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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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persönlichen Freiheit) insbesondere eine Verhaftung, stattzufinden hat,
werden durch das Gesetz bestimmt." Dieß Gesetz nun war das Gesetz vom
12. Febr. 1850 zum Schutze der persönlichen Freiheit, das den Unter-
schied jener beiden Arten der Verhaftung durchführt, und das beste und
vollständigste von allen dahin gehörigen Gesetzen ist, und mit Recht
als Muster aufgestellt zu werden verdient. Darnach unterscheidet dasselbe
die Verhaftung als die gerichtliche, auf gerichtlichen Befehl geschehende
von der Festnahme wegen handhafter That, Fluchtversuch, Collision
oder dringenden Verdachts bei einem begangenen Verbrechen, und die
polizeiliche Verwahrung wegen öffentlicher Ruhestörung, mit dem
Principe, daß die Festgenommenen im Laufe des folgenden Tages vom
Richter verhört, die Verwahrten (Eingeführten) dagegen in derselben
Zeit entlassen oder vor Gericht gestellt werden sollen. Ich kann die
Ansicht Rönne's (Staatsrecht. I. §. 89) nicht theilen, daß der zweite
Punkt mit dem Art. 5 der Verfassung im Widerspruch stehe; dagegen
ist auch die Festnahme polizeilicher Natur, und es fehlt die Bestim-
mung, daß bei Erlegung der betreffenden Geldbuße die Freilassung
sofort geschehen müsse. Bernard hätte aus diesem Gesetze viel lernen
können; daß Heinze in seiner geschmackvollen Abhandlung (Das Recht
der Untersuchungshaft, 1865) gar keinen Punkt gefunden hat, auf dieß
Gesetz zu kommen, können wir nur beklagen. Noch näher hätte die
Sache wohl dem, übrigens eben so umsichtigen als gründlichen K. R.
Sonntag für seine treffliche Arbeit (Die Entlassung gegen Caution im
deutschen Strafverfahren, 1865) gelegen, der in bescheidener Weise auf
dem Titel gar nicht erwähnt, daß er eben so tüchtig das englische und
französische Recht behandelt. Dieß Werk ist ein entscheidender Beweis
dafür, daß die auch hier zum Grunde liegende einseitige Vorstellung,
als ob die Verhaftung nur eine gerichtliche sein solle und jede andere
an und für sich entweder eine Ausnahme oder ein Uebelstand ist, uns
nicht zu einem selbständigen Polizeirecht kommen läßt. -- Die übrigen
deutschen Verfassungen haben es über die Verfassungsurkunde nicht
hinausgebracht. Anhalt-Bernburg (Verfassungsurkunde von 1850,
§. 6). Schwarzburg-Sondershausen (Verfassungsurkunde von
1849, §. 13). Waldeck (Verfassungsurkunde von 1852, §. 92). Olden-
burg
(Verfassungsurkunde von 1852, Art. 58. 59). Coburg-Gotha
(Verfassungsurkunde von 1852, §. 32). Reuß, 1852, §. 10. Hier muß
man die Fortbildung dieses Rechts statt in eigenen Gesetzen nach den
geltenden Gesichtspunkten in den Strafproceßordnungen suchen. In
diesen erscheint die Festnahme als das Ausnahmsweise; es ist die unklare
Vorstellung des "ersten Angriffes," die hier herrscht, oder die Modifici-
rung in bestimmten Fällen, wie bei Ruhestörungen u. s. w. Wir glauben

perſönlichen Freiheit) insbeſondere eine Verhaftung, ſtattzufinden hat,
werden durch das Geſetz beſtimmt.“ Dieß Geſetz nun war das Geſetz vom
12. Febr. 1850 zum Schutze der perſönlichen Freiheit, das den Unter-
ſchied jener beiden Arten der Verhaftung durchführt, und das beſte und
vollſtändigſte von allen dahin gehörigen Geſetzen iſt, und mit Recht
als Muſter aufgeſtellt zu werden verdient. Darnach unterſcheidet daſſelbe
die Verhaftung als die gerichtliche, auf gerichtlichen Befehl geſchehende
von der Feſtnahme wegen handhafter That, Fluchtverſuch, Colliſion
oder dringenden Verdachts bei einem begangenen Verbrechen, und die
polizeiliche Verwahrung wegen öffentlicher Ruheſtörung, mit dem
Principe, daß die Feſtgenommenen im Laufe des folgenden Tages vom
Richter verhört, die Verwahrten (Eingeführten) dagegen in derſelben
Zeit entlaſſen oder vor Gericht geſtellt werden ſollen. Ich kann die
Anſicht Rönne’s (Staatsrecht. I. §. 89) nicht theilen, daß der zweite
Punkt mit dem Art. 5 der Verfaſſung im Widerſpruch ſtehe; dagegen
iſt auch die Feſtnahme polizeilicher Natur, und es fehlt die Beſtim-
mung, daß bei Erlegung der betreffenden Geldbuße die Freilaſſung
ſofort geſchehen müſſe. Bernard hätte aus dieſem Geſetze viel lernen
können; daß Heinze in ſeiner geſchmackvollen Abhandlung (Das Recht
der Unterſuchungshaft, 1865) gar keinen Punkt gefunden hat, auf dieß
Geſetz zu kommen, können wir nur beklagen. Noch näher hätte die
Sache wohl dem, übrigens eben ſo umſichtigen als gründlichen K. R.
Sonntag für ſeine treffliche Arbeit (Die Entlaſſung gegen Caution im
deutſchen Strafverfahren, 1865) gelegen, der in beſcheidener Weiſe auf
dem Titel gar nicht erwähnt, daß er eben ſo tüchtig das engliſche und
franzöſiſche Recht behandelt. Dieß Werk iſt ein entſcheidender Beweis
dafür, daß die auch hier zum Grunde liegende einſeitige Vorſtellung,
als ob die Verhaftung nur eine gerichtliche ſein ſolle und jede andere
an und für ſich entweder eine Ausnahme oder ein Uebelſtand iſt, uns
nicht zu einem ſelbſtändigen Polizeirecht kommen läßt. — Die übrigen
deutſchen Verfaſſungen haben es über die Verfaſſungsurkunde nicht
hinausgebracht. Anhalt-Bernburg (Verfaſſungsurkunde von 1850,
§. 6). Schwarzburg-Sondershauſen (Verfaſſungsurkunde von
1849, §. 13). Waldeck (Verfaſſungsurkunde von 1852, §. 92). Olden-
burg
(Verfaſſungsurkunde von 1852, Art. 58. 59). Coburg-Gotha
(Verfaſſungsurkunde von 1852, §. 32). Reuß, 1852, §. 10. Hier muß
man die Fortbildung dieſes Rechts ſtatt in eigenen Geſetzen nach den
geltenden Geſichtspunkten in den Strafproceßordnungen ſuchen. In
dieſen erſcheint die Feſtnahme als das Ausnahmsweiſe; es iſt die unklare
Vorſtellung des „erſten Angriffes,“ die hier herrſcht, oder die Modifici-
rung in beſtimmten Fällen, wie bei Ruheſtörungen u. ſ. w. Wir glauben

