag. Es hat aber
noch keins von denſelben Staub an ſeinem Koͤrper, weil die An-
theren ſich noch nicht geoͤffnet haben. Darauf folgt der zweyte
Zuſtand, in welchem die Blume reifen Antherenſtaub, ein aus-
gebildetes Stigma, und Fliegen genug hat, welche jenen auf die-
ſes bringen. Dieſes kann zwar oftmals unterbleiben, weil auch
hier alles zufaͤllig iſt, muß aber auch oͤfters leicht geſchehen.
Denn natuͤrlicherweiſe ſind die Fliegen, da ſie nun ſchon ſo
lange eingeſperrt geweſen ſind, und nichts zu freſſen bekommen
haben *), daruͤber ungeduldig geworden, und laufen unwillig
im Keſſel umher; auch koͤnnen bey ſolcher Gemuͤthsſtimmung
Streitigkeiten nicht leicht unterbleiben, und es mag in dieſen
kleinen Gefaͤngniſſen, in welche das menſchliche Auge nicht
hineinſchauen kann, zuweilen ziemlich kriegeriſch hergehen. Auf
ſolche Art aber muͤſſen ſie unter andern auch an die Antheren
gerathen, ihren Staub abſtreifen, denſelben allenthalben um-
herſchleppen, und unter andern auch auf das Stigma bringen.
Dieſer Zuſtand darf daher von keiner langen Dauer ſeyn **).
Und daher koͤmmt es, daß man ſelten eine aufrecht ſtehende
Blume grade in dieſem Zuſtande antrifft; die meiſten, welche
man aufſchneidet, ſind noch in dem erſten Zuſtande. In die-
ſem zweyten Zuſtande findet man oft, daß die Fliegen, welche
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Ariſtolochia.
ſchwarz ſind, etwas weißes auf dem Ruͤcken haben, Fig. 31.
Dieſes iſt Antherenſtaub, welchen ich vermittelſt des Vergroͤſſe-
rungsglaſes aus Koͤrnern beſtehend gefunden habe. Sobald
nun die Natur ihren Endzweck erreicht hat, ſo verſetzt ſie die
Blume in den dritten Zuſtand, indem ſie dieſelbe umkehrt, und
die kleine Reuſe verwelken und verſchwinden laͤßt, damit nun
endlich einmal die armen Fliegen aus ihrem Gefaͤngniß heraus-
kommen, und ihre Freyheit wiedererlangen koͤnnen.

Die Fliegen, welche in die Blume hineinkriechen, ſind
zwar insgeſamt, wie ſich von ſelbſt verſteht, ſehr klein, aber
von verſchiedener Geſtalt. Diejenige Art, welche ich abgezeich-
net habe, iſt die haͤufigſte. Sie iſt ſchwarz, und macht ſich
durch ihre ungewoͤhnlich geſtaltete Fuͤhlhoͤrner, welche, durch
das Vergroͤſſerungsglas geſehen, nicht einfach, ſondern buͤſchel-
foͤrmig erſcheinen, kenntlich *). Um dieſer Fliegen habhaft zu
werden, wußte ich wegen ihrer außerordentlichen Kleinheit kein
anderes Mittel zu erſinnen, als dieſes, daß ich ein Stuͤckchen
Papier mit Arabiſchem Gummi beſtrich, in den Keſſel ein Loch
machte, und das Papier vor daſſelbe hielt. So wie nun eine
Fliege nach der anderen herauskroch, gerieth ſie an das Gum-
mi, und blieb kleben.

Die Blumen ſetzen ſehr wenig reife und mit guten Sa-
menkoͤrnern angefuͤllte Samenkapſeln an. Viele bleiben unbe-
fruchtet, welches man daran erkennt, daß nach vollendeter
Bluͤhezeit, wann die Krone abgefallen iſt, der Fruchtknoten
nicht zunimmt, ſondern verwelkt. Eben dieſes beweiſet, daß
die Blumen von den kleinen Fliegen befruchtet werden, und
daß die Antheren keinesweges, wie Linné geglaubt hat, an
das Stigma angewachſen ſind. Denn wenn die Sache ſich ſo
verhielte, ſo muͤßten alle Blumen befruchtet werden, da we-
nigſtens der Regen dieſes nicht verhindern kann, indem un-

moͤglich
*) Daß die Inſekten lange faſten koͤnnen, ohne zu verhungern, iſt
bekannt.
