Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Vollziehung in dem subjektiven, souveränen Willen der Fürsten unter-
geht, da wird dieser Rath der ursprünglich nur vollziehenden Spitzen
der königlichen Organe, indem er dem Könige als der Quelle aller Ge-
setzesbildung beständig zur Seite steht, auch das naturgemäß berathende
Organ für die Gesetzgebung überhaupt. Es ist die einzige Form, in
welcher der königliche Wille die eigne subjektive, als Staatswille geltende
Selstbestimmung mit einem fremden Rathe umgibt. Dieser Rath hat
verschiedene Namen, aber bedeutet immer dasselbe; es ist der Privy
Council
in England, Conseil d'Etat in Frankreich, Geheimerrath in
Deutschland. Auch ist dieser Rath natürlich sehr verschieden zusammen-
gesetzt; namentlich erscheint die Verschiedenheit darin, daß bald das
fürstliche Haus in demselben aufgenommen ist, bald nicht. Das Wesent-
liche aber besteht darin, daß seine Funktion zugleich die des Minister-
raths und die des heutigen Staatsrathes umfaßt, und das ist es was
in so vielen Beziehungen die gegenwärtige Stellung des letztern unklar
gemacht hat, und zum Theil darum unklar machen mußte, weil nament-
lich in Deutschland durch die unfertige Trennung von Gesetzgebung und
Verordnung einerseits und durch die Kleinheit der Reichsstaaten anderer-
seits nicht einmal eine formelle Unterscheidung möglich war. Wir müssen
die genauere Darstellung dieser Verhältnisse der Rechtsgeschichte über-
weisen. Uns darf es nur darauf ankommen, Wesen und organische
Stellung des Staatsraths in der neueren Zeit zu bestimmen. Wir be-
zeichnen dieselbe kurz als den verfassungsmäßigen Staatsrath,
und wollen versuchen, die naturgemäße Funktion desselben aus dem
organischen Staatsbegriff zu entwickeln; das wird auch der einzige Weg
sein, zur Klarheit über die bestehenden Einrichtungen und ihre gesetzliche
Ordnung zu gelangen.

So wie nämlich durch die Anerkennung des selbständigen gesetz-
gebenden Körpers der Volksvertretung die gesetzgebende Gewalt von der
vollziehenden sich trennt, löst sich auch die Vollziehung, insofern sie mit
den einzelnen Aufgaben des Staatslebens zu thun hat, als Regierung
vom Staatsoberhaupt los und empfängt ihren Organismus im Mi-
nisterialsystem. Damit entstehen zwei neue und eigenthümliche Ver-
hältnisse.

Zuerst tritt das Staatsoberhaupt selbständig als gleichzeitiges Haupt
beider Funktionen über beide. Es hat zuletzt immer dem Gesetze und
der Verordnung seine höchste Sanktion zu geben. Es hat daher, und
das ist seine große organische Funktion, gerade in seiner Sanktion am
letzten Orte die Harmonie beider auszusprechen; es muß in der letztern
das volle Bewußtsein nicht etwa bloß des Bedürfnisses der Verwaltung
oder des Willens der Volksvertretung, sondern des höchsten Verhaltens

Vollziehung in dem ſubjektiven, ſouveränen Willen der Fürſten unter-
geht, da wird dieſer Rath der urſprünglich nur vollziehenden Spitzen
der königlichen Organe, indem er dem Könige als der Quelle aller Ge-
ſetzesbildung beſtändig zur Seite ſteht, auch das naturgemäß berathende
Organ für die Geſetzgebung überhaupt. Es iſt die einzige Form, in
welcher der königliche Wille die eigne ſubjektive, als Staatswille geltende
Selſtbeſtimmung mit einem fremden Rathe umgibt. Dieſer Rath hat
verſchiedene Namen, aber bedeutet immer daſſelbe; es iſt der Privy
Council
in England, Conseil d’État in Frankreich, Geheimerrath in
Deutſchland. Auch iſt dieſer Rath natürlich ſehr verſchieden zuſammen-
geſetzt; namentlich erſcheint die Verſchiedenheit darin, daß bald das
fürſtliche Haus in demſelben aufgenommen iſt, bald nicht. Das Weſent-
liche aber beſteht darin, daß ſeine Funktion zugleich die des Miniſter-
raths und die des heutigen Staatsrathes umfaßt, und das iſt es was
in ſo vielen Beziehungen die gegenwärtige Stellung des letztern unklar
gemacht hat, und zum Theil darum unklar machen mußte, weil nament-
lich in Deutſchland durch die unfertige Trennung von Geſetzgebung und
Verordnung einerſeits und durch die Kleinheit der Reichsſtaaten anderer-
ſeits nicht einmal eine formelle Unterſcheidung möglich war. Wir müſſen
die genauere Darſtellung dieſer Verhältniſſe der Rechtsgeſchichte über-
weiſen. Uns darf es nur darauf ankommen, Weſen und organiſche
Stellung des Staatsraths in der neueren Zeit zu beſtimmen. Wir be-
zeichnen dieſelbe kurz als den verfaſſungsmäßigen Staatsrath,
und wollen verſuchen, die naturgemäße Funktion deſſelben aus dem
organiſchen Staatsbegriff zu entwickeln; das wird auch der einzige Weg
ſein, zur Klarheit über die beſtehenden Einrichtungen und ihre geſetzliche
Ordnung zu gelangen.

