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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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als es persönliche Lebensverhältnisse gibt, welche dasselbe fordern. Man
wird sie jedoch auf drei zurückzuführen haben. Da, wo der Person
nur die volle Selbstbestimmung für die durch ihr Wesen und ihr wirth-
schaftliches Leben nothwendigen Thätigkeiten fehlt, und die letztere
daher um der ersteren willen von der Verwaltung hergestellt werden
muß, entsteht das Vormundschaftswesen. Da, wo die wirthschaft-
liche Persönlichkeit (das Vermögen), vorhanden ist, die Person aber
gänzlich fehlt, und mithin der Uebergang an die Rechtsnachfolger ver-
mittelt werden soll, entsteht das Verlassenschaftswesen. Da end-
lich, wo zwar die Person vorhanden, aber durch den Concurs der
wirthschaftliche Tod eingetreten ist, entstehen die Begriffe der Masse
und der Massenverwaltung. Alle drei zusammen bilden das Pfleg-
schaftswesen.

In diesem Pflegschaftswesen nun erscheint das Recht desselben
dadurch, daß die Einzelpersönlichkeit mit ihren Beziehungen zwar un-
vollständig aber nicht aufgehoben ist, und daß daher die Verwaltung
mit den Einzelnen zusammenwirken muß, wie die Pflegschaft in jedem
einzelnen Falle herzustellen. Die Gränze, bis zu welcher auf diese
Weise die Thätigkeit der Verwaltung in der Erfüllung und Vertretung
des Einzelnen zu gehen hat, bildet das öffentliche Recht des Pfleg-
schaftswesens.

Die Gebiete, in welchen dieses Recht erscheint, sind zuerst die Be-
stellung
des Pflegers, dann die Führung der Pflegschaft, endlich
die mit dem Princip der Haftung verbundene Entlastung des Pflegers.

Das leitende Princip dieses Rechts, welches demselben seinen Cha-
rakter gibt, besteht darin, daß die Thätigkeit in Bestellung, Führung
und Entlastung der Pfleger entweder von der Verwaltung ausgeht,
und daher den Pflegern und der Pflegschaft den Charakter einer öffentlich
rechtlichen Funktion gibt, oder daß die Verwaltung nur als oberauf-
sehende Gewalt der Pflege zur Seite steht. Dieß ist nach den verschie-
denen Zeiten und Völkern in jedem Theile der Pflegschaft sehr ver-
schieden gewesen. Im Allgemeinen jedoch beruht die Gestalt und Ge-
schichte dieses Rechts wesentlich auf der Gesellschaftsordnung, und ist
daher verschieden für die Geschlechterordnung, die ständische und die
staatsbürgerliche, indem namentlich die erstere den Antheil der Verwal-
tung fast ganz ausschließt, die letztere dagegen die Pflegschaft überhaupt
als eine öffentlich rechtliche Funktion, ein munus publicum hinstellt.

Der Organismus des Pflegschaftswesens ist aus einer Reihe
von Gründen, die theils in der Natur der Sache, theils aber auch in
historischen Verhältnissen, namentlich im Wesen der Grundherrlichkeit
liegen, von jeher identisch mit dem Organismus der Gerichte gewesen,

als es perſönliche Lebensverhältniſſe gibt, welche daſſelbe fordern. Man
wird ſie jedoch auf drei zurückzuführen haben. Da, wo der Perſon
nur die volle Selbſtbeſtimmung für die durch ihr Weſen und ihr wirth-
ſchaftliches Leben nothwendigen Thätigkeiten fehlt, und die letztere
daher um der erſteren willen von der Verwaltung hergeſtellt werden
muß, entſteht das Vormundſchaftsweſen. Da, wo die wirthſchaft-
liche Perſönlichkeit (das Vermögen), vorhanden iſt, die Perſon aber
gänzlich fehlt, und mithin der Uebergang an die Rechtsnachfolger ver-
mittelt werden ſoll, entſteht das Verlaſſenſchaftsweſen. Da end-
lich, wo zwar die Perſon vorhanden, aber durch den Concurs der
wirthſchaftliche Tod eingetreten iſt, entſtehen die Begriffe der Maſſe
und der Maſſenverwaltung. Alle drei zuſammen bilden das Pfleg-
ſchaftsweſen.

In dieſem Pflegſchaftsweſen nun erſcheint das Recht deſſelben
dadurch, daß die Einzelperſönlichkeit mit ihren Beziehungen zwar un-
vollſtändig aber nicht aufgehoben iſt, und daß daher die Verwaltung
mit den Einzelnen zuſammenwirken muß, wie die Pflegſchaft in jedem
einzelnen Falle herzuſtellen. Die Gränze, bis zu welcher auf dieſe
Weiſe die Thätigkeit der Verwaltung in der Erfüllung und Vertretung
des Einzelnen zu gehen hat, bildet das öffentliche Recht des Pfleg-
ſchaftsweſens.

