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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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vorgebliche Erforderniß der Landsässigkeit siehe besonders Riccius vom
landsäßigen Adel Cap. 19. §. 48 und Mevius Comment. ad Jus
Lubecence II. T.
1. §. 5). Selbst die Universitäten als selbständige
Körperschaften hatten das jus detractus. Die Sache war dadurch für
alle Gutsherren von großer privatrechtlicher Wichtigkeit, da in Deutsch-
land wie in Fankreich das ganze Land in lauter Grundherrlichkeiten
aufgelöst war. Man wird daher leicht begreifen, daß sie zu einer
außerordentlichen Entwicklung der juristischen Literatur Grund gab, die
eben weil sie nur vom bestehenden Privatrecht handelte, sich um jeden
allgemeinern Gesichtspunkt gar nicht kümmerte, und rein als juristische
Literatur erscheint. Diese streng juristische Behandlung der Sache
hat sich in der deutschen Rechtsgeschichte erhalten, selbst Eichhorn
hat sie nur juristisch aufgefaßt (§. 373), und trotz der Bemühungen
Fischers und Bergs, die die administrative Bedeutung der Sache
recht gut verstanden, hat die neuere Wissenschaft, wie bei Mitter-
maier, Gerber
u. a., nichts als ein interessantes Rechtsinstitut darin
zu erkennen vermocht. Jedenfalls aber kann es nunmehr wohl nicht
zweifelhaft sein, daß dieß Abzugsrecht dem Auswanderungsrecht der
ständischen Epoche angehört; und um uns den Inhalt der folgenden
Epoche klar zu machen, können wir dasselbe nunmehr in seinen zwei
Punkten zusammenfassen.

Das grundherrliche Auswanderungsrecht war ein doppeltes; ein
persönliches und ein wirthschaftliches. Das persönliche Aus-
wanderungsrecht bestand in dem Verbote der Auswanderung für den
Hörigen und Leibeigenen; die Auswanderung des glebae adscriptus
war ein Vergehen gegen das Recht des Herrn und konnte von ihm
bestraft werden. Nur der Freie konnte persönlich auswandern, und
diese persönliche Auswanderung war eine unbeschränkte. Dagegen
bestand das wirthschaftliche Auswanderungsrecht ursprünglich in
dem vollen Heimfallsrecht des Vermögens an die Gemeinde oder den
Grundherrn, bis an die Stelle desselben das Abzugsrecht als ein
Privatrecht der Grundherrlichkeit tritt und als solches von der gesammten
Gesetzgebung und Jurisprudenz anerkannt wird.

An dieser ganzen Rechtsbildung hat nun die Verwaltung des
Staats noch gar keinen Antheil. Sie hat auch noch kein Princip
über die Auswanderung. Erst mit diesem entsteht das Streben, an die
Stelle dieses grundherrlichen Auswanderungsrechts ein staatliches, im
engeren Sinne des Wortes administratives zu setzen; und das nun
geschieht in der jetzt folgenden Epoche, deren Inhalt und Entwicklung
wir nunmehr angeben wollen.

Stein, die Verwaltungslehre. II. 13

vorgebliche Erforderniß der Landſäſſigkeit ſiehe beſonders Riccius vom
landſäßigen Adel Cap. 19. §. 48 und Mevius Comment. ad Jus
Lubecence II. T.
1. §. 5). Selbſt die Univerſitäten als ſelbſtändige
Körperſchaften hatten das jus detractus. Die Sache war dadurch für
alle Gutsherren von großer privatrechtlicher Wichtigkeit, da in Deutſch-
land wie in Fankreich das ganze Land in lauter Grundherrlichkeiten
aufgelöst war. Man wird daher leicht begreifen, daß ſie zu einer
außerordentlichen Entwicklung der juriſtiſchen Literatur Grund gab, die
eben weil ſie nur vom beſtehenden Privatrecht handelte, ſich um jeden
allgemeinern Geſichtspunkt gar nicht kümmerte, und rein als juriſtiſche
Literatur erſcheint. Dieſe ſtreng juriſtiſche Behandlung der Sache
hat ſich in der deutſchen Rechtsgeſchichte erhalten, ſelbſt Eichhorn
hat ſie nur juriſtiſch aufgefaßt (§. 373), und trotz der Bemühungen
Fiſchers und Bergs, die die adminiſtrative Bedeutung der Sache
recht gut verſtanden, hat die neuere Wiſſenſchaft, wie bei Mitter-
maier, Gerber
u. a., nichts als ein intereſſantes Rechtsinſtitut darin
zu erkennen vermocht. Jedenfalls aber kann es nunmehr wohl nicht
zweifelhaft ſein, daß dieß Abzugsrecht dem Auswanderungsrecht der
ſtändiſchen Epoche angehört; und um uns den Inhalt der folgenden
Epoche klar zu machen, können wir daſſelbe nunmehr in ſeinen zwei
Punkten zuſammenfaſſen.

