Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Zahl und Vertheilung der Bevölkerung beruhendes Bild derselben und
ihrer persönlichen, wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Zustände für
ihre Zwecke schafft. Dasselbe entsteht daher erst mit dem Bewußtsein
von diesen Zwecken, und bildet sich in gleichem Schritte mit demselben
aus. Die Geschlechter- und ständische Ordnung haben daher keine
Zählungen. Sie beginnen stets mit der polizeilichen Verwaltung, sind
anfangs auf militärische und finanzielle Zwecke beschränkt, und behalten
auch später vorwiegend diesen Charakter. Mit der Entstehung der Be-
völkerungslehre und der inneren Verwaltung entwickelt jedoch das
Zählungswesen ein rationelles System, sowohl für die Momente des
Zustandes der Bevölkerung als für den Vorgang der Zählungen selbst,
das seinerseits auf dem bereits im vorigen Jahrhundert entschieden
ausgebildeten Zustand der Wissenschaft beruht, und, obwohl in den
verschiedenen Staaten noch sehr verschieden, dennoch bereits einer
gleichartigen, und das ganze Leben der Bevölkerung umfassenden Dar-
stellung entgegen geht, deren Wichtigkeit von Jahr zu Jahr mehr an-
erkannt wird. Die Grundlagen, die sich dabei herausbilden, bestehen
in dem Uebergang von der Schätzung zur Kopfzählung, und von
dieser zum eigentlichen Zählungswesen, das zuerst bei der tabella-
rischen Constatirung der persönlichen Verhältnisse (Alter, Geschlecht,
Familie, Confession) beginnt, dann zu den wirthschaftlichen Ver-
hältnissen übergeht (Erwerbsverhältnisse, Besitzstand, Viehstand, Häuser,
Anlagskapitalien, Unternehmungen) und endlich die gesellschaft-
lichen
Verhältnisse aufnimmt (Stand, Beruf, Bildung). -- Das or-
ganische Verhältniß der so gewonnenen Resultate zu den Aufgaben und
den Erfolgen der inneren Verwaltung ist nur noch in sehr einzelnen
Gebieten (Steuern, Schulbesuch, zum Theil Gesundheitspflege, Land-
wirthschaft) untersucht, und fordert allerdings, daß die künftigen Zäh-
lungen mit der gesammten Verwaltungsthätigkeit als in einem bestän-
digen und causalen Wechselverhältniß stehend erkannt werden. Darin
liegt die Zukunft des Zählungswesens, das stets der Mittelpunkt der
Verwaltungsstatistik bleiben wird.

Eben wegen dieser Unfertigkeit des Verhältnisses zwischen Verwal-
tung und Statistik hat sich bisher das Zählungswesen nicht gleichmäßig
in den einzelnen Staaten ausbilden können. Zählungsprincip, Recht
und Ordnung sind noch sehr verschieden, obwohl die Anerkennung der
Wichtigkeit, ja der Nothwendigkeit desselben in ganz Europa als ent-
schieden angesehen werden dürfen.

