In Holland gibt der Bürgermeister in dringenden Fällen Polizei- verordnungen, welche er zur Kenntniß der Provinzial-Polizeicommission bringt, die das Recht hat, die Ausführung derselben zu vertagen (Gem. Gesetz von 1850, Art. 187, und oben). Was nun die Territorien des Polizeistrafgesetzbuchs betrifft, so ist hier das Beschwerderecht so viel weiter aufgefaßt, daß es nicht bloß den Einzelnen, sondern auch den Gemeindevorständen zusteht, und daß jede höhere Stelle das Recht hat, die Verfügungen der niedern außer Kraft zu setzen. Bayer. Polizei- strafgesetzbuch Art. 40. 43. Ganz ähnlich bad. Polizeistrafgesetzbuch §. 26. Von besonderem Interesse sind die Debatten über die Frage, ob die Polizeigerichte auch die "Nothwendigkeit" von Verfügungen neben ihrer "gesetzlichen Gültigkeit" in Berathung ziehen können. (S. Stempf a. a. O. S. 63--73.) Eine solche Frage wäre ganz unmöglich gewesen, wenn man eben nicht in dem unglücklichen Ausdruck "Polizeigericht" die Möglichkeit des Zweifels veranlaßt hätte, ob das Polizeigericht ein Ge- richt oder eine Verwaltungsinstanz sei. Wir haben über die Stel- lung der Gerichte zu der Frage nach der Rechtsgültigkeit der Verord- nungen uns vollständig ausgesprochen. Es ist die Entscheidung, daß die Polizeigerichte jenes Recht nicht haben, eben gar nichts anderes als die einfache Qualifikation derselben zu rein gerichtlichen Organen. Warum dann aber sie noch Polizeigerichte nennen? Etwa weil sie über Polizeivergehungen richten? Würden darnach die, über die in dem Strafgesetzbuch aufgenommene Polizeivergehen richtenden Strafgerichte nicht auch consequent Polizeigerichte heißen müssen? -- Sondern der Grund lag in dem unklaren Gefühl, daß das Verwaltungsstrafrecht eben etwas ganz anderes ist als das peinliche Strafrecht; die Scheidung der Polizei- und der peinlichen Gerichte entsprach und entspricht daher dem wahren Sachverhältniß, nur stehen wir noch auf dem Standpunkt, daß formelle Competenz und gesetzliche Natur der Sache sich nicht decken. Dieser Zweifel wird sich so lange wiederholen, bis das Verwaltungs- strafrecht aus dem peinlichen Strafgesetzbuch verbannt, und das Be- schwerderecht und Verfahren, wie das Klagverfahren, ein öffentliches und geregeltes sein wird.
2) Die Haftung für das Polizeiverfahren.
Die Haftung oder das Recht für das Polizeiverfahren neben dem Recht der Polizeiverfügung tritt nur da ein, wo es sich um das Verhalten der wirklich vollziehenden, physischen Thätigkeit der Po- lizeiorgane bei dem Eingriffe derselben in die Sphäre der individuellen Freiheit handelt.
In Holland gibt der Bürgermeiſter in dringenden Fällen Polizei- verordnungen, welche er zur Kenntniß der Provinzial-Polizeicommiſſion bringt, die das Recht hat, die Ausführung derſelben zu vertagen (Gem. Geſetz von 1850, Art. 187, und oben). Was nun die Territorien des Polizeiſtrafgeſetzbuchs betrifft, ſo iſt hier das Beſchwerderecht ſo viel weiter aufgefaßt, daß es nicht bloß den Einzelnen, ſondern auch den Gemeindevorſtänden zuſteht, und daß jede höhere Stelle das Recht hat, die Verfügungen der niedern außer Kraft zu ſetzen. Bayer. Polizei- ſtrafgeſetzbuch Art. 40. 43. Ganz ähnlich bad. Polizeiſtrafgeſetzbuch §. 26. Von beſonderem Intereſſe ſind die Debatten über die Frage, ob die Polizeigerichte auch die „Nothwendigkeit“ von Verfügungen neben ihrer „geſetzlichen Gültigkeit“ in Berathung ziehen können. (S. Stempf a. a. O. S. 63—73.) Eine ſolche Frage wäre ganz unmöglich geweſen, wenn man eben nicht in dem unglücklichen Ausdruck „Polizeigericht“ die Möglichkeit des Zweifels veranlaßt hätte, ob das Polizeigericht ein Ge- richt oder eine Verwaltungsinſtanz ſei. Wir haben über die Stel- lung der Gerichte zu der Frage nach der Rechtsgültigkeit der Verord- nungen uns vollſtändig ausgeſprochen. Es iſt die Entſcheidung, daß die Polizeigerichte jenes Recht nicht haben, eben gar nichts anderes als die einfache Qualifikation derſelben zu rein gerichtlichen Organen. Warum dann aber ſie noch Polizeigerichte nennen? Etwa weil ſie über Polizeivergehungen richten? Würden darnach die, über die in dem Strafgeſetzbuch aufgenommene Polizeivergehen richtenden Strafgerichte nicht auch conſequent Polizeigerichte heißen müſſen? — Sondern der Grund lag in dem unklaren Gefühl, daß das Verwaltungsſtrafrecht eben etwas ganz anderes iſt als das peinliche Strafrecht; die Scheidung der Polizei- und der peinlichen Gerichte entſprach und entſpricht daher dem wahren Sachverhältniß, nur ſtehen wir noch auf dem Standpunkt, daß formelle Competenz und geſetzliche Natur der Sache ſich nicht decken. Dieſer Zweifel wird ſich ſo lange wiederholen, bis das Verwaltungs- ſtrafrecht aus dem peinlichen Strafgeſetzbuch verbannt, und das Be- ſchwerderecht und Verfahren, wie das Klagverfahren, ein öffentliches und geregeltes ſein wird.
