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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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gleichsam das Stück zu suchen, das dem Verwaltungs- und
Gemeindebürgerrecht entspricht.

1) Das Wahlrecht. Droit d'Election. Das Wahlrecht enthält
denjenigen Theil des Staatsbürgerrechts, welcher die Bedingungen und
Formen der Theilnahme des Einzelnen an der Wahl der Vertre-
tungskörper
bestimmt. Das Wahlrecht Frankreichs ist seinem neuesten
Princip nach verschieden vom Wahlrecht Englands und Deutschlands,
indem es die Wahlen zur Volksvertretung und zur Selbstverwaltung
gleichmäßig bloß auf die Staatsbürgerschaft zurückführt, also nicht
wie in Deutschland die Selbstverwaltungswahlen von der Aufnahme in
die Gemeinde abhängig macht, und sie nicht wie in England beim Ver-
waltungsbürgerthum auf eine bestimmte administrative Aufgabe be-
schränkt, und daher nicht die zwei Systeme von Wahlen kennt,
welche durch das Wesen der Selbstverwaltung bei den germanischen
Nationen geltend geworden sind, das eine auf die Volksvertretung,
das andere auf die Gemeindekörper bezüglich. Das Wahlsystem Frank-
reichs ist ein einheitliches, doch enthält es das Element der Ge-
meindeselbständigkeit als eine Modification des Wahlrechts, und
diese Modification bildet das Analogon des Gemeindebürgerthums in
Frankreich.

Das System der Wahlen entspricht daher dem System der
Vertretungen
. Es gibt ein Wahlsystem für die Volksvertretung,
ein Wahlsystem für die Landschaftsvertretung, und ein Wahlsystem für
die Gemeindevertretung (Gemeindebürgerthum). Dieses ganze System
ist, da hier keine selbstbestimmte Aufnahme in eine Gemeinde und keine
Beschränkung auf einzelne Aufgaben vorkommt, von einer Durchsichtig-
keit, die wir eine mechanische nennen dürfen Es beruht auf
den beiden Begriffen des Wahlrechts und der Wahlordnung. Das
Wahlrecht bestimmt die persönlichen Bedingungen, die Wahlordnung
die örtliche Ordnung für die wirkliche Wahl. Der ganze Entwicklungs-
gang des innern französischen Verfassungsrechts ist in der That kaum
etwas anderes, als der Kampf um diese Bestimmungen. Da es aber
Sache der Verfassungslehre ist, diesen Kampf darzustellen, so be-
schränken wir uns darauf, das neueste napoleonische Recht kurz zu
charakterisiren.

Das Wahlrecht enthält hier wie immer das Wählerrecht (Recht
zur Wahl) und die Wählbarkeit. Jeder 21jährige Franzose, der
nicht sein Wählerrecht verloren hat, ist Wähler für alle Vertretun-
gen
, also auch für das, was der Gemeindewahl entspricht. Die Wähl-
barkeit ist für die Conseils municipaux gleichfalls ganz allgemein,
und nur an das 25. Jahr gebunden; doch sind gewisse Personen,

gleichſam das Stück zu ſuchen, das dem Verwaltungs- und
Gemeindebürgerrecht entſpricht.

1) Das Wahlrecht. Droit d’Élection. Das Wahlrecht enthält
denjenigen Theil des Staatsbürgerrechts, welcher die Bedingungen und
Formen der Theilnahme des Einzelnen an der Wahl der Vertre-
tungskörper
beſtimmt. Das Wahlrecht Frankreichs iſt ſeinem neueſten
Princip nach verſchieden vom Wahlrecht Englands und Deutſchlands,
indem es die Wahlen zur Volksvertretung und zur Selbſtverwaltung
gleichmäßig bloß auf die Staatsbürgerſchaft zurückführt, alſo nicht
wie in Deutſchland die Selbſtverwaltungswahlen von der Aufnahme in
die Gemeinde abhängig macht, und ſie nicht wie in England beim Ver-
waltungsbürgerthum auf eine beſtimmte adminiſtrative Aufgabe be-
ſchränkt, und daher nicht die zwei Syſteme von Wahlen kennt,
welche durch das Weſen der Selbſtverwaltung bei den germaniſchen
Nationen geltend geworden ſind, das eine auf die Volksvertretung,
das andere auf die Gemeindekörper bezüglich. Das Wahlſyſtem Frank-
reichs iſt ein einheitliches, doch enthält es das Element der Ge-
meindeſelbſtändigkeit als eine Modification des Wahlrechts, und
dieſe Modification bildet das Analogon des Gemeindebürgerthums in
Frankreich.