Literatur und Statistik. Erste Versuche: allgemeine Erkenntniß der
Wichtigkeit, ohne System; einzelne örtliche Beobachtungen. Montesquieu,
L. 23. Mohl, Literatur der Staatswissenschaft I. S. 424 ff. Süßmilch,

Zahl und Vertheilung der Bevölkerung beruhendes Bild derſelben und
ihrer perſönlichen, wirthſchaftlichen und geſellſchaftlichen Zuſtände für
ihre Zwecke ſchafft. Daſſelbe entſteht daher erſt mit dem Bewußtſein
von dieſen Zwecken, und bildet ſich in gleichem Schritte mit demſelben
aus. Die Geſchlechter- und ſtändiſche Ordnung haben daher keine
Zählungen. Sie beginnen ſtets mit der polizeilichen Verwaltung, ſind
anfangs auf militäriſche und finanzielle Zwecke beſchränkt, und behalten
auch ſpäter vorwiegend dieſen Charakter. Mit der Entſtehung der Be-
völkerungslehre und der inneren Verwaltung entwickelt jedoch das
Zählungsweſen ein rationelles Syſtem, ſowohl für die Momente des
Zuſtandes der Bevölkerung als für den Vorgang der Zählungen ſelbſt,
das ſeinerſeits auf dem bereits im vorigen Jahrhundert entſchieden
ausgebildeten Zuſtand der Wiſſenſchaft beruht, und, obwohl in den
verſchiedenen Staaten noch ſehr verſchieden, dennoch bereits einer
gleichartigen, und das ganze Leben der Bevölkerung umfaſſenden Dar-
ſtellung entgegen geht, deren Wichtigkeit von Jahr zu Jahr mehr an-
erkannt wird. Die Grundlagen, die ſich dabei herausbilden, beſtehen
in dem Uebergang von der Schätzung zur Kopfzählung, und von
dieſer zum eigentlichen Zählungsweſen, das zuerſt bei der tabella-
riſchen Conſtatirung der perſönlichen Verhältniſſe (Alter, Geſchlecht,
Familie, Confeſſion) beginnt, dann zu den wirthſchaftlichen Ver-
hältniſſen übergeht (Erwerbsverhältniſſe, Beſitzſtand, Viehſtand, Häuſer,
Anlagskapitalien, Unternehmungen) und endlich die geſellſchaft-
lichen
Verhältniſſe aufnimmt (Stand, Beruf, Bildung). — Das or-
ganiſche Verhältniß der ſo gewonnenen Reſultate zu den Aufgaben und
den Erfolgen der inneren Verwaltung iſt nur noch in ſehr einzelnen
Gebieten (Steuern, Schulbeſuch, zum Theil Geſundheitspflege, Land-
wirthſchaft) unterſucht, und fordert allerdings, daß die künftigen Zäh-
lungen mit der geſammten Verwaltungsthätigkeit als in einem beſtän-
digen und cauſalen Wechſelverhältniß ſtehend erkannt werden. Darin
liegt die Zukunft des Zählungsweſens, das ſtets der Mittelpunkt der
Verwaltungsſtatiſtik bleiben wird.

Eben wegen dieſer Unfertigkeit des Verhältniſſes zwiſchen Verwal-
tung und Statiſtik hat ſich bisher das Zählungsweſen nicht gleichmäßig
in den einzelnen Staaten ausbilden können. Zählungsprincip, Recht
und Ordnung ſind noch ſehr verſchieden, obwohl die Anerkennung der
Wichtigkeit, ja der Nothwendigkeit deſſelben in ganz Europa als ent-
ſchieden angeſehen werden dürfen.

Literatur und Statiſtik. Erſte Verſuche: allgemeine Erkenntniß der
Wichtigkeit, ohne Syſtem; einzelne örtliche Beobachtungen. Montesquieu,
L. 23. Mohl, Literatur der Staatswiſſenſchaft I. S. 424 ff. Süßmilch,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0085" n="61"/>
Zahl und Vertheilung der Bevölkerung beruhendes Bild der&#x017F;elben und<lb/>
ihrer per&#x017F;önlichen, wirth&#x017F;chaftlichen und ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Zu&#x017F;tände für<lb/>
ihre Zwecke &#x017F;chafft. Da&#x017F;&#x017F;elbe ent&#x017F;teht daher er&#x017F;t mit dem Bewußt&#x017F;ein<lb/>
von die&#x017F;en Zwecken, und bildet &#x017F;ich in gleichem Schritte mit dem&#x017F;elben<lb/>
