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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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lebendig ist, strebt nach allgemeiner Geltung. Den Ausdruck derselben
bildet das Königthum. Das Königthum als solches nimmt also, nach-
dem es jetzt das organische Haupt des Staates ist, die Staatsgewalt
in die Hand, und beginnt den Kampf mit dem Ständethum. Bei dem
tiefen Gegensatze des Rechtstitels, dem gesellschaftlichen und dem staat-
lichen, ist eine Vereinbarung nicht möglich. Es handelt sich einfach um
Unterwerfung. Die Frage nach dem Königthum wird zur Machtfrage
des Königs. Und hier ist es nun, wo das junge und kräftige Amts-
wesen dem Königthum mit seiner ganzen Kraft zur Seite steht. Es ist
durchdrungen von dem Bewußtsein, daß nur die Einheit aller Organe
des Königthums zum Siege führen kann. Es unterwirft sich daher
selbst dem persönlichen Willen des Königs; es läßt sich organisiren; es
lernt gehorchen. Der Gehorsam des Amts gegen das höhere Amt,
der Gehorsam, aller Aemter gegen den Willen des Königs wird als
erste und absolute Bedingung in dem Kampfe der Staatsidee mit dem
gesellschaftlichen Recht anerkannt. Dabei freilich beginnt der Keim der
Selbständigkeit, welcher in der Idee der Obrigkeit liegt, zu verschwinden;
die theoretischen Fragen, wie weit der Gehorsam gehe, wenn das König-
thum befiehlt, und die ursprünglich so viele Gemüther beschäftigt, werden
unmerklich zur Seite geschoben und als eine, das Wesen der Sache
nicht mehr berührende Casuistik angesehen; die Hauptsache ist Gehorsam
gegen das Königthum, um Gehorsam vom ganzen Volke fordern zu
können. Mit diesem Princip und der aus ihm entstehenden Disciplin
siegt das Königthum. Es verdrängt zuerst die gesellschaftlichen Körper
aus der Gesetzgebung, indem die Landtage seit dem Beginne des acht-
zehnten Jahrhunderts verschwinden; es verdrängt dieselbe weiter aus
allen Gebieten der Verwaltung und setzt die Herrschaft der Diener des
Königs an die Stelle der körperschaftlichen Organe. Jede Opposition
dagegen ist Opposition nicht bloß gegen den König, sondern gegen das
göttliche Recht, gegen die Staatsidee und ihre Mission; sie ist es im
Ganzen, sie ist es im Einzelnen. Der persönliche individuelle Gehorsam
gegen den König, die Auflösung der Rechtstitel gegenüber dem König-
thum durchdringt allmählig vom Beamtenthum aus die ganze Nation;
Individuen sowohl als Körperschaften nehmen ihn zuerst als Thatsache,
dann als eine Pflicht an, und gipfeln diesen Proceß in der Idee des
Ruhmes des Gehorsams; der Staat ist allmächtig, die Gesellschafts-
ordnung ist willen- und rechtlos, und der König ist wirklich der
Staat
. Nie war ein Wort wahrer, als dieses. Es gibt nichts, das
nicht dem persönlichen Staate persönlich angehörte. Die Machtfrage ist
entschieden, die Rechtsfrage ist nicht mehr Gegenstand des Zweifels,
es ist die Epoche der souveränen königlichen Gewalt.


Stein, die Verwaltungslehre. I. 19

lebendig iſt, ſtrebt nach allgemeiner Geltung. Den Ausdruck derſelben
bildet das Königthum. Das Königthum als ſolches nimmt alſo, nach-
dem es jetzt das organiſche Haupt des Staates iſt, die Staatsgewalt
in die Hand, und beginnt den Kampf mit dem Ständethum. Bei dem
tiefen Gegenſatze des Rechtstitels, dem geſellſchaftlichen und dem ſtaat-
lichen, iſt eine Vereinbarung nicht möglich. Es handelt ſich einfach um
Unterwerfung. Die Frage nach dem Königthum wird zur Machtfrage
des Königs. Und hier iſt es nun, wo das junge und kräftige Amts-
weſen dem Königthum mit ſeiner ganzen Kraft zur Seite ſteht. Es iſt
durchdrungen von dem Bewußtſein, daß nur die Einheit aller Organe
des Königthums zum Siege führen kann. Es unterwirft ſich daher
ſelbſt dem perſönlichen Willen des Königs; es läßt ſich organiſiren; es
lernt gehorchen. Der Gehorſam des Amts gegen das höhere Amt,
der Gehorſam, aller Aemter gegen den Willen des Königs wird als
erſte und abſolute Bedingung in dem Kampfe der Staatsidee mit dem
geſellſchaftlichen Recht anerkannt. Dabei freilich beginnt der Keim der
Selbſtändigkeit, welcher in der Idee der Obrigkeit liegt, zu verſchwinden;
die theoretiſchen Fragen, wie weit der Gehorſam gehe, wenn das König-
thum befiehlt, und die urſprünglich ſo viele Gemüther beſchäftigt, werden
unmerklich zur Seite geſchoben und als eine, das Weſen der Sache
nicht mehr berührende Caſuiſtik angeſehen; die Hauptſache iſt Gehorſam
gegen das Königthum, um Gehorſam vom ganzen Volke fordern zu
können. Mit dieſem Princip und der aus ihm entſtehenden Disciplin
ſiegt das Königthum. Es verdrängt zuerſt die geſellſchaftlichen Körper
aus der Geſetzgebung, indem die Landtage ſeit dem Beginne des acht-
zehnten Jahrhunderts verſchwinden; es verdrängt dieſelbe weiter aus
allen Gebieten der Verwaltung und ſetzt die Herrſchaft der Diener des
Königs an die Stelle der körperſchaftlichen Organe. Jede Oppoſition
dagegen iſt Oppoſition nicht bloß gegen den König, ſondern gegen das
göttliche Recht, gegen die Staatsidee und ihre Miſſion; ſie iſt es im
Ganzen, ſie iſt es im Einzelnen. Der perſönliche individuelle Gehorſam
gegen den König, die Auflöſung der Rechtstitel gegenüber dem König-
thum durchdringt allmählig vom Beamtenthum aus die ganze Nation;
Individuen ſowohl als Körperſchaften nehmen ihn zuerſt als Thatſache,
dann als eine Pflicht an, und gipfeln dieſen Proceß in der Idee des
Ruhmes des Gehorſams; der Staat iſt allmächtig, die Geſellſchafts-
ordnung iſt willen- und rechtlos, und der König iſt wirklich der
Staat
. Nie war ein Wort wahrer, als dieſes. Es gibt nichts, das
nicht dem perſönlichen Staate perſönlich angehörte. Die Machtfrage iſt
entſchieden, die Rechtsfrage iſt nicht mehr Gegenſtand des Zweifels,
es iſt die Epoche der ſouveränen königlichen Gewalt.


