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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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derselben einerseits den Ortsobrigkeiten eine große Gewalt und zum
Theil auch eine recht angenehme Einnahme zu verschaffen, andererseits
scheinbar eine genaue Controle für die, damals nur zu oft vor-
kommenden politischen Zwecke der Reise zu gewinnen, eventuell durch
Verweigerung der Pässe auch die unliebsamen Berührungen der Völker-
schaften zu vermeiden. Aus einem Mittel der niederen Sicherheits-
polizei gegen Vagabunden wurden daher, und wohl schon mit dem An-
fang dieses Jahrhunderts, die Pässe zu einem Mittel der höheren,
politischen Polizei, ein Charakter, den dieselben nur zu lange behalten
haben. Hier ist der Zeitpunkt, wo sich das eigentliche Paßwesen von
demjenigen scheidet, was wir als Fremdenwesen bezeichnen. Aus einer
Legitimationsurkunde überhaupt wird der Paß auf dieser Grundlage
eine Erlaubniß für den Auswärtigen, das Staatsgebiet des
andern Staates zu betreten, oder das eigene zum Zweck einer Reise ins
Ausland zu verlassen.

Namentlich war es das Reisen "in fremde Länder" -- d. h. in
Länder, wo andere Verfassungen bestanden, das man durch das Paß-
wesen hindern zu können glaubte. Dasselbe ward daher jetzt allmählig
mit großer Strenge auch für die höheren Classen eingeführt. Schon
Berg sagt 1799 (Handbuch Th. II. S. 59): "Eine gewisse Aufmerk-
samkeit auf das Reisen in fremde Länder ist nun zwar in sehr vielen
Hinsichten nützlich und zweckmäßig, allein willkührliche Einschränkungen
desselben, Versagen der nachgesuchten Erlaubniß ohne hinreichende Gründe
oder lästige Bedingungen kann mit Recht als Eingriff in die bürgerliche
Freiheit angesehen werden." Eben so kämpft gleichzeitig Niemann in
seinen Blättern für Polizei und Cultur (1801, VII. 56.) gegen die neuer-
dings eingerissene furchtsame Verschließung der Länder und die rücksichtslose
Strenge wegen der Pässe. "Sonst" sagt er (wann?) "konnte der Fremdling
in die meisten Länder mit einem bloßen Gesundheitsschein sich
den freien Zutritt eröffnen. Aber das Mercantilsystem mit seinen Contre-
band- und Mauthgesetzen, seinen Hausir- und Höckerordnungen belästigte
bald den Reisenden mit unzähligen Plackereien. Unfreundlicher noch als
von diesem Krämergeiste ward neuerlich in manchen Staaten Verkehr
und freie Reise durch das Nachforschen nach dem Unerforsch-
lichen
, nach Glauben und Meinung, gestört. Der Paß ist die Urkunde,
wodurch jeder Fremde gleich an der Grenze seine Verdachtlosigkeit, und
im Innern aller Orten seinen gesetzmäßigen Eingang bescheinigen soll.
-- Das alles ist in der Ordnung -- was darüber ist, dürfte leicht von
üblen Folgen sein -- die bürgerliche Ordnung gewinnt in keinem Fall;
aber Freiheit, Dienstpflicht und Gesetzmäßigkeit verlieren in beiden."
In gleichem Sinne spricht sich dann wieder Berg aus. (Handbuch IV.

Stein, die Verwaltungslehre. II. 17

derſelben einerſeits den Ortsobrigkeiten eine große Gewalt und zum
Theil auch eine recht angenehme Einnahme zu verſchaffen, andererſeits
ſcheinbar eine genaue Controle für die, damals nur zu oft vor-
kommenden politiſchen Zwecke der Reiſe zu gewinnen, eventuell durch
Verweigerung der Päſſe auch die unliebſamen Berührungen der Völker-
ſchaften zu vermeiden. Aus einem Mittel der niederen Sicherheits-
polizei gegen Vagabunden wurden daher, und wohl ſchon mit dem An-
fang dieſes Jahrhunderts, die Päſſe zu einem Mittel der höheren,
politiſchen Polizei, ein Charakter, den dieſelben nur zu lange behalten
haben. Hier iſt der Zeitpunkt, wo ſich das eigentliche Paßweſen von
demjenigen ſcheidet, was wir als Fremdenweſen bezeichnen. Aus einer
Legitimationsurkunde überhaupt wird der Paß auf dieſer Grundlage
eine Erlaubniß für den Auswärtigen, das Staatsgebiet des
andern Staates zu betreten, oder das eigene zum Zweck einer Reiſe ins
Ausland zu verlaſſen.

