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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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auf die Standesregister besitzt keineswegs jene Einfachheit und Klarheit,
wie das österreichische. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß
Preußen in dieser Beziehung in das Gebiet des deutschen (Osten) und
französischen Rechts (Westen) geschieden werden muß. Aber auch im
deutschen Rechtsgebiete ist die Sache nicht einfach. Der Grundzug des
preußischen Rechts besteht hier darin, daß die Führung der Register
allerdings wie in Oesterreich den Geistlichen überwiesen ist (Formularien
für die Gleichmäßigkeit sind mir aus dem vorigen Jahrhundert trotz
des Vorganges von Kaiser Joseph II. nicht bekannt) und diesen Grund-
satz hat das Allgemeine Landrecht II. S. 11. §. 27 indirekt sanctionirt.
Allein die Religions- und Gewissensfreiheit ward doch nur so verstanden,
daß das Recht öffentlicher Documente nur für die Geistlichen der-
jenigen Confessionen gelten solle, welche vom Staate anerkannt sind
(Religions-Edikt vom 9. Juli 1788 und Allgemeines Landrecht II. S. 11,
wornach der Staat sich die "Prüfung und Verwerfung solcher Grund-
sätze vorbehält," §. 15). Es trat nun, da die Register denn doch von
höchster bürgerlicher Wichtigkeit sind, die Frage ein, unter welchen Be-
dingungen die Angaben der Kirchenbücher solcher nichtanerkannter
Religionsgesellschaften die juristische Gültigkeit der anerkannten Kirchen-
bücher haben konnten. Natürlich entschieden jetzt darüber die Gerichte,
wie über jede andere im Proceß behauptete Thatsache; und damit war
dann für diese Gesellschaften der eigentliche Nutzen der Kirchenbücher
verloren. Um diesem Uebelstande abzuhelfen, hätte man einfach ein
allgemein gültiges Gesetz über Standesregister wie in Oesterreich
oder wie in Frankreich erlassen sollen. Das wäre der rationelle Weg
gewesen. Allein dem trat das Streben entgegen, die französische Civil-
ehe zu verhindern, die man sich in enger Verbindung mit dem franzö-
sischen Rechte dachte (Rönne, preußisches Staatsrecht §. 97). Man
gelangte daher zu der freien Auffassung nicht, sondern schlug den gegen-
wärtig noch bestehenden Mittelweg ein, indem das Patent vom
30. März 1847 bestimmte, daß die Kirchenbücher der nicht anerkannten
Religionsgesellschaften das Recht der öffentlichen Glaubwürdigkeit über
Ehe, Geburt und Tod dadurch empfangen sollten, daß sie vom Ge-
richte
bestätigt werden. Natürlich hat diese halbe Maßregel die Frage
namentlich nach der Anerkennung der Ehe nur noch verwickelter gemacht,
da es im Grunde ein unlösbarer Widerspruch ist, die Ehe innerhalb
einer Religionsgesellschaft anzuerkennen, die Religionsgesellschaft selber
aber nicht. Aus derselben Unfertigkeit der Auffassung geht die Vor-
schrift hervor, daß die Register der Juden an sich keine öffentliche
Glaubwürdigkeit haben, sondern daß für dieselben wieder die Gerichte
eigene Register führen sollen (Verordnung vom 23. Juli 1847).

auf die Standesregiſter beſitzt keineswegs jene Einfachheit und Klarheit,
wie das öſterreichiſche. Wir haben ſchon darauf hingewieſen, daß
Preußen in dieſer Beziehung in das Gebiet des deutſchen (Oſten) und
franzöſiſchen Rechts (Weſten) geſchieden werden muß. Aber auch im
deutſchen Rechtsgebiete iſt die Sache nicht einfach. Der Grundzug des
preußiſchen Rechts beſteht hier darin, daß die Führung der Regiſter
allerdings wie in Oeſterreich den Geiſtlichen überwieſen iſt (Formularien
für die Gleichmäßigkeit ſind mir aus dem vorigen Jahrhundert trotz
des Vorganges von Kaiſer Joſeph II. nicht bekannt) und dieſen Grund-
ſatz hat das Allgemeine Landrecht II. S. 11. §. 27 indirekt ſanctionirt.
Allein die Religions- und Gewiſſensfreiheit ward doch nur ſo verſtanden,
daß das Recht öffentlicher Documente nur für die Geiſtlichen der-
jenigen Confeſſionen gelten ſolle, welche vom Staate anerkannt ſind
(Religions-Edikt vom 9. Juli 1788 und Allgemeines Landrecht II. S. 11,
wornach der Staat ſich die „Prüfung und Verwerfung ſolcher Grund-
ſätze vorbehält,“ §. 15). Es trat nun, da die Regiſter denn doch von
höchſter bürgerlicher Wichtigkeit ſind, die Frage ein, unter welchen Be-
dingungen die Angaben der Kirchenbücher ſolcher nichtanerkannter
Religionsgeſellſchaften die juriſtiſche Gültigkeit der anerkannten Kirchen-
bücher haben konnten. Natürlich entſchieden jetzt darüber die Gerichte,
wie über jede andere im Proceß behauptete Thatſache; und damit war
dann für dieſe Geſellſchaften der eigentliche Nutzen der Kirchenbücher
verloren. Um dieſem Uebelſtande abzuhelfen, hätte man einfach ein
allgemein gültiges Geſetz über Standesregiſter wie in Oeſterreich
oder wie in Frankreich erlaſſen ſollen. Das wäre der rationelle Weg
geweſen. Allein dem trat das Streben entgegen, die franzöſiſche Civil-
ehe zu verhindern, die man ſich in enger Verbindung mit dem franzö-
ſiſchen Rechte dachte (Rönne, preußiſches Staatsrecht §. 97). Man
gelangte daher zu der freien Auffaſſung nicht, ſondern ſchlug den gegen-
wärtig noch beſtehenden Mittelweg ein, indem das Patent vom
30. März 1847 beſtimmte, daß die Kirchenbücher der nicht anerkannten
Religionsgeſellſchaften das Recht der öffentlichen Glaubwürdigkeit über
Ehe, Geburt und Tod dadurch empfangen ſollten, daß ſie vom Ge-
richte
beſtätigt werden. Natürlich hat dieſe halbe Maßregel die Frage
namentlich nach der Anerkennung der Ehe nur noch verwickelter gemacht,
da es im Grunde ein unlösbarer Widerſpruch iſt, die Ehe innerhalb
einer Religionsgeſellſchaft anzuerkennen, die Religionsgeſellſchaft ſelber
aber nicht. Aus derſelben Unfertigkeit der Auffaſſung geht die Vor-
ſchrift hervor, daß die Regiſter der Juden an ſich keine öffentliche
Glaubwürdigkeit haben, ſondern daß für dieſelben wieder die Gerichte
eigene Regiſter führen ſollen (Verordnung vom 23. Juli 1847).

