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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Jahren des vorigen Jahrhunderts gehaltenen Cardinalcongregationen vor-
legte (Theiner, Einführung etc. II. Abth. 2. S. 1030--31). Wir be-
merken hier nur, daß die Bedenken gegen die Ehe der Geistlichkeit sich
immer auf zwei Hauptpunkte bezogen haben. Zuerst hat man das Cö-
libat als eine Gefährdung der Sitte angegriffen, wobei nicht zu über-
sehen ist, daß dieß auch geändert werden kann, und zwar theils durch
die allgemeine Veredlung der Sitten, theils durch die Gesetzgebung.
Ueber den letztern Punkt hat eigentlich Montesquieu in seiner schla-
genden Weise das Beste gesagt, was sich hier sagen läßt. "Le celibat,"
sagt er (L. XXIV. c. 7.), "fut un conseil du christianisme; lors-
qu'on en fit une loi pour un certain ordre de gens, il en fallut cha-
que jour renouveller -- le legislateur se fatigua, et il fatigua la
societe."
(Vergl. dazu M. Dupin, Bibliotheque des auteurs eccle-
siastiques du sixieme siecle.
) Die Beurtheilungen des Cölibats in
seinen Folgen, wie namentlich die von Theiner, leiden in diesem Punkte
wesentlich daran, daß sie als etwas exceptionelles und vorzugsweise der
Geistlichkeit zur Last fallendes hinstellen, was doch in der Barbarei der
ganzen Zeit lag, so viel Wahres und Ernstes auch in einem Gebrechen
liegen mag, das sich selbst in diesem Stande Jahrhunderte erhielt. --
Zweitens aber hat man, namentlich in neuerer Zeit (Carove I. Seite
115 ff.), das Cölibat als ein Institut angegriffen, welches das stärkste
Hinderniß zur Einigkeit zwischen Katholiken und Prote-
stanten bildet
; und daran ist, so lange ein Cölibat besteht, nichts
zu ändern
. -- Uebrigens liegt uns die Frage von dieser Seite zu
fern, um weiter auf sie einzugehen.

2) Ein ganz anderes Gebiet betreten wir nun in dem militäri-
schen und amtlichen Eherecht
. Das Princip dieses Eherechts hat
zu seiner allgemeinen Basis allerdings auch den Beruf, allein bei ihm
wird die Ehe nicht wie bei der katholischen Geistlichkeit als im Wider-
spruch mit dem Berufe, sondern an sich als in voller Zulässigkeit unter
demselben angenommen. Allein der Waffen- und der amtliche Beruf
fordern wie jeder dauernde Lebensberuf im eigentlichen Sinne eine Ein-
nahme, und diese Einnahme wird daher zur Bedingung der Berufs-
erfüllung. Hier ist es nun, wo die Frage entsteht, ob die Ehe, welche
vermöge der aus ihr hervorgehenden Familie eine nicht mehr bloß dem
Einzelnen, sondern der ganzen Familie entsprechende Einnahme fordert,
bei diesem Berufe noch zulässig ist; und hier hat sich daher der Satz
gebildet, daß die an sich freie Ehe nur dann innerhalb des Berufes
zulässig erscheint, wenn die berufsmäßige Einnahme für die Familie
ausreicht. Dieser Satz hat seine Anwendung gefunden auf den Wehr-
stand
, indem bei den Berufskriegern, das ist bei dem ganzen Körper

Jahren des vorigen Jahrhunderts gehaltenen Cardinalcongregationen vor-
legte (Theiner, Einführung ꝛc. II. Abth. 2. S. 1030—31). Wir be-
merken hier nur, daß die Bedenken gegen die Ehe der Geiſtlichkeit ſich
immer auf zwei Hauptpunkte bezogen haben. Zuerſt hat man das Cö-
libat als eine Gefährdung der Sitte angegriffen, wobei nicht zu über-
ſehen iſt, daß dieß auch geändert werden kann, und zwar theils durch
die allgemeine Veredlung der Sitten, theils durch die Geſetzgebung.
Ueber den letztern Punkt hat eigentlich Montesquieu in ſeiner ſchla-
genden Weiſe das Beſte geſagt, was ſich hier ſagen läßt. „Le célibat,“
ſagt er (L. XXIV. c. 7.), „fut un conseil du christianisme; lors-
qu’on en fit une loi pour un certain ordre de gens, il en fallut cha-
que jour renouveller — le legislateur se fatigua, et il fatigua la
société.“
(Vergl. dazu M. Dupin, Bibliothèque des auteurs eccle-
siastiques du sixième siècle.
) Die Beurtheilungen des Cölibats in
ſeinen Folgen, wie namentlich die von Theiner, leiden in dieſem Punkte
weſentlich daran, daß ſie als etwas exceptionelles und vorzugsweiſe der
Geiſtlichkeit zur Laſt fallendes hinſtellen, was doch in der Barbarei der
ganzen Zeit lag, ſo viel Wahres und Ernſtes auch in einem Gebrechen
liegen mag, das ſich ſelbſt in dieſem Stande Jahrhunderte erhielt. —
Zweitens aber hat man, namentlich in neuerer Zeit (Carové I. Seite
115 ff.), das Cölibat als ein Inſtitut angegriffen, welches das ſtärkſte
Hinderniß zur Einigkeit zwiſchen Katholiken und Prote-
ſtanten bildet
; und daran iſt, ſo lange ein Cölibat beſteht, nichts
zu ändern
. — Uebrigens liegt uns die Frage von dieſer Seite zu
fern, um weiter auf ſie einzugehen.

