Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

sehen werden, ist wirklich das Verwaltungsrecht die gültige und äußer-
liche Formulirung der Verwaltung selbst. Nur war die Idee der Ge-
meinschaft des innern Lebens für die deutschen Staaten verschwunden;
hätte man sie erhalten können, so wäre vielleicht aus diesem Verwal-
tungsrecht eine Verwaltungslehre auch im Ganzen entstanden, wie sie
für gewisse einzelne Gebiete wirklich entstand. Aber das war eben nicht
der Fall. Die Behandlung der Verwaltungsgegenstände mußte sich
daher hier auf eine rein juristische Basis zurückziehen. Der Standpunkt
liegt nicht mehr, wie noch bei Berg, in der Untersuchung dessen, was
für die einzelnen Verwaltungsaufgaben an sich richtig, sondern viel
mehr in dem, was positiv für die Thätigkeit der Verwaltung ge-
setzlich ist. Die Verwaltung erscheint hier daher nicht als ein orga-
nischer Begriff des Staats, oder in ethischer oder logischer Verbindung
mit demselben, sondern vielmehr als eine ganz natürliche Abthei-
lung innerhalb des öffentlichen oder Staatsrechts
. Das
System dieser Arbeiten wird dem entsprechend nicht philosophisch entwickelt,
sondern es entsteht gleichsam von selbst aus dem Stoffe, mit dem er sich
beschäftigt. Die Aufgabe dieser Darstellungen besteht deßhalb auch
nicht darin, das ganze Gebiet der Verwaltung systematisch zu erschöpfen,
sondern nur alles dasjenige aus der Verwaltung zu behandeln, wofür
in der positiven Gesetzgebung geltende Bestimmungen vorhanden sind.
Es war daher natürlich, daß diese Richtung, die in Frankreich das selb-
ständige Gebiet des droit administratif erzeugte, in England aus guten
Gründen ganz fehlte, und durch die Lehre vom Volksreichthum zum Theil
ersetzt ward, in Deutschland mit unserm Jahrhundert definitiv den Bo-
den des "Reiches" verließ, dem noch Berg angehört, und sich den ein-
zelnen deutschen Territorien zuwendete. Der erste und bedeutendste Ver-
treter dieser rein positiven Richtung, bei dem jedoch das "Reich" noch
nicht untergegangen ist, sondern über die ganze Arbeit eine gewisse eigen-
thümliche Stimmung verbreitet, die an die Bearbeitung des deutschen
Reichsrechtes mahnt, ist F. C. J. Fischer, Lehrbegriff sämmt-
licher Cameral- und Polizeirechte
. Sowohl von Teutschland
überhaupt, als insbesondere von den preußischen Staaten. 1785. 5. B.
Fischer gehört noch zu den alten deutschen Gelehrten. Er hat für jede
Abtheilung, für jeden Paragraphen in jeder Abtheilung noch mög-
lichst vollständiges Material, über dessen positiven Inhalt er durch keine
Reflexion hinausgeht; sein Werk wird für die Geschichte aller einzelnen
Theile der innern Verwaltung geradezu unschätzbar, da er noch viel
specieller ist als Berg. Aber er ist zugleich der erste, der sich keinen
Augenblick mehr um Begriff und Idee des Staats, um Ethik und Logik
kümmert, sondern unmittelbar auf die Substanz des positiven öffent-

ſehen werden, iſt wirklich das Verwaltungsrecht die gültige und äußer-
liche Formulirung der Verwaltung ſelbſt. Nur war die Idee der Ge-
meinſchaft des innern Lebens für die deutſchen Staaten verſchwunden;
hätte man ſie erhalten können, ſo wäre vielleicht aus dieſem Verwal-
tungsrecht eine Verwaltungslehre auch im Ganzen entſtanden, wie ſie
für gewiſſe einzelne Gebiete wirklich entſtand. Aber das war eben nicht
der Fall. Die Behandlung der Verwaltungsgegenſtände mußte ſich
daher hier auf eine rein juriſtiſche Baſis zurückziehen. Der Standpunkt
liegt nicht mehr, wie noch bei Berg, in der Unterſuchung deſſen, was
für die einzelnen Verwaltungsaufgaben an ſich richtig, ſondern viel
mehr in dem, was poſitiv für die Thätigkeit der Verwaltung ge-
ſetzlich iſt. Die Verwaltung erſcheint hier daher nicht als ein orga-
niſcher Begriff des Staats, oder in ethiſcher oder logiſcher Verbindung
mit demſelben, ſondern vielmehr als eine ganz natürliche Abthei-
lung innerhalb des öffentlichen oder Staatsrechts
. Das
Syſtem dieſer Arbeiten wird dem entſprechend nicht philoſophiſch entwickelt,
ſondern es entſteht gleichſam von ſelbſt aus dem Stoffe, mit dem er ſich
beſchäftigt. Die Aufgabe dieſer Darſtellungen beſteht deßhalb auch
nicht darin, das ganze Gebiet der Verwaltung ſyſtematiſch zu erſchöpfen,
ſondern nur alles dasjenige aus der Verwaltung zu behandeln, wofür
in der poſitiven Geſetzgebung geltende Beſtimmungen vorhanden ſind.
