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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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Unzucht; die Unehre ist nur eine Unehre des Weibes, weil sie auf das
Geschlecht fällt, das nur durch Ehre besteht. Der Mann ist weder straf-
bar noch unehrlich. Das ist das Geschlechterrecht der Unzucht.

In der ständischen Welt werden die Ideen der Geschlechtsordnung
auf die Körperschaften übertragen, und diese werden jetzt das Organ,
welches die Sitte wahrt und die Ehe schützt. In ihr aber tritt eine
neue Erscheinung auf. Die alte germanische Thatsache, die schon Tacitus
erwähnt, daß die Germanen strenge Zucht und Sitte gehalten, und
die namentlich durch die Völkerwanderung fast vernichtet war, tritt jetzt
in der Kirche wieder als Reflexion auf, und erzeugt hier den ersten
ethischen Begriff der Unzucht und Unsittlichkeit. Es ist natürlich, daß
anfänglich nur die Kirche straft, was sie selbst zum Vergehen gemacht
hat. Damit entsteht das vermeintliche Strafrecht der Unsittlichkeit,
das aber den ständischen Charakter hat, indem es nur von einem
Stande ausgeht, und nur von einem Stande vollzogen wird. Neben
demselben besteht dann namentlich in den Dörfern das alte Geschlechts-
recht mit seinem, wir möchten sagen Dorfstrafrecht der Unsitte fort.
Es ist ein bunter, zerfahrener Zustand, der noch seiner Darstellung
entbehrt. Es wird erst anders in der neu entstehenden Epoche des
Polizeirechts.

Diese nun tritt auf mit der Carolina, der auch hier die Bamberg.
Halsgerichtsordnung Art. 141--148 fast wörtlich vorauf geht. Dieselbe
bestimmt eigentlich in ihren Art. 116--124 nichts Neues, sondern
formulirt im Grunde nur, was namentlich das kanonische Recht bereits
festgestellt hat. Die Literatur, die sich an diese Artikel seit 1640 anschließt,
ist daher auch vorwiegend eine rein juristische. Allein das bedeutende
ist, daß der Kampf mit diesem Verbrechen von da an als Sache des
Staats angesehen wird. Damit tritt zuerst das polizeiliche Element
neben das strafrechtliche hin mit seinem specifischen Polizeirecht, und
zwar in der Weise, daß Bigamie, Incest und Concubinat wesentlich
von kirchlichen, die Nothzucht nach wie vor vom rein strafrechtlichen,
die Hurerei und Kuppelei dagegen vom polizeilichen Standpunkt, letz-
teres namentlich nach dem Vorgange des römischen Rechts allmählig in
das an die Con. Cr. Carolina sich anschließende systematische Strafrecht
des 18. Jahrhunderts hineingezogen werden. Damit denn entsteht die
erste eigentliche Sittenpolizei neben dem Recht der Unzucht. Die
Gränze liegt wohl, nach römischem Begriffe, auf dem Punkte, daß die
polizeiliche Erlaubniß bei öffentlichen Mädchen denkbar ist, während
alle andern Verbrechen, ebenso die Kuppelei nach Art. 147 der Carolina,
unbedingt als strafbar angesehen werden. Und diese Gränze zwischen
Strafrecht und Polizei, bis zu einem gewissen Grade in der Natur der

Unzucht; die Unehre iſt nur eine Unehre des Weibes, weil ſie auf das
Geſchlecht fällt, das nur durch Ehre beſteht. Der Mann iſt weder ſtraf-
bar noch unehrlich. Das iſt das Geſchlechterrecht der Unzucht.

In der ſtändiſchen Welt werden die Ideen der Geſchlechtsordnung
auf die Körperſchaften übertragen, und dieſe werden jetzt das Organ,
welches die Sitte wahrt und die Ehe ſchützt. In ihr aber tritt eine
neue Erſcheinung auf. Die alte germaniſche Thatſache, die ſchon Tacitus
erwähnt, daß die Germanen ſtrenge Zucht und Sitte gehalten, und
die namentlich durch die Völkerwanderung faſt vernichtet war, tritt jetzt
in der Kirche wieder als Reflexion auf, und erzeugt hier den erſten
ethiſchen Begriff der Unzucht und Unſittlichkeit. Es iſt natürlich, daß
anfänglich nur die Kirche ſtraft, was ſie ſelbſt zum Vergehen gemacht
hat. Damit entſteht das vermeintliche Strafrecht der Unſittlichkeit,
das aber den ſtändiſchen Charakter hat, indem es nur von einem
Stande ausgeht, und nur von einem Stande vollzogen wird. Neben
demſelben beſteht dann namentlich in den Dörfern das alte Geſchlechts-
recht mit ſeinem, wir möchten ſagen Dorfſtrafrecht der Unſitte fort.
Es iſt ein bunter, zerfahrener Zuſtand, der noch ſeiner Darſtellung
entbehrt. Es wird erſt anders in der neu entſtehenden Epoche des
Polizeirechts.