Das Syſtem der Wahlen entſpricht daher dem Syſtem der
Vertretungen
. Es gibt ein Wahlſyſtem für die Volksvertretung,
ein Wahlſyſtem für die Landſchaftsvertretung, und ein Wahlſyſtem für
die Gemeindevertretung (Gemeindebürgerthum). Dieſes ganze Syſtem
iſt, da hier keine ſelbſtbeſtimmte Aufnahme in eine Gemeinde und keine
Beſchränkung auf einzelne Aufgaben vorkommt, von einer Durchſichtig-
keit, die wir eine mechaniſche nennen dürfen Es beruht auf
den beiden Begriffen des Wahlrechts und der Wahlordnung. Das
Wahlrecht beſtimmt die perſönlichen Bedingungen, die Wahlordnung
die örtliche Ordnung für die wirkliche Wahl. Der ganze Entwicklungs-
gang des innern franzöſiſchen Verfaſſungsrechts iſt in der That kaum
etwas anderes, als der Kampf um dieſe Beſtimmungen. Da es aber
Sache der Verfaſſungslehre iſt, dieſen Kampf darzuſtellen, ſo be-
ſchränken wir uns darauf, das neueſte napoleoniſche Recht kurz zu
charakteriſiren.

Das Wahlrecht enthält hier wie immer das Wählerrecht (Recht
zur Wahl) und die Wählbarkeit. Jeder 21jährige Franzoſe, der
nicht ſein Wählerrecht verloren hat, iſt Wähler für alle Vertretun-
gen
, alſo auch für das, was der Gemeindewahl entſpricht. Die Wähl-
barkeit iſt für die Conseils municipaux gleichfalls ganz allgemein,
und nur an das 25. Jahr gebunden; doch ſind gewiſſe Perſonen,

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[301/0323] gleichſam das Stück zu ſuchen, das dem Verwaltungs- und Gemeindebürgerrecht entſpricht. 1) Das Wahlrecht. Droit d’Élection. Das Wahlrecht enthält denjenigen Theil des Staatsbürgerrechts, welcher die Bedingungen und Formen der Theilnahme des Einzelnen an der Wahl der Vertre- tungskörper beſtimmt. Das Wahlrecht Frankreichs iſt ſeinem neueſten Princip nach verſchieden vom Wahlrecht Englands und Deutſchlands, indem es die Wahlen zur Volksvertretung und zur Selbſtverwaltung gleichmäßig bloß auf die Staatsbürgerſchaft zurückführt, alſo nicht wie in Deutſchland die Selbſtverwaltungswahlen von der Aufnahme in die Gemeinde abhängig macht, und ſie nicht wie in England beim Ver- waltungsbürgerthum auf eine beſtimmte adminiſtrative Aufgabe be- ſchränkt, und daher nicht die zwei Syſteme von Wahlen kennt, welche durch das Weſen der Selbſtverwaltung bei den germaniſchen Nationen geltend geworden ſind, das eine auf die Volksvertretung, das andere auf die Gemeindekörper bezüglich. Das Wahlſyſtem Frank- reichs iſt ein einheitliches, doch enthält es das Element der Ge- meindeſelbſtändigkeit als eine Modification des Wahlrechts, und dieſe Modification bildet das Analogon des Gemeindebürgerthums in Frankreich. Das Syſtem der Wahlen entſpricht daher dem Syſtem der Vertretungen. Es gibt ein Wahlſyſtem für die Volksvertretung, ein Wahlſyſtem für die Landſchaftsvertretung, und ein Wahlſyſtem für die Gemeindevertretung (Gemeindebürgerthum). Dieſes ganze Syſtem iſt, da hier keine ſelbſtbeſtimmte Aufnahme in eine Gemeinde und keine Beſchränkung auf einzelne Aufgaben vorkommt, von einer Durchſichtig- keit, die wir eine mechaniſche nennen dürfen Es beruht auf den beiden Begriffen des Wahlrechts und der Wahlordnung. Das Wahlrecht beſtimmt die perſönlichen Bedingungen, die Wahlordnung die örtliche Ordnung für die wirkliche Wahl. Der ganze Entwicklungs- gang des innern franzöſiſchen Verfaſſungsrechts iſt in der That kaum etwas anderes, als der Kampf um dieſe Beſtimmungen. Da es aber Sache der Verfaſſungslehre iſt, dieſen Kampf darzuſtellen, ſo be- ſchränken wir uns darauf, das neueſte napoleoniſche Recht kurz zu charakteriſiren. Das Wahlrecht enthält hier wie immer das Wählerrecht (Recht zur Wahl) und die Wählbarkeit. Jeder 21jährige Franzoſe, der nicht ſein Wählerrecht verloren hat, iſt Wähler für alle Vertretun- gen, alſo auch für das, was der Gemeindewahl entſpricht. Die Wähl- barkeit iſt für die Conseils municipaux gleichfalls ganz allgemein, und nur an das 25. Jahr gebunden; doch ſind gewiſſe Perſonen,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/323>, abgerufen am 27.04.2024.