Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

des Zweckes entspringt, gibt aber der Vereinigung als solcher einen
andern Charakter. Vermöge jener Dauer erscheint nämlich der Werth
der Leistung des einen Contrahenten von der wirklichen Leistung des
andern Contrahenten abhängig, und die Aufrechthaltung der einmal
eingegangenen Vereinigung von Seiten jedes Einzelnen wird dadurch,
als natürliche und wirthschaftliche Voraussetzung der Vereinigung selber,
zur Bedingung, und damit zum rechtlich angenommenen Inhalt der
Vereinigung. In ihr ist daher der Wille des einzelnen Contrahenten
nicht mehr freier Herr über seinen Antheil an der Vereinigung selbst.
Nur die Vereinigung aller Willen kann in Beziehung auf die Leistungen
und Verhältnisse der Vereinigung maßgebend werden. Es ist damit
schon etwas erzeugt, was zwar nicht über dem Willen aller Einzelnen,
wohl aber über dem Willen des Einzelnen steht; eine Form des persön-
lichen Lebens, welche ein, wenn auch nur durch den Zweck begränztes,
aber innerhalb dieses Zweckes dennoch selbständiges Dasein hat, welche
vermöge dieses selbständigen Daseins Wille und Thätigkeit besitzt, und
welche vermöge dieses selbständigen Wollens und Thuns den Einzel-
willen als ihren Inhalt betrachtet, das ist, Rechte und Pflichten für
den Einzelnen ohne sein persönliches Zuthun, wenn auch nur in Be-
ziehung auf das belastende Objekt der Vereinigung, erwerben und ver-
lieren kann. Hier ist daher eine andere höhere Gestalt der Gemeinschaft;
und diese Vereinigung mit einem dauernden Zwecke und den daraus
entspringenden Rechten und Pflichten des einzelnen Mitgliedes nennen
wir eine Gesellschaft.

Es ergibt sich daraus, daß man, während man einen Vertrag nur
über das schließen kann, was bereits im Vermögen des Einzelnen im
weitesten Sinn ist, eine Gesellschaft auch über alle anderen Dinge
eingehen kann. In der Gesellschaft erscheint allerdings wieder der Ver-
trag als derjenige Akt, welcher das Maß und die Art der Leistungen
und Rechte des Einzelnen bestimmt; aber die Gesellschaft ist kein Ver-
trag
, sondern schon eine, wenn auch eng begränzte, selbständige Ge-
meinschaft. Darum schließt man zwar einen Vertrag, aber man errichtet
eine Gesellschaft. Sie handelt innerhalb ihres Zweckes als persönliche
Einheit; sie wird als solche anerkannt, und diese Anerkennung heißt in
der wirthschaftlichen Welt die Firma. Aber ihr Begriff und Recht geht
weit über das wirthschaftliche Leben hinaus; es gibt gar keinen Zweck
des Lebens, für welchen man nicht eine Gesellschaft schließen könnte,
und eben deßhalb ist auch der Begriff der Gesellschaft in diesem Sinne
der allgemeine, dem sich der Begriff des Bereins als eine bestimmte
Art von Gesellschaften unterordnet. Daher kommt denn die Verwirrung
in dem Namen beider; im gewöhnlichen Leben werden beide Ausdrücke

des Zweckes entſpringt, gibt aber der Vereinigung als ſolcher einen
andern Charakter. Vermöge jener Dauer erſcheint nämlich der Werth
der Leiſtung des einen Contrahenten von der wirklichen Leiſtung des
andern Contrahenten abhängig, und die Aufrechthaltung der einmal
eingegangenen Vereinigung von Seiten jedes Einzelnen wird dadurch,
als natürliche und wirthſchaftliche Vorausſetzung der Vereinigung ſelber,
zur Bedingung, und damit zum rechtlich angenommenen Inhalt der
Vereinigung. In ihr iſt daher der Wille des einzelnen Contrahenten
nicht mehr freier Herr über ſeinen Antheil an der Vereinigung ſelbſt.
Nur die Vereinigung aller Willen kann in Beziehung auf die Leiſtungen
und Verhältniſſe der Vereinigung maßgebend werden. Es iſt damit
ſchon etwas erzeugt, was zwar nicht über dem Willen aller Einzelnen,
wohl aber über dem Willen des Einzelnen ſteht; eine Form des perſön-
lichen Lebens, welche ein, wenn auch nur durch den Zweck begränztes,
aber innerhalb dieſes Zweckes dennoch ſelbſtändiges Daſein hat, welche
vermöge dieſes ſelbſtändigen Daſeins Wille und Thätigkeit beſitzt, und
welche vermöge dieſes ſelbſtändigen Wollens und Thuns den Einzel-
willen als ihren Inhalt betrachtet, das iſt, Rechte und Pflichten für
den Einzelnen ohne ſein perſönliches Zuthun, wenn auch nur in Be-
ziehung auf das belaſtende Objekt der Vereinigung, erwerben und ver-
lieren kann. Hier iſt daher eine andere höhere Geſtalt der Gemeinſchaft;
und dieſe Vereinigung mit einem dauernden Zwecke und den daraus
entſpringenden Rechten und Pflichten des einzelnen Mitgliedes nennen
wir eine Geſellſchaft.