aus. Die Ge&#x017F;chlechter- und &#x017F;tändi&#x017F;che Ordnung haben daher keine<lb/>
Zählungen. Sie beginnen &#x017F;tets mit der polizeilichen Verwaltung, &#x017F;ind<lb/>
anfangs auf militäri&#x017F;che und finanzielle Zwecke be&#x017F;chränkt, und behalten<lb/>
auch &#x017F;päter vorwiegend die&#x017F;en Charakter. Mit der Ent&#x017F;tehung der Be-<lb/>
völkerungslehre und der inneren Verwaltung entwickelt jedoch das<lb/>
Zählungswe&#x017F;en ein rationelles <hi rendition="#g">Sy&#x017F;tem</hi>, &#x017F;owohl für die Momente des<lb/>
Zu&#x017F;tandes der Bevölkerung als für den Vorgang der Zählungen &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
das &#x017F;einer&#x017F;eits auf dem bereits im vorigen Jahrhundert ent&#x017F;chieden<lb/>
ausgebildeten Zu&#x017F;tand der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft beruht, und, obwohl in den<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Staaten noch &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden, dennoch bereits einer<lb/>
gleichartigen, und das ganze Leben der Bevölkerung umfa&#x017F;&#x017F;enden Dar-<lb/>
&#x017F;tellung entgegen geht, deren Wichtigkeit von Jahr zu Jahr mehr an-<lb/>
erkannt wird. Die Grundlagen, die &#x017F;ich dabei herausbilden, be&#x017F;tehen<lb/>
in dem Uebergang von der <hi rendition="#g">Schätzung</hi> zur <hi rendition="#g">Kopfzählung</hi>, und von<lb/>
die&#x017F;er zum eigentlichen <hi rendition="#g">Zählungswe&#x017F;en</hi>, das zuer&#x017F;t bei der tabella-<lb/>
ri&#x017F;chen Con&#x017F;tatirung der <hi rendition="#g">per&#x017F;önlichen</hi> Verhältni&#x017F;&#x017F;e (Alter, Ge&#x017F;chlecht,<lb/>
Familie, Confe&#x017F;&#x017F;ion) beginnt, dann zu den <hi rendition="#g">wirth&#x017F;chaftlichen</hi> Ver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;en übergeht (Erwerbsverhältni&#x017F;&#x017F;e, Be&#x017F;itz&#x017F;tand, Vieh&#x017F;tand, Häu&#x017F;er,<lb/>
Anlagskapitalien, Unternehmungen) und endlich die <hi rendition="#g">ge&#x017F;ell&#x017F;chaft-<lb/>
lichen</hi> Verhältni&#x017F;&#x017F;e aufnimmt (Stand, Beruf, Bildung). &#x2014; Das or-<lb/>
gani&#x017F;che Verhältniß der &#x017F;o gewonnenen Re&#x017F;ultate zu den Aufgaben und<lb/>
den Erfolgen der inneren Verwaltung i&#x017F;t nur noch in &#x017F;ehr einzelnen<lb/>
Gebieten (Steuern, Schulbe&#x017F;uch, zum Theil Ge&#x017F;undheitspflege, Land-<lb/>
wirth&#x017F;chaft) unter&#x017F;ucht, und fordert allerdings, daß die künftigen Zäh-<lb/>
lungen mit der ge&#x017F;ammten Verwaltungsthätigkeit als in einem be&#x017F;tän-<lb/>
digen und cau&#x017F;alen Wech&#x017F;elverhältniß &#x017F;tehend erkannt werden. <hi rendition="#g">Darin</hi><lb/>
liegt die Zukunft des Zählungswe&#x017F;ens, das &#x017F;tets der Mittelpunkt der<lb/>
Verwaltungs&#x017F;tati&#x017F;tik bleiben wird.</p><lb/>
                  <p>Eben wegen die&#x017F;er Unfertigkeit des Verhältni&#x017F;&#x017F;es zwi&#x017F;chen Verwal-<lb/>
tung und Stati&#x017F;tik hat &#x017F;ich bisher das Zählungswe&#x017F;en nicht gleichmäßig<lb/>
in den einzelnen Staaten ausbilden können. Zählungsprincip, Recht<lb/>
und Ordnung &#x017F;ind noch &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden, obwohl die Anerkennung der<lb/>
Wichtigkeit, ja der Nothwendigkeit de&#x017F;&#x017F;elben in ganz Europa als ent-<lb/>
