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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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mit all ihren verschiedenartigsten Kräften theils bewußt, theils unbewußt
thätig wird. Und diese Arbeit ist eine lange und nach Zeit und Ort
sehr verschiedene. Es würde eine unabsehbare Aufgabe sein, sie hier ganz
zu verfolgen. Wir müssen uns daher entschließen, hier nur die Fun-
damente dieser Geschichte aufzustellen. Dieselben haben ihren Werth
nicht durch die Vollständigkeit im Einzelnen, sondern dadurch, daß sie
uns das geben, dessen die Verwaltungslehre in diesem Gebiete bedarf,
ein klares Gesammtbild von der Bewegung, welche die staatsbür-
gerliche Freiheit aus der unfreien Geschlechterordnung
erzeugt
, und damit das, worauf es hier ankommt, die Bestimmung
der Stellung, welche speciell die Grundentlastung als eine bestimmte
Stufe in dieser großen historischen Entwicklung einnimmt.

Man kann nämlich diese -- vielleicht größte, wenn auch fast vol-
lendete Arbeit -- der inneren Verwaltung in vier Hauptmomente theilen.

Das erste, was das Königthum braucht, um jene Unfreiheit zu
brechen, ist ein selbständiger, das ist nicht mehr innerhalb der Ge-
schlechterordnung und ihres Rechtssystems stehender Rechtstitel für sein
Eingreifen in Verhältnisse, welche ihrerseits die ganze Gestalt des Ge-
schlechterrechts ausfüllen.

Das zweite, was sich daran anschließt, ist die Aktion, welche auf
Grundlage dieses Rechtstitels nun auch wirklich auf dem Wege der
entstehenden inneren Verwaltung in die unfreie Ordnung hineingreift,
und sie durch Gesetzgebung, durch Gericht und Polizei wirklich um-
gestaltet.

Das dritte ist dann die selbständige Bewegung des jungen Staats-
bürgerthums, das theils durch das bei der herrschenden Klasse ent-
stehende Verständniß der nothwendigen Bedürfnisse des Volkes, theils
durch die Wissenschaft des Rechts, des Güterlebens und selbst der Staats-
wirthschaft die bereits erschütterte unfreie Ordnung der Geschlechter
innerlich angreift, und sie im Geiste des Volkes als unhaltbar und
mit den höchsten Interessen desselben im Widerspruche stehend, so lange
und so vielseitig darstellt, bis sie in ihren einzelnen Punkten unhalt-
bar wird.

Wenn das geschehen ist, so erscheint der vierte Theil des Processes,
die wirkliche Grundentlastung. Diese hat ihrerseits stets zwei Stadien.
Das erste ist die freie, die durch freies Uebereinkommen der Betheiligten
stattfindet, aber der Regel nach nur in sehr beschränktem Maße zur
Ausführung gelangt. Der Grund, weßhalb sie so geringe Bedeutung
hat, liegt im Wesen der Sache; denn die Grundentlastung soll die
ganze staatsbürgerliche Freiheit herstellen, während die freie Abfindung
sich nur auf die wirthschaftlichen Verhältnisse, und noch dazu in

mit all ihren verſchiedenartigſten Kräften theils bewußt, theils unbewußt
thätig wird. Und dieſe Arbeit iſt eine lange und nach Zeit und Ort
ſehr verſchiedene. Es würde eine unabſehbare Aufgabe ſein, ſie hier ganz
zu verfolgen. Wir müſſen uns daher entſchließen, hier nur die Fun-
damente dieſer Geſchichte aufzuſtellen. Dieſelben haben ihren Werth
nicht durch die Vollſtändigkeit im Einzelnen, ſondern dadurch, daß ſie
uns das geben, deſſen die Verwaltungslehre in dieſem Gebiete bedarf,
ein klares Geſammtbild von der Bewegung, welche die ſtaatsbür-
gerliche Freiheit aus der unfreien Geſchlechterordnung
erzeugt
, und damit das, worauf es hier ankommt, die Beſtimmung
der Stellung, welche ſpeciell die Grundentlaſtung als eine beſtimmte
Stufe in dieſer großen hiſtoriſchen Entwicklung einnimmt.

Man kann nämlich dieſe — vielleicht größte, wenn auch faſt vol-
lendete Arbeit — der inneren Verwaltung in vier Hauptmomente theilen.

Das erſte, was das Königthum braucht, um jene Unfreiheit zu
brechen, iſt ein ſelbſtändiger, das iſt nicht mehr innerhalb der Ge-
ſchlechterordnung und ihres Rechtsſyſtems ſtehender Rechtstitel für ſein
Eingreifen in Verhältniſſe, welche ihrerſeits die ganze Geſtalt des Ge-
ſchlechterrechts ausfüllen.

Das zweite, was ſich daran anſchließt, iſt die Aktion, welche auf
Grundlage dieſes Rechtstitels nun auch wirklich auf dem Wege der
entſtehenden inneren Verwaltung in die unfreie Ordnung hineingreift,
und ſie durch Geſetzgebung, durch Gericht und Polizei wirklich um-
geſtaltet.

Das dritte iſt dann die ſelbſtändige Bewegung des jungen Staats-
bürgerthums, das theils durch das bei der herrſchenden Klaſſe ent-
ſtehende Verſtändniß der nothwendigen Bedürfniſſe des Volkes, theils
durch die Wiſſenſchaft des Rechts, des Güterlebens und ſelbſt der Staats-
wirthſchaft die bereits erſchütterte unfreie Ordnung der Geſchlechter
innerlich angreift, und ſie im Geiſte des Volkes als unhaltbar und
mit den höchſten Intereſſen deſſelben im Widerſpruche ſtehend, ſo lange
und ſo vielſeitig darſtellt, bis ſie in ihren einzelnen Punkten unhalt-
bar wird.

Wenn das geſchehen iſt, ſo erſcheint der vierte Theil des Proceſſes,
die wirkliche Grundentlaſtung. Dieſe hat ihrerſeits ſtets zwei Stadien.
Das erſte iſt die freie, die durch freies Uebereinkommen der Betheiligten
ſtattfindet, aber der Regel nach nur in ſehr beſchränktem Maße zur
Ausführung gelangt. Der Grund, weßhalb ſie ſo geringe Bedeutung
hat, liegt im Weſen der Sache; denn die Grundentlaſtung ſoll die
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[104/0122] mit all ihren verſchiedenartigſten Kräften theils bewußt, theils unbewußt thätig wird. Und dieſe Arbeit iſt eine lange und nach Zeit und Ort ſehr verſchiedene. Es würde eine unabſehbare Aufgabe ſein, ſie hier ganz zu verfolgen. Wir müſſen uns daher entſchließen, hier nur die Fun- damente dieſer Geſchichte aufzuſtellen. Dieſelben haben ihren Werth nicht durch die Vollſtändigkeit im Einzelnen, ſondern dadurch, daß ſie uns das geben, deſſen die Verwaltungslehre in dieſem Gebiete bedarf, ein klares Geſammtbild von der Bewegung, welche die ſtaatsbür- gerliche Freiheit aus der unfreien Geſchlechterordnung erzeugt, und damