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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Auf diese Weise hat sich nun das gebildet, was wir den ersten
Theil des freien Auswanderungsrechts nennen möchten, die öffentlichen
Verpflichtungen des Auswandernden gegen die frühere Heimath,
und die Grundsätze, nach denen die Verwaltung für die Erfüllung der-
selben zu sorgen hat. An diesen schließt sich ein zweiter Theil an.

II. Wir können in diesem zweiten Theile den Stoff desselben in
die Auswanderungspolizei und die Auswanderungspolitik
scheiden.

a) Die Auswanderungspolizei umfaßt die Maßregeln der
Organe der vollziehenden Gewalt, Amt, Gemeinden und Vereine, zum
Schutz und zur Sorge für die Person und das Vermögen des Aus-
wandernden. Das Entstehen und der Inhalt derselben hängt aufs
Engste mit dem gesammten theils socialen, theils wirthschaftlichen Ent-
wicklungsgange der europäischen Staaten zusammen, und ist in seiner
Besonderheit wieder nicht ohne eigenthümliches Interesse.

Je fester sich nämlich die Ordnung der staatsbürgerlichen Gesellschaft
in Europa hinstellt, um so regelmäßiger wird auch die, auf dem Classen-
gegensatz derselben beruhende Auswanderung, um so allgemeiner die
Verbindung zwischen der alten und neuen Welt, und dadurch ist es
möglich geworden, die Bewegung der Auswanderung zum Gegenstand
eigner Transportunternehmungen zu machen. Daß das Wohl
und Wehe vieler Tausenden von diesen Unternehmungen abhängt, ist
klar. In England, dessen Auswanderer zum großen Theil wieder Ein-
wanderer in seine eignen Colonien sind, entstand daher zuerst der Ge-
danke, den Auswanderertransport als solchen zum Gegenstand eigner
Verwaltungsgesetze zu machen. Diese Gesetze waren ursprünglich nur
Schifffahrtsgesetze, und betrafen nichts als die Einrichtung der Passa-
gierschiffe. Hier ist es Nordamerika, welches schon im Jahre 1819 den
Anfang mit Passagiervorschriften macht. Die europäische Gesetzgebung
beginnt mit der Passengers Act 9 G. IV. Cap. 21, 1825, die
Vorschriften für die Auswandererschiffe enthaltend, und sind gut dar-
gestellt bei Mac Culloch, Dictionary (v. Passenger, Colonisation); --
Roscher hat den Inhalt der Passenger Act angegeben, der von späteren
bills erweitert und verbessert ist. Im Jahre 1843 folgte Belgien mit
einer ähnlichen Gesetzgebung; von den deutschen Staaten hat sich Bre-
men
schon seit 1832 mit Verordnungen über die Auswanderung be-
schäftigt, und namentlich in dem neuesten Gesetz vom 14. Juli 1854
sehr verständige Vorschriften erlassen, deren Befolgung von einer eignen
Behörde überwacht wird. Hamburg hat dann folgen müssen; die
neueste revidirte Verordnung ist vom 20. Februar 1855. Es ist wahr,
daß diese Gesetzgebungen wesentlich durch das Interesse der localen

Auf dieſe Weiſe hat ſich nun das gebildet, was wir den erſten
Theil des freien Auswanderungsrechts nennen möchten, die öffentlichen
Verpflichtungen des Auswandernden gegen die frühere Heimath,
und die Grundſätze, nach denen die Verwaltung für die Erfüllung der-
ſelben zu ſorgen hat. An dieſen ſchließt ſich ein zweiter Theil an.

II. Wir können in dieſem zweiten Theile den Stoff deſſelben in
die Auswanderungspolizei und die Auswanderungspolitik
ſcheiden.

a) Die Auswanderungspolizei umfaßt die Maßregeln der
Organe der vollziehenden Gewalt, Amt, Gemeinden und Vereine, zum
Schutz und zur Sorge für die Perſon und das Vermögen des Aus-
wandernden. Das Entſtehen und der Inhalt derſelben hängt aufs
Engſte mit dem geſammten theils ſocialen, theils wirthſchaftlichen Ent-
wicklungsgange der europäiſchen Staaten zuſammen, und iſt in ſeiner
Beſonderheit wieder nicht ohne eigenthümliches Intereſſe.