&#x017F;chieden ange&#x017F;ehen werden dürfen.</p><lb/>
                  <p><hi rendition="#g">Literatur</hi> und <hi rendition="#g">Stati&#x017F;tik</hi>. Er&#x017F;te Ver&#x017F;uche: allgemeine Erkenntniß der<lb/>
Wichtigkeit, ohne Sy&#x017F;tem; einzelne örtliche Beobachtungen. <hi rendition="#g">Montesquieu</hi>,<lb/><hi rendition="#aq">L.</hi> 23. <hi rendition="#g">Mohl</hi>, Literatur der Staatswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 424 ff. <hi rendition="#g">Süßmilch</hi>,<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0085] Zahl und Vertheilung der Bevölkerung beruhendes Bild derſelben und ihrer perſönlichen, wirthſchaftlichen und geſellſchaftlichen Zuſtände für ihre Zwecke ſchafft. Daſſelbe entſteht daher erſt mit dem Bewußtſein von dieſen Zwecken, und bildet ſich in gleichem Schritte mit demſelben aus. Die Geſchlechter- und ſtändiſche Ordnung haben daher keine Zählungen. Sie beginnen ſtets mit der polizeilichen Verwaltung, ſind anfangs auf militäriſche und finanzielle Zwecke beſchränkt, und behalten auch ſpäter vorwiegend dieſen Charakter. Mit der Entſtehung der Be- völkerungslehre und der inneren Verwaltung entwickelt jedoch das Zählungsweſen ein rationelles Syſtem, ſowohl für die Momente des Zuſtandes der Bevölkerung als für den Vorgang der Zählungen ſelbſt, das ſeinerſeits auf dem bereits im vorigen Jahrhundert entſchieden ausgebildeten Zuſtand der Wiſſenſchaft beruht, und, obwohl in den verſchiedenen Staaten noch ſehr verſchieden, dennoch bereits einer gleichartigen, und das ganze Leben der Bevölkerung umfaſſenden Dar- ſtellung entgegen geht, deren Wichtigkeit von Jahr zu Jahr mehr an- erkannt wird. Die Grundlagen, die ſich dabei herausbilden, beſtehen in dem Uebergang von der Schätzung zur Kopfzählung, und von dieſer zum eigentlichen Zählungsweſen, das zuerſt bei der tabella- riſchen Conſtatirung der perſönlichen Verhältniſſe (Alter, Geſchlecht, Familie, Confeſſion) beginnt, dann zu den wirthſchaftlichen Ver- hältniſſen übergeht (Erwerbsverhältniſſe, Beſitzſtand, Viehſtand, Häuſer, Anlagskapitalien, Unternehmungen) und endlich die geſellſchaft- lichen Verhältniſſe aufnimmt (Stand, Beruf, Bildung). — Das or- ganiſche Verhältniß der ſo gewonnenen Reſultate zu den Aufgaben und den Erfolgen der inneren Verwaltung iſt nur noch in ſehr einzelnen Gebieten (Steuern, Schulbeſuch, zum Theil Geſundheitspflege, Land- wirthſchaft) unterſucht, und fordert allerdings, daß die künftigen Zäh- lungen mit der geſammten Verwaltungsthätigkeit als in einem beſtän- digen und cauſalen Wechſelverhältniß ſtehend erkannt werden. Darin liegt die Zukunft des Zählungsweſens, das ſtets der Mittelpunkt der Verwaltungsſtatiſtik bleiben wird. Eben wegen dieſer Unfertigkeit des Verhältniſſes zwiſchen Verwal- tung und Statiſtik hat ſich bisher das Zählungsweſen nicht gleichmäßig in den einzelnen Staaten ausbilden können. Zählungsprincip, Recht und Ordnung ſind noch ſehr verſchieden, obwohl die Anerkennung der Wichtigkeit, ja der Nothwendigkeit deſſelben in ganz Europa als ent- ſchieden angeſehen werden dürfen. Literatur und Statiſtik. Erſte Verſuche: allgemeine Erkenntniß der Wichtigkeit, ohne Syſtem; einzelne örtliche Beobachtungen. Montesquieu, L. 23. Mohl, Literatur der Staatswiſſenſchaft I. S. 424 ff. Süßmilch,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/85
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/85>, abgerufen am 07.05.2024.