So wie nämlich durch die Anerkennung des ſelbſtändigen geſetz-
gebenden Körpers der Volksvertretung die geſetzgebende Gewalt von der
vollziehenden ſich trennt, löst ſich auch die Vollziehung, inſofern ſie mit
den einzelnen Aufgaben des Staatslebens zu thun hat, als Regierung
vom Staatsoberhaupt los und empfängt ihren Organismus im Mi-
niſterialſyſtem. Damit entſtehen zwei neue und eigenthümliche Ver-
hältniſſe.

Zuerſt tritt das Staatsoberhaupt ſelbſtändig als gleichzeitiges Haupt
beider Funktionen über beide. Es hat zuletzt immer dem Geſetze und
der Verordnung ſeine höchſte Sanktion zu geben. Es hat daher, und
das iſt ſeine große organiſche Funktion, gerade in ſeiner Sanktion am
letzten Orte die Harmonie beider auszuſprechen; es muß in der letztern
das volle Bewußtſein nicht etwa bloß des Bedürfniſſes der Verwaltung
oder des Willens der Volksvertretung, ſondern des höchſten Verhaltens

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0294" n="270"/>
Vollziehung in dem &#x017F;ubjektiven, &#x017F;ouveränen Willen der Für&#x017F;ten unter-<lb/>
geht, da wird die&#x017F;er Rath der ur&#x017F;prünglich nur vollziehenden Spitzen<lb/>
der königlichen Organe, indem er dem Könige als der Quelle aller Ge-<lb/>
&#x017F;etzesbildung be&#x017F;tändig zur Seite &#x017F;teht, auch das naturgemäß berathende<lb/>
Organ für die Ge&#x017F;etzgebung überhaupt. Es i&#x017F;t die einzige Form, in<lb/>
welcher der königliche Wille die eigne &#x017F;ubjektive, als Staatswille geltende<lb/>
Sel&#x017F;tbe&#x017F;timmung mit einem fremden Rathe umgibt. Die&#x017F;er Rath hat<lb/>
ver&#x017F;chiedene Namen, aber bedeutet immer da&#x017F;&#x017F;elbe; es i&#x017F;t der <hi rendition="#aq">Privy<lb/>
Council</hi> in England, <hi rendition="#aq">Conseil d&#x2019;État</hi> in Frankreich, Geheimerrath in<lb/>
Deut&#x017F;chland. Auch i&#x017F;t die&#x017F;er Rath natürlich &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden zu&#x017F;ammen-<lb/>
ge&#x017F;etzt; namentlich er&#x017F;cheint die Ver&#x017F;chiedenheit darin, daß bald das<lb/>
für&#x017F;tliche Haus in dem&#x017F;elben aufgenommen i&#x017F;t, bald nicht. Das We&#x017F;ent-<lb/>
liche aber be&#x017F;teht darin, daß &#x017F;eine Funktion zugleich die des Mini&#x017F;ter-<lb/>
raths und die des heutigen Staatsrathes umfaßt, und das i&#x017F;t es was<lb/>
in &#x017F;o vielen Beziehungen die gegenwärtige Stellung des letztern unklar<lb/>
gemacht hat, und zum Theil darum unklar machen mußte, weil nament-<lb/>
lich in Deut&#x017F;chland durch die unfertige Trennung von Ge&#x017F;etzgebung und<lb/>
Verordnung einer&#x017F;eits und durch die Kleinheit der Reichs&#x017F;taaten anderer-<lb/>
&#x017F;eits nicht einmal eine formelle Unter&#x017F;cheidung möglich war. Wir mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
die genauere Dar&#x017F;tellung die&#x017F;er Verhältni&#x017F;&#x017F;e der Rechtsge&#x017F;chichte über-<lb/>
wei&#x017F;en. Uns darf es nur darauf ankommen, We&#x017F;en und organi&#x017F;che<lb/>
Stellung des Staatsraths in der neueren Zeit zu be&#x017F;timmen. Wir be-<lb/>
zeichnen die&#x017F;elbe kurz als den <hi rendition="#g">verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßigen Staatsrath</hi>,<lb/>
und wollen ver&#x017F;uchen, die naturgemäße Funktion de&#x017F;&#x017F;elben aus dem<lb/>
organi&#x017F;chen Staatsbegriff zu entwickeln; das wird auch der einzige Weg<lb/>
&#x017F;ein, zur Klarheit über die be&#x017F;tehenden Einrichtungen und ihre ge&#x017F;etzliche<lb/>
Ordnung zu gelangen.</p><lb/>
            <p>So wie nämlich durch die Anerkennung des &#x017F;elb&#x017F;tändigen ge&#x017F;etz-<lb/>
gebenden Körpers der Volksvertretung die ge&#x017F;etzgebende Gewalt von der<lb/>
vollziehenden &#x017F;ich trennt, löst &#x017F;ich auch die Vollziehung, in&#x017F;ofern &#x017F;ie mit<lb/>
