Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Im Ganzen aber ist das Bild der County, für sich gedacht und ge-
schieden in Organismus und Funktion von dem Gemeindesystem, dem
die innere Verwaltung unter der örtlichen Rechtspflege zufällt, folgendes.

Die Aufgabe der County als Landesgericht ist eine doppelte. "Die
heutige Grafschaft ist ein aus zwei Systemen zusammengesetztes Com-
munalwesen, in welchem die incorporirten Städte eine zusammengesetzte
Bildung von Kreispolizei- und Ortsgemeindeverfassung (s. unten) dar-
stellen."

Die County ist nämlich zuerst der Selbstverwaltungskörper des
Landesrechts, und zwar nach dem Untergang der alten County
Court
(des historischen Landesgerichts) und der Bedeutung des Sheriffs
(Gneist Cap. III.) für das bürgerliche Recht in den Quarterly sessions
der Friedensrichter, welche wieder eine original jurisdiction (Landes-
gericht als erste Instanz) und eine appellate jurisdiction (Landesgericht
als zweite Instanz) enthält. Die Petty und die Special sessions der
Friedensrichter gehören schon dem Gemeindesystem an. Für das Straf-
recht treten die Grundsätze der Geschworenenverfassung ein, die sowohl
für die Assisen als für die Quarter sessions gelten, und für welche die
alte County die Grundlage bildet. (Gneist Cap. V.)

Die County ist aber zweitens der Selbstverwaltungskörper des
Verwaltungsrechts in zweiter Instanz. Das heißt, da die Ver-
waltungsakte der Behörde -- der Friedensrichter -- nur Vollziehungen
des geltenden Rechts sind, so kann die Verwirklichung des Verwaltungs-
rechts überhaupt nur in dem Wege eines Recurses geschehen, und das
Organ, welches über diese Akte bei solchen Verwaltungsklagen ent-
scheidet, ist dann eben die County. Nur muß man dabei eben den
Satz festhalten, daß es sich im Verwaltungsrecht jedesmal nur um das
Klagrecht handelt, welches in England das Recht und die Thätigkeit
der oberaufsehenden Behörde vertritt. Die Unterscheidung zwischen bür-
gerlichem und Verwaltungsrecht, und mithin die zwischen jenen beiden
Funktionen existirt formell nicht, sondern muß in der Sache selbst ge-
sucht werden.

Diese landesgerichtliche Aufgabe der englischen Landschaft, der
County gegenüber dem Systeme der Gemeinde, ist nun bei weitem
überwiegend. Dennoch hat dieselbe auch einen Theil der wirklichen Ver-
waltung, und hier ist es, wo sie sich den continentalen und namentlich
den deutschen Landständen in ihrer Thätigkeit nähert, wenn auch das
sociale Element fast ganz verschwunden ist. Es ist bei der englischen
County sogar dieselbe Unbestimmtheit der Gränze für die Punkte vor-
handen, in denen sie noch eigentliche Verwaltungsrechte ausübt. Sie
sind hier wie dort im Grunde Reste des frühern Rechts, und schließen

Im Ganzen aber iſt das Bild der County, für ſich gedacht und ge-
ſchieden in Organismus und Funktion von dem Gemeindeſyſtem, dem
die innere Verwaltung unter der örtlichen Rechtspflege zufällt, folgendes.

Die Aufgabe der County als Landesgericht iſt eine doppelte. „Die
heutige Grafſchaft iſt ein aus zwei Syſtemen zuſammengeſetztes Com-
munalweſen, in welchem die incorporirten Städte eine zuſammengeſetzte
Bildung von Kreispolizei- und Ortsgemeindeverfaſſung (ſ. unten) dar-
ſtellen.“

Die County iſt nämlich zuerſt der Selbſtverwaltungskörper des
Landesrechts, und zwar nach dem Untergang der alten County
Court
(des hiſtoriſchen Landesgerichts) und der Bedeutung des Sheriffs
(Gneiſt Cap. III.) für das bürgerliche Recht in den Quarterly sessions
der Friedensrichter, welche wieder eine original jurisdiction (Landes-
gericht als erſte Inſtanz) und eine appellate jurisdiction (Landesgericht
als zweite Inſtanz) enthält. Die Petty und die Special sessions der
Friedensrichter gehören ſchon dem Gemeindeſyſtem an. Für das Straf-
recht treten die Grundſätze der Geſchworenenverfaſſung ein, die ſowohl
für die Aſſiſen als für die Quarter sessions gelten, und für welche die
alte County die Grundlage bildet. (Gneiſt Cap. V.)

