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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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Sinne, das ist ein für den Aufenthalt eines einzelnen Individuums
bestimmte Wohnung ist.


Es ist wohl vorzugsweise die Möglichkeit der großen Willkür, welche
die Polizei ausüben kann, wenn sie nach eigenem Ermessen in ein
Haus einzudringen das Recht hat, die die Vorstellung von der Un-
verletzlichkeit der Wohnung erzeugt hat. Auch hier ist der englische
Grundsatz für das positive Recht, der französische für die Bezeichnung
desselben maßgebend geworden; das deutsche, keineswegs vollständige
Recht hat wiederum seinerseits aus Mangel an polizeilich rechtlicher
Auffassung dasselbe beinahe ausschließlich in die Strafproceßordnungen
verwiesen und dadurch das Verständniß des Polizeirechts unsicher ge-
macht. Das englische Recht ist einfach. Das polizeiliche Recht
des Eindringens in ein Haus ist neben dem unbezweifelten gerichtlichen
(Glaser a. a. O. §. 134--139) ganz dem der polizeilichen Verhaf-
tung gleich und nach dem bestehenden Recht hat der englische Constable
hier wieder eine Gewalt, welche keinem continentalen Polizeiorgane
zusteht. Wir können, da merkwürdiger Weise die Schriftsteller, die
über das englische Verhaftungsrecht so umständlich sind, sich mit dem
englischen Hausrecht gar nicht beschäftigen, uns wohl am besten auf
Glaser berufen. Jeder Constable hat das Recht, bei "glaubwürdiger
Anzeige" eine Verfolgung einer Person wie auf handhafter That durch
"Horn und Nachruf" (by hue and cry) einseitig anzuordnen und bei
dieser Verfolgung in jedes Haus einzudringen, ja sogar die zur
Verfolgung aufgeforderten Privatpersonen, die überdieß zur Nach-
eile verpflichtet sind, haben mit ihm genau dasselbe Recht. Ob eine
solche Anzeige glaubwürdig ist oder nicht, darüber entscheidet niemand
anders als eben der Constable! Das gilt schon seit 3. Edw. I. 9
bis auf die Gegenwart (Blackstone IV, 21. Burn II, 683. v. Hue
and cry
). Vgl. Glaser a. a. O. §. 138 u. 430. Eine rücksichtslosere,
unbeschränktere Gefährdung des Rechts des Hauses ist wohl nicht denkbar,
und man wird daraus ermessen, was rechtlich in England der Satz my
house is my castle,
wirklich werth ist. Wiederum müssen wir auf den
früher citirten Satz Blackstones über die Constabler hinweisen, und
wiederum müssen wir hervorheben, daß unter solchen Umständen aller-
dings das Privatklagrecht in England in der That mehr als eine Noth-
wehr gegen Polizei, denn als ein verfassungsmäßiges Recht erscheint.

Auf dem Continent hat dieß ganze System nun eine ganz andere
Gestalt angenommen. Hier hat wiederum Frankreich die Initiative
ergriffen. Frankreich hat, wie gesagt, das allgemeine Princip der

Sinne, das iſt ein für den Aufenthalt eines einzelnen Individuums
beſtimmte Wohnung iſt.


Es iſt wohl vorzugsweiſe die Möglichkeit der großen Willkür, welche
die Polizei ausüben kann, wenn ſie nach eigenem Ermeſſen in ein
Haus einzudringen das Recht hat, die die Vorſtellung von der Un-
verletzlichkeit der Wohnung erzeugt hat. Auch hier iſt der engliſche
Grundſatz für das poſitive Recht, der franzöſiſche für die Bezeichnung
deſſelben maßgebend geworden; das deutſche, keineswegs vollſtändige
Recht hat wiederum ſeinerſeits aus Mangel an polizeilich rechtlicher
Auffaſſung daſſelbe beinahe ausſchließlich in die Strafproceßordnungen
verwieſen und dadurch das Verſtändniß des Polizeirechts unſicher ge-
macht. Das engliſche Recht iſt einfach. Das polizeiliche Recht
des Eindringens in ein Haus iſt neben dem unbezweifelten gerichtlichen
(Glaſer a. a. O. §. 134—139) ganz dem der polizeilichen Verhaf-
tung gleich und nach dem beſtehenden Recht hat der engliſche Conſtable
hier wieder eine Gewalt, welche keinem continentalen Polizeiorgane
zuſteht. Wir können, da merkwürdiger Weiſe die Schriftſteller, die
über das engliſche Verhaftungsrecht ſo umſtändlich ſind, ſich mit dem
engliſchen Hausrecht gar nicht beſchäftigen, uns wohl am beſten auf
Glaſer berufen. Jeder Conſtable hat das Recht, bei „glaubwürdiger
Anzeige“ eine Verfolgung einer Perſon wie auf handhafter That durch
„Horn und Nachruf“ (by hue and cry) einſeitig anzuordnen und bei
dieſer Verfolgung in jedes Haus einzudringen, ja ſogar die zur
Verfolgung aufgeforderten Privatperſonen, die überdieß zur Nach-
eile verpflichtet ſind, haben mit ihm genau daſſelbe Recht. Ob eine
ſolche Anzeige glaubwürdig iſt oder nicht, darüber entſcheidet niemand
anders als eben der Conſtable! Das gilt ſchon ſeit 3. Edw. I. 9
bis auf die Gegenwart (Blackstone IV, 21. Burn II, 683. v. Hue
and cry
). Vgl. Glaſer a. a. O. §. 138 u. 430. Eine rückſichtsloſere,
unbeſchränktere Gefährdung des Rechts des Hauſes iſt wohl nicht denkbar,
und man wird daraus ermeſſen, was rechtlich in England der Satz my
house is my castle,
wirklich werth iſt. Wiederum müſſen wir auf den
früher citirten Satz Blackſtones über die Conſtabler hinweiſen, und
wiederum müſſen wir hervorheben, daß unter ſolchen Umſtänden aller-
dings das Privatklagrecht in England in der That mehr als eine Noth-
wehr gegen Polizei, denn als ein verfaſſungsmäßiges Recht erſcheint.