den einzelnen Aufgaben des Staatslebens zu thun hat, als Regierung<lb/>
vom Staatsoberhaupt los und empfängt ihren Organismus im Mi-<lb/>
ni&#x017F;terial&#x017F;y&#x017F;tem. Damit ent&#x017F;tehen zwei neue und eigenthümliche Ver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
            <p>Zuer&#x017F;t tritt das Staatsoberhaupt &#x017F;elb&#x017F;tändig als gleichzeitiges Haupt<lb/>
beider Funktionen <hi rendition="#g">über</hi> beide. Es hat zuletzt immer dem Ge&#x017F;etze und<lb/>
der Verordnung &#x017F;eine höch&#x017F;te Sanktion zu geben. Es hat daher, und<lb/>
das i&#x017F;t &#x017F;eine große organi&#x017F;che Funktion, gerade in &#x017F;einer Sanktion am<lb/>
letzten Orte die Harmonie beider auszu&#x017F;prechen; es muß in der letztern<lb/>
das volle Bewußt&#x017F;ein nicht etwa bloß des Bedürfni&#x017F;&#x017F;es der Verwaltung<lb/>
oder des Willens der Volksvertretung, &#x017F;ondern des höch&#x017F;ten <hi rendition="#g">Verhaltens<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0294] Vollziehung in dem ſubjektiven, ſouveränen Willen der Fürſten unter- geht, da wird dieſer Rath der urſprünglich nur vollziehenden Spitzen der königlichen Organe, indem er dem Könige als der Quelle aller Ge- ſetzesbildung beſtändig zur Seite ſteht, auch das naturgemäß berathende Organ für die Geſetzgebung überhaupt. Es iſt die einzige Form, in welcher der königliche Wille die eigne ſubjektive, als Staatswille geltende Selſtbeſtimmung mit einem fremden Rathe umgibt. Dieſer Rath hat verſchiedene Namen, aber bedeutet immer daſſelbe; es iſt der Privy Council in England, Conseil d’État in Frankreich, Geheimerrath in Deutſchland. Auch iſt dieſer Rath natürlich ſehr verſchieden zuſammen- geſetzt; namentlich erſcheint die Verſchiedenheit darin, daß bald das fürſtliche Haus in demſelben aufgenommen iſt, bald nicht. Das Weſent- liche aber beſteht darin, daß ſeine Funktion zugleich die des Miniſter- raths und die des heutigen Staatsrathes umfaßt, und das iſt es was in ſo vielen Beziehungen die gegenwärtige Stellung des letztern unklar gemacht hat, und zum Theil darum unklar machen mußte, weil nament- lich in Deutſchland durch die unfertige Trennung von Geſetzgebung und Verordnung einerſeits und durch die Kleinheit der Reichsſtaaten anderer- ſeits nicht einmal eine formelle Unterſcheidung möglich war. Wir müſſen die genauere Darſtellung dieſer Verhältniſſe der Rechtsgeſchichte über- weiſen. Uns darf es nur darauf ankommen, Weſen und organiſche Stellung des Staatsraths in der neueren Zeit zu beſtimmen. Wir be- zeichnen dieſelbe kurz als den verfaſſungsmäßigen Staatsrath, und wollen verſuchen, die naturgemäße Funktion deſſelben aus dem organiſchen Staatsbegriff zu entwickeln; das wird auch der einzige Weg ſein, zur Klarheit über die beſtehenden Einrichtungen und ihre geſetzliche Ordnung zu gelangen. So wie nämlich durch die Anerkennung des ſelbſtändigen geſetz- gebenden Körpers der Volksvertretung die geſetzgebende Gewalt von der vollziehenden ſich trennt, löst ſich auch die Vollziehung, inſofern ſie mit den einzelnen Aufgaben des Staatslebens zu thun hat, als Regierung vom Staatsoberhaupt los und empfängt ihren Organismus im Mi- niſterialſyſtem. Damit entſtehen zwei neue und eigenthümliche Ver- hältniſſe. Zuerſt tritt das Staatsoberhaupt ſelbſtändig als gleichzeitiges Haupt beider Funktionen über beide. Es hat zuletzt immer dem Geſetze und der Verordnung ſeine höchſte Sanktion zu geben. Es hat daher, und das iſt ſeine große organiſche Funktion, gerade in ſeiner Sanktion am letzten Orte die Harmonie beider auszuſprechen; es muß in der letztern das volle Bewußtſein nicht etwa bloß des Bedürfniſſes der Verwaltung oder des Willens der Volksvertretung, ſondern des höchſten Verhaltens

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/294
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/294>, abgerufen am 02.05.2024.