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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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daher die zweite große Frage über das Wesen der Selbstverwaltung im
Organismus des Staats, die Frage nach dem Verhältniß derselben
zum Systeme des Amtswesens und nach ihrer Fähigkeit und Be-
rechtigung, die amtliche Thätigkeit durch die des Staatsbürgerthums
zu ersetzen. Auf diese Weise nun charakterisirt sich das System der
Selbstverwaltung an dem Maße, in welchem dieselbe in den Verwal-
tungsgemeinden
zugelassen oder ausgeschlossen ist.

Das dritte Element ist nun das Recht der Selbstverwaltung.
Das erste Gebiet dieses Rechts ist unzweifelhaft das Verfassungs-
recht
dieser Selbstverwaltungskörper. Wir bezeichnen auch damit die-
jenige Ordnung, nach welcher die einzelnen Mitglieder dieser Körper
zur Theilnahme an der Selbstverwaltung berufen sind. Es liegt nahe,
daß dieses Verfassungsrecht stets aus dem Princip der Selbstverwaltung
hervorgehen wird, aber freilich muß es ein anderes für die Ortsgemeinde,
für die Verwaltungsgemeinde und für den Kreis sein. Das Folgende
wird zeigen, wie tief die Verschiedenheit auch auf diesem Gebiete zwischen
den Ländern Europas begründet ist.

Das zweite Gebiet jenes Rechts ist nun das Verwaltungsrecht.
Dieß Recht hat nun keinen andern Ausdruck und kein anderes Maß,
als das der Selbstbesteuerung. Die Steuer ist auch hier etwas
anderes als die bloße Abgabe. Sie ist auch in der Selbstverwaltung
das Mittel für einen Zweck. Sie drückt daher, indem mit dem Recht
auf diese Selbstbesteuerung zugleich das Recht auf die durch die Stände
bedingte wirkliche Verwaltung gegeben ist, überhaupt das Recht der
Selbstverwaltung auf ihren Antheil an der Verwaltung

des Staats oder das Verhältniß der ersteren zur zweiten aus. Das
Recht der Selbstbesteuerung ist daher keinesweges nur ein Recht, für
die Angehörigen eine Steuer auszuschreiben. Es ist vielmehr als eine
Pflicht anzusehen, gewisse Gebiete des öffentlichen Lebens selbst zu ver-
walten. Es ist daher kein Princip, sondern es ist vielmehr eine Con-
sequenz. Es unterscheidet sich damit wesentlich von der Steuerbewilligung
im Staate, denn es bewilligt nicht etwa Steuern für eine staatliche
Verwaltung, sondern für das von den Steuerzahlenden selbst eingesetzte
Organ der verwaltenden Thätigkeit. Es folgt daraus, daß es ein großer
Unterschied ist zwischen der Selbstbesteuerung in der Ortsgemeinde und
in der Verwaltungsgemeinde. Während nämlich jene ein ganz nahe
liegendes und fast unabweisbares Recht der Selbstverwaltung ist, zeigt
dieses im Gegentheil die höchste Entwicklung der letzteren an, und führt
uns zu der Frage nach der wahren und letzten Gränze derselben gegen-
über der Staatsverwaltung.

Das sind nun die allgemeinen Grundlagen, auf welchen sich die

daher die zweite große Frage über das Weſen der Selbſtverwaltung im
Organismus des Staats, die Frage nach dem Verhältniß derſelben
zum Syſteme des Amtsweſens und nach ihrer Fähigkeit und Be-
rechtigung, die amtliche Thätigkeit durch die des Staatsbürgerthums
zu erſetzen. Auf dieſe Weiſe nun charakteriſirt ſich das Syſtem der
Selbſtverwaltung an dem Maße, in welchem dieſelbe in den Verwal-
tungsgemeinden
zugelaſſen oder ausgeſchloſſen iſt.

Das dritte Element iſt nun das Recht der Selbſtverwaltung.
Das erſte Gebiet dieſes Rechts iſt unzweifelhaft das Verfaſſungs-
recht
dieſer Selbſtverwaltungskörper. Wir bezeichnen auch damit die-
jenige Ordnung, nach welcher die einzelnen Mitglieder dieſer Körper
zur Theilnahme an der Selbſtverwaltung berufen ſind. Es liegt nahe,
daß dieſes Verfaſſungsrecht ſtets aus dem Princip der Selbſtverwaltung
hervorgehen wird, aber freilich muß es ein anderes für die Ortsgemeinde,
für die Verwaltungsgemeinde und für den Kreis ſein. Das Folgende
wird zeigen, wie tief die Verſchiedenheit auch auf dieſem Gebiete zwiſchen
den Ländern Europas begründet iſt.

