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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Vor- und Fachbildung oder lieber Ausbildung in sich vereinen. Nur
die Colleges haben allerdings den Charakter von -- zum Theil sehr
tüchtigen -- Gymnasien, bei denen jedoch mit Ausnahme der Mathe-
matik gar nichts als classische Philologie getrieben wird. Dabei sind
die Prüfungen für diese Fächer sehr strenge; das Abgangszeugniß
ist das Baccalaureat. Natürlich geht, ganz im Charakter dieses
Bildungswesens, nur ein sehr kleiner Theil der Schüler der Colleges zur
University über. Die letztere besteht nun selber, wenn auch nicht formell,
so doch der Sache nach aus zwei Theilen, den Vorbildungsstadien und
den eigentlichen Studenten. Jene aber fordern, da für sie kein eigent-
licher selbständiger Unterricht vorhanden ist, daß die jungen Studenten
statt der Gymnasiallehrer einen Hofmeister, tutor, haben, der ihnen
die College-Bildung beibringt und sie zum baccalaureus vorbereitet;
"er treibt vor allen Dingen seine Privatstudien theils als Vorbereitung,
theils als Repetition unter der wenigstens präsumirten Leitung des
Tutors" (Huber II. 436). Das dauert, trotz der formell sogleich vor-
genommenen Immatriculation, drei oder vier Jahre. "Mit dem Bacca-
laureat waren nun für die große Mehrzahl die akademischen Studien
geschlossen" (Huber II. 440). Erst später wird dann eine förmliche
Uebergangsprüfung von dem College in die eigentliche University ein-
geführt, die sog. previous examination; daneben kommen jährliche Prü-
fungen und Vertheilung von Preisen u. s. w. vor (Huber II. 484 ff.).
Auf der University werden dann allerdings eigentliche Fachvorlesungen
gehalten, Theologie, Jurisprudenz, Medicin, Naturwissenschaft; allein
diese Vorlesungen haben nicht den Charakter und die Aufgabe von Fach-
bildungen, sondern sind bloß allgemeine Einleitungen in dieselbe. (Der
Cursus für die drei Hauptfächer umfaßt höchstens 50 Stunden jährlich.)
Nach Erledigung dieser Collegien wird eine Art Fachprüfung gehalten
und der Student wird Baccalaureus Artium (etwa dem Licencie ent-
sprechend). Damit ist die Fachbildung abgeschlossen; die höheren Grade
sind reine Universitätsgrade. Eine weitere Fachbildung findet überall
nicht statt. "Die Inns of court könnte auch im Scherz niemand mehr
als Rechtsschulen in unserem Sinne in Anspruch nehmen." -- In
einigen großen Hospitälern werden zwar Curse für Praktikanten und
Auskultanten gehalten. "Was die Vorlesungen, welche als Privatspeku-
lationen von Aerzten, Apothekern, Chemikern und Wundärzten gehalten
werden, in wissenschaftlicher Hinsicht zu bedeuten haben, läßt sich denken"
(Huber II. 471--472). Eine Verpflichtung zur Bildung für ein Fach, eine
öffentliche Prüfung, existirt nicht. Die Regierung fordert nichts,
aber sie thut auch nichts
. "Aus alledem geht zur Genüge hervor, daß
Alles, was in Oxford und Cambridge in eigentlichen Fachwissenschaften

Stein, die Verwaltungslehre. V. 22

Vor- und Fachbildung oder lieber Ausbildung in ſich vereinen. Nur
die Colleges haben allerdings den Charakter von — zum Theil ſehr
tüchtigen — Gymnaſien, bei denen jedoch mit Ausnahme der Mathe-
matik gar nichts als claſſiſche Philologie getrieben wird. Dabei ſind
die Prüfungen für dieſe Fächer ſehr ſtrenge; das Abgangszeugniß
iſt das Baccalaureat. Natürlich geht, ganz im Charakter dieſes
Bildungsweſens, nur ein ſehr kleiner Theil der Schüler der Colleges zur
University über. Die letztere beſteht nun ſelber, wenn auch nicht formell,
ſo doch der Sache nach aus zwei Theilen, den Vorbildungsſtadien und
den eigentlichen Studenten. Jene aber fordern, da für ſie kein eigent-
licher ſelbſtändiger Unterricht vorhanden iſt, daß die jungen Studenten
ſtatt der Gymnaſiallehrer einen Hofmeiſter, tutor, haben, der ihnen
die College-Bildung beibringt und ſie zum baccalaureus vorbereitet;
„er treibt vor allen Dingen ſeine Privatſtudien theils als Vorbereitung,
theils als Repetition unter der wenigſtens präſumirten Leitung des
Tutors“ (Huber II. 436). Das dauert, trotz der formell ſogleich vor-
genommenen Immatriculation, drei oder vier Jahre. „Mit dem Bacca-
laureat waren nun für die große Mehrzahl die akademiſchen Studien
geſchloſſen“ (Huber II. 440). Erſt ſpäter wird dann eine förmliche
Uebergangsprüfung von dem College in die eigentliche University ein-
geführt, die ſog. previous examination; daneben kommen jährliche Prü-
fungen und Vertheilung von Preiſen u. ſ. w. vor (Huber II. 484 ff.).
Auf der University werden dann allerdings eigentliche Fachvorleſungen
gehalten, Theologie, Jurisprudenz, Medicin, Naturwiſſenſchaft; allein
dieſe Vorleſungen haben nicht den Charakter und die Aufgabe von Fach-
bildungen, ſondern ſind bloß allgemeine Einleitungen in dieſelbe. (Der
Curſus für die drei Hauptfächer umfaßt höchſtens 50 Stunden jährlich.)
Nach Erledigung dieſer Collegien wird eine Art Fachprüfung gehalten
und der Student wird Baccalaureus Artium (etwa dem Licencié ent-
ſprechend). Damit iſt die Fachbildung abgeſchloſſen; die höheren Grade
ſind reine Univerſitätsgrade. Eine weitere Fachbildung findet überall
nicht ſtatt. „Die Inns of court könnte auch im Scherz niemand mehr
als Rechtsſchulen in unſerem Sinne in Anſpruch nehmen.“ — In
einigen großen Hoſpitälern werden zwar Curſe für Praktikanten und
Auskultanten gehalten. „Was die Vorleſungen, welche als Privatſpeku-
lationen von Aerzten, Apothekern, Chemikern und Wundärzten gehalten
werden, in wiſſenſchaftlicher Hinſicht zu bedeuten haben, läßt ſich denken“
(Huber II. 471—472). Eine Verpflichtung zur Bildung für ein Fach, eine
öffentliche Prüfung, exiſtirt nicht. Die Regierung fordert nichts,
aber ſie thut auch nichts
. „Aus alledem geht zur Genüge hervor, daß
Alles, was in Oxford und Cambridge in eigentlichen Fachwiſſenſchaften

