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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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gemeinde für das Armenwesen geworden und geblieben ist,
und eben aus diesem selbigen Grunde hat die Ortsgemeinde im Gegen-
satz zu dem Bedürfniß der freien Bewegung sich auf das Entschiedenste
dagegen gesträubt, den Erwerb des Heimathsrechts durch gewerblichen
Aufenthalt zuzulassen, während sie den Erwerb durch Geburt eben
so unbestritten zuläßt. Dazu kommt, daß die Bedingungen jener Zu-
lassung örtlich und zeitlich verschieden sind, und daß diejenigen
Staaten, welche annähernd die Größe einer bedeutenden Ortsgemeinde
haben, dies Gemeindebürgerthum, die Gemeindeangehörigkeit und das
Heimathswesen noch außerdem mit dem Indigenat identificiren
müssen
. Es ward dadurch eine unsäglich mühevolle Arbeit, die im
Grunde doch vielfach nur einen örtlichen, und stets nur einen vor-
übergehenden
Werth hat, das in den deutschen Bundesstaaten wirklich
geltende Heimathsrecht aufzufinden. Selbst Bitzer hat in seiner eigens
dafür bestimmten Schrift das nicht zu leisten vermocht. Es wäre dies
sehr übel, wenn es nicht zugleich klar wäre, daß wir in dieser Be-
ziehung einer principiellen Umgestaltung zu einer orga ischen Gestalt
eines Heimathsrechts, das vom Gemeinderecht unabhängig ist, entgegen
gehen. Die Elemente desselben aber sind ohne Zweifel folgende:

1) Die Armenunterstützung muß Aufgabe einer eigenen, für sie
bestimmten, und eine Mehrheit von Ortsgemeinden umfassenden Armen-
gemeinde
, als Verwaltungsgemeinde, mit eigener Armenverfassung
und Armenverwaltung werden.
2) Jede Beschränkung der Niederlassung und der Ehe muß auf-
gehoben werden.
3) Die Dauer des Aufenthalts, welche die Armenzuständigkeit er-
wirbt, muß gleichmäßig sein.
4) Der Erwerb dieser Zuständigkeit wird nur durch die nicht per-
sönliche, sondern wirthschaftliche Armuth und die daraus folgende wirk-
liche Unterstützung unterbrochen.
5) Jede Armengemeinde hat die Pflicht, diese Unterstützung eine
gewisse Zeit hindurch fortzusetzen, aber nach Ablauf dieser Zeit die
Ueberweisung an die natürliche Heimath und die daraus folgende
natürliche Zuständigkeit durch Geburt und Ehe eintreten zu lassen.

Es ist, wie wir glauben, hieraus vor allen Dingen Eins klar. Es
ist unmöglich, das Heimathswesen oder die Armenzuständigkeit als letzten
Theil der administrativen Ordnung der Bevölkerung auf Grundlage der
Gemeindeangehörigkeit zu ordnen. Der Grund alles Streits sowie aller
Unklarheit in der Theorie und der Verschiedenheit der Gesetzgebungen
und ihrer Widersprüche liegt eben in nichts anderem, als daß der wesent-
liche organische Unterschied zwischen Ortsangehörigkeit

gemeinde für das Armenweſen geworden und geblieben iſt,
und eben aus dieſem ſelbigen Grunde hat die Ortsgemeinde im Gegen-
ſatz zu dem Bedürfniß der freien Bewegung ſich auf das Entſchiedenſte
dagegen geſträubt, den Erwerb des Heimathsrechts durch gewerblichen
Aufenthalt zuzulaſſen, während ſie den Erwerb durch Geburt eben
ſo unbeſtritten zuläßt. Dazu kommt, daß die Bedingungen jener Zu-
laſſung örtlich und zeitlich verſchieden ſind, und daß diejenigen
Staaten, welche annähernd die Größe einer bedeutenden Ortsgemeinde
haben, dies Gemeindebürgerthum, die Gemeindeangehörigkeit und das
Heimathsweſen noch außerdem mit dem Indigenat identificiren
müſſen
. Es ward dadurch eine unſäglich mühevolle Arbeit, die im
Grunde doch vielfach nur einen örtlichen, und ſtets nur einen vor-
übergehenden
Werth hat, das in den deutſchen Bundesſtaaten wirklich
geltende Heimathsrecht aufzufinden. Selbſt Bitzer hat in ſeiner eigens
dafür beſtimmten Schrift das nicht zu leiſten vermocht. Es wäre dies
ſehr übel, wenn es nicht zugleich klar wäre, daß wir in dieſer Be-
ziehung einer principiellen Umgeſtaltung zu einer orga iſchen Geſtalt
eines Heimathsrechts, das vom Gemeinderecht unabhängig iſt, entgegen
gehen. Die Elemente deſſelben aber ſind ohne Zweifel folgende:

1) Die Armenunterſtützung muß Aufgabe einer eigenen, für ſie
beſtimmten, und eine Mehrheit von Ortsgemeinden umfaſſenden Armen-
gemeinde
, als Verwaltungsgemeinde, mit eigener Armenverfaſſung
und Armenverwaltung werden.
2) Jede Beſchränkung der Niederlaſſung und der Ehe muß auf-
gehoben werden.
3) Die Dauer des Aufenthalts, welche die Armenzuſtändigkeit er-
wirbt, muß gleichmäßig ſein.
4) Der Erwerb dieſer Zuſtändigkeit wird nur durch die nicht per-
ſönliche, ſondern wirthſchaftliche Armuth und die daraus folgende wirk-
liche Unterſtützung unterbrochen.
5) Jede Armengemeinde hat die Pflicht, dieſe Unterſtützung eine
gewiſſe Zeit hindurch fortzuſetzen, aber nach Ablauf dieſer Zeit die
Ueberweiſung an die natürliche Heimath und die daraus folgende
natürliche Zuſtändigkeit durch Geburt und Ehe eintreten zu laſſen.

Es iſt, wie wir glauben, hieraus vor allen Dingen Eins klar. Es
iſt unmöglich, das Heimathsweſen oder die Armenzuſtändigkeit als letzten
Theil der adminiſtrativen Ordnung der Bevölkerung auf Grundlage der
Gemeindeangehörigkeit zu ordnen. Der Grund alles Streits ſowie aller
Unklarheit in der Theorie und der Verſchiedenheit der Geſetzgebungen
und ihrer Widerſprüche liegt eben in nichts anderem, als daß der weſent-
liche organiſche Unterſchied zwiſchen Ortsangehörigkeit

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[339/0361] gemeinde für das Armenweſen geworden und geblieben iſt, und eben aus dieſem ſelbigen Grunde hat die Ortsgemeinde im Gegen- ſatz zu dem Bedürfniß der freien Bewegung ſich auf das Entſchiedenſte dagegen geſträubt, den Erwerb des Heimathsrechts durch gewerblichen Aufenthalt zuzulaſſen, während ſie den Erwerb durch Geburt eben ſo unbeſtritten zuläßt. Dazu kommt, daß die Bedingungen jener Zu- laſſung örtlich und zeitlich verſchieden ſind, und daß diejenigen Staaten, welche annähernd die Größe einer bedeutenden Ortsgemeinde haben, dies Gemeindebürgerthum, die Gemeindeangehörigkeit und das Heimathsweſen noch außerdem mit dem Indigenat identificiren müſſen. Es ward dadurch eine unſäglich mühevolle Arbeit, die im Grunde doch vielfach nur einen örtlichen, und ſtets nur einen vor- übergehenden Werth hat, das in den deutſchen Bundesſtaaten wirklich geltende Heimathsrecht aufzufinden. Selbſt Bitzer hat in ſeiner eigens dafür beſtimmten Schrift das nicht zu leiſten vermocht. Es wäre dies ſehr übel, wenn es nicht zugleich klar wäre, daß wir in dieſer Be- ziehung einer principiellen Umgeſtaltung zu einer orga iſchen Geſtalt eines Heimathsrechts, das vom Gemeinderecht unabhängig iſt, entgegen gehen. Die Elemente deſſelben aber ſind ohne Zweifel folgende: 1) Die Armenunterſtützung muß Aufgabe einer eigenen, für ſie beſtimmten, und eine Mehrheit von Ortsgemeinden umfaſſenden Armen- gemeinde, als Verwaltungsgemeinde, mit eigener Armenverfaſſung und Armenverwaltung werden. 2) Jede Beſchränkung der Niederlaſſung und der Ehe muß auf- gehoben werden. 3) Die Dauer des Aufenthalts, welche die Armenzuſtändigkeit er- wirbt, muß gleichmäßig ſein. 4) Der Erwerb dieſer Zuſtändigkeit wird nur durch die nicht per- ſönliche, ſondern wirthſchaftliche Armuth und die daraus folgende wirk- liche Unterſtützung unterbrochen. 5) Jede Armengemeinde hat die Pflicht, dieſe Unterſtützung eine gewiſſe Zeit hindurch fortzuſetzen, aber nach Ablauf dieſer Zeit die Ueberweiſung an die natürliche Heimath und die daraus folgende natürliche Zuſtändigkeit durch Geburt und Ehe eintreten zu laſſen. Es iſt, wie wir glauben, hieraus vor allen Dingen Eins klar. Es iſt unmöglich, das Heimathsweſen oder die Armenzuſtändigkeit als letzten Theil der adminiſtrativen Ordnung der Bevölkerung auf Grundlage der Gemeindeangehörigkeit zu ordnen. Der Grund alles Streits ſowie aller Unklarheit in der Theorie und der Verſchiedenheit der Geſetzgebungen und ihrer Widerſprüche liegt eben in nichts anderem, als daß der weſent- liche organiſche Unterſchied zwiſchen Ortsangehörigkeit

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/361>, abgerufen am 25.04.2024.