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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Wichtigkeit werden dürfte. Die logisch-ethische Idee des Rechtsstaats
nämlich entsteht und wirkt namentlich in denjenigen Ländern, die bei
großer Volksbildung wenig verfassungsmäßige Freiheit haben. Der Be-
griff des Staatsbürgerthums und seines Rechts dagegen hat seine Hei-
math da, wo zwar die Verfassung besteht, aber noch nicht zur wahren
Harmonie der Staatsgewalten ausgebildet, nur noch die rechtliche Form
des Kampfes zwischen Regierung und Volk abgibt. Daher ist die Hei-
math der ersteren Gestalt der Staatsidee der Norden Deutschlands,
namentlich Preußen, die Heimath der zweiten Gestalt der Süden, na-
mentlich Württemberg, und der eigentliche Träger und zum Theil
Schöpfer dieser negativen Rechtsstaatsidee ist Robert von Mohl, wäh-
rend die Formulirung der, wir können nicht anders sagen als "abstrakten"
Verfassungsfrage wesentlich durch Rotteck gegeben, und durch Aretin
zu einer förmlichen Staatswissenschaft ausgebildet ward. Doch gehört
die weitere Darstellung dieser Punkte einer andern Arbeit.

Wenden wir uns jetzt aber der Idee der Verwaltung wieder zu,
so wird, glauben wir, die Beantwortung der Frage leicht, welche Stel-
lung in dieser Epoche die innere Verwaltungslehre finden
müßte.

In der That nämlich war in jener Auffassung für die letztere gar
kein
Raum. Wir haben gesagt, daß jede Verwaltungslehre nur als
Consequenz und Ausdruck einer Gesammtauffassung des Staats erschei-
nen kann. Der Rechtsstaat aber in allen seinen drei Formen enthält gar
keine Anknüpfung für das Wesen und den Inhalt der innern Verwaltung.
Er will das Recht. Das ist die Gränze zwischen den selbständigen
Persönlichkeiten; die Verwaltung dagegen geht im Namen der Gesammt-
entwicklung eben über diese Gränze hinaus. Die Abneigung gegen die
polizeiliche Gewalt fand daher in diesem Begriff einen treuen Verbün-
deten, und so wird es erklärlich, daß mit dem Anfang dieses Jahrhun-
derts die eigentliche Verwaltungslehre aus der gesammten
Staatswissenschaft sowohl in der Literatur als auf den
Universitäten geradezu verschwindet
und alle Theorie und
alles Nachdenken über dieselbe von Philosophie, constitutionellen Fragen
und juristischen Kämpfen gegen das Verwaltungsrecht absorbirt wird.

Natürlich nun konnte man trotzdem des Inhaltes der Verwal-
tungslehre, oder wie man sie unglücklicher Weise noch immer nannte,
der "Polizeiwissenschaft" doch nicht ganz entbehren. Man mußte sie in
irgend einer Form aufnehmen. Und jetzt sehen wir daher eine Reihe
von Erscheinungen auftreten, welche, äußerlich in keiner Beziehung zum
Begriffe des "Rechtsstaats," dennoch die Stellung enthalten, in welche
eben durch jene Idee die Verwaltungslehre gedrängt wird. Von dem

Wichtigkeit werden dürfte. Die logiſch-ethiſche Idee des Rechtsſtaats
nämlich entſteht und wirkt namentlich in denjenigen Ländern, die bei
großer Volksbildung wenig verfaſſungsmäßige Freiheit haben. Der Be-
griff des Staatsbürgerthums und ſeines Rechts dagegen hat ſeine Hei-
math da, wo zwar die Verfaſſung beſteht, aber noch nicht zur wahren
Harmonie der Staatsgewalten ausgebildet, nur noch die rechtliche Form
des Kampfes zwiſchen Regierung und Volk abgibt. Daher iſt die Hei-
math der erſteren Geſtalt der Staatsidee der Norden Deutſchlands,
namentlich Preußen, die Heimath der zweiten Geſtalt der Süden, na-
mentlich Württemberg, und der eigentliche Träger und zum Theil
Schöpfer dieſer negativen Rechtsſtaatsidee iſt Robert von Mohl, wäh-
rend die Formulirung der, wir können nicht anders ſagen als „abſtrakten“
Verfaſſungsfrage weſentlich durch Rotteck gegeben, und durch Aretin
zu einer förmlichen Staatswiſſenſchaft ausgebildet ward. Doch gehört
die weitere Darſtellung dieſer Punkte einer andern Arbeit.

Wenden wir uns jetzt aber der Idee der Verwaltung wieder zu,
ſo wird, glauben wir, die Beantwortung der Frage leicht, welche Stel-
lung in dieſer Epoche die innere Verwaltungslehre finden
müßte.