Das zweite Gebiet jenes Rechts iſt nun das Verwaltungsrecht.
Dieß Recht hat nun keinen andern Ausdruck und kein anderes Maß,
als das der Selbſtbeſteuerung. Die Steuer iſt auch hier etwas
anderes als die bloße Abgabe. Sie iſt auch in der Selbſtverwaltung
das Mittel für einen Zweck. Sie drückt daher, indem mit dem Recht
auf dieſe Selbſtbeſteuerung zugleich das Recht auf die durch die Stände
bedingte wirkliche Verwaltung gegeben iſt, überhaupt das Recht der
Selbſtverwaltung auf ihren Antheil an der Verwaltung

des Staats oder das Verhältniß der erſteren zur zweiten aus. Das
Recht der Selbſtbeſteuerung iſt daher keinesweges nur ein Recht, für
die Angehörigen eine Steuer auszuſchreiben. Es iſt vielmehr als eine
Pflicht anzuſehen, gewiſſe Gebiete des öffentlichen Lebens ſelbſt zu ver-
walten. Es iſt daher kein Princip, ſondern es iſt vielmehr eine Con-
ſequenz. Es unterſcheidet ſich damit weſentlich von der Steuerbewilligung
im Staate, denn es bewilligt nicht etwa Steuern für eine ſtaatliche
Verwaltung, ſondern für das von den Steuerzahlenden ſelbſt eingeſetzte
Organ der verwaltenden Thätigkeit. Es folgt daraus, daß es ein großer
Unterſchied iſt zwiſchen der Selbſtbeſteuerung in der Ortsgemeinde und
in der Verwaltungsgemeinde. Während nämlich jene ein ganz nahe
liegendes und faſt unabweisbares Recht der Selbſtverwaltung iſt, zeigt
dieſes im Gegentheil die höchſte Entwicklung der letzteren an, und führt
uns zu der Frage nach der wahren und letzten Gränze derſelben gegen-
über der Staatsverwaltung.

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[462/0486] daher die zweite große Frage über das Weſen der Selbſtverwaltung im Organismus des Staats, die Frage nach dem Verhältniß derſelben zum Syſteme des Amtsweſens und nach ihrer Fähigkeit und Be- rechtigung, die amtliche Thätigkeit durch die des Staatsbürgerthums zu erſetzen. Auf dieſe Weiſe nun charakteriſirt ſich das Syſtem der Selbſtverwaltung an dem Maße, in welchem dieſelbe in den Verwal- tungsgemeinden zugelaſſen oder ausgeſchloſſen iſt. Das dritte Element iſt nun das Recht der Selbſtverwaltung. Das erſte Gebiet dieſes Rechts iſt unzweifelhaft das Verfaſſungs- recht dieſer Selbſtverwaltungskörper. Wir bezeichnen auch damit die- jenige Ordnung, nach welcher die einzelnen Mitglieder dieſer Körper zur Theilnahme an der Selbſtverwaltung berufen ſind. Es liegt nahe, daß dieſes Verfaſſungsrecht ſtets aus dem Princip der Selbſtverwaltung hervorgehen wird, aber freilich muß es ein anderes für die Ortsgemeinde, für die Verwaltungsgemeinde und für den Kreis ſein. Das Folgende wird zeigen, wie tief die Verſchiedenheit auch auf dieſem Gebiete zwiſchen den Ländern Europas begründet iſt. Das zweite Gebiet jenes Rechts iſt nun das Verwaltungsrecht. Dieß Recht hat nun keinen andern Ausdruck und kein anderes Maß, als das der Selbſtbeſteuerung. Die Steuer iſt auch hier etwas anderes als die bloße Abgabe. Sie iſt auch in der Selbſtverwaltung das Mittel für einen Zweck. Sie drückt daher, indem mit dem Recht auf dieſe Selbſtbeſteuerung zugleich das Recht auf die durch die Stände bedingte wirkliche Verwaltung gegeben iſt, überhaupt das Recht der Selbſtverwaltung auf ihren Antheil an der Verwaltung des Staats oder das Verhältniß der erſteren zur zweiten aus. Das Recht der Selbſtbeſteuerung iſt daher keinesweges nur ein Recht, für die Angehörigen eine Steuer auszuſchreiben. Es iſt vielmehr als eine Pflicht anzuſehen, gewiſſe Gebiete des öffentlichen Lebens ſelbſt zu ver- walten. Es iſt daher kein Princip, ſondern es iſt vielmehr eine Con- ſequenz. Es unterſcheidet ſich damit weſentlich von der Steuerbewilligung im Staate, denn es bewilligt nicht etwa Steuern für eine ſtaatliche Verwaltung, ſondern für das von den Steuerzahlenden ſelbſt eingeſetzte Organ der verwaltenden Thätigkeit. Es folgt daraus, daß es ein großer Unterſchied iſt zwiſchen der Selbſtbeſteuerung in der Ortsgemeinde und in der Verwaltungsgemeinde. Während nämlich jene ein ganz nahe liegendes und faſt unabweisbares Recht der Selbſtverwaltung iſt, zeigt dieſes im Gegentheil die höchſte Entwicklung der letzteren an, und führt uns zu der Frage nach der wahren und letzten Gränze derſelben gegen- über der Staatsverwaltung. Das ſind nun die allgemeinen Grundlagen, auf welchen ſich die

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/486>, abgerufen am 29.04.2024.