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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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Anwendung physischen Zwanges gegen die Person sein müsse, läßt
sich natürlich gar nicht weiter bestimmen, als daß derselbe gerade in
der Art und in der Weise vorkommen müsse, um das von der Polizei
als nothwendig Erklärte wirklich herzustellen; z. B. gewaltsame Entfer-
nung von einem verbotenen Wege, gewaltsame Entreißung gewisser
Gegenstände, gewaltsame Hinderung der Flucht durch Fesseln etc. Die
Gränze und Form, und damit das Recht des Zwanges beruhen hier
auf dem einzelnen Fall. Nur der allgemeine Grundsatz gilt, daß
der Zwang innerhalb der Gränze des Nothwendigen zu bleiben habe.

Ein wesentlich verschiedenes Stadium tritt dagegen da ein, wo
von Seiten des Betreffenden der Funktion der Polizei mit thätlicher
Widersetzlichkeit
begegnet wird. Auf diesem Punkte nun sind zwei
Fälle möglich, welche gleichfalls ein verschiedenes Recht enthalten.

Der erste Fall ist der, wo die Thätigkeit des Widerstandes bis
zum direkten Angriffe gegen das polizeiliche Vollzugsorgan geht. Es
ist kein Zweifel, daß in diesem Falle eigentlich der Begriff des Zwangs-
rechts wegfällt, und an seine Stelle der Begriff und das Recht der
Nothwehr für das Polizeiorgan eintritt. Die Frage nach der Be-
strafung der in jenem Falle enthaltenen Widersetzlichkeit gegen den
Beamteten muß dabei natürlich für sich behandelt werden. Aber schon
bei dieser Frage nach der Nothwehr kommt das Recht der Waffe in
Betracht, wie wir sogleich sehen werden.

Der zweite Fall ist der, wo sich der Betreffende durch gewaltsame
Thätigkeit der Funktion des Polizeiorganes entziehen will. Auf
diesem Punkte ist die Gränze zwischen den erlaubten und nicht erlaub-
ten Zwangsmitteln im Allgemeinen gar nicht zu ziehen, und zwar
deßhalb nicht, weil jenes sich Entziehen eben so gut wie die thätliche
Widersetzlichkeit unter die Kategorie des Widerstandes fällt. Nun
muß man zugeben, daß es in der Natur des thätlichen Widerstandes
liegt, keine objektive Gränze zwischen den einzelnen Akten des physischen
Kampfes mehr zuzulassen. Es ist die von beiden Seiten entfesselte
materielle Kraft, die elementare und mechanische Gewalt, in deren
Bewegung die einzelnen Aktionen ununterscheidbar in einander über-
gehen, und bei der es doch unzweifelhaft ist, daß das öffentliche Organ
verpflichtet ist, ein größeres Maß von mechanischer Kraft anzu-
wenden, als ihm entgegengesetzt wird. Es muß daher als allgemeiner
Grundsatz angenommen werden, daß um ein Unrecht von Seiten des
letztern zu constatiren, der Beweis von Seiten des Gezwungenen
geliefert werden muß, daß die physische Kraftanwendung des öffentlichen
Organes nicht nöthig war, und daß jede in derselben gegebene Ver-
letzung der Person so lange strafbar bleibt, bis dieser Beweis wirklich

Anwendung phyſiſchen Zwanges gegen die Perſon ſein müſſe, läßt
ſich natürlich gar nicht weiter beſtimmen, als daß derſelbe gerade in
der Art und in der Weiſe vorkommen müſſe, um das von der Polizei
als nothwendig Erklärte wirklich herzuſtellen; z. B. gewaltſame Entfer-
nung von einem verbotenen Wege, gewaltſame Entreißung gewiſſer
Gegenſtände, gewaltſame Hinderung der Flucht durch Feſſeln ꝛc. Die
Gränze und Form, und damit das Recht des Zwanges beruhen hier
auf dem einzelnen Fall. Nur der allgemeine Grundſatz gilt, daß
der Zwang innerhalb der Gränze des Nothwendigen zu bleiben habe.

Ein weſentlich verſchiedenes Stadium tritt dagegen da ein, wo
von Seiten des Betreffenden der Funktion der Polizei mit thätlicher
Widerſetzlichkeit
begegnet wird. Auf dieſem Punkte nun ſind zwei
Fälle möglich, welche gleichfalls ein verſchiedenes Recht enthalten.

Der erſte Fall iſt der, wo die Thätigkeit des Widerſtandes bis
zum direkten Angriffe gegen das polizeiliche Vollzugsorgan geht. Es
iſt kein Zweifel, daß in dieſem Falle eigentlich der Begriff des Zwangs-
rechts wegfällt, und an ſeine Stelle der Begriff und das Recht der
Nothwehr für das Polizeiorgan eintritt. Die Frage nach der Be-
ſtrafung der in jenem Falle enthaltenen Widerſetzlichkeit gegen den
Beamteten muß dabei natürlich für ſich behandelt werden. Aber ſchon
bei dieſer Frage nach der Nothwehr kommt das Recht der Waffe in
Betracht, wie wir ſogleich ſehen werden.