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[239/0261] auf die Standesregiſter beſitzt keineswegs jene Einfachheit und Klarheit, wie das öſterreichiſche. Wir haben ſchon darauf hingewieſen, daß Preußen in dieſer Beziehung in das Gebiet des deutſchen (Oſten) und franzöſiſchen Rechts (Weſten) geſchieden werden muß. Aber auch im deutſchen Rechtsgebiete iſt die Sache nicht einfach. Der Grundzug des preußiſchen Rechts beſteht hier darin, daß die Führung der Regiſter allerdings wie in Oeſterreich den Geiſtlichen überwieſen iſt (Formularien für die Gleichmäßigkeit ſind mir aus dem vorigen Jahrhundert trotz des Vorganges von Kaiſer Joſeph II. nicht bekannt) und dieſen Grund- ſatz hat das Allgemeine Landrecht II. S. 11. §. 27 indirekt ſanctionirt. Allein die Religions- und Gewiſſensfreiheit ward doch nur ſo verſtanden, daß das Recht öffentlicher Documente nur für die Geiſtlichen der- jenigen Confeſſionen gelten ſolle, welche vom Staate anerkannt ſind (Religions-Edikt vom 9. Juli 1788 und Allgemeines Landrecht II. S. 11, wornach der Staat ſich die „Prüfung und Verwerfung ſolcher Grund- ſätze vorbehält,“ §. 15). Es trat nun, da die Regiſter denn doch von höchſter bürgerlicher Wichtigkeit ſind, die Frage ein, unter welchen Be- dingungen die Angaben der Kirchenbücher ſolcher nichtanerkannter Religionsgeſellſchaften die juriſtiſche Gültigkeit der anerkannten Kirchen- bücher haben konnten. Natürlich entſchieden jetzt darüber die Gerichte, wie über jede andere im Proceß behauptete Thatſache; und damit war dann für dieſe Geſellſchaften der eigentliche Nutzen der Kirchenbücher verloren. Um dieſem Uebelſtande abzuhelfen, hätte man einfach ein allgemein gültiges Geſetz über Standesregiſter wie in Oeſterreich oder wie in Frankreich erlaſſen ſollen. Das wäre der rationelle Weg geweſen. Allein dem trat das Streben entgegen, die franzöſiſche Civil- ehe zu verhindern, die man ſich in enger Verbindung mit dem franzö- ſiſchen Rechte dachte (Rönne, preußiſches Staatsrecht §. 97). Man gelangte daher zu der freien Auffaſſung nicht, ſondern ſchlug den gegen- wärtig noch beſtehenden Mittelweg ein, indem das Patent vom 30. März 1847 beſtimmte, daß die Kirchenbücher der nicht anerkannten Religionsgeſellſchaften das Recht der öffentlichen Glaubwürdigkeit über Ehe, Geburt und Tod dadurch empfangen ſollten, daß ſie vom Ge- richte beſtätigt werden. Natürlich hat dieſe halbe Maßregel die Frage namentlich nach der Anerkennung der Ehe nur noch verwickelter gemacht, da es im Grunde ein unlösbarer Widerſpruch iſt, die Ehe innerhalb einer Religionsgeſellſchaft anzuerkennen, die Religionsgeſellſchaft ſelber aber nicht. Aus derſelben Unfertigkeit der Auffaſſung geht die Vor- ſchrift hervor, daß die Regiſter der Juden an ſich keine öffentliche Glaubwürdigkeit haben, ſondern daß für dieſelben wieder die Gerichte eigene Regiſter führen ſollen (Verordnung vom 23. Juli 1847).

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/261>, abgerufen am 02.05.2024.