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[149/0171] perſönlichen Freiheit) insbeſondere eine Verhaftung, ſtattzufinden hat, werden durch das Geſetz beſtimmt.“ Dieß Geſetz nun war das Geſetz vom 12. Febr. 1850 zum Schutze der perſönlichen Freiheit, das den Unter- ſchied jener beiden Arten der Verhaftung durchführt, und das beſte und vollſtändigſte von allen dahin gehörigen Geſetzen iſt, und mit Recht als Muſter aufgeſtellt zu werden verdient. Darnach unterſcheidet daſſelbe die Verhaftung als die gerichtliche, auf gerichtlichen Befehl geſchehende von der Feſtnahme wegen handhafter That, Fluchtverſuch, Colliſion oder dringenden Verdachts bei einem begangenen Verbrechen, und die polizeiliche Verwahrung wegen öffentlicher Ruheſtörung, mit dem Principe, daß die Feſtgenommenen im Laufe des folgenden Tages vom Richter verhört, die Verwahrten (Eingeführten) dagegen in derſelben Zeit entlaſſen oder vor Gericht geſtellt werden ſollen. Ich kann die Anſicht Rönne’s (Staatsrecht. I. §. 89) nicht theilen, daß der zweite Punkt mit dem Art. 5 der Verfaſſung im Widerſpruch ſtehe; dagegen iſt auch die Feſtnahme polizeilicher Natur, und es fehlt die Beſtim- mung, daß bei Erlegung der betreffenden Geldbuße die Freilaſſung ſofort geſchehen müſſe. Bernard hätte aus dieſem Geſetze viel lernen können; daß Heinze in ſeiner geſchmackvollen Abhandlung (Das Recht der Unterſuchungshaft, 1865) gar keinen Punkt gefunden hat, auf dieß Geſetz zu kommen, können wir nur beklagen. Noch näher hätte die Sache wohl dem, übrigens eben ſo umſichtigen als gründlichen K. R. Sonntag für ſeine treffliche Arbeit (Die Entlaſſung gegen Caution im deutſchen Strafverfahren, 1865) gelegen, der in beſcheidener Weiſe auf dem Titel gar nicht erwähnt, daß er eben ſo tüchtig das engliſche und franzöſiſche Recht behandelt. Dieß Werk iſt ein entſcheidender Beweis dafür, daß die auch hier zum Grunde liegende einſeitige Vorſtellung, als ob die Verhaftung nur eine gerichtliche ſein ſolle und jede andere an und für ſich entweder eine Ausnahme oder ein Uebelſtand iſt, uns nicht zu einem ſelbſtändigen Polizeirecht kommen läßt. — Die übrigen deutſchen Verfaſſungen haben es über die Verfaſſungsurkunde nicht hinausgebracht. Anhalt-Bernburg (Verfaſſungsurkunde von 1850, §. 6). Schwarzburg-Sondershauſen (Verfaſſungsurkunde von 1849, §. 13). Waldeck (Verfaſſungsurkunde von 1852, §. 92). Olden- burg (Verfaſſungsurkunde von 1852, Art. 58. 59). Coburg-Gotha (Verfaſſungsurkunde von 1852, §. 32). Reuß, 1852, §. 10. Hier muß man die Fortbildung dieſes Rechts ſtatt in eigenen Geſetzen nach den geltenden Geſichtspunkten in den Strafproceßordnungen ſuchen. In dieſen erſcheint die Feſtnahme als das Ausnahmsweiſe; es iſt die unklare Vorſtellung des „erſten Angriffes,“ die hier herrſcht, oder die Modifici- rung in beſtimmten Fällen, wie bei Ruheſtörungen u. ſ. w. Wir glauben

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/171>, abgerufen am 28.04.2024.