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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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des Aufstandes u. s. w. vorliegt, nicht mit dem Ganzen zu thun. Die
Aufgabe der Polizei geht, in Beziehung auf alle diese Verbrechen, viel-
mehr einzig und allein dahin, die Einzelnen, die sich an solchen Be-
wegungen betheiligen, zu ergreifen, und sie der gerichtlichen Verhand-
lung zuzuführen. Jeder Akt der Polizei, sobald derselbe mit irgend
einem Einzelnen zu thun hat, fällt daher unter das Recht der ge-
richtlichen Polizei; die Polizei ist in Beziehung auf das Individuum zu
nichts anderem berechtigt, als zu demjenigen, was innerhalb der Auf-
gabe liegt, dieß Individuum vor Gericht zu stellen. Im Falle des
Widerstandes von Seiten dieser Einzelnen treten dann die Rechtsgrund-
sätze der allgemeinen Polizei, speziell das Waffenrecht derselben, ein.

Die zweite Form der Volksbewegung ist nun die, in der weder ein
erkennbarer Zweck, noch eine bereits geschehene strafrechtliche Störung
der öffentlichen Rechtsordnung vorliegt, sondern nur, eben vermöge der
an sich unbestimmten Gefahr, die in jeder Massenbewegung liegt, die
Möglichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Hier hat
wieder die gerichtliche Polizei gar nichts zu thun, sondern die Be-
seitigung dieser Gefährdung ist eben Sache der höheren Sicherheits-
polizei
. Und die gesetzlichen Vorschriften über das Verfahren derselben
gegenüber einer solchen, noch kein Verbrechen enthaltenden Volks-
bewegung ist eben das Recht der höheren Sicherheitspolizei.

Dieses Recht nun erscheint zunächst an sich unendlich -- gegenüber
der elementaren Gewalt der Masse erscheint die Sicherheitspolizei be-
rechtigt und sogar berufen, ganz nach ihrem, und zwar beinahe un-
controlirbaren Ermessen, gleichfalls die materielle Gewalt anzuwenden.
Allein eben so gewiß ist es, daß gerade in diesem an sich unbeschränkten
Recht der Sicherheitspolizei die Unverletzlichkeit des Einzelnen dem sub-
jektiven Dafürhalten der einzelnen Polizeiorgane in die Hand gegeben
ist. Die Aufgabe nun, diesem einseitigen Ermessen der sicherheitspolizei-
lichen Gewalten im Namen der Sicherheit des einzelnen Staatsbürgers
diejenigen gesetzlichen Gränzen vorzuzeichnen, welche es derselben noch
möglich machen, die Sicherheit herzustellen, hat nun ein förmliches
Rechtssystem von Vorschriften erzeugt, die man einzeln betrachten
muß, um wiederum ihr Verhältniß zur gerichtlichen Polizei klar zu stellen.

Dieß Rechtssystem zerfällt in zwei Theile. Der erste enthält das
Recht der Polizeiverfügungen, der zweite das Recht des Polizei-
verfahrens
bei den gefährlichen Volksbewegungen.

Das Recht der Polizeiverfügungen zunächst besteht in dem Recht
der Polizei, die freie Bewegung der Einzelnen im Verkehr bei drohender
Gefahr durch Verbote zu beschränken (Absperrung von Straßen,
Schließen der Läden u. s. w.), oder aber die Vergrößerung der Gefahr

des Aufſtandes u. ſ. w. vorliegt, nicht mit dem Ganzen zu thun. Die
Aufgabe der Polizei geht, in Beziehung auf alle dieſe Verbrechen, viel-
mehr einzig und allein dahin, die Einzelnen, die ſich an ſolchen Be-
wegungen betheiligen, zu ergreifen, und ſie der gerichtlichen Verhand-
lung zuzuführen. Jeder Akt der Polizei, ſobald derſelbe mit irgend
einem Einzelnen zu thun hat, fällt daher unter das Recht der ge-
richtlichen Polizei; die Polizei iſt in Beziehung auf das Individuum zu
nichts anderem berechtigt, als zu demjenigen, was innerhalb der Auf-
gabe liegt, dieß Individuum vor Gericht zu ſtellen. Im Falle des
Widerſtandes von Seiten dieſer Einzelnen treten dann die Rechtsgrund-
ſätze der allgemeinen Polizei, ſpeziell das Waffenrecht derſelben, ein.

Die zweite Form der Volksbewegung iſt nun die, in der weder ein
erkennbarer Zweck, noch eine bereits geſchehene ſtrafrechtliche Störung
der öffentlichen Rechtsordnung vorliegt, ſondern nur, eben vermöge der
an ſich unbeſtimmten Gefahr, die in jeder Maſſenbewegung liegt, die
Möglichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Hier hat
wieder die gerichtliche Polizei gar nichts zu thun, ſondern die Be-
ſeitigung dieſer Gefährdung iſt eben Sache der höheren Sicherheits-
polizei
. Und die geſetzlichen Vorſchriften über das Verfahren derſelben
gegenüber einer ſolchen, noch kein Verbrechen enthaltenden Volks-
bewegung iſt eben das Recht der höheren Sicherheitspolizei.

Dieſes Recht nun erſcheint zunächſt an ſich unendlich — gegenüber
der elementaren Gewalt der Maſſe erſcheint die Sicherheitspolizei be-
rechtigt und ſogar berufen, ganz nach ihrem, und zwar beinahe un-
controlirbaren Ermeſſen, gleichfalls die materielle Gewalt anzuwenden.
Allein eben ſo gewiß iſt es, daß gerade in dieſem an ſich unbeſchränkten
Recht der Sicherheitspolizei die Unverletzlichkeit des Einzelnen dem ſub-
jektiven Dafürhalten der einzelnen Polizeiorgane in die Hand gegeben
iſt. Die Aufgabe nun, dieſem einſeitigen Ermeſſen der ſicherheitspolizei-
lichen Gewalten im Namen der Sicherheit des einzelnen Staatsbürgers
diejenigen geſetzlichen Gränzen vorzuzeichnen, welche es derſelben noch
möglich machen, die Sicherheit herzuſtellen, hat nun ein förmliches
Rechtsſyſtem von Vorſchriften erzeugt, die man einzeln betrachten
muß, um wiederum ihr Verhältniß zur gerichtlichen Polizei klar zu ſtellen.

Dieß Rechtsſyſtem zerfällt in zwei Theile. Der erſte enthält das
Recht der Polizeiverfügungen, der zweite das Recht des Polizei-
verfahrens
bei den gefährlichen Volksbewegungen.

Das Recht der Polizeiverfügungen zunächſt beſteht in dem Recht
der Polizei, die freie Bewegung der Einzelnen im Verkehr bei drohender
Gefahr durch Verbote zu beſchränken (Abſperrung von Straßen,
Schließen der Läden u. ſ. w.), oder aber die Vergrößerung der Gefahr

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[120/0142] des Aufſtandes u. ſ. w. vorliegt, nicht mit dem Ganzen zu thun. Die Aufgabe der Polizei geht, in Beziehung auf alle dieſe Verbrechen, viel- mehr einzig und allein dahin, die Einzelnen, die ſich an ſolchen Be- wegungen betheiligen, zu ergreifen, und ſie der gerichtlichen Verhand- lung zuzuführen. Jeder Akt der Polizei, ſobald derſelbe mit irgend einem Einzelnen zu thun hat, fällt daher unter das Recht der ge- richtlichen Polizei; die Polizei iſt in Beziehung auf das Individuum zu nichts anderem berechtigt, als zu demjenigen, was innerhalb der Auf- gabe liegt, dieß Individuum vor Gericht zu ſtellen. Im Falle des Widerſtandes von Seiten dieſer Einzelnen treten dann die Rechtsgrund- ſätze der allgemeinen Polizei, ſpeziell das Waffenrecht derſelben, ein. Die zweite Form der Volksbewegung iſt nun die, in der weder ein erkennbarer Zweck, noch eine bereits geſchehene ſtrafrechtliche Störung der öffentlichen Rechtsordnung vorliegt, ſondern nur, eben vermöge der an ſich unbeſtimmten Gefahr, die in jeder Maſſenbewegung liegt, die Möglichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Hier hat wieder die gerichtliche Polizei gar nichts zu thun, ſondern die Be- ſeitigung dieſer Gefährdung iſt eben Sache der höheren Sicherheits- polizei. Und die geſetzlichen Vorſchriften über das Verfahren derſelben gegenüber einer ſolchen, noch kein Verbrechen enthaltenden Volks- bewegung iſt eben das Recht der höheren Sicherheitspolizei. Dieſes Recht nun erſcheint zunächſt an ſich unendlich — gegenüber der elementaren Gewalt der Maſſe erſcheint die Sicherheitspolizei be- rechtigt und ſogar berufen, ganz nach ihrem, und zwar beinahe un- controlirbaren Ermeſſen, gleichfalls die materielle Gewalt anzuwenden. Allein eben ſo gewiß iſt es, daß gerade in dieſem an ſich unbeſchränkten Recht der Sicherheitspolizei die Unverletzlichkeit des Einzelnen dem ſub- jektiven Dafürhalten der einzelnen Polizeiorgane in die Hand gegeben iſt. Die Aufgabe nun, dieſem einſeitigen Ermeſſen der ſicherheitspolizei- lichen Gewalten im Namen der Sicherheit des einzelnen Staatsbürgers diejenigen geſetzlichen Gränzen vorzuzeichnen, welche es derſelben noch möglich machen, die Sicherheit herzuſtellen, hat nun ein förmliches Rechtsſyſtem von Vorſchriften erzeugt, die man einzeln betrachten muß, um wiederum ihr Verhältniß zur gerichtlichen Polizei klar zu ſtellen. Dieß Rechtsſyſtem zerfällt in zwei Theile. Der erſte enthält das Recht der Polizeiverfügungen, der zweite das Recht des Polizei- verfahrens bei den gefährlichen Volksbewegungen. Das Recht der Polizeiverfügungen zunächſt beſteht in dem Recht der Polizei, die freie Bewegung der Einzelnen im Verkehr bei drohender Gefahr durch Verbote zu beſchränken (Abſperrung von Straßen, Schließen der Läden u. ſ. w.), oder aber die Vergrößerung der Gefahr

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/142>, abgerufen am 29.04.2024.