Es ergibt ſich daraus, daß man, während man einen Vertrag nur
über das ſchließen kann, was bereits im Vermögen des Einzelnen im
weiteſten Sinn iſt, eine Geſellſchaft auch über alle anderen Dinge
eingehen kann. In der Geſellſchaft erſcheint allerdings wieder der Ver-
trag als derjenige Akt, welcher das Maß und die Art der Leiſtungen
und Rechte des Einzelnen beſtimmt; aber die Geſellſchaft iſt kein Ver-
trag
, ſondern ſchon eine, wenn auch eng begränzte, ſelbſtändige Ge-
meinſchaft. Darum ſchließt man zwar einen Vertrag, aber man errichtet
eine Geſellſchaft. Sie handelt innerhalb ihres Zweckes als perſönliche
Einheit; ſie wird als ſolche anerkannt, und dieſe Anerkennung heißt in
der wirthſchaftlichen Welt die Firma. Aber ihr Begriff und Recht geht
weit über das wirthſchaftliche Leben hinaus; es gibt gar keinen Zweck
des Lebens, für welchen man nicht eine Geſellſchaft ſchließen könnte,
und eben deßhalb iſt auch der Begriff der Geſellſchaft in dieſem Sinne
der allgemeine, dem ſich der Begriff des Bereins als eine beſtimmte
Art von Geſellſchaften unterordnet. Daher kommt denn die Verwirrung
in dem Namen beider; im gewöhnlichen Leben werden beide Ausdrücke