Der zweite Fall iſt der, wo ſich der Betreffende durch gewaltſame
Thätigkeit der Funktion des Polizeiorganes entziehen will. Auf
dieſem Punkte iſt die Gränze zwiſchen den erlaubten und nicht erlaub-
ten Zwangsmitteln im Allgemeinen gar nicht zu ziehen, und zwar
deßhalb nicht, weil jenes ſich Entziehen eben ſo gut wie die thätliche
Widerſetzlichkeit unter die Kategorie des Widerſtandes fällt. Nun
muß man zugeben, daß es in der Natur des thätlichen Widerſtandes
liegt, keine objektive Gränze zwiſchen den einzelnen Akten des phyſiſchen
Kampfes mehr zuzulaſſen. Es iſt die von beiden Seiten entfeſſelte
materielle Kraft, die elementare und mechaniſche Gewalt, in deren
Bewegung die einzelnen Aktionen ununterſcheidbar in einander über-
gehen, und bei der es doch unzweifelhaft iſt, daß das öffentliche Organ
verpflichtet iſt, ein größeres Maß von mechaniſcher Kraft anzu-
wenden, als ihm entgegengeſetzt wird. Es muß daher als allgemeiner
Grundſatz angenommen werden, daß um ein Unrecht von Seiten des
letztern zu conſtatiren, der Beweis von Seiten des Gezwungenen
geliefert werden muß, daß die phyſiſche Kraftanwendung des öffentlichen
Organes nicht nöthig war, und daß jede in derſelben gegebene Ver-
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[63/0085] Anwendung phyſiſchen Zwanges gegen die Perſon ſein müſſe, läßt ſich natürlich gar nicht weiter beſtimmen, als daß derſelbe gerade in der Art und in der Weiſe vorkommen müſſe, um das von der Polizei als nothwendig Erklärte wirklich herzuſtellen; z. B. gewaltſame Entfer- nung von einem verbotenen Wege, gewaltſame Entreißung gewiſſer Gegenſtände, gewaltſame Hinderung der Flucht durch Feſſeln ꝛc. Die Gränze und Form, und damit das Recht des Zwanges beruhen hier auf dem einzelnen Fall. Nur der allgemeine Grundſatz gilt, daß der Zwang innerhalb der Gränze des Nothwendigen zu bleiben habe. Ein weſentlich verſchiedenes Stadium tritt dagegen da ein, wo von Seiten des Betreffenden der Funktion der Polizei mit thätlicher Widerſetzlichkeit begegnet wird. Auf dieſem Punkte nun ſind zwei Fälle möglich, welche gleichfalls ein verſchiedenes Recht enthalten. Der erſte Fall iſt der, wo die Thätigkeit des Widerſtandes bis zum direkten Angriffe gegen das polizeiliche Vollzugsorgan geht. Es iſt kein Zweifel, daß in dieſem Falle eigentlich der Begriff des Zwangs- rechts wegfällt, und an ſeine Stelle der Begriff und das Recht der Nothwehr für das Polizeiorgan eintritt. Die Frage nach der Be- ſtrafung der in jenem Falle enthaltenen Widerſetzlichkeit gegen den Beamteten muß dabei natürlich für ſich behandelt werden. Aber ſchon bei dieſer Frage nach der Nothwehr kommt das Recht der Waffe in Betracht, wie wir ſogleich ſehen werden. Der zweite Fall iſt der, wo ſich der Betreffende durch gewaltſame Thätigkeit der Funktion des Polizeiorganes entziehen will. Auf dieſem Punkte iſt die Gränze zwiſchen den erlaubten und nicht erlaub- ten Zwangsmitteln im Allgemeinen gar nicht zu ziehen, und zwar deßhalb nicht, weil jenes ſich Entziehen eben ſo gut wie die thätliche Widerſetzlichkeit unter die Kategorie des Widerſtandes fällt. Nun muß man zugeben, daß es in der Natur des thätlichen Widerſtandes liegt, keine objektive Gränze zwiſchen den einzelnen Akten des phyſiſchen Kampfes mehr zuzulaſſen. Es iſt die von beiden Seiten entfeſſelte materielle Kraft, die elementare und mechaniſche Gewalt, in deren Bewegung die einzelnen Aktionen ununterſcheidbar in einander über- gehen, und bei der es doch unzweifelhaft iſt, daß das öffentliche Organ verpflichtet iſt, ein größeres Maß von mechaniſcher Kraft anzu- wenden, als ihm entgegengeſetzt wird. Es muß daher als allgemeiner Grundſatz angenommen werden, daß um ein Unrecht von Seiten des letztern zu conſtatiren, der Beweis von Seiten des Gezwungenen geliefert werden muß, daß die phyſiſche Kraftanwendung des öffentlichen Organes nicht nöthig war, und daß jede in derſelben gegebene Ver- letzung der Perſon ſo lange ſtrafbar bleibt, bis dieſer Beweis wirklich

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/85>, abgerufen am 30.04.2024.