Es war daher natürlich, daß dieſe Richtung, die in Frankreich das ſelb-
ſtändige Gebiet des droit administratif erzeugte, in England aus guten
Gründen ganz fehlte, und durch die Lehre vom Volksreichthum zum Theil
erſetzt ward, in Deutſchland mit unſerm Jahrhundert definitiv den Bo-
den des „Reiches“ verließ, dem noch Berg angehört, und ſich den ein-
zelnen deutſchen Territorien zuwendete. Der erſte und bedeutendſte Ver-
treter dieſer rein poſitiven Richtung, bei dem jedoch das „Reich“ noch
nicht untergegangen iſt, ſondern über die ganze Arbeit eine gewiſſe eigen-
thümliche Stimmung verbreitet, die an die Bearbeitung des deutſchen
Reichsrechtes mahnt, iſt F. C. J. Fiſcher, Lehrbegriff ſämmt-
licher Cameral- und Polizeirechte
. Sowohl von Teutſchland
überhaupt, als insbeſondere von den preußiſchen Staaten. 1785. 5. B.
Fiſcher gehört noch zu den alten deutſchen Gelehrten. Er hat für jede
Abtheilung, für jeden Paragraphen in jeder Abtheilung noch mög-
lichſt vollſtändiges Material, über deſſen poſitiven Inhalt er durch keine
Reflexion hinausgeht; ſein Werk wird für die Geſchichte aller einzelnen
Theile der innern Verwaltung geradezu unſchätzbar, da er noch viel
ſpecieller iſt als Berg. Aber er iſt zugleich der erſte, der ſich keinen
Augenblick mehr um Begriff und Idee des Staats, um Ethik und Logik
kümmert, ſondern unmittelbar auf die Subſtanz des poſitiven öffent-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0056" n="34"/>
&#x017F;ehen werden, i&#x017F;t wirklich das Verwaltung<hi rendition="#g">srecht</hi> die gültige und äußer-<lb/>
liche Formulirung der Verwaltung &#x017F;elb&#x017F;t. Nur war die Idee der Ge-<lb/>
mein&#x017F;chaft des innern Lebens für die deut&#x017F;chen Staaten ver&#x017F;chwunden;<lb/>
hätte man &#x017F;ie erhalten können, &#x017F;o wäre vielleicht aus die&#x017F;em Verwal-<lb/>
tungsrecht eine Verwaltungslehre auch im Ganzen ent&#x017F;tanden, wie &#x017F;ie<lb/>
für gewi&#x017F;&#x017F;e einzelne Gebiete wirklich ent&#x017F;tand. Aber das war eben nicht<lb/>
der Fall. Die Behandlung der Verwaltungsgegen&#x017F;tände mußte &#x017F;ich<lb/>
daher hier auf eine rein juri&#x017F;ti&#x017F;che Ba&#x017F;is zurückziehen. Der Standpunkt<lb/>
liegt nicht mehr, wie noch bei Berg, in der Unter&#x017F;uchung de&#x017F;&#x017F;en, was<lb/>
für die einzelnen Verwaltungsaufgaben an &#x017F;ich richtig, &#x017F;ondern viel<lb/>
mehr in dem, was po&#x017F;itiv für die Thätigkeit der Verwaltung ge-<lb/>
&#x017F;etzlich i&#x017F;t. Die Verwaltung er&#x017F;cheint hier daher nicht als ein orga-<lb/>
ni&#x017F;cher Begriff des Staats, oder in ethi&#x017F;cher oder logi&#x017F;cher Verbindung<lb/>
mit dem&#x017F;elben, &#x017F;ondern vielmehr als eine ganz natürliche <hi rendition="#g">Abthei-<lb/>