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[289/0313] lebendig iſt, ſtrebt nach allgemeiner Geltung. Den Ausdruck derſelben bildet das Königthum. Das Königthum als ſolches nimmt alſo, nach- dem es jetzt das organiſche Haupt des Staates iſt, die Staatsgewalt in die Hand, und beginnt den Kampf mit dem Ständethum. Bei dem tiefen Gegenſatze des Rechtstitels, dem geſellſchaftlichen und dem ſtaat- lichen, iſt eine Vereinbarung nicht möglich. Es handelt ſich einfach um Unterwerfung. Die Frage nach dem Königthum wird zur Machtfrage des Königs. Und hier iſt es nun, wo das junge und kräftige Amts- weſen dem Königthum mit ſeiner ganzen Kraft zur Seite ſteht. Es iſt durchdrungen von dem Bewußtſein, daß nur die Einheit aller Organe des Königthums zum Siege führen kann. Es unterwirft ſich daher ſelbſt dem perſönlichen Willen des Königs; es läßt ſich organiſiren; es lernt gehorchen. Der Gehorſam des Amts gegen das höhere Amt, der Gehorſam, aller Aemter gegen den Willen des Königs wird als erſte und abſolute Bedingung in dem Kampfe der Staatsidee mit dem geſellſchaftlichen Recht anerkannt. Dabei freilich beginnt der Keim der Selbſtändigkeit, welcher in der Idee der Obrigkeit liegt, zu verſchwinden; die theoretiſchen Fragen, wie weit der Gehorſam gehe, wenn das König- thum befiehlt, und die urſprünglich ſo viele Gemüther beſchäftigt, werden unmerklich zur Seite geſchoben und als eine, das Weſen der Sache nicht mehr berührende Caſuiſtik angeſehen; die Hauptſache iſt Gehorſam gegen das Königthum, um Gehorſam vom ganzen Volke fordern zu können. Mit dieſem Princip und der aus ihm entſtehenden Disciplin ſiegt das Königthum. Es verdrängt zuerſt die geſellſchaftlichen Körper aus der Geſetzgebung, indem die Landtage ſeit dem Beginne des acht- zehnten Jahrhunderts verſchwinden; es verdrängt dieſelbe weiter aus allen Gebieten der Verwaltung und ſetzt die Herrſchaft der Diener des Königs an die Stelle der körperſchaftlichen Organe. Jede Oppoſition dagegen iſt Oppoſition nicht bloß gegen den König, ſondern gegen das göttliche Recht, gegen die Staatsidee und ihre Miſſion; ſie iſt es im Ganzen, ſie iſt es im Einzelnen. Der perſönliche individuelle Gehorſam gegen den König, die Auflöſung der Rechtstitel gegenüber dem König- thum durchdringt allmählig vom Beamtenthum aus die ganze Nation; Individuen ſowohl als Körperſchaften nehmen ihn zuerſt als Thatſache, dann als eine Pflicht an, und gipfeln dieſen Proceß in der Idee des Ruhmes des Gehorſams; der Staat iſt allmächtig, die Geſellſchafts- ordnung iſt willen- und rechtlos, und der König iſt wirklich der Staat. Nie war ein Wort wahrer, als dieſes. Es gibt nichts, das nicht dem perſönlichen Staate perſönlich angehörte. Die Machtfrage iſt entſchieden, die Rechtsfrage iſt nicht mehr Gegenſtand des Zweifels, es iſt die Epoche der ſouveränen königlichen Gewalt. Stein, die Verwaltungslehre. I. 19

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/313>, abgerufen am 30.05.2024.