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0593" n="569"/>
des Zweckes ent&#x017F;pringt, gibt aber der Vereinigung als &#x017F;olcher einen<lb/>
andern Charakter. Vermöge jener Dauer er&#x017F;cheint nämlich der Werth<lb/>
der Lei&#x017F;tung des einen Contrahenten von der wirklichen Lei&#x017F;tung des<lb/>
andern Contrahenten abhängig, und die Aufrechthaltung der einmal<lb/>
eingegangenen Vereinigung von Seiten jedes Einzelnen wird dadurch,<lb/>
als natürliche und wirth&#x017F;chaftliche Voraus&#x017F;etzung der Vereinigung &#x017F;elber,<lb/>
zur Bedingung, und damit zum rechtlich angenommenen <hi rendition="#g">Inhalt</hi> der<lb/>
Vereinigung. In ihr i&#x017F;t daher der Wille des <hi rendition="#g">einzelnen</hi> Contrahenten<lb/>
nicht mehr freier Herr über &#x017F;einen Antheil an der Vereinigung &#x017F;elb&#x017F;t.<lb/>
Nur die Vereinigung aller Willen kann in Beziehung auf die Lei&#x017F;tungen<lb/>
und Verhältni&#x017F;&#x017F;e der Vereinigung maßgebend werden. Es i&#x017F;t damit<lb/>
&#x017F;chon etwas erzeugt, was zwar nicht über dem Willen aller Einzelnen,<lb/>
wohl aber über dem Willen des Einzelnen &#x017F;teht; eine Form des per&#x017F;ön-<lb/>
lichen Lebens, welche ein, wenn auch nur durch den Zweck begränztes,<lb/>
aber innerhalb die&#x017F;es Zweckes dennoch &#x017F;elb&#x017F;tändiges Da&#x017F;ein hat, welche<lb/>
vermöge die&#x017F;es &#x017F;elb&#x017F;tändigen Da&#x017F;eins Wille und Thätigkeit be&#x017F;itzt, und<lb/>
welche vermöge die&#x017F;es &#x017F;elb&#x017F;tändigen Wollens und Thuns den Einzel-<lb/>
willen als ihren Inhalt betrachtet, das i&#x017F;t, Rechte und Pflichten für<lb/>
den Einzelnen ohne &#x017F;ein per&#x017F;önliches Zuthun, wenn auch nur in Be-<lb/>
ziehung auf das bela&#x017F;tende Objekt der Vereinigung, erwerben und ver-<lb/>
lieren kann. Hier i&#x017F;t daher eine andere höhere Ge&#x017F;talt der Gemein&#x017F;chaft;<lb/>
und die&#x017F;e Vereinigung mit einem <hi rendition="#g">dauernden</hi> Zwecke und den daraus<lb/>
ent&#x017F;pringenden Rechten und Pflichten des einzelnen Mitgliedes nennen<lb/>
wir eine <hi rendition="#g">Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft</hi>.</p><lb/>
                <p>Es ergibt &#x017F;ich daraus, daß man, während man einen Vertrag nur<lb/>
über das &#x017F;chließen kann, was bereits im Vermögen des Einzelnen im<lb/>
weite&#x017F;ten Sinn i&#x017F;t, eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft auch über <hi rendition="#g">alle</hi> anderen Dinge<lb/>
eingehen kann. In der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft er&#x017F;cheint allerdings wieder der Ver-<lb/>
trag als derjenige Akt, welcher das Maß und die Art der Lei&#x017F;tungen<lb/>
und Rechte des Einzelnen be&#x017F;timmt; aber die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft <hi rendition="#g">i&#x017F;t kein Ver-<lb/>
trag</hi>, &#x017F;ondern &#x017F;chon eine, wenn auch eng begränzte, &#x017F;elb&#x017F;tändige Ge-<lb/>
mein&#x017F;chaft. Darum &#x017F;chließt man zwar einen Vertrag, aber man errichtet<lb/>
eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft. Sie handelt innerhalb ihres Zweckes als per&#x017F;önliche<lb/>
Einheit; &#x017F;ie wird als &#x017F;olche anerkannt, und die&#x017F;e Anerkennung heißt in<lb/>
der wirth&#x017F;chaftlichen Welt die Firma. Aber ihr Begriff und Recht geht<lb/>
weit über das wirth&#x017F;chaftliche Leben hinaus; es gibt gar keinen Zweck<lb/>
des Lebens, für welchen man nicht eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;chließen könnte,<lb/>
und eben deßhalb i&#x017F;t auch der Begriff der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft in die&#x017F;em Sinne<lb/>
der allgemeine, dem &#x017F;ich der Begriff des Bereins als eine be&#x017F;timmte<lb/>
Art von Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften unterordnet. Daher kommt denn die Verwirrung<lb/>
in dem Namen beider; im gewöhnlichen Leben werden beide Ausdrücke<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[569/0593] des Zweckes entſpringt, gibt aber der Vereinigung als ſolcher einen andern Charakter. Vermöge jener Dauer erſcheint nämlich der Werth der Leiſtung des einen Contrahenten von der wirklichen Leiſtung des andern Contrahenten abhängig, und die Aufrechthaltung der einmal eingegangenen Vereinigung von Seiten jedes Einzelnen wird dadurch, als natürliche und wirthſchaftliche Vorausſetzung der Vereinigung ſelber, zur Bedingung, und damit zum rechtlich angenommenen Inhalt der Vereinigung. In ihr iſt daher der Wille des einzelnen Contrahenten nicht mehr freier Herr über ſeinen Antheil an der Vereinigung ſelbſt. Nur die Vereinigung aller Willen kann in Beziehung auf die Leiſtungen und Verhältniſſe der Vereinigung maßgebend werden. Es iſt damit ſchon etwas erzeugt, was zwar nicht über dem Willen aller Einzelnen, wohl aber über dem Willen des Einzelnen ſteht; eine Form des perſön- lichen Lebens, welche ein, wenn auch nur durch den Zweck begränztes, aber innerhalb dieſes Zweckes dennoch ſelbſtändiges Daſein hat, welche vermöge dieſes ſelbſtändigen Daſeins Wille und Thätigkeit beſitzt, und welche vermöge dieſes ſelbſtändigen Wollens und Thuns den Einzel- willen als ihren Inhalt betrachtet, das iſt, Rechte und Pflichten für den Einzelnen ohne ſein perſönliches Zuthun, wenn auch nur in Be- ziehung auf das belaſtende Objekt der Vereinigung, erwerben und ver- lieren kann. Hier iſt daher eine andere höhere Geſtalt der Gemeinſchaft; und dieſe Vereinigung mit einem dauernden Zwecke und den daraus entſpringenden Rechten und Pflichten des einzelnen Mitgliedes nennen wir eine Geſellſchaft. Es ergibt ſich daraus, daß man, während man einen Vertrag nur über das ſchließen kann, was bereits im Vermögen des Einzelnen im weiteſten Sinn iſt, eine Geſellſchaft auch über alle anderen Dinge eingehen kann. In der Geſellſchaft erſcheint allerdings wieder der Ver- trag als derjenige Akt, welcher das Maß und die Art der Leiſtungen und Rechte des Einzelnen beſtimmt; aber die Geſellſchaft iſt kein Ver- trag, ſondern ſchon eine, wenn auch eng begränzte, ſelbſtändige Ge- meinſchaft. Darum ſchließt man zwar einen Vertrag, aber man errichtet eine Geſellſchaft. Sie handelt innerhalb ihres Zweckes als perſönliche Einheit; ſie wird als ſolche anerkannt, und dieſe Anerkennung heißt in der wirthſchaftlichen Welt die Firma. Aber ihr Begriff und Recht geht weit über das wirthſchaftliche Leben hinaus; es gibt gar keinen Zweck des Lebens, für welchen man nicht eine Geſellſchaft ſchließen könnte, und eben deßhalb iſt auch der Begriff der Geſellſchaft in dieſem Sinne der allgemeine, dem ſich der Begriff des Bereins als eine beſtimmte Art von Geſellſchaften unterordnet. Daher kommt denn die Verwirrung in dem Namen beider; im gewöhnlichen Leben werden beide Ausdrücke

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/593
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/593>, abgerufen am 30.04.2024.