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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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wenig durchgeführten Unterschied des peinlichen und Verwaltungsstraf-
rechts. So lange nämlich nach dem Vorgange des Code Penal beide
mit einander verschmolzen blieben, war auch eine besondere Hervor-
hebung des Verfahrens gegen Polizeiverfügungen nicht wohl thunlich.
Auch gab Frankreich dafür kein Vorbild, da man dort ein vollständiges
Beschwerderecht organisirt hatte, und daher das Bedürfniß nach einem
eigenen Princip nicht empfand. Es konnte daher ein klares Bewußtsein
über das wahre Verhältniß erst auftreten, als man das Ordnungs-
strafrecht von dem peinlichen schied. So lange man nun dabei bei dem
allgemeinen Ordnungsstrafrecht stehen blieb, mußte auch das Beschwerde-
recht eine etwas allgemeine und unbestimmte Fassung erhalten. So-
wie sich aber das Verwaltungsstrafrecht zu einer selbständigen Gesetz-
gebung in den Polizeistrafrechten erhob, trat die Nothwendigkeit einer
genauen Definition des erstern ein; und dieß muß als ein großer Fort-
schritt in der Klarheit des öffentlichen Rechts überhaupt, namentlich in
seinem Verhältniß zur individuellen staatsbürgerlichen Freiheit betrachtet
werden. Es ist zu wünschen und zu hoffen, daß sich dieses System
bald allgemein Bahn breche, und daß demgemäß das gesammte Ver-
waltungsstrafrecht von dem peinlichen Recht geschieden werde.


Da die übrigen deutschen Staaten unsers Wissens über diese Frage
gar nichts Bestimmteres besitzen, als was bereits in der vollziehen-
den Gewalt
dargelegt ist, so beschränken wir uns hier darauf, das
Recht Oesterreichs, Preußens, und das des süddeutschen Polizeistrafgesetz-
buches zu charakterisiren.

Das Recht Oesterreichs ist entschieden am unklarsten. Das Be-
schwerderecht existirt hier nur in der Form des Rekurses, und zwar in
dieser eben ganz formlos und ohne irgend ein gesetzlich vorgeschriebenes
Verfahren. Der Charakter des Verfügungsrechtes dagegen liegt auf einem
andern Punkte. Da man nämlich kein gesetzliches Verfahren gegen die
Verfügung als solche hatte, so gab man ein solches gegen das in Ge-
mäßheit eines solchen ergangenen Urtheil. Die Folge war, daß der
Schwerpunkt dieses ganzen Rechts in die Bestimmung über die Natur
der competenten Behörde fiel. War diese nun Polizeibehörde, so
gab es kein eigentliches Appellationsrecht, sondern das Verfahren war
ein reines Beschwerdeverfahren wie in Frankreich, nur ohne die
vortrefflichen Formen desselben. In diesem Sinne ward die ganze Frage
durch drei sehr wichtige Verordnungen festgestellt -- die Verordnung
vom 3. April 1855, das Verfahren in den im Strafgesetzbuch auf-
genommenen Verwaltungsvergehen betreffend, welche die Polizeibehörden

wenig durchgeführten Unterſchied des peinlichen und Verwaltungsſtraf-
rechts. So lange nämlich nach dem Vorgange des Code Pénal beide
mit einander verſchmolzen blieben, war auch eine beſondere Hervor-
hebung des Verfahrens gegen Polizeiverfügungen nicht wohl thunlich.
Auch gab Frankreich dafür kein Vorbild, da man dort ein vollſtändiges
Beſchwerderecht organiſirt hatte, und daher das Bedürfniß nach einem
eigenen Princip nicht empfand. Es konnte daher ein klares Bewußtſein
über das wahre Verhältniß erſt auftreten, als man das Ordnungs-
ſtrafrecht von dem peinlichen ſchied. So lange man nun dabei bei dem
allgemeinen Ordnungsſtrafrecht ſtehen blieb, mußte auch das Beſchwerde-
recht eine etwas allgemeine und unbeſtimmte Faſſung erhalten. So-
wie ſich aber das Verwaltungsſtrafrecht zu einer ſelbſtändigen Geſetz-
gebung in den Polizeiſtrafrechten erhob, trat die Nothwendigkeit einer
genauen Definition des erſtern ein; und dieß muß als ein großer Fort-
ſchritt in der Klarheit des öffentlichen Rechts überhaupt, namentlich in
ſeinem Verhältniß zur individuellen ſtaatsbürgerlichen Freiheit betrachtet
werden. Es iſt zu wünſchen und zu hoffen, daß ſich dieſes Syſtem
bald allgemein Bahn breche, und daß demgemäß das geſammte Ver-
waltungsſtrafrecht von dem peinlichen Recht geſchieden werde.