Die County iſt aber zweitens der Selbſtverwaltungskörper des
Verwaltungsrechts in zweiter Inſtanz. Das heißt, da die Ver-
waltungsakte der Behörde — der Friedensrichter — nur Vollziehungen
des geltenden Rechts ſind, ſo kann die Verwirklichung des Verwaltungs-
rechts überhaupt nur in dem Wege eines Recurſes geſchehen, und das
Organ, welches über dieſe Akte bei ſolchen Verwaltungsklagen ent-
ſcheidet, iſt dann eben die County. Nur muß man dabei eben den
Satz feſthalten, daß es ſich im Verwaltungsrecht jedesmal nur um das
Klagrecht handelt, welches in England das Recht und die Thätigkeit
der oberaufſehenden Behörde vertritt. Die Unterſcheidung zwiſchen bür-
gerlichem und Verwaltungsrecht, und mithin die zwiſchen jenen beiden
Funktionen exiſtirt formell nicht, ſondern muß in der Sache ſelbſt ge-
ſucht werden.

Dieſe landesgerichtliche Aufgabe der engliſchen Landſchaft, der
County gegenüber dem Syſteme der Gemeinde, iſt nun bei weitem
überwiegend. Dennoch hat dieſelbe auch einen Theil der wirklichen Ver-
waltung, und hier iſt es, wo ſie ſich den continentalen und namentlich
den deutſchen Landſtänden in ihrer Thätigkeit nähert, wenn auch das
ſociale Element faſt ganz verſchwunden iſt. Es iſt bei der engliſchen
County ſogar dieſelbe Unbeſtimmtheit der Gränze für die Punkte vor-
handen, in denen ſie noch eigentliche Verwaltungsrechte ausübt. Sie
ſind hier wie dort im Grunde Reſte des frühern Rechts, und ſchließen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0442" n="418"/>
Im Ganzen aber i&#x017F;t das Bild der County, für &#x017F;ich gedacht und ge-<lb/>
&#x017F;chieden in Organismus und Funktion von dem Gemeinde&#x017F;y&#x017F;tem, dem<lb/>
die innere Verwaltung unter der örtlichen Rechtspflege zufällt, folgendes.</p><lb/>
                <p>Die Aufgabe der County als Landesgericht i&#x017F;t eine doppelte. &#x201E;Die<lb/>
heutige Graf&#x017F;chaft i&#x017F;t ein aus zwei Sy&#x017F;temen zu&#x017F;ammenge&#x017F;etztes Com-<lb/>
munalwe&#x017F;en, in welchem die incorporirten Städte eine zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzte<lb/>
Bildung von Kreispolizei- und Ortsgemeindeverfa&#x017F;&#x017F;ung (&#x017F;. unten) dar-<lb/>
&#x017F;tellen.&#x201C;</p><lb/>
                <p>Die County i&#x017F;t nämlich <hi rendition="#g">zuer&#x017F;t</hi> der Selb&#x017F;tverwaltungskörper des<lb/><hi rendition="#g">Landesrechts</hi>, und zwar nach dem Untergang der alten <hi rendition="#aq">County<lb/>
Court</hi> (des hi&#x017F;tori&#x017F;chen Landesgerichts) und der Bedeutung des Sheriffs<lb/>
(Gnei&#x017F;t Cap. <hi rendition="#aq">III.</hi>) für das bürgerliche Recht in den <hi rendition="#aq">Quarterly sessions</hi><lb/>
der Friedensrichter, welche wieder eine <hi rendition="#aq">original jurisdiction</hi> (Landes-<lb/>
gericht als er&#x017F;te In&#x017F;tanz) und eine <hi rendition="#aq">appellate jurisdiction</hi> (Landesgericht<lb/>
als zweite In&#x017F;tanz) enthält. Die <hi rendition="#aq">Petty</hi> und die <hi rendition="#aq">Special sessions</hi> der<lb/>
Friedensrichter gehören &#x017F;chon dem Gemeinde&#x017F;y&#x017F;tem an. Für das Straf-<lb/>
recht treten die Grund&#x017F;ätze der Ge&#x017F;chworenenverfa&#x017F;&#x017F;ung ein, die &#x017F;owohl<lb/>
für die A&#x017F;&#x017F;i&#x017F;en als für die <hi rendition="#aq">Quarter sessions</hi> gelten, und für welche die<lb/>
alte County die Grundlage bildet. (Gnei&#x017F;t Cap. <hi rendition="#aq">V.</hi>)</p><lb/>
                <p>Die County i&#x017F;t aber <hi rendition="#g">zweitens</hi> der Selb&#x017F;tverwaltungskörper des<lb/><hi rendition="#g">Verwaltungsrechts</hi> in zweiter In&#x017F;tanz. Das heißt, da die Ver-<lb/>
waltungsakte der Behörde &#x2014; der Friedensrichter &#x2014; nur Vollziehungen<lb/>
des geltenden Rechts &#x017F;ind, &#x017F;o kann die Verwirklichung des Verwaltungs-<lb/>
rechts überhaupt nur in dem Wege eines Recur&#x017F;es ge&#x017F;chehen, und das<lb/>
Organ, welches über die&#x017F;e Akte bei &#x017F;olchen Verwaltungsklagen ent-<lb/>
&#x017F;cheidet, i&#x017F;t dann eben die County. Nur muß man dabei eben den<lb/>