Namentlich war es das Reiſen „in fremde Länder“ — d. h. in
Länder, wo andere Verfaſſungen beſtanden, das man durch das Paß-
weſen hindern zu können glaubte. Daſſelbe ward daher jetzt allmählig
mit großer Strenge auch für die höheren Claſſen eingeführt. Schon
Berg ſagt 1799 (Handbuch Th. II. S. 59): „Eine gewiſſe Aufmerk-
ſamkeit auf das Reiſen in fremde Länder iſt nun zwar in ſehr vielen
Hinſichten nützlich und zweckmäßig, allein willkührliche Einſchränkungen
deſſelben, Verſagen der nachgeſuchten Erlaubniß ohne hinreichende Gründe
oder läſtige Bedingungen kann mit Recht als Eingriff in die bürgerliche
Freiheit angeſehen werden.“ Eben ſo kämpft gleichzeitig Niemann in
ſeinen Blättern für Polizei und Cultur (1801, VII. 56.) gegen die neuer-
dings eingeriſſene furchtſame Verſchließung der Länder und die rückſichtsloſe
Strenge wegen der Päſſe. „Sonſt“ ſagt er (wann?) „konnte der Fremdling
in die meiſten Länder mit einem bloßen Geſundheitsſchein ſich
den freien Zutritt eröffnen. Aber das Mercantilſyſtem mit ſeinen Contre-
band- und Mauthgeſetzen, ſeinen Hauſir- und Höckerordnungen beläſtigte
bald den Reiſenden mit unzähligen Plackereien. Unfreundlicher noch als
von dieſem Krämergeiſte ward neuerlich in manchen Staaten Verkehr
und freie Reiſe durch das Nachforſchen nach dem Unerforſch-
lichen
, nach Glauben und Meinung, geſtört. Der Paß iſt die Urkunde,
wodurch jeder Fremde gleich an der Grenze ſeine Verdachtloſigkeit, und
im Innern aller Orten ſeinen geſetzmäßigen Eingang beſcheinigen ſoll.
— Das alles iſt in der Ordnung — was darüber iſt, dürfte leicht von
üblen Folgen ſein — die bürgerliche Ordnung gewinnt in keinem Fall;
aber Freiheit, Dienſtpflicht und Geſetzmäßigkeit verlieren in beiden.“
In gleichem Sinne ſpricht ſich dann wieder Berg aus. (Handbuch IV.

Stein, die Verwaltungslehre. II. 17
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[257/0279] derſelben einerſeits den Ortsobrigkeiten eine große Gewalt und zum Theil auch eine recht angenehme Einnahme zu verſchaffen, andererſeits ſcheinbar eine genaue Controle für die, damals nur zu oft vor- kommenden politiſchen Zwecke der Reiſe zu gewinnen, eventuell durch Verweigerung der Päſſe auch die unliebſamen Berührungen der Völker- ſchaften zu vermeiden. Aus einem Mittel der niederen Sicherheits- polizei gegen Vagabunden wurden daher, und wohl ſchon mit dem An- fang dieſes Jahrhunderts, die Päſſe zu einem Mittel der höheren, politiſchen Polizei, ein Charakter, den dieſelben nur zu lange behalten haben. Hier iſt der Zeitpunkt, wo ſich das eigentliche Paßweſen von demjenigen ſcheidet, was wir als Fremdenweſen bezeichnen. Aus einer Legitimationsurkunde überhaupt wird der Paß auf dieſer Grundlage eine Erlaubniß für den Auswärtigen, das Staatsgebiet des andern Staates zu betreten, oder das eigene zum Zweck einer Reiſe ins Ausland zu verlaſſen. Namentlich war es das Reiſen „in fremde Länder“ — d. h. in Länder, wo andere Verfaſſungen beſtanden, das man durch das Paß- weſen hindern zu können glaubte. Daſſelbe ward daher jetzt allmählig mit großer Strenge auch für die höheren Claſſen eingeführt. Schon Berg ſagt 1799 (Handbuch Th. II. S. 59): „Eine gewiſſe Aufmerk- ſamkeit auf das Reiſen in fremde Länder iſt nun zwar in ſehr vielen Hinſichten nützlich und zweckmäßig, allein willkührliche Einſchränkungen deſſelben, Verſagen der nachgeſuchten Erlaubniß ohne hinreichende Gründe oder läſtige Bedingungen kann mit Recht als Eingriff in die bürgerliche Freiheit angeſehen werden.“ Eben ſo kämpft gleichzeitig Niemann in ſeinen Blättern für Polizei und Cultur (1801, VII. 56.) gegen die neuer- dings eingeriſſene furchtſame Verſchließung der Länder und die rückſichtsloſe Strenge wegen der Päſſe. „Sonſt“ ſagt er (wann?) „konnte der Fremdling in die meiſten Länder mit einem bloßen Geſundheitsſchein ſich den freien Zutritt eröffnen. Aber das Mercantilſyſtem mit ſeinen Contre- band- und Mauthgeſetzen, ſeinen Hauſir- und Höckerordnungen beläſtigte bald den Reiſenden mit unzähligen Plackereien. Unfreundlicher noch als von dieſem Krämergeiſte ward neuerlich in manchen Staaten Verkehr und freie Reiſe durch das Nachforſchen nach dem Unerforſch- lichen, nach Glauben und Meinung, geſtört. Der Paß iſt die Urkunde, wodurch jeder Fremde gleich an der Grenze ſeine Verdachtloſigkeit, und im Innern aller Orten ſeinen geſetzmäßigen Eingang beſcheinigen ſoll. — Das alles iſt in der Ordnung — was darüber iſt, dürfte leicht von üblen Folgen ſein — die bürgerliche Ordnung gewinnt in keinem Fall; aber Freiheit, Dienſtpflicht und Geſetzmäßigkeit verlieren in beiden.“ In gleichem Sinne ſpricht ſich dann wieder Berg aus. (Handbuch IV. Stein, die Verwaltungslehre. II. 17

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/279>, abgerufen am 29.04.2024.