In der That nämlich war in jener Auffaſſung für die letztere gar
kein
Raum. Wir haben geſagt, daß jede Verwaltungslehre nur als
Conſequenz und Ausdruck einer Geſammtauffaſſung des Staats erſchei-
nen kann. Der Rechtsſtaat aber in allen ſeinen drei Formen enthält gar
keine Anknüpfung für das Weſen und den Inhalt der innern Verwaltung.
Er will das Recht. Das iſt die Gränze zwiſchen den ſelbſtändigen
Perſönlichkeiten; die Verwaltung dagegen geht im Namen der Geſammt-
entwicklung eben über dieſe Gränze hinaus. Die Abneigung gegen die
polizeiliche Gewalt fand daher in dieſem Begriff einen treuen Verbün-
deten, und ſo wird es erklärlich, daß mit dem Anfang dieſes Jahrhun-
derts die eigentliche Verwaltungslehre aus der geſammten
Staatswiſſenſchaft ſowohl in der Literatur als auf den
Univerſitäten geradezu verſchwindet
und alle Theorie und
alles Nachdenken über dieſelbe von Philoſophie, conſtitutionellen Fragen
und juriſtiſchen Kämpfen gegen das Verwaltungsrecht abſorbirt wird.

Natürlich nun konnte man trotzdem des Inhaltes der Verwal-
tungslehre, oder wie man ſie unglücklicher Weiſe noch immer nannte,
der „Polizeiwiſſenſchaft“ doch nicht ganz entbehren. Man mußte ſie in
irgend einer Form aufnehmen. Und jetzt ſehen wir daher eine Reihe
von Erſcheinungen auftreten, welche, äußerlich in keiner Beziehung zum
Begriffe des „Rechtsſtaats,“ dennoch die Stellung enthalten, in welche
eben durch jene Idee die Verwaltungslehre gedrängt wird. Von dem

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[29/0051] Wichtigkeit werden dürfte. Die logiſch-ethiſche Idee des Rechtsſtaats nämlich entſteht und wirkt namentlich in denjenigen Ländern, die bei großer Volksbildung wenig verfaſſungsmäßige Freiheit haben. Der Be- griff des Staatsbürgerthums und ſeines Rechts dagegen hat ſeine Hei- math da, wo zwar die Verfaſſung beſteht, aber noch nicht zur wahren Harmonie der Staatsgewalten ausgebildet, nur noch die rechtliche Form des Kampfes zwiſchen Regierung und Volk abgibt. Daher iſt die Hei- math der erſteren Geſtalt der Staatsidee der Norden Deutſchlands, namentlich Preußen, die Heimath der zweiten Geſtalt der Süden, na- mentlich Württemberg, und der eigentliche Träger und zum Theil Schöpfer dieſer negativen Rechtsſtaatsidee iſt Robert von Mohl, wäh- rend die Formulirung der, wir können nicht anders ſagen als „abſtrakten“ Verfaſſungsfrage weſentlich durch Rotteck gegeben, und durch Aretin zu einer förmlichen Staatswiſſenſchaft ausgebildet ward. Doch gehört die weitere Darſtellung dieſer Punkte einer andern Arbeit. Wenden wir uns jetzt aber der Idee der Verwaltung wieder zu, ſo wird, glauben wir, die Beantwortung der Frage leicht, welche Stel- lung in dieſer Epoche die innere Verwaltungslehre finden müßte. In der That nämlich war in jener Auffaſſung für die letztere gar kein Raum. Wir haben geſagt, daß jede Verwaltungslehre nur als Conſequenz und Ausdruck einer Geſammtauffaſſung des Staats erſchei- nen kann. Der Rechtsſtaat aber in allen ſeinen drei Formen enthält gar keine Anknüpfung für das Weſen und den Inhalt der innern Verwaltung. Er will das Recht. Das iſt die Gränze zwiſchen den ſelbſtändigen Perſönlichkeiten; die Verwaltung dagegen geht im Namen der Geſammt- entwicklung eben über dieſe Gränze hinaus. Die Abneigung gegen die polizeiliche Gewalt fand daher in dieſem Begriff einen treuen Verbün- deten, und ſo wird es erklärlich, daß mit dem Anfang dieſes Jahrhun- derts die eigentliche Verwaltungslehre aus der geſammten Staatswiſſenſchaft ſowohl in der Literatur als auf den Univerſitäten geradezu verſchwindet und alle Theorie und alles Nachdenken über dieſelbe von Philoſophie, conſtitutionellen Fragen und juriſtiſchen Kämpfen gegen das Verwaltungsrecht abſorbirt wird. Natürlich nun konnte man trotzdem des Inhaltes der Verwal- tungslehre, oder wie man ſie unglücklicher Weiſe noch immer nannte, der „Polizeiwiſſenſchaft“ doch nicht ganz entbehren. Man mußte ſie in irgend einer Form aufnehmen. Und jetzt ſehen wir daher eine Reihe von Erſcheinungen auftreten, welche, äußerlich in keiner Beziehung zum Begriffe des „Rechtsſtaats,“ dennoch die Stellung enthalten, in welche eben durch jene Idee die Verwaltungslehre gedrängt wird. Von dem

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/51>, abgerufen am 16.04.2024.