Stein, die Verwaltungslehre. V. 22
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[329/0357] Vor- und Fachbildung oder lieber Ausbildung in ſich vereinen. Nur die Colleges haben allerdings den Charakter von — zum Theil ſehr tüchtigen — Gymnaſien, bei denen jedoch mit Ausnahme der Mathe- matik gar nichts als claſſiſche Philologie getrieben wird. Dabei ſind die Prüfungen für dieſe Fächer ſehr ſtrenge; das Abgangszeugniß iſt das Baccalaureat. Natürlich geht, ganz im Charakter dieſes Bildungsweſens, nur ein ſehr kleiner Theil der Schüler der Colleges zur University über. Die letztere beſteht nun ſelber, wenn auch nicht formell, ſo doch der Sache nach aus zwei Theilen, den Vorbildungsſtadien und den eigentlichen Studenten. Jene aber fordern, da für ſie kein eigent- licher ſelbſtändiger Unterricht vorhanden iſt, daß die jungen Studenten ſtatt der Gymnaſiallehrer einen Hofmeiſter, tutor, haben, der ihnen die College-Bildung beibringt und ſie zum baccalaureus vorbereitet; „er treibt vor allen Dingen ſeine Privatſtudien theils als Vorbereitung, theils als Repetition unter der wenigſtens präſumirten Leitung des Tutors“ (Huber II. 436). Das dauert, trotz der formell ſogleich vor- genommenen Immatriculation, drei oder vier Jahre. „Mit dem Bacca- laureat waren nun für die große Mehrzahl die akademiſchen Studien geſchloſſen“ (Huber II. 440). Erſt ſpäter wird dann eine förmliche Uebergangsprüfung von dem College in die eigentliche University ein- geführt, die ſog. previous examination; daneben kommen jährliche Prü- fungen und Vertheilung von Preiſen u. ſ. w. vor (Huber II. 484 ff.). Auf der University werden dann allerdings eigentliche Fachvorleſungen gehalten, Theologie, Jurisprudenz, Medicin, Naturwiſſenſchaft; allein dieſe Vorleſungen haben nicht den Charakter und die Aufgabe von Fach- bildungen, ſondern ſind bloß allgemeine Einleitungen in dieſelbe. (Der Curſus für die drei Hauptfächer umfaßt höchſtens 50 Stunden jährlich.) Nach Erledigung dieſer Collegien wird eine Art Fachprüfung gehalten und der Student wird Baccalaureus Artium (etwa dem Licencié ent- ſprechend). Damit iſt die Fachbildung abgeſchloſſen; die höheren Grade ſind reine Univerſitätsgrade. Eine weitere Fachbildung findet überall nicht ſtatt. „Die Inns of court könnte auch im Scherz niemand mehr als Rechtsſchulen in unſerem Sinne in Anſpruch nehmen.“ — In einigen großen Hoſpitälern werden zwar Curſe für Praktikanten und Auskultanten gehalten. „Was die Vorleſungen, welche als Privatſpeku- lationen von Aerzten, Apothekern, Chemikern und Wundärzten gehalten werden, in wiſſenſchaftlicher Hinſicht zu bedeuten haben, läßt ſich denken“ (Huber II. 471—472). Eine Verpflichtung zur Bildung für ein Fach, eine öffentliche Prüfung, exiſtirt nicht. Die Regierung fordert nichts, aber ſie thut auch nichts. „Aus alledem geht zur Genüge hervor, daß Alles, was in Oxford und Cambridge in eigentlichen Fachwiſſenſchaften Stein, die Verwaltungslehre. V. 22

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/357>, abgerufen am 28.04.2024.