Da die übrigen deutſchen Staaten unſers Wiſſens über dieſe Frage
gar nichts Beſtimmteres beſitzen, als was bereits in der vollziehen-
den Gewalt
dargelegt iſt, ſo beſchränken wir uns hier darauf, das
Recht Oeſterreichs, Preußens, und das des ſüddeutſchen Polizeiſtrafgeſetz-
buches zu charakteriſiren.

Das Recht Oeſterreichs iſt entſchieden am unklarſten. Das Be-
ſchwerderecht exiſtirt hier nur in der Form des Rekurſes, und zwar in
dieſer eben ganz formlos und ohne irgend ein geſetzlich vorgeſchriebenes
Verfahren. Der Charakter des Verfügungsrechtes dagegen liegt auf einem
andern Punkte. Da man nämlich kein geſetzliches Verfahren gegen die
Verfügung als ſolche hatte, ſo gab man ein ſolches gegen das in Ge-
mäßheit eines ſolchen ergangenen Urtheil. Die Folge war, daß der
Schwerpunkt dieſes ganzen Rechts in die Beſtimmung über die Natur
der competenten Behörde fiel. War dieſe nun Polizeibehörde, ſo
gab es kein eigentliches Appellationsrecht, ſondern das Verfahren war
ein reines Beſchwerdeverfahren wie in Frankreich, nur ohne die
vortrefflichen Formen deſſelben. In dieſem Sinne ward die ganze Frage
durch drei ſehr wichtige Verordnungen feſtgeſtellt — die Verordnung
vom 3. April 1855, das Verfahren in den im Strafgeſetzbuch auf-
genommenen Verwaltungsvergehen betreffend, welche die Polizeibehörden

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[77/0099] wenig durchgeführten Unterſchied des peinlichen und Verwaltungsſtraf- rechts. So lange nämlich nach dem Vorgange des Code Pénal beide mit einander verſchmolzen blieben, war auch eine beſondere Hervor- hebung des Verfahrens gegen Polizeiverfügungen nicht wohl thunlich. Auch gab Frankreich dafür kein Vorbild, da man dort ein vollſtändiges Beſchwerderecht organiſirt hatte, und daher das Bedürfniß nach einem eigenen Princip nicht empfand. Es konnte daher ein klares Bewußtſein über das wahre Verhältniß erſt auftreten, als man das Ordnungs- ſtrafrecht von dem peinlichen ſchied. So lange man nun dabei bei dem allgemeinen Ordnungsſtrafrecht ſtehen blieb, mußte auch das Beſchwerde- recht eine etwas allgemeine und unbeſtimmte Faſſung erhalten. So- wie ſich aber das Verwaltungsſtrafrecht zu einer ſelbſtändigen Geſetz- gebung in den Polizeiſtrafrechten erhob, trat die Nothwendigkeit einer genauen Definition des erſtern ein; und dieß muß als ein großer Fort- ſchritt in der Klarheit des öffentlichen Rechts überhaupt, namentlich in ſeinem Verhältniß zur individuellen ſtaatsbürgerlichen Freiheit betrachtet werden. Es iſt zu wünſchen und zu hoffen, daß ſich dieſes Syſtem bald allgemein Bahn breche, und daß demgemäß das geſammte Ver- waltungsſtrafrecht von dem peinlichen Recht geſchieden werde. Da die übrigen deutſchen Staaten unſers Wiſſens über dieſe Frage gar nichts Beſtimmteres beſitzen, als was bereits in der vollziehen- den Gewalt dargelegt iſt, ſo beſchränken wir uns hier darauf, das Recht Oeſterreichs, Preußens, und das des ſüddeutſchen Polizeiſtrafgeſetz- buches zu charakteriſiren. Das Recht Oeſterreichs iſt entſchieden am unklarſten. Das Be- ſchwerderecht exiſtirt hier nur in der Form des Rekurſes, und zwar in dieſer eben ganz formlos und ohne irgend ein geſetzlich vorgeſchriebenes Verfahren. Der Charakter des Verfügungsrechtes dagegen liegt auf einem andern Punkte. Da man nämlich kein geſetzliches Verfahren gegen die Verfügung als ſolche hatte, ſo gab man ein ſolches gegen das in Ge- mäßheit eines ſolchen ergangenen Urtheil. Die Folge war, daß der Schwerpunkt dieſes ganzen Rechts in die Beſtimmung über die Natur der competenten Behörde fiel. War dieſe nun Polizeibehörde, ſo gab es kein eigentliches Appellationsrecht, ſondern das Verfahren war ein reines Beſchwerdeverfahren wie in Frankreich, nur ohne die vortrefflichen Formen deſſelben. In dieſem Sinne ward die ganze Frage durch drei ſehr wichtige Verordnungen feſtgeſtellt — die Verordnung vom 3. April 1855, das Verfahren in den im Strafgeſetzbuch auf- genommenen Verwaltungsvergehen betreffend, welche die Polizeibehörden

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/99>, abgerufen am 27.04.2024.