2) Die Haftung für das Polizeiverfahren.
Die Haftung oder das Recht für das Polizeiverfahren neben dem Recht der Polizeiverfügung tritt nur da ein, wo es ſich um das Verhalten der wirklich vollziehenden, phyſiſchen Thätigkeit der Po- lizeiorgane bei dem Eingriffe derſelben in die Sphäre der individuellen Freiheit handelt.
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In Holland gibt der Bürgermeiſter in dringenden Fällen Polizei-
verordnungen, welche er zur Kenntniß der Provinzial-Polizeicommiſſion
bringt, die das Recht hat, die Ausführung derſelben zu vertagen (Gem.
Geſetz von 1850, Art. 187, und oben). Was nun die Territorien des
Polizeiſtrafgeſetzbuchs betrifft, ſo iſt hier das Beſchwerderecht ſo viel
weiter aufgefaßt, daß es nicht bloß den Einzelnen, ſondern auch den
Gemeindevorſtänden zuſteht, und daß jede höhere Stelle das Recht hat,
die Verfügungen der niedern außer Kraft zu ſetzen. Bayer. Polizei-
ſtrafgeſetzbuch Art. 40. 43. Ganz ähnlich bad. Polizeiſtrafgeſetzbuch §. 26.
Von beſonderem Intereſſe ſind die Debatten über die Frage, ob die
Polizeigerichte auch die „Nothwendigkeit“ von Verfügungen neben ihrer
„geſetzlichen Gültigkeit“ in Berathung ziehen können. (S. Stempf
a. a. O. S. 63—73.) Eine ſolche Frage wäre ganz unmöglich geweſen,
wenn man eben nicht in dem unglücklichen Ausdruck „Polizeigericht“ die
Möglichkeit des Zweifels veranlaßt hätte, ob das Polizeigericht ein Ge-
richt oder eine Verwaltungsinſtanz ſei. Wir haben über die Stel-
lung der Gerichte zu der Frage nach der Rechtsgültigkeit der Verord-
nungen uns vollſtändig ausgeſprochen. Es iſt die Entſcheidung, daß
die Polizeigerichte jenes Recht nicht haben, eben gar nichts anderes
als die einfache Qualifikation derſelben zu rein gerichtlichen Organen.
Warum dann aber ſie noch Polizeigerichte nennen? Etwa weil ſie
über Polizeivergehungen richten? Würden darnach die, über die in dem
Strafgeſetzbuch aufgenommene Polizeivergehen richtenden Strafgerichte
nicht auch conſequent Polizeigerichte heißen müſſen? — Sondern der
Grund lag in dem unklaren Gefühl, daß das Verwaltungsſtrafrecht
eben etwas ganz anderes iſt als das peinliche Strafrecht; die Scheidung
der Polizei- und der peinlichen Gerichte entſprach und entſpricht daher
dem wahren Sachverhältniß, nur ſtehen wir noch auf dem Standpunkt,
daß formelle Competenz und geſetzliche Natur der Sache ſich nicht decken.
Dieſer Zweifel wird ſich ſo lange wiederholen, bis das Verwaltungs-
ſtrafrecht aus dem peinlichen Strafgeſetzbuch verbannt, und das Be-
ſchwerderecht und Verfahren, wie das Klagverfahren, ein öffentliches und
geregeltes ſein wird.
2) Die Haftung für das Polizeiverfahren.
Die Haftung oder das Recht für das Polizeiverfahren neben
dem Recht der Polizeiverfügung tritt nur da ein, wo es ſich um das
Verhalten der wirklich vollziehenden, phyſiſchen Thätigkeit der Po-
lizeiorgane bei dem Eingriffe derſelben in die Sphäre der individuellen
Freiheit handelt.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/101>, abgerufen am 29.11.2023.
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