Auf dem Continent hat dieß ganze Syſtem nun eine ganz andere
Geſtalt angenommen. Hier hat wiederum Frankreich die Initiative
ergriffen. Frankreich hat, wie geſagt, das allgemeine Princip der

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[153/0175] Sinne, das iſt ein für den Aufenthalt eines einzelnen Individuums beſtimmte Wohnung iſt. Es iſt wohl vorzugsweiſe die Möglichkeit der großen Willkür, welche die Polizei ausüben kann, wenn ſie nach eigenem Ermeſſen in ein Haus einzudringen das Recht hat, die die Vorſtellung von der Un- verletzlichkeit der Wohnung erzeugt hat. Auch hier iſt der engliſche Grundſatz für das poſitive Recht, der franzöſiſche für die Bezeichnung deſſelben maßgebend geworden; das deutſche, keineswegs vollſtändige Recht hat wiederum ſeinerſeits aus Mangel an polizeilich rechtlicher Auffaſſung daſſelbe beinahe ausſchließlich in die Strafproceßordnungen verwieſen und dadurch das Verſtändniß des Polizeirechts unſicher ge- macht. Das engliſche Recht iſt einfach. Das polizeiliche Recht des Eindringens in ein Haus iſt neben dem unbezweifelten gerichtlichen (Glaſer a. a. O. §. 134—139) ganz dem der polizeilichen Verhaf- tung gleich und nach dem beſtehenden Recht hat der engliſche Conſtable hier wieder eine Gewalt, welche keinem continentalen Polizeiorgane zuſteht. Wir können, da merkwürdiger Weiſe die Schriftſteller, die über das engliſche Verhaftungsrecht ſo umſtändlich ſind, ſich mit dem engliſchen Hausrecht gar nicht beſchäftigen, uns wohl am beſten auf Glaſer berufen. Jeder Conſtable hat das Recht, bei „glaubwürdiger Anzeige“ eine Verfolgung einer Perſon wie auf handhafter That durch „Horn und Nachruf“ (by hue and cry) einſeitig anzuordnen und bei dieſer Verfolgung in jedes Haus einzudringen, ja ſogar die zur Verfolgung aufgeforderten Privatperſonen, die überdieß zur Nach- eile verpflichtet ſind, haben mit ihm genau daſſelbe Recht. Ob eine ſolche Anzeige glaubwürdig iſt oder nicht, darüber entſcheidet niemand anders als eben der Conſtable! Das gilt ſchon ſeit 3. Edw. I. 9 bis auf die Gegenwart (Blackstone IV, 21. Burn II, 683. v. Hue and cry). Vgl. Glaſer a. a. O. §. 138 u. 430. Eine rückſichtsloſere, unbeſchränktere Gefährdung des Rechts des Hauſes iſt wohl nicht denkbar, und man wird daraus ermeſſen, was rechtlich in England der Satz my house is my castle, wirklich werth iſt. Wiederum müſſen wir auf den früher citirten Satz Blackſtones über die Conſtabler hinweiſen, und wiederum müſſen wir hervorheben, daß unter ſolchen Umſtänden aller- dings das Privatklagrecht in England in der That mehr als eine Noth- wehr gegen Polizei, denn als ein verfaſſungsmäßiges Recht erſcheint. Auf dem Continent hat dieß ganze Syſtem nun eine ganz andere Geſtalt angenommen. Hier hat wiederum Frankreich die Initiative ergriffen. Frankreich hat, wie geſagt, das allgemeine Princip der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/175>, abgerufen am 29.04.2024.