lung innerhalb des öffentlichen oder Staatsrechts</hi>. Das<lb/>
Sy&#x017F;tem die&#x017F;er Arbeiten wird dem ent&#x017F;prechend nicht philo&#x017F;ophi&#x017F;ch entwickelt,<lb/>
&#x017F;ondern es ent&#x017F;teht gleich&#x017F;am von &#x017F;elb&#x017F;t aus dem Stoffe, mit dem er &#x017F;ich<lb/>
be&#x017F;chäftigt. Die Aufgabe die&#x017F;er Dar&#x017F;tellungen be&#x017F;teht deßhalb auch<lb/>
nicht darin, das ganze Gebiet der Verwaltung &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;ch zu er&#x017F;chöpfen,<lb/>
&#x017F;ondern nur alles dasjenige aus der Verwaltung zu behandeln, wofür<lb/>
in der po&#x017F;itiven Ge&#x017F;etzgebung geltende Be&#x017F;timmungen vorhanden &#x017F;ind.<lb/>
Es war daher natürlich, daß die&#x017F;e Richtung, die in Frankreich das &#x017F;elb-<lb/>
&#x017F;tändige Gebiet des <hi rendition="#aq">droit administratif</hi> erzeugte, in England aus guten<lb/>
Gründen ganz fehlte, und durch die Lehre vom Volksreichthum zum Theil<lb/>
er&#x017F;etzt ward, in Deut&#x017F;chland mit un&#x017F;erm Jahrhundert definitiv den Bo-<lb/>
den des &#x201E;Reiches&#x201C; verließ, dem noch Berg angehört, und &#x017F;ich den ein-<lb/>
zelnen deut&#x017F;chen Territorien zuwendete. Der er&#x017F;te und bedeutend&#x017F;te Ver-<lb/>
treter die&#x017F;er rein po&#x017F;itiven Richtung, bei dem jedoch das &#x201E;Reich&#x201C; noch<lb/>
nicht untergegangen i&#x017F;t, &#x017F;ondern über die ganze Arbeit eine gewi&#x017F;&#x017F;e eigen-<lb/>
thümliche Stimmung verbreitet, die an die Bearbeitung des deut&#x017F;chen<lb/>
Reichsrechtes mahnt, i&#x017F;t F. C. J. <hi rendition="#g">Fi&#x017F;cher, Lehrbegriff &#x017F;ämmt-<lb/>
licher Cameral- und Polizeirechte</hi>. Sowohl von Teut&#x017F;chland<lb/>
überhaupt, als insbe&#x017F;ondere von den preußi&#x017F;chen Staaten. 1785. 5. B.<lb/>
Fi&#x017F;cher gehört noch zu den alten deut&#x017F;chen Gelehrten. Er hat für jede<lb/>
Abtheilung, für jeden Paragraphen in jeder Abtheilung noch mög-<lb/>
lich&#x017F;t voll&#x017F;tändiges Material, über de&#x017F;&#x017F;en po&#x017F;itiven Inhalt er durch keine<lb/>
Reflexion hinausgeht; &#x017F;ein Werk wird für die Ge&#x017F;chichte aller einzelnen<lb/>
Theile der innern Verwaltung geradezu un&#x017F;chätzbar, da er noch viel<lb/>
&#x017F;pecieller i&#x017F;t als Berg. Aber er i&#x017F;t zugleich der er&#x017F;te, der &#x017F;ich keinen<lb/>
Augenblick mehr um Begriff und Idee des Staats, um Ethik und Logik<lb/>
