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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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Arbeit die in der Presse liegt. Was sie ist, bedarf keines weiteren
Beweises. Allein es ist nothwendig, dieselben als einen Thatbestand
zu formuliren, um Rechtsfragen an sie anknüpfen zu können. Gelingt
das, so scheint uns die Frage der Preßfreiheit eine gelöste.

Das Wesen der Arbeit in der Presse besteht darin, daß die im
Druckwerk enthaltene Gedankenäußerung sich selbst als eine, in ihrer
Gültigkeit von der geistigen Arbeit des Schriftstellers und des Lesers
bedingte hinstellt. Nun hat jede Arbeit ein Ergebniß. Dieß Ergebniß
ist, wenn es in dieser Weise durch Arbeit erworben ist, eine Wahrheit.
Es ist ein absoluter Widerspruch, die Arbeit als Suchen nach der
Wahrheit begränzen zu wollen. Die Arbeit in der Presse ist daher
frei. Allein diese Freiheit ist noch nicht die Freiheit der Presse.

Das Ergebniß jener Arbeit des Gedankens kann nun alle wirk-
lichen oder geistigen Verhältnisse des Lebens zum Gegenstand haben.
In sofern nennen wir die Gesammtheit dieser Ergebnisse die Wissenschaft.
Wo nun der Gegenstand, mit welchem sich jene Arbeit beschäftigt, der
Zustand des öffentlichen Rechts, des Staats oder der Gesellschaft ist,
da empfängt das in derselben liegende Streben einen eigenen Namen
wegen seiner hohen specifischen Bedeutung für das Gesammtleben.
Wir nennen es die Tendenz oder den Geist der Arbeit selbst, und
mithin auch ihrer Erscheinung, des Druckwerkes. Diese Tendenz,
Richtung oder Geist des Druckwerkes ist daher neben und möglicher
Weise ganz unabhängig von den einzelnen Ausdrücken eine durchaus
selbständige Thatsache. Diese Thatsache ist ein inwohnendes Moment
jedes Druckwerkes. Sie ist in jedem Buche wie in jeder Zeitung, die
sich den öffentlichen Dingen zuwendet, vorhanden. Ja sie ist mehr;
sie ist das eigentliche Leben derselben. Sie beherrscht die einzelnen
Ausdrücke; sie bildet ihren Zusammenhang; sie ist die höhere Indivi-
dualität des Werkes selbst, und sie wirkt in dieser ihrer Individualität
und vermöge derselben. Sie wirkt zwar anders, aber sie wirkt nicht
weniger mächtig als jeder einzelne Ausspruch. Sie wirkt mehr durch das
was sie anregt, als durch das was sie enthält. Sie ist eben dadurch
ein so gewaltiges Culturmoment; sie erhebt über den einzelnen Irrthum
im Werke und läßt das Ganze wirken; sie macht wiederum die einzelne
Wahrheit unmächtig und läßt das Ganze wirkungslos; sie ist trotz der
heftigsten Ausdrücke die Vertreterin der Ruhe und Tiefe in der Be-
trachtung der öffentlichen Dinge, und sie ist bei aller Glätte und Form
ein furchtbarer Feind derselben. Ihre Macht ist keine plötzliche, sondern
eine langsame, aber desto größere; sie enthält keine Verletzung des Rechts,
aber sie kann es auflösen; sie erzeugt nicht immer Eindrücke, wohl aber
Ueberzeugungen; sie ist eine zweite Form der geistigen That, entscheidend

Arbeit die in der Preſſe liegt. Was ſie iſt, bedarf keines weiteren
Beweiſes. Allein es iſt nothwendig, dieſelben als einen Thatbeſtand
zu formuliren, um Rechtsfragen an ſie anknüpfen zu können. Gelingt
das, ſo ſcheint uns die Frage der Preßfreiheit eine gelöste.

Das Weſen der Arbeit in der Preſſe beſteht darin, daß die im
Druckwerk enthaltene Gedankenäußerung ſich ſelbſt als eine, in ihrer
Gültigkeit von der geiſtigen Arbeit des Schriftſtellers und des Leſers
bedingte hinſtellt. Nun hat jede Arbeit ein Ergebniß. Dieß Ergebniß
iſt, wenn es in dieſer Weiſe durch Arbeit erworben iſt, eine Wahrheit.
Es iſt ein abſoluter Widerſpruch, die Arbeit als Suchen nach der
Wahrheit begränzen zu wollen. Die Arbeit in der Preſſe iſt daher
frei. Allein dieſe Freiheit iſt noch nicht die Freiheit der Preſſe.