**) Daß dieſer Zuſtand auch nicht von langer Dauer ſeyn koͤnne,
folgt daraus, daß ſo uͤberaus kleine Antheren, und ein Stigma,
welches zwar weit groͤſſer iſt, als jene, demungeachtet aber ſehr
klein iſt, unmoͤglich ihre aktive und paſſive Befruchtungsfaͤhig-
keit lange behalten koͤnnen, ſondern bald verwelken und un-
brauchbar werden muͤſſen. Das Stigma aber iſt hier aus eben
derjenigen Urſache nach Verhaͤltniß ſehr groß, aus welcher es
bey der Aſclepias fruticoſa und vermuthlich auch bey der Nym-
phaea lutea
ſehr groß iſt, nemlich, damit der Fruchtknoten deſto
gewiſſer befruchtet werde; indem die Inſekten hier nicht auf
eine beſtimmte und nothwendige Art, wie z. B. in der Didy-
namia,
ſondern auf eine ſehr unbeſtimmte und zufaͤllige Art
den Staub auf das Stigma bringen. Eine Hummel, welche
das Lamium purpureum oder die Stachys ſyluatica beſucht, muß
ſchlechterdings den Staub von den Antheren der juͤngeren
Blume abſtreifen, muß ſchlechterdings denſelben an das Stigma
der aͤlteren Blume anſtreifen; in der Oſterluzey aber kann ſich
eine Fliege lange aufhalten, ohne weder die Antheren, noch
das Stigma zu beruͤhren.
*) Damals, als ich dieſe Entdeckung machte, war mir noch kein
einziges von den entomologiſchen Werken des Fabricius
bekannt. Im gegenwaͤrtigen Jahr aber, da ich mir dieſelben
angeſchafft hatte, fand ich eine Stelle in denſelben, welche ich
nicht ohne große Verwunderung las. Er ſagt nemlich (Spec.
Inſect. T. II. p.
412., wie auch Philoſ. ent. p. 177.) von der
Tipula pennicornis, ſie halte ſich in den Blumen der Oſter-
luzey auf, und befoͤrdere die Befruchtung derſelben, welches
er zu Leipzig oͤfters bemerkt habe. Ich wuͤnſchte, daß er ſich
hieruͤber naͤher erklaͤrt haͤtte. Uebrigens glaube ich, daß das
Inſekt, welches ich abgezeichnet habe, eben dieſe Tipula pen-
nicornis
iſt. Die Fuͤhlhoͤrner muͤßten zwar, ſeiner Beſchrei-
bung zufolge, noch mehr zuſammengeſetzt ſeyn; vielleicht aber
iſt hieran Schuld, daß ich kein ſo gutes Vergroͤſſerungsglas
zur Hand gehabt habe, als er. Die Farbe aber ſtimmt mit
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[[226]/0226] Ariſtolochia. Ariſtolochia. zwey oder drey auf die Blume, deren jede, durch den Schein be- trogen, hineinkriecht. Auf ſolche Art findet ſich endlich eine ganz anſehnliche Geſellſchaft von dieſen Thierchen hier ein, denen eine ſo unvermuthete Zuſammenkunft in einem ſo engen Zimmer, und eine ſo unverſchuldete Gefangenſchaft in einem ſo wohl verſchloſ- ſenen Gefaͤngniß ſonderbar genug vorkommen mag. Es hat aber noch keins von denſelben Staub an ſeinem Koͤrper, weil die An- theren ſich noch nicht geoͤffnet haben. Darauf folgt der zweyte Zuſtand, in welchem die Blume reifen Antherenſtaub, ein aus- gebildetes Stigma, und Fliegen genug hat, welche jenen auf die- ſes bringen. Dieſes kann zwar oftmals unterbleiben, weil auch hier alles zufaͤllig iſt, muß aber auch oͤfters leicht geſchehen. Denn natuͤrlicherweiſe ſind die Fliegen, da ſie nun ſchon ſo lange eingeſperrt geweſen ſind, und nichts zu freſſen bekommen haben *), daruͤber ungeduldig geworden, und laufen unwillig im Keſſel umher; auch koͤnnen bey ſolcher Gemuͤthsſtimmung Streitigkeiten nicht leicht unterbleiben, und es mag in dieſen kleinen Gefaͤngniſſen, in welche das menſchliche Auge nicht hineinſchauen kann, zuweilen ziemlich kriegeriſch hergehen. Auf ſolche Art aber muͤſſen ſie unter andern auch an die Antheren gerathen, ihren Staub abſtreifen, denſelben allenthalben um- herſchleppen, und unter andern auch auf das Stigma bringen. Dieſer Zuſtand darf daher von keiner langen Dauer ſeyn **). Und daher koͤmmt es, daß man ſelten eine aufrecht ſtehende Blume grade in dieſem Zuſtande antrifft; die meiſten, welche man aufſchneidet, ſind noch in dem erſten Zuſtande. In die- ſem zweyten Zuſtande findet man oft, daß die Fliegen, welche ſchwarz ſind, etwas weißes auf dem Ruͤcken haben, Fig. 31. Dieſes iſt Antherenſtaub, welchen ich vermittelſt des Vergroͤſſe- rungsglaſes aus Koͤrnern beſtehend gefunden habe. Sobald nun die Natur