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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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Der zweite Theil dieses Rechts wird nun durch die speziellen Vor-
schriften über das Verfahren bei dem Waffengebrauch selbst gebildet.
Die Aufgabe der dahin zielenden rechtlichen Bestimmungen ist, durch
bestimmte Maßregeln und Einwirkungen auf die Masse dieselbe zu zer-
streuen, um der Anwendung der Waffengewalt enthoben zu sein, und
die letztere erst dann als berechtigt zu erklären, wenn die Fruchtlosigkeit
jener Einwirkungen constatirt ist. Die praktische Ordnung dafür ist an
sich einfach. Sie fordert erstlich, daß die Organe der vollziehenden Ge-
walt mit ihren erkennbaren Abzeichen die Aufforderung zum Auseinander-
gehen und die Drohung der Anwendung der Gewalt erlassen, und zwar
in erkennbarer Weise (Trommeln etc., "Verlesen der Aufruhrsakte"),
dann, daß die Waffe gegen die Masse erst dann angewendet werde,
wenn jene Drohung erfolglos bleibt. Daß bei direktem Angriffe gegen
die militärische Macht die Anwendung der Waffe auch ohne solche Ver-
lesung stattfinden kann, versteht sich von selbst. -- Sowie die Waffen-
gewalt beginnt, hört dann die Thätigkeit der Polizei auf; in dem
mechanischen Kampf der elementaren Kräfte geht das Recht unter.


Die Gesetzgebung über das Recht des Verfahrens der Sicherheits-
polizei bei Volksbewegungen ist in England zuerst auf Grundlage des
freien bürgerlichen Rechts, in Frankreich auf Grundlage der verwaltungs-
rechtlichen Organisation der Behörden entstanden. Der Kampf zwischen
Volk und Regierung am Ende des vorigen Jahrhunderts ließ die ganze
Gesetzgebung unter der Regierung Georgs IV. entstehen. Das Sta-
tute 1 Georg IV.
2, die Riot-Act, ist das erste europäische Gesetz
über die Anwendung der Waffengewalt gegen Volksbewegungen; das
Statute 7. 8 Georg IV. 30 ist eine spezielle Anwendung derselben
gegen Arbeitertumulte. Das Statute 1 Vict. folgte dann dem Vor-
gange Frankreichs, und setzte eigene Strafen für den Tumult ein, damit
die gerichtliche Polizei an der Seite der Sicherheitspolizei einführend;
wozu noch 4. 5 Vict. 56 wesentliche Zusätze gab. Ebenso ward die
Haftung der Gemeinden schon durch 7. 8 Georg IV. 31 ausgesprochen.
(Vgl. Gneist, engl. Verfassung II. 36.) -- Von weit größerer Klarheit
und auch von viel größerem Einfluß auf das übrige Europa war die
französische Gesetzgebung. Sie faßte zuerst die sicherheitspolizeiliche An-
wendung der Waffengewalt bei Volksbewegungen als ein selbständiges
Polizeirecht neben dem Strafrecht auf, und hat dasselbe auch vollständig
ausgebildet. Der rechtliche Name dafür ist die Loi martiale, der polizei-
liche Ausdruck für die gefährliche Volksbewegung ist Attroupement
("rassemblement tumultueux forme sur la voie publique").
Die

Der zweite Theil dieſes Rechts wird nun durch die ſpeziellen Vor-
ſchriften über das Verfahren bei dem Waffengebrauch ſelbſt gebildet.
Die Aufgabe der dahin zielenden rechtlichen Beſtimmungen iſt, durch
beſtimmte Maßregeln und Einwirkungen auf die Maſſe dieſelbe zu zer-
ſtreuen, um der Anwendung der Waffengewalt enthoben zu ſein, und
die letztere erſt dann als berechtigt zu erklären, wenn die Fruchtloſigkeit
jener Einwirkungen conſtatirt iſt. Die praktiſche Ordnung dafür iſt an
ſich einfach. Sie fordert erſtlich, daß die Organe der vollziehenden Ge-
walt mit ihren erkennbaren Abzeichen die Aufforderung zum Auseinander-
gehen und die Drohung der Anwendung der Gewalt erlaſſen, und zwar
in erkennbarer Weiſe (Trommeln ꝛc., „Verleſen der Aufruhrsakte“),
dann, daß die Waffe gegen die Maſſe erſt dann angewendet werde,
wenn jene Drohung erfolglos bleibt. Daß bei direktem Angriffe gegen
die militäriſche Macht die Anwendung der Waffe auch ohne ſolche Ver-
leſung ſtattfinden kann, verſteht ſich von ſelbſt. — Sowie die Waffen-
gewalt beginnt, hört dann die Thätigkeit der Polizei auf; in dem
mechaniſchen Kampf der elementaren Kräfte geht das Recht unter.


Die Geſetzgebung über das Recht des Verfahrens der Sicherheits-
polizei bei Volksbewegungen iſt in England zuerſt auf Grundlage des
freien bürgerlichen Rechts, in Frankreich auf Grundlage der verwaltungs-
rechtlichen Organiſation der Behörden entſtanden. Der Kampf zwiſchen
Volk und Regierung am Ende des vorigen Jahrhunderts ließ die ganze
Geſetzgebung unter der Regierung Georgs IV. entſtehen. Das Sta-
tute 1 Georg IV.
2, die Riot-Act, iſt das erſte europäiſche Geſetz
über die Anwendung der Waffengewalt gegen Volksbewegungen; das
Statute 7. 8 Georg IV. 30 iſt eine ſpezielle Anwendung derſelben
gegen Arbeitertumulte. Das Statute 1 Vict. folgte dann dem Vor-
gange Frankreichs, und ſetzte eigene Strafen für den Tumult ein, damit
die gerichtliche Polizei an der Seite der Sicherheitspolizei einführend;
wozu noch 4. 5 Vict. 56 weſentliche Zuſätze gab. Ebenſo ward die
Haftung der Gemeinden ſchon durch 7. 8 Georg IV. 31 ausgeſprochen.
(Vgl. Gneiſt, engl. Verfaſſung II. 36.) — Von weit größerer Klarheit
und auch von viel größerem Einfluß auf das übrige Europa war die
franzöſiſche Geſetzgebung. Sie faßte zuerſt die ſicherheitspolizeiliche An-
wendung der Waffengewalt bei Volksbewegungen als ein ſelbſtändiges
Polizeirecht neben dem Strafrecht auf, und hat daſſelbe auch vollſtändig
ausgebildet. Der rechtliche Name dafür iſt die Loi martiale, der polizei-
liche Ausdruck für die gefährliche Volksbewegung iſt Attroupement
(„rassemblement tumultueux formé sur la voie publique“).
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[122/0144] Der zweite Theil dieſes Rechts wird nun durch die ſpeziellen Vor- ſchriften über das Verfahren bei dem Waffengebrauch ſelbſt gebildet. Die Aufgabe der dahin zielenden rechtlichen Beſtimmungen iſt, durch beſtimmte Maßregeln und Einwirkungen auf die Maſſe dieſelbe zu zer- ſtreuen, um der Anwendung der Waffengewalt enthoben zu ſein, und die letztere erſt dann als berechtigt zu erklären, wenn die Fruchtloſigkeit jener Einwirkungen conſtatirt iſt. Die praktiſche Ordnung dafür iſt an ſich einfach. Sie fordert erſtlich, daß die Organe der vollziehenden Ge- walt mit ihren erkennbaren Abzeichen die Aufforderung zum Auseinander- gehen und die Drohung der Anwendung der Gewalt erlaſſen, und zwar in erkennbarer Weiſe (Trommeln ꝛc., „Verleſen der Aufruhrsakte“), dann, daß die Waffe gegen die Maſſe erſt dann angewendet werde, wenn jene Drohung erfolglos bleibt. Daß bei direktem Angriffe gegen die militäriſche Macht die Anwendung der Waffe auch ohne ſolche Ver- leſung ſtattfinden kann, verſteht ſich von ſelbſt. — Sowie die Waffen- gewalt beginnt, hört dann die Thätigkeit der Polizei auf; in dem mechaniſchen Kampf der elementaren Kräfte geht das Recht unter. Die Geſetzgebung über das Recht des Verfahrens der Sicherheits- polizei bei Volksbewegungen iſt in England zuerſt auf Grundlage des freien bürgerlichen Rechts, in Frankreich auf Grundlage der verwaltungs- rechtlichen Organiſation der Behörden entſtanden. Der Kampf zwiſchen Volk und Regierung am Ende des vorigen Jahrhunderts ließ die ganze Geſetzgebung unter der Regierung Georgs IV. entſtehen. Das Sta- tute 1 Georg IV. 2, die Riot-Act, iſt das erſte europäiſche Geſetz über die Anwendung der Waffengewalt gegen Volksbewegungen; das Statute 7. 8 Georg IV. 30 iſt eine ſpezielle Anwendung derſelben gegen Arbeitertumulte. Das Statute 1 Vict. folgte dann dem Vor- gange Frankreichs, und ſetzte eigene Strafen für den Tumult ein, damit die gerichtliche Polizei an der Seite der Sicherheitspolizei einführend; wozu noch 4. 5 Vict. 56 weſentliche Zuſätze gab. Ebenſo ward die Haftung der Gemeinden ſchon durch 7. 8 Georg IV. 31 ausgeſprochen. (Vgl. Gneiſt, engl. Verfaſſung II. 36.) — Von weit größerer Klarheit und auch von viel größerem Einfluß auf das übrige Europa war die franzöſiſche Geſetzgebung. Sie faßte zuerſt die ſicherheitspolizeiliche An- wendung der Waffengewalt bei Volksbewegungen als ein ſelbſtändiges Polizeirecht neben dem Strafrecht auf, und hat daſſelbe auch vollſtändig ausgebildet. Der rechtliche Name dafür iſt die Loi martiale, der polizei- liche Ausdruck für die gefährliche Volksbewegung iſt Attroupement („rassemblement tumultueux formé sur la voie publique“). Die

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/144>, abgerufen am 30.04.2024.