Je feſter ſich nämlich die Ordnung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft
in Europa hinſtellt, um ſo regelmäßiger wird auch die, auf dem Claſſen-
gegenſatz derſelben beruhende Auswanderung, um ſo allgemeiner die
Verbindung zwiſchen der alten und neuen Welt, und dadurch iſt es
möglich geworden, die Bewegung der Auswanderung zum Gegenſtand
eigner Transportunternehmungen zu machen. Daß das Wohl
und Wehe vieler Tauſenden von dieſen Unternehmungen abhängt, iſt
klar. In England, deſſen Auswanderer zum großen Theil wieder Ein-
wanderer in ſeine eignen Colonien ſind, entſtand daher zuerſt der Ge-
danke, den Auswanderertransport als ſolchen zum Gegenſtand eigner
Verwaltungsgeſetze zu machen. Dieſe Geſetze waren urſprünglich nur
Schifffahrtsgeſetze, und betrafen nichts als die Einrichtung der Paſſa-
gierſchiffe. Hier iſt es Nordamerika, welches ſchon im Jahre 1819 den
Anfang mit Paſſagiervorſchriften macht. Die europäiſche Geſetzgebung
beginnt mit der Passengers Act 9 G. IV. Cap. 21, 1825, die
Vorſchriften für die Auswandererſchiffe enthaltend, und ſind gut dar-
geſtellt bei Mac Culloch, Dictionary (v. Passenger, Colonisation);
Roſcher hat den Inhalt der Passenger Act angegeben, der von ſpäteren
bills erweitert und verbeſſert iſt. Im Jahre 1843 folgte Belgien mit
einer ähnlichen Geſetzgebung; von den deutſchen Staaten hat ſich Bre-
men
ſchon ſeit 1832 mit Verordnungen über die Auswanderung be-
ſchäftigt, und namentlich in dem neueſten Geſetz vom 14. Juli 1854
ſehr verſtändige Vorſchriften erlaſſen, deren Befolgung von einer eignen
Behörde überwacht wird. Hamburg hat dann folgen müſſen; die
neueſte revidirte Verordnung iſt vom 20. Februar 1855. Es iſt wahr,
daß dieſe Geſetzgebungen weſentlich durch das Intereſſe der localen

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[206/0228] Auf dieſe Weiſe hat ſich nun das gebildet, was wir den erſten Theil des freien Auswanderungsrechts nennen möchten, die öffentlichen Verpflichtungen des Auswandernden gegen die frühere Heimath, und die Grundſätze, nach denen die Verwaltung für die Erfüllung der- ſelben zu ſorgen hat. An dieſen ſchließt ſich ein zweiter Theil an. II. Wir können in dieſem zweiten Theile den Stoff deſſelben in die Auswanderungspolizei und die Auswanderungspolitik ſcheiden. a) Die Auswanderungspolizei umfaßt die Maßregeln der Organe der vollziehenden Gewalt, Amt, Gemeinden und Vereine, zum Schutz und zur Sorge für die Perſon und das Vermögen des Aus- wandernden. Das Entſtehen und der Inhalt derſelben hängt aufs Engſte mit dem geſammten theils ſocialen, theils wirthſchaftlichen Ent- wicklungsgange der europäiſchen Staaten zuſammen, und iſt in ſeiner Beſonderheit wieder nicht ohne eigenthümliches Intereſſe. Je feſter ſich nämlich die Ordnung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft in Europa hinſtellt, um ſo regelmäßiger wird auch die, auf dem Claſſen- gegenſatz derſelben beruhende Auswanderung, um ſo allgemeiner die Verbindung zwiſchen der alten und neuen Welt, und dadurch iſt es möglich geworden, die Bewegung der Auswanderung zum Gegenſtand eigner Transportunternehmungen zu machen. Daß das Wohl und Wehe vieler Tauſenden von dieſen Unternehmungen abhängt, iſt klar. In England, deſſen Auswanderer zum großen Theil wieder Ein- wanderer in ſeine eignen Colonien ſind, entſtand daher zuerſt der Ge- danke, den Auswanderertransport als ſolchen zum Gegenſtand eigner Verwaltungsgeſetze zu machen. Dieſe Geſetze waren urſprünglich nur Schifffahrtsgeſetze, und betrafen nichts als die Einrichtung der Paſſa- gierſchiffe. Hier iſt es Nordamerika, welches ſchon im Jahre 1819 den Anfang mit Paſſagiervorſchriften macht. Die europäiſche Geſetzgebung beginnt mit der Passengers Act 9 G. IV. Cap. 21, 1825, die Vorſchriften für die Auswandererſchiffe enthaltend, und ſind gut dar- geſtellt bei Mac Culloch, Dictionary (v. Passenger, Colonisation); — Roſcher hat den Inhalt der Passenger Act angegeben, der von ſpäteren bills erweitert und verbeſſert iſt. Im Jahre 1843 folgte Belgien mit einer ähnlichen Geſetzgebung; von den deutſchen Staaten hat ſich Bre- men ſchon ſeit 1832 mit Verordnungen über die Auswanderung be- ſchäftigt, und namentlich in dem neueſten Geſetz vom 14. Juli 1854 ſehr verſtändige Vorſchriften erlaſſen, deren Befolgung von einer eignen Behörde überwacht wird. Hamburg hat dann folgen müſſen; die neueſte revidirte Verordnung iſt vom 20. Februar 1855. Es iſt wahr, daß dieſe Geſetzgebungen weſentlich durch das Intereſſe der localen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/228>, abgerufen am 29.04.2024.