Das Ergebniß jener Arbeit des Gedankens kann nun alle wirk-
lichen oder geiſtigen Verhältniſſe des Lebens zum Gegenſtand haben.
In ſofern nennen wir die Geſammtheit dieſer Ergebniſſe die Wiſſenſchaft.
Wo nun der Gegenſtand, mit welchem ſich jene Arbeit beſchäftigt, der
Zuſtand des öffentlichen Rechts, des Staats oder der Geſellſchaft iſt,
da empfängt das in derſelben liegende Streben einen eigenen Namen
wegen ſeiner hohen ſpecifiſchen Bedeutung für das Geſammtleben.
Wir nennen es die Tendenz oder den Geiſt der Arbeit ſelbſt, und
mithin auch ihrer Erſcheinung, des Druckwerkes. Dieſe Tendenz,
Richtung oder Geiſt des Druckwerkes iſt daher neben und möglicher
Weiſe ganz unabhängig von den einzelnen Ausdrücken eine durchaus
ſelbſtändige Thatſache. Dieſe Thatſache iſt ein inwohnendes Moment
jedes Druckwerkes. Sie iſt in jedem Buche wie in jeder Zeitung, die
ſich den öffentlichen Dingen zuwendet, vorhanden. Ja ſie iſt mehr;
ſie iſt das eigentliche Leben derſelben. Sie beherrſcht die einzelnen
Ausdrücke; ſie bildet ihren Zuſammenhang; ſie iſt die höhere Indivi-
dualität des Werkes ſelbſt, und ſie wirkt in dieſer ihrer Individualität
und vermöge derſelben. Sie wirkt zwar anders, aber ſie wirkt nicht
weniger mächtig als jeder einzelne Ausſpruch. Sie wirkt mehr durch das
was ſie anregt, als durch das was ſie enthält. Sie iſt eben dadurch
ein ſo gewaltiges Culturmoment; ſie erhebt über den einzelnen Irrthum
im Werke und läßt das Ganze wirken; ſie macht wiederum die einzelne
Wahrheit unmächtig und läßt das Ganze wirkungslos; ſie iſt trotz der
heftigſten Ausdrücke die Vertreterin der Ruhe und Tiefe in der Be-
trachtung der öffentlichen Dinge, und ſie iſt bei aller Glätte und Form
ein furchtbarer Feind derſelben. Ihre Macht iſt keine plötzliche, ſondern
eine langſame, aber deſto größere; ſie enthält keine Verletzung des Rechts,
aber ſie kann es auflöſen; ſie erzeugt nicht immer Eindrücke, wohl aber
Ueberzeugungen; ſie iſt eine zweite Form der geiſtigen That, entſcheidend

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[74/0090] Arbeit die in der Preſſe liegt. Was ſie iſt, bedarf keines weiteren Beweiſes. Allein es iſt nothwendig, dieſelben als einen Thatbeſtand zu formuliren, um Rechtsfragen an ſie anknüpfen zu können. Gelingt das, ſo ſcheint uns die Frage der Preßfreiheit eine gelöste. Das Weſen der Arbeit in der Preſſe beſteht darin, daß die im Druckwerk enthaltene Gedankenäußerung ſich ſelbſt als eine, in ihrer Gültigkeit von der geiſtigen Arbeit des Schriftſtellers und des Leſers bedingte hinſtellt. Nun hat jede Arbeit ein Ergebniß. Dieß Ergebniß iſt, wenn es in dieſer Weiſe durch Arbeit erworben iſt, eine Wahrheit. Es iſt ein abſoluter Widerſpruch, die Arbeit als Suchen nach der Wahrheit begränzen zu wollen. Die Arbeit in der Preſſe iſt daher frei. Allein dieſe Freiheit iſt noch nicht die Freiheit der Preſſe. Das Ergebniß jener Arbeit des Gedankens kann nun alle wirk- lichen oder geiſtigen Verhältniſſe des Lebens zum Gegenſtand haben. In ſofern nennen wir die Geſammtheit dieſer Ergebniſſe die Wiſſenſchaft. Wo nun der Gegenſtand, mit welchem ſich jene Arbeit beſchäftigt, der Zuſtand des öffentlichen Rechts, des Staats oder der Geſellſchaft iſt, da empfängt das in derſelben liegende Streben einen eigenen Namen wegen ſeiner hohen ſpecifiſchen Bedeutung für das Geſammtleben. Wir nennen es die Tendenz oder den Geiſt der Arbeit ſelbſt, und mithin auch ihrer Erſcheinung, des Druckwerkes. Dieſe Tendenz, Richtung oder Geiſt des Druckwerkes iſt daher neben und möglicher Weiſe ganz unabhängig von den einzelnen Ausdrücken eine durchaus ſelbſtändige Thatſache. Dieſe Thatſache iſt ein inwohnendes Moment jedes Druckwerkes. Sie iſt in jedem Buche wie in jeder Zeitung, die ſich den öffentlichen Dingen zuwendet, vorhanden. Ja ſie iſt mehr; ſie iſt das eigentliche Leben derſelben. Sie beherrſcht die einzelnen Ausdrücke; ſie bildet ihren Zuſammenhang; ſie iſt die höhere Indivi- dualität des Werkes ſelbſt, und ſie wirkt in dieſer ihrer Individualität und vermöge derſelben. Sie wirkt zwar anders, aber ſie wirkt nicht weniger mächtig als jeder einzelne Ausſpruch. Sie wirkt mehr durch das was ſie anregt, als durch das was ſie enthält. Sie iſt eben dadurch ein ſo gewaltiges Culturmoment; ſie erhebt über den einzelnen Irrthum im Werke und läßt das Ganze wirken; ſie macht wiederum die einzelne Wahrheit unmächtig und läßt das Ganze wirkungslos; ſie iſt trotz der heftigſten Ausdrücke die Vertreterin der Ruhe und Tiefe in der Be- trachtung der öffentlichen Dinge, und ſie iſt bei aller Glätte und Form ein furchtbarer Feind derſelben. Ihre Macht iſt keine plötzliche, ſondern eine langſame, aber deſto größere; ſie enthält keine Verletzung des Rechts, aber ſie kann es auflöſen; ſie erzeugt nicht immer Eindrücke, wohl aber Ueberzeugungen; ſie iſt eine zweite Form der geiſtigen That, entſcheidend

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/90>, abgerufen am 28.04.2024.