Die Gebiete, in welchen dieſes Recht erſcheint, ſind zuerſt die Be-
ſtellung
des Pflegers, dann die Führung der Pflegſchaft, endlich
die mit dem Princip der Haftung verbundene Entlaſtung des Pflegers.

Das leitende Princip dieſes Rechts, welches demſelben ſeinen Cha-
rakter gibt, beſteht darin, daß die Thätigkeit in Beſtellung, Führung
und Entlaſtung der Pfleger entweder von der Verwaltung ausgeht,
und daher den Pflegern und der Pflegſchaft den Charakter einer öffentlich
rechtlichen Funktion gibt, oder daß die Verwaltung nur als oberauf-
ſehende Gewalt der Pflege zur Seite ſteht. Dieß iſt nach den verſchie-
denen Zeiten und Völkern in jedem Theile der Pflegſchaft ſehr ver-
ſchieden geweſen. Im Allgemeinen jedoch beruht die Geſtalt und Ge-
ſchichte dieſes Rechts weſentlich auf der Geſellſchaftsordnung, und iſt
daher verſchieden für die Geſchlechterordnung, die ſtändiſche und die
ſtaatsbürgerliche, indem namentlich die erſtere den Antheil der Verwal-
tung faſt ganz ausſchließt, die letztere dagegen die Pflegſchaft überhaupt
als eine öffentlich rechtliche Funktion, ein munus publicum hinſtellt.

Der Organismus des Pflegſchaftsweſens iſt aus einer Reihe
von Gründen, die theils in der Natur der Sache, theils aber auch in
hiſtoriſchen Verhältniſſen, namentlich im Weſen der Grundherrlichkeit
liegen, von jeher identiſch mit dem Organismus der Gerichte geweſen,

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[180/0202] als es perſönliche Lebensverhältniſſe gibt, welche daſſelbe fordern. Man wird ſie jedoch auf drei zurückzuführen haben. Da, wo der Perſon nur die volle Selbſtbeſtimmung für die durch ihr Weſen und ihr wirth- ſchaftliches Leben nothwendigen Thätigkeiten fehlt, und die letztere daher um der erſteren willen von der Verwaltung hergeſtellt werden muß, entſteht das Vormundſchaftsweſen. Da, wo die wirthſchaft- liche Perſönlichkeit (das Vermögen), vorhanden iſt, die Perſon aber gänzlich fehlt, und mithin der Uebergang an die Rechtsnachfolger ver- mittelt werden ſoll, entſteht das Verlaſſenſchaftsweſen. Da end- lich, wo zwar die Perſon vorhanden, aber durch den Concurs der wirthſchaftliche Tod eingetreten iſt, entſtehen die Begriffe der Maſſe und der Maſſenverwaltung. Alle drei zuſammen bilden das Pfleg- ſchaftsweſen. In dieſem Pflegſchaftsweſen nun erſcheint das Recht deſſelben dadurch, daß die Einzelperſönlichkeit mit ihren Beziehungen zwar un- vollſtändig aber nicht aufgehoben iſt, und daß daher die Verwaltung mit den Einzelnen zuſammenwirken muß, wie die Pflegſchaft in jedem einzelnen Falle herzuſtellen. Die Gränze, bis zu welcher auf dieſe Weiſe die Thätigkeit der Verwaltung in der Erfüllung und Vertretung des Einzelnen zu gehen hat, bildet das öffentliche Recht des Pfleg- ſchaftsweſens. Die Gebiete, in welchen dieſes Recht erſcheint, ſind zuerſt die Be- ſtellung des Pflegers, dann die Führung der Pflegſchaft, endlich die mit dem Princip der Haftung verbundene Entlaſtung des Pflegers. Das leitende Princip dieſes Rechts, welches demſelben ſeinen Cha- rakter gibt, beſteht darin, daß die Thätigkeit in Beſtellung, Führung und Entlaſtung der Pfleger entweder von der Verwaltung ausgeht, und daher den Pflegern und der Pflegſchaft den Charakter einer öffentlich rechtlichen Funktion gibt, oder daß die Verwaltung nur als oberauf- ſehende Gewalt der Pflege zur Seite ſteht. Dieß iſt nach den verſchie- denen Zeiten und Völkern in jedem Theile der Pflegſchaft ſehr ver- ſchieden geweſen. Im Allgemeinen jedoch beruht die Geſtalt und Ge- ſchichte dieſes Rechts weſentlich auf der Geſellſchaftsordnung, und iſt daher verſchieden für die Geſchlechterordnung, die ſtändiſche und die ſtaatsbürgerliche, indem namentlich die erſtere den Antheil der Verwal- tung faſt ganz ausſchließt, die letztere dagegen die Pflegſchaft überhaupt als eine öffentlich rechtliche Funktion, ein munus publicum hinſtellt. Der Organismus des Pflegſchaftsweſens iſt aus einer Reihe von Gründen, die theils in der Natur der Sache, theils aber auch in hiſtoriſchen Verhältniſſen, namentlich im Weſen der Grundherrlichkeit liegen, von jeher identiſch mit dem Organismus der Gerichte geweſen,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/202>, abgerufen am 29.04.2024.