Das grundherrliche Auswanderungsrecht war ein doppeltes; ein
perſönliches und ein wirthſchaftliches. Das perſönliche Aus-
wanderungsrecht beſtand in dem Verbote der Auswanderung für den
Hörigen und Leibeigenen; die Auswanderung des glebae adscriptus
war ein Vergehen gegen das Recht des Herrn und konnte von ihm
beſtraft werden. Nur der Freie konnte perſönlich auswandern, und
dieſe perſönliche Auswanderung war eine unbeſchränkte. Dagegen
beſtand das wirthſchaftliche Auswanderungsrecht urſprünglich in
dem vollen Heimfallsrecht des Vermögens an die Gemeinde oder den
Grundherrn, bis an die Stelle deſſelben das Abzugsrecht als ein
Privatrecht der Grundherrlichkeit tritt und als ſolches von der geſammten
Geſetzgebung und Jurisprudenz anerkannt wird.

An dieſer ganzen Rechtsbildung hat nun die Verwaltung des
Staats noch gar keinen Antheil. Sie hat auch noch kein Princip
über die Auswanderung. Erſt mit dieſem entſteht das Streben, an die
Stelle dieſes grundherrlichen Auswanderungsrechts ein ſtaatliches, im
engeren Sinne des Wortes adminiſtratives zu ſetzen; und das nun
geſchieht in der jetzt folgenden Epoche, deren Inhalt und Entwicklung
wir nunmehr angeben wollen.

Stein, die Verwaltungslehre. II. 13
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[193/0215] vorgebliche Erforderniß der Landſäſſigkeit ſiehe beſonders Riccius vom landſäßigen Adel Cap. 19. §. 48 und Mevius Comment. ad Jus Lubecence II. T. 1. §. 5). Selbſt die Univerſitäten als ſelbſtändige Körperſchaften hatten das jus detractus. Die Sache war dadurch für alle Gutsherren von großer privatrechtlicher Wichtigkeit, da in Deutſch- land wie in Fankreich das ganze Land in lauter Grundherrlichkeiten aufgelöst war. Man wird daher leicht begreifen, daß ſie zu einer außerordentlichen Entwicklung der juriſtiſchen Literatur Grund gab, die eben weil ſie nur vom beſtehenden Privatrecht handelte, ſich um jeden allgemeinern Geſichtspunkt gar nicht kümmerte, und rein als juriſtiſche Literatur erſcheint. Dieſe ſtreng juriſtiſche Behandlung der Sache hat ſich in der deutſchen Rechtsgeſchichte erhalten, ſelbſt Eichhorn hat ſie nur juriſtiſch aufgefaßt (§. 373), und trotz der Bemühungen Fiſchers und Bergs, die die adminiſtrative Bedeutung der Sache recht gut verſtanden, hat die neuere Wiſſenſchaft, wie bei Mitter- maier, Gerber u. a., nichts als ein intereſſantes Rechtsinſtitut darin zu erkennen vermocht. Jedenfalls aber kann es nunmehr wohl nicht zweifelhaft ſein, daß dieß Abzugsrecht dem Auswanderungsrecht der ſtändiſchen Epoche angehört; und um uns den Inhalt der folgenden Epoche klar zu machen, können wir daſſelbe nunmehr in ſeinen zwei Punkten zuſammenfaſſen. Das grundherrliche Auswanderungsrecht war ein doppeltes; ein perſönliches und ein wirthſchaftliches. Das perſönliche Aus- wanderungsrecht beſtand in dem Verbote der Auswanderung für den Hörigen und Leibeigenen; die Auswanderung des glebae adscriptus war ein Vergehen gegen das Recht des Herrn und konnte von ihm beſtraft werden. Nur der Freie konnte perſönlich auswandern, und dieſe perſönliche Auswanderung war eine unbeſchränkte. Dagegen beſtand das wirthſchaftliche Auswanderungsrecht urſprünglich in dem vollen Heimfallsrecht des Vermögens an die Gemeinde oder den Grundherrn, bis an die Stelle deſſelben das Abzugsrecht als ein Privatrecht der Grundherrlichkeit tritt und als ſolches von der geſammten Geſetzgebung und Jurisprudenz anerkannt wird. An dieſer ganzen Rechtsbildung hat nun die Verwaltung des Staats noch gar keinen Antheil. Sie hat auch noch kein Princip über die Auswanderung. Erſt mit dieſem entſteht das Streben, an die Stelle dieſes grundherrlichen Auswanderungsrechts ein ſtaatliches, im engeren Sinne des Wortes adminiſtratives zu ſetzen; und das nun geſchieht in der jetzt folgenden Epoche, deren Inhalt und Entwicklung wir nunmehr angeben wollen. Stein, die Verwaltungslehre. II. 13

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/215>, abgerufen am 26.04.2024.