Satz fe&#x017F;thalten, daß es &#x017F;ich im Verwaltungsrecht jedesmal nur um das<lb/>
Klagrecht handelt, welches in England das Recht und die Thätigkeit<lb/>
der oberauf&#x017F;ehenden Behörde vertritt. Die Unter&#x017F;cheidung zwi&#x017F;chen bür-<lb/>
gerlichem und Verwaltungsrecht, und mithin die zwi&#x017F;chen jenen beiden<lb/>
Funktionen exi&#x017F;tirt formell nicht, &#x017F;ondern muß in der Sache &#x017F;elb&#x017F;t ge-<lb/>
&#x017F;ucht werden.</p><lb/>
                <p>Die&#x017F;e landesgerichtliche Aufgabe der engli&#x017F;chen Land&#x017F;chaft, der<lb/>
County gegenüber dem Sy&#x017F;teme der Gemeinde, i&#x017F;t nun bei weitem<lb/>
überwiegend. Dennoch hat die&#x017F;elbe auch einen Theil der wirklichen Ver-<lb/>
waltung, und hier i&#x017F;t es, wo &#x017F;ie &#x017F;ich den continentalen und namentlich<lb/>
den deut&#x017F;chen Land&#x017F;tänden in ihrer Thätigkeit nähert, wenn auch das<lb/>
&#x017F;ociale Element fa&#x017F;t ganz ver&#x017F;chwunden i&#x017F;t. Es i&#x017F;t bei der engli&#x017F;chen<lb/>
County &#x017F;ogar die&#x017F;elbe Unbe&#x017F;timmtheit der Gränze für die Punkte vor-<lb/>
handen, in denen &#x017F;ie noch eigentliche Verwaltungsrechte ausübt. Sie<lb/>
&#x017F;ind hier wie dort im Grunde Re&#x017F;te des frühern Rechts, und &#x017F;chließen<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[418/0442] Im Ganzen aber iſt das Bild der County, für ſich gedacht und ge- ſchieden in Organismus und Funktion von dem Gemeindeſyſtem, dem die innere Verwaltung unter der örtlichen Rechtspflege zufällt, folgendes. Die Aufgabe der County als Landesgericht iſt eine doppelte. „Die heutige Grafſchaft iſt ein aus zwei Syſtemen zuſammengeſetztes Com- munalweſen, in welchem die incorporirten Städte eine zuſammengeſetzte Bildung von Kreispolizei- und Ortsgemeindeverfaſſung (ſ. unten) dar- ſtellen.“ Die County iſt nämlich zuerſt der Selbſtverwaltungskörper des Landesrechts, und zwar nach dem Untergang der alten County Court (des hiſtoriſchen Landesgerichts) und der Bedeutung des Sheriffs (Gneiſt Cap. III.) für das bürgerliche Recht in den Quarterly sessions der Friedensrichter, welche wieder eine original jurisdiction (Landes- gericht als erſte Inſtanz) und eine appellate jurisdiction (Landesgericht als zweite Inſtanz) enthält. Die Petty und die Special sessions der Friedensrichter gehören ſchon dem Gemeindeſyſtem an. Für das Straf- recht treten die Grundſätze der Geſchworenenverfaſſung ein, die ſowohl für die Aſſiſen als für die Quarter sessions gelten, und für welche die alte County die Grundlage bildet. (Gneiſt Cap. V.) Die County iſt aber zweitens der Selbſtverwaltungskörper des Verwaltungsrechts in zweiter Inſtanz. Das heißt, da die Ver- waltungsakte der Behörde — der Friedensrichter — nur Vollziehungen des geltenden Rechts ſind, ſo kann die Verwirklichung des Verwaltungs- rechts überhaupt nur in dem Wege eines Recurſes geſchehen, und das Organ, welches über dieſe Akte bei ſolchen Verwaltungsklagen ent- ſcheidet, iſt dann eben die County. Nur muß man dabei eben den Satz feſthalten, daß es ſich im Verwaltungsrecht jedesmal nur um das Klagrecht handelt, welches in England das Recht und die Thätigkeit der oberaufſehenden Behörde vertritt. Die Unterſcheidung zwiſchen bür- gerlichem und Verwaltungsrecht, und mithin die zwiſchen jenen beiden Funktionen exiſtirt formell nicht, ſondern muß in der Sache ſelbſt ge- ſucht werden. Dieſe landesgerichtliche Aufgabe der engliſchen Landſchaft, der County gegenüber dem Syſteme der Gemeinde, iſt nun bei weitem überwiegend. Dennoch hat dieſelbe auch einen Theil der wirklichen Ver- waltung, und hier iſt es, wo ſie ſich den continentalen und namentlich den deutſchen Landſtänden in ihrer Thätigkeit nähert, wenn auch das ſociale Element faſt ganz verſchwunden iſt. Es iſt bei der engliſchen County ſogar dieſelbe Unbeſtimmtheit der Gränze für die Punkte vor- handen, in denen ſie noch eigentliche Verwaltungsrechte ausübt. Sie ſind hier wie dort im Grunde Reſte des frühern Rechts, und ſchließen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/442
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/442>, abgerufen am 29.04.2024.