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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Zunftwesen beseitigte, ließ sie es in Deutschland bestehen, und mit ihm
den Grundsatz, daß die Ehe auch jetzt noch keine freie sein könne. Nur
gewinnt dieser Grundsatz jetzt eine neue, seine dritte Gestalt, und diese
besteht in ihren Grundzügen noch gegenwärtig fort.

Mit dem Auftreten der verfassungsmäßigen Epoche erscheint näm-
lich, wie wir in der vollziehenden Gewalt dargelegt, der Grundsatz, daß
die Gemeinde frei, daß sie aber auch das verpflichtete Organ für alle
örtlichen Verwaltungsaufgaben sein müsse. Eine dieser Aufgaben ist
die Armenunterstützung. Die Verpflichtung zur Armenunterstützung em-
pfängt daher jetzt einen neuen Namen; sie heißt das Heimathsrecht.
Jede Ortsgemeinde wird in dieser Gestalt des öffentlichen Rechts daher
ein Verwaltungskörper für das Hülfswesen seiner Angehörigen. Hatte
nun schon früher der Erwerb des Rechts auf Gewerbebetrieb durch die
Ehe der Zustimmung der Gemeinden unterstanden, so schien es jetzt,
wo die Armenunterstützung zur gesetzlichen Pflicht der Ortsgemeinde
ward, nur natürlich und consequent, daß vermöge derselben auch bei
der Ehe, durch welche das Recht auf die letztere erst gewonnen ward,
der Ortsgemeinde eine Zustimmung gewahrt werde. Zwar wagte man
nicht recht mehr, wie im vorigen Jahrhundert, diese Zustimmung auf
die Zunftprivilegien und das Interesse des ausschließlichen Gewerbe-
betriebes zurückzuführen, wohl aber ward dieß Sonderinteresse ein treuer
Bundesgenosse des allgemeinen Gemeindeinteresses, sich so wenig als
möglich Unterstützungspflichten durch Zulassung der Ehen Unbemittelter
aufzubürden. Und als es daher jetzt galt, neue Gemeindeordnungen zu
machen, reichten sich beide Faktoren die Hand, und sie zusammen haben
das gegenwärtige öffentliche Eherecht Deutschlands, das wir, einzig in
seiner Art, das Gemeindebewilligungsrecht der Ehe nennen
müssen.

Es ist uns nun zwar nicht möglich gewesen, alle Bestimmungen,
die dahin gehören, und alle Quellen dafür aufzufinden. Allein das
Wesentliche glauben wir dennoch beibringen und den Beweis liefern zu
können, wie weit wir noch hinter den andern Nationen in dieser zwar
speciellen, aber doch so wichtigen Frage zurückstehen.

Im Allgemeinen beruht nämlich das deutsche Gemeinderecht der
Ehebewilligung auf dem oft mit großer Naivetät ausgesprochenen Ge-
danken, durch das Recht der Bewilligung der Ehe der Unbe-
mittelten sich die Last der Unterstützung der Kinder dersel-
ben fern zu halten
. Es hat ein halbes Jahrhundert dazu gehört,
um zu der Einsicht zu kommen, daß die Gemeinden, vorausgesetzt
daß der Zweck richtig wäre, diesen Zweck eben durch die Mittel nicht
erreichen
, da die unehelichen Kinder genau dieselben Ansprüche haben

Zunftweſen beſeitigte, ließ ſie es in Deutſchland beſtehen, und mit ihm
den Grundſatz, daß die Ehe auch jetzt noch keine freie ſein könne. Nur
gewinnt dieſer Grundſatz jetzt eine neue, ſeine dritte Geſtalt, und dieſe
beſteht in ihren Grundzügen noch gegenwärtig fort.

Mit dem Auftreten der verfaſſungsmäßigen Epoche erſcheint näm-
lich, wie wir in der vollziehenden Gewalt dargelegt, der Grundſatz, daß
die Gemeinde frei, daß ſie aber auch das verpflichtete Organ für alle
örtlichen Verwaltungsaufgaben ſein müſſe. Eine dieſer Aufgaben iſt
die Armenunterſtützung. Die Verpflichtung zur Armenunterſtützung em-
pfängt daher jetzt einen neuen Namen; ſie heißt das Heimathsrecht.
Jede Ortsgemeinde wird in dieſer Geſtalt des öffentlichen Rechts daher
ein Verwaltungskörper für das Hülfsweſen ſeiner Angehörigen. Hatte
nun ſchon früher der Erwerb des Rechts auf Gewerbebetrieb durch die
Ehe der Zuſtimmung der Gemeinden unterſtanden, ſo ſchien es jetzt,
wo die Armenunterſtützung zur geſetzlichen Pflicht der Ortsgemeinde
ward, nur natürlich und conſequent, daß vermöge derſelben auch bei
der Ehe, durch welche das Recht auf die letztere erſt gewonnen ward,
der Ortsgemeinde eine Zuſtimmung gewahrt werde. Zwar wagte man
nicht recht mehr, wie im vorigen Jahrhundert, dieſe Zuſtimmung auf
die Zunftprivilegien und das Intereſſe des ausſchließlichen Gewerbe-
betriebes zurückzuführen, wohl aber ward dieß Sonderintereſſe ein treuer
Bundesgenoſſe des allgemeinen Gemeindeintereſſes, ſich ſo wenig als
möglich Unterſtützungspflichten durch Zulaſſung der Ehen Unbemittelter
aufzubürden. Und als es daher jetzt galt, neue Gemeindeordnungen zu
machen, reichten ſich beide Faktoren die Hand, und ſie zuſammen haben
das gegenwärtige öffentliche Eherecht Deutſchlands, das wir, einzig in
ſeiner Art, das Gemeindebewilligungsrecht der Ehe nennen
müſſen.