Dieſe nun tritt auf mit der Carolina, der auch hier die Bamberg.
Halsgerichtsordnung Art. 141—148 faſt wörtlich vorauf geht. Dieſelbe
beſtimmt eigentlich in ihren Art. 116—124 nichts Neues, ſondern
formulirt im Grunde nur, was namentlich das kanoniſche Recht bereits
feſtgeſtellt hat. Die Literatur, die ſich an dieſe Artikel ſeit 1640 anſchließt,
iſt daher auch vorwiegend eine rein juriſtiſche. Allein das bedeutende
iſt, daß der Kampf mit dieſem Verbrechen von da an als Sache des
Staats angeſehen wird. Damit tritt zuerſt das polizeiliche Element
neben das ſtrafrechtliche hin mit ſeinem ſpecifiſchen Polizeirecht, und
zwar in der Weiſe, daß Bigamie, Inceſt und Concubinat weſentlich
von kirchlichen, die Nothzucht nach wie vor vom rein ſtrafrechtlichen,
die Hurerei und Kuppelei dagegen vom polizeilichen Standpunkt, letz-
teres namentlich nach dem Vorgange des römiſchen Rechts allmählig in
das an die Con. Cr. Carolina ſich anſchließende ſyſtematiſche Strafrecht
des 18. Jahrhunderts hineingezogen werden. Damit denn entſteht die
erſte eigentliche Sittenpolizei neben dem Recht der Unzucht. Die
Gränze liegt wohl, nach römiſchem Begriffe, auf dem Punkte, daß die
polizeiliche Erlaubniß bei öffentlichen Mädchen denkbar iſt, während
alle andern Verbrechen, ebenſo die Kuppelei nach Art. 147 der Carolina,
unbedingt als ſtrafbar angeſehen werden. Und dieſe Gränze zwiſchen
Strafrecht und Polizei, bis zu einem gewiſſen Grade in der Natur der

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[18/0034] Unzucht; die Unehre iſt nur eine Unehre des Weibes, weil ſie auf das Geſchlecht fällt, das nur durch Ehre beſteht. Der Mann iſt weder ſtraf- bar noch unehrlich. Das iſt das Geſchlechterrecht der Unzucht. In der ſtändiſchen Welt werden die Ideen der Geſchlechtsordnung auf die Körperſchaften übertragen, und dieſe werden jetzt das Organ, welches die Sitte wahrt und die Ehe ſchützt. In ihr aber tritt eine neue Erſcheinung auf. Die alte germaniſche Thatſache, die ſchon Tacitus erwähnt, daß die Germanen ſtrenge Zucht und Sitte gehalten, und die namentlich durch die Völkerwanderung faſt vernichtet war, tritt jetzt in der Kirche wieder als Reflexion auf, und erzeugt hier den erſten ethiſchen Begriff der Unzucht und Unſittlichkeit. Es iſt natürlich, daß anfänglich nur die Kirche ſtraft, was ſie ſelbſt zum Vergehen gemacht hat. Damit entſteht das vermeintliche Strafrecht der Unſittlichkeit, das aber den ſtändiſchen Charakter hat, indem es nur von einem Stande ausgeht, und nur von einem Stande vollzogen wird. Neben demſelben beſteht dann namentlich in den Dörfern das alte Geſchlechts- recht mit ſeinem, wir möchten ſagen Dorfſtrafrecht der Unſitte fort. Es iſt ein bunter, zerfahrener Zuſtand, der noch ſeiner Darſtellung entbehrt. Es wird erſt anders in der neu entſtehenden Epoche des Polizeirechts. Dieſe nun tritt auf mit der Carolina, der auch hier die Bamberg. Halsgerichtsordnung Art. 141—148 faſt wörtlich vorauf geht. Dieſelbe beſtimmt eigentlich in ihren Art. 116—124 nichts Neues, ſondern formulirt im Grunde nur, was namentlich das kanoniſche Recht bereits feſtgeſtellt hat. Die Literatur, die ſich an dieſe Artikel ſeit 1640 anſchließt, iſt daher auch vorwiegend eine rein juriſtiſche. Allein das bedeutende iſt, daß der Kampf mit dieſem Verbrechen von da an als Sache des Staats angeſehen wird. Damit tritt zuerſt das polizeiliche Element neben das ſtrafrechtliche hin mit ſeinem ſpecifiſchen Polizeirecht, und zwar in der Weiſe, daß Bigamie, Inceſt und Concubinat weſentlich von kirchlichen, die Nothzucht nach wie vor vom rein ſtrafrechtlichen, die Hurerei und Kuppelei dagegen vom polizeilichen Standpunkt, letz- teres namentlich nach dem Vorgange des römiſchen Rechts allmählig in das an die Con. Cr. Carolina ſich anſchließende ſyſtematiſche Strafrecht des 18. Jahrhunderts hineingezogen werden. Damit denn entſteht die erſte eigentliche Sittenpolizei neben dem Recht der Unzucht. Die Gränze liegt wohl, nach römiſchem Begriffe, auf dem Punkte, daß die polizeiliche Erlaubniß bei öffentlichen Mädchen denkbar iſt, während alle andern Verbrechen, ebenſo die Kuppelei nach Art. 147 der Carolina, unbedingt als ſtrafbar angeſehen werden. Und dieſe Gränze zwiſchen Strafrecht und Polizei, bis zu einem gewiſſen Grade in der Natur der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/34>, abgerufen am 27.04.2024.