kümmert, &#x017F;ondern unmittelbar auf die Sub&#x017F;tanz des po&#x017F;itiven öffent-<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0056] ſehen werden, iſt wirklich das Verwaltungsrecht die gültige und äußer- liche Formulirung der Verwaltung ſelbſt. Nur war die Idee der Ge- meinſchaft des innern Lebens für die deutſchen Staaten verſchwunden; hätte man ſie erhalten können, ſo wäre vielleicht aus dieſem Verwal- tungsrecht eine Verwaltungslehre auch im Ganzen entſtanden, wie ſie für gewiſſe einzelne Gebiete wirklich entſtand. Aber das war eben nicht der Fall. Die Behandlung der Verwaltungsgegenſtände mußte ſich daher hier auf eine rein juriſtiſche Baſis zurückziehen. Der Standpunkt liegt nicht mehr, wie noch bei Berg, in der Unterſuchung deſſen, was für die einzelnen Verwaltungsaufgaben an ſich richtig, ſondern viel mehr in dem, was poſitiv für die Thätigkeit der Verwaltung ge- ſetzlich iſt. Die Verwaltung erſcheint hier daher nicht als ein orga- niſcher Begriff des Staats, oder in ethiſcher oder logiſcher Verbindung mit demſelben, ſondern vielmehr als eine ganz natürliche Abthei- lung innerhalb des öffentlichen oder Staatsrechts. Das Syſtem dieſer Arbeiten wird dem entſprechend nicht philoſophiſch entwickelt, ſondern es entſteht gleichſam von ſelbſt aus dem Stoffe, mit dem er ſich beſchäftigt. Die Aufgabe dieſer Darſtellungen beſteht deßhalb auch nicht darin, das ganze Gebiet der Verwaltung ſyſtematiſch zu erſchöpfen, ſondern nur alles dasjenige aus der Verwaltung zu behandeln, wofür in der poſitiven Geſetzgebung geltende Beſtimmungen vorhanden ſind. Es war daher natürlich, daß dieſe Richtung, die in Frankreich das ſelb- ſtändige Gebiet des droit administratif erzeugte, in England aus guten Gründen ganz fehlte, und durch die Lehre vom Volksreichthum zum Theil erſetzt ward, in Deutſchland mit unſerm Jahrhundert definitiv den Bo- den des „Reiches“ verließ, dem noch Berg angehört, und ſich den ein- zelnen deutſchen Territorien zuwendete. Der erſte und bedeutendſte Ver- treter dieſer rein poſitiven Richtung, bei dem jedoch das „Reich“ noch nicht untergegangen iſt, ſondern über die ganze Arbeit eine gewiſſe eigen- thümliche Stimmung verbreitet, die an die Bearbeitung des deutſchen Reichsrechtes mahnt, iſt F. C. J. Fiſcher, Lehrbegriff ſämmt- licher Cameral- und Polizeirechte. Sowohl von Teutſchland überhaupt, als insbeſondere von den preußiſchen Staaten. 1785. 5. B. Fiſcher gehört noch zu den alten deutſchen Gelehrten. Er hat für jede Abtheilung, für jeden Paragraphen in jeder Abtheilung noch mög- lichſt vollſtändiges Material, über deſſen poſitiven Inhalt er durch keine Reflexion hinausgeht; ſein Werk wird für die Geſchichte aller einzelnen Theile der innern Verwaltung geradezu unſchätzbar, da er noch viel ſpecieller iſt als Berg. Aber er iſt zugleich der erſte, der ſich keinen Augenblick mehr um Begriff und Idee des Staats, um Ethik und Logik kümmert, ſondern unmittelbar auf die Subſtanz des poſitiven öffent-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/56
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/56>, abgerufen am 27.04.2024.