Es iſt uns nun zwar nicht möglich geweſen, alle Beſtimmungen,
die dahin gehören, und alle Quellen dafür aufzufinden. Allein das
Weſentliche glauben wir dennoch beibringen und den Beweis liefern zu
können, wie weit wir noch hinter den andern Nationen in dieſer zwar
ſpeciellen, aber doch ſo wichtigen Frage zurückſtehen.

Im Allgemeinen beruht nämlich das deutſche Gemeinderecht der
Ehebewilligung auf dem oft mit großer Naivetät ausgeſprochenen Ge-
danken, durch das Recht der Bewilligung der Ehe der Unbe-
mittelten ſich die Laſt der Unterſtützung der Kinder derſel-
ben fern zu halten
. Es hat ein halbes Jahrhundert dazu gehört,
um zu der Einſicht zu kommen, daß die Gemeinden, vorausgeſetzt
daß der Zweck richtig wäre, dieſen Zweck eben durch die Mittel nicht
erreichen
, da die unehelichen Kinder genau dieſelben Anſprüche haben

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[152/0174] Zunftweſen beſeitigte, ließ ſie es in Deutſchland beſtehen, und mit ihm den Grundſatz, daß die Ehe auch jetzt noch keine freie ſein könne. Nur gewinnt dieſer Grundſatz jetzt eine neue, ſeine dritte Geſtalt, und dieſe beſteht in ihren Grundzügen noch gegenwärtig fort. Mit dem Auftreten der verfaſſungsmäßigen Epoche erſcheint näm- lich, wie wir in der vollziehenden Gewalt dargelegt, der Grundſatz, daß die Gemeinde frei, daß ſie aber auch das verpflichtete Organ für alle örtlichen Verwaltungsaufgaben ſein müſſe. Eine dieſer Aufgaben iſt die Armenunterſtützung. Die Verpflichtung zur Armenunterſtützung em- pfängt daher jetzt einen neuen Namen; ſie heißt das Heimathsrecht. Jede Ortsgemeinde wird in dieſer Geſtalt des öffentlichen Rechts daher ein Verwaltungskörper für das Hülfsweſen ſeiner Angehörigen. Hatte nun ſchon früher der Erwerb des Rechts auf Gewerbebetrieb durch die Ehe der Zuſtimmung der Gemeinden unterſtanden, ſo ſchien es jetzt, wo die Armenunterſtützung zur geſetzlichen Pflicht der Ortsgemeinde ward, nur natürlich und conſequent, daß vermöge derſelben auch bei der Ehe, durch welche das Recht auf die letztere erſt gewonnen ward, der Ortsgemeinde eine Zuſtimmung gewahrt werde. Zwar wagte man nicht recht mehr, wie im vorigen Jahrhundert, dieſe Zuſtimmung auf die Zunftprivilegien und das Intereſſe des ausſchließlichen Gewerbe- betriebes zurückzuführen, wohl aber ward dieß Sonderintereſſe ein treuer Bundesgenoſſe des allgemeinen Gemeindeintereſſes, ſich ſo wenig als möglich Unterſtützungspflichten durch Zulaſſung der Ehen Unbemittelter aufzubürden. Und als es daher jetzt galt, neue Gemeindeordnungen zu machen, reichten ſich beide Faktoren die Hand, und ſie zuſammen haben das gegenwärtige öffentliche Eherecht Deutſchlands, das wir, einzig in ſeiner Art, das Gemeindebewilligungsrecht der Ehe nennen müſſen. Es iſt uns nun zwar nicht möglich geweſen, alle Beſtimmungen, die dahin gehören, und alle Quellen dafür aufzufinden. Allein das Weſentliche glauben wir dennoch beibringen und den Beweis liefern zu können, wie weit wir noch hinter den andern Nationen in dieſer zwar ſpeciellen, aber doch ſo wichtigen Frage zurückſtehen. Im Allgemeinen beruht nämlich das deutſche Gemeinderecht der Ehebewilligung auf dem oft mit großer Naivetät ausgeſprochenen Ge- danken, durch das Recht der Bewilligung der Ehe der Unbe- mittelten ſich die Laſt der Unterſtützung der Kinder derſel- ben fern zu halten. Es hat ein halbes Jahrhundert dazu gehört, um zu der Einſicht zu kommen, daß die Gemeinden, vorausgeſetzt daß der Zweck richtig wäre, dieſen Zweck eben durch die Mittel nicht erreichen, da die unehelichen Kinder genau dieſelben Anſprüche haben

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/174>, abgerufen am 28.04.2024.