2) Ein ganz anderes Gebiet betreten wir nun in dem militäri-
ſchen und amtlichen Eherecht
. Das Princip dieſes Eherechts hat
zu ſeiner allgemeinen Baſis allerdings auch den Beruf, allein bei ihm
wird die Ehe nicht wie bei der katholiſchen Geiſtlichkeit als im Wider-
ſpruch mit dem Berufe, ſondern an ſich als in voller Zuläſſigkeit unter
demſelben angenommen. Allein der Waffen- und der amtliche Beruf
fordern wie jeder dauernde Lebensberuf im eigentlichen Sinne eine Ein-
nahme, und dieſe Einnahme wird daher zur Bedingung der Berufs-
erfüllung. Hier iſt es nun, wo die Frage entſteht, ob die Ehe, welche
vermöge der aus ihr hervorgehenden Familie eine nicht mehr bloß dem
Einzelnen, ſondern der ganzen Familie entſprechende Einnahme fordert,
bei dieſem Berufe noch zuläſſig iſt; und hier hat ſich daher der Satz
gebildet, daß die an ſich freie Ehe nur dann innerhalb des Berufes
zuläſſig erſcheint, wenn die berufsmäßige Einnahme für die Familie
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ſtand
, indem bei den Berufskriegern, das iſt bei dem ganzen Körper

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[138/0160] Jahren des vorigen Jahrhunderts gehaltenen Cardinalcongregationen vor- legte (Theiner, Einführung ꝛc. II. Abth. 2. S. 1030—31). Wir be- merken hier nur, daß die Bedenken gegen die Ehe der Geiſtlichkeit ſich immer auf zwei Hauptpunkte bezogen haben. Zuerſt hat man das Cö- libat als eine Gefährdung der Sitte angegriffen, wobei nicht zu über- ſehen iſt, daß dieß auch geändert werden kann, und zwar theils durch die allgemeine Veredlung der Sitten, theils durch die Geſetzgebung. Ueber den letztern Punkt hat eigentlich Montesquieu in ſeiner ſchla- genden Weiſe das Beſte geſagt, was ſich hier ſagen läßt. „Le célibat,“ ſagt er (L. XXIV. c. 7.), „fut un conseil du christianisme; lors- qu’on en fit une loi pour un certain ordre de gens, il en fallut cha- que jour renouveller — le legislateur se fatigua, et il fatigua la société.“ (Vergl. dazu M. Dupin, Bibliothèque des auteurs eccle- siastiques du sixième siècle.) Die Beurtheilungen des Cölibats in ſeinen Folgen, wie namentlich die von Theiner, leiden in dieſem Punkte weſentlich daran, daß ſie als etwas exceptionelles und vorzugsweiſe der Geiſtlichkeit zur Laſt fallendes hinſtellen, was doch in der Barbarei der ganzen Zeit lag, ſo viel Wahres und Ernſtes auch in einem Gebrechen liegen mag, das ſich ſelbſt in dieſem Stande Jahrhunderte erhielt. — Zweitens aber hat man, namentlich in neuerer Zeit (Carové I. Seite 115 ff.), das Cölibat als ein Inſtitut angegriffen, welches das ſtärkſte Hinderniß zur Einigkeit zwiſchen Katholiken und Prote- ſtanten bildet; und daran iſt, ſo lange ein Cölibat beſteht, nichts zu ändern. — Uebrigens liegt uns die Frage von dieſer Seite zu fern, um weiter auf ſie einzugehen. 2) Ein ganz anderes Gebiet betreten wir nun in dem militäri- ſchen und amtlichen Eherecht. Das Princip dieſes Eherechts hat zu ſeiner allgemeinen Baſis allerdings auch den Beruf, allein bei ihm wird die Ehe nicht wie bei der katholiſchen Geiſtlichkeit als im Wider- ſpruch mit dem Berufe, ſondern an ſich als in voller Zuläſſigkeit unter demſelben angenommen. Allein der Waffen- und der amtliche Beruf fordern wie jeder dauernde Lebensberuf im eigentlichen Sinne eine Ein- nahme, und dieſe Einnahme wird daher zur Bedingung der Berufs- erfüllung. Hier iſt es nun, wo die Frage entſteht, ob die Ehe, welche vermöge der aus ihr hervorgehenden Familie eine nicht mehr bloß dem Einzelnen, ſondern der ganzen Familie entſprechende Einnahme fordert, bei dieſem Berufe noch zuläſſig iſt; und hier hat ſich daher der Satz gebildet, daß die an ſich freie Ehe nur dann innerhalb des Berufes zuläſſig erſcheint, wenn die berufsmäßige Einnahme für die Familie ausreicht. Dieſer Satz hat ſeine Anwendung gefunden auf den Wehr- ſtand, indem bei den Berufskriegern, das iſt bei dem ganzen Körper

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/160>, abgerufen am 28.04.2024.