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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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ging ihm auch Jeder aus dem Wege. Auf einmal hieß es,
der Oehi sei auf die Alm hinaufgezogen und komme gar nicht
mehr herunter, und seither ist er dort und lebt mit Gott
und Menschen im Unfrieden. Das kleine Kind der Adel¬
heid nahmen wir zu uns, die Mutter und ich, es war ein
Jahr alt. Wie nun im letzten Sommer die Mutter starb
und ich im Bad drunten Etwas verdienen wollte, nahm ich
es mit und gab es der alten Ursel oben im Pfäfferserdorf
an die Kost. Ich konnte auch im Winter im Bad blei¬
ben, es gab allerhand Arbeit, weil ich zu nähen und flicken
verstehe, und früh im Frühling kam die Herrschaft aus
Frankfurt wieder, die ich voriges Jahr bedient hatte und
die mich mitnehmen will; übermorgen reisen wir ab und
der Dienst ist gut, das kann ich dir sagen."

"Und dem Alten da droben willst du nun das Kind
übergeben? Es nimmt mich nur Wunder, was du denkst,
Dete", sagte die Barbel vorwurfsvoll.

"Was meinst du denn?" gab Dete zurück. "Ich habe
das Meinige an dem Kind gethan, und was sollte ich denn
mit ihm machen? Ich denke, ich kann Eines, das erst fünf
Jahr alt wird, nicht mit nach Frankfurt nehmen. Aber
wohin gehst du eigentlich, Barbel, wir sind ja schon halb
Wegs auf der Alm."

"Ich bin auch gleich da, wo ich hin muß", entgegnete
die Barbel; "ich habe mit der Gaißen-Peterin zu reden, sie
spinnt mir im Winter. So leb' wohl, Dete, mit Glück!"

ging ihm auch Jeder aus dem Wege. Auf einmal hieß es,
der Oehi ſei auf die Alm hinaufgezogen und komme gar nicht
mehr herunter, und ſeither iſt er dort und lebt mit Gott
und Menſchen im Unfrieden. Das kleine Kind der Adel¬
heid nahmen wir zu uns, die Mutter und ich, es war ein
Jahr alt. Wie nun im letzten Sommer die Mutter ſtarb
und ich im Bad drunten Etwas verdienen wollte, nahm ich
es mit und gab es der alten Urſel oben im Pfäfferſerdorf
an die Koſt. Ich konnte auch im Winter im Bad blei¬
ben, es gab allerhand Arbeit, weil ich zu nähen und flicken
verſtehe, und früh im Frühling kam die Herrſchaft aus
Frankfurt wieder, die ich voriges Jahr bedient hatte und
die mich mitnehmen will; übermorgen reiſen wir ab und
der Dienſt iſt gut, das kann ich dir ſagen.“

„Und dem Alten da droben willſt du nun das Kind
übergeben? Es nimmt mich nur Wunder, was du denkſt,
Dete“, ſagte die Barbel vorwurfsvoll.

„Was meinſt du denn?“ gab Dete zurück. „Ich habe
das Meinige an dem Kind gethan, und was ſollte ich denn
mit ihm machen? Ich denke, ich kann Eines, das erſt fünf
Jahr alt wird, nicht mit nach Frankfurt nehmen. Aber
wohin gehſt du eigentlich, Barbel, wir ſind ja ſchon halb
Wegs auf der Alm.“

„Ich bin auch gleich da, wo ich hin muß“, entgegnete
die Barbel; „ich habe mit der Gaißen-Peterin zu reden, ſie
ſpinnt mir im Winter. So leb' wohl, Dete, mit Glück!“

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[10/0020] ging ihm auch Jeder aus dem Wege. Auf einmal hieß es, der Oehi ſei auf die Alm hinaufgezogen und komme gar nicht mehr herunter, und ſeither iſt er dort und lebt mit Gott und Menſchen im Unfrieden. Das kleine Kind der Adel¬ heid nahmen wir zu uns, die Mutter und ich, es war ein Jahr alt. Wie nun im letzten Sommer die Mutter ſtarb und ich im Bad drunten Etwas verdienen wollte, nahm ich es mit und gab es der alten Urſel oben im Pfäfferſerdorf an die Koſt. Ich konnte auch im Winter im Bad blei¬ ben, es gab allerhand Arbeit, weil ich zu nähen und flicken verſtehe, und früh im Frühling kam die Herrſchaft aus Frankfurt wieder, die ich voriges Jahr bedient hatte und die mich mitnehmen will; übermorgen reiſen wir ab und der Dienſt iſt gut, das kann ich dir ſagen.“ „Und dem Alten da droben willſt du nun das Kind übergeben? Es nimmt mich nur Wunder, was du denkſt, Dete“, ſagte die Barbel vorwurfsvoll. „Was meinſt du denn?“ gab Dete zurück. „Ich habe das Meinige an dem Kind gethan, und was ſollte ich denn mit ihm machen? Ich denke, ich kann Eines, das erſt fünf Jahr alt wird, nicht mit nach Frankfurt nehmen. Aber wohin gehſt du eigentlich, Barbel, wir ſind ja ſchon halb Wegs auf der Alm.“ „Ich bin auch gleich da, wo ich hin muß“, entgegnete die Barbel; „ich habe mit der Gaißen-Peterin zu reden, ſie ſpinnt mir im Winter. So leb' wohl, Dete, mit Glück!“

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/20>, abgerufen am 29.04.2024.