ihren Endzweck erreicht hat, ſo verſetzt ſie die Blume in den dritten Zuſtand, indem ſie dieſelbe umkehrt, und die kleine Reuſe verwelken und verſchwinden laͤßt, damit nun endlich einmal die armen Fliegen aus ihrem Gefaͤngniß heraus- kommen, und ihre Freyheit wiedererlangen koͤnnen. Die Fliegen, welche in die Blume hineinkriechen, ſind zwar insgeſamt, wie ſich von ſelbſt verſteht, ſehr klein, aber von verſchiedener Geſtalt. Diejenige Art, welche ich abgezeich- net habe, iſt die haͤufigſte. Sie iſt ſchwarz, und macht ſich durch ihre ungewoͤhnlich geſtaltete Fuͤhlhoͤrner, welche, durch das Vergroͤſſerungsglas geſehen, nicht einfach, ſondern buͤſchel- foͤrmig erſcheinen, kenntlich *). Um dieſer Fliegen habhaft zu werden, wußte ich wegen ihrer außerordentlichen Kleinheit kein anderes Mittel zu erſinnen, als dieſes, daß ich ein Stuͤckchen Papier mit Arabiſchem Gummi beſtrich, in den Keſſel ein Loch machte, und das Papier vor daſſelbe hielt. So wie nun eine Fliege nach der anderen herauskroch, gerieth ſie an das Gum- mi, und blieb kleben. Die Blumen ſetzen ſehr wenig reife und mit guten Sa- menkoͤrnern angefuͤllte Samenkapſeln an. Viele bleiben unbe- fruchtet, welches man daran erkennt, daß nach vollendeter Bluͤhezeit, wann die Krone abgefallen iſt, der Fruchtknoten nicht zunimmt, ſondern verwelkt. Eben dieſes beweiſet, daß die Blumen von den kleinen Fliegen befruchtet werden, und daß die Antheren keinesweges, wie Linné geglaubt hat, an das Stigma angewachſen ſind. Denn wenn die Sache ſich ſo verhielte, ſo muͤßten alle Blumen befruchtet werden, da we- nigſtens der Regen dieſes nicht verhindern kann, indem un- moͤglich *) Daß die Inſekten lange faſten koͤnnen, ohne zu verhungern, iſt bekannt. **) Daß dieſer Zuſtand auch nicht von langer Dauer ſeyn koͤnne, folgt daraus, daß ſo uͤberaus kleine Antheren, und ein Stigma, welches zwar weit groͤſſer iſt, als jene, demungeachtet aber ſehr klein iſt, unmoͤglich ihre aktive und paſſive Befruchtungsfaͤhig- keit lange behalten koͤnnen, ſondern bald verwelken und un- brauchbar werden muͤſſen. Das Stigma aber iſt hier aus eben derjenigen Urſache nach Verhaͤltniß ſehr groß, aus welcher es bey der Aſclepias fruticoſa und vermuthlich auch bey der Nym- phaea lutea ſehr groß iſt, nemlich, damit der Fruchtknoten deſto gewiſſer befruchtet werde; indem die Inſekten hier nicht auf eine beſtimmte und nothwendige Art, wie z. B. in der Didy- namia, ſondern auf eine ſehr unbeſtimmte und zufaͤllige Art den Staub auf das Stigma bringen. Eine Hummel, welche das Lamium purpureum oder die Stachys ſyluatica beſucht, muß ſchlechterdings den Staub von den Antheren der juͤngeren Blume abſtreifen, muß ſchlechterdings denſelben an das Stigma der aͤlteren Blume anſtreifen; in der Oſterluzey aber kann ſich eine Fliege lange aufhalten, ohne weder die Antheren, noch das Stigma zu beruͤhren. *) Damals, als ich dieſe Entdeckung machte, war mir noch kein einziges von den entomologiſchen Werken des Fabricius bekannt. Im gegenwaͤrtigen Jahr aber, da ich mir dieſelben angeſchafft hatte, fand ich eine Stelle in denſelben, welche ich nicht ohne große Verwunderung las. Er ſagt nemlich (Spec. Inſect. T. II. p. 412., wie auch Philoſ. ent. p. 177.) von der Tipula pennicornis, ſie halte ſich in den Blumen der Oſter- luzey auf, und befoͤrdere die Befruchtung derſelben, welches er zu Leipzig oͤfters bemerkt habe. Ich wuͤnſchte, daß er ſich hieruͤber naͤher erklaͤrt haͤtte. Uebrigens glaube ich, daß das Inſekt, welches ich abgezeichnet habe, eben dieſe Tipula pen- nicornis iſt. Die Fuͤhlhoͤrner muͤßten zwar, ſeiner Beſchrei- bung zufolge, noch mehr zuſammengeſetzt ſeyn; vielleicht aber iſt hieran Schuld, daß ich kein ſo gutes Vergroͤſſerungsglas zur Hand gehabt habe, als er. Die Farbe aber ſtimmt mit ſeiner Beſchreibung uͤberein.

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Zitationshilfe: Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793, S. [226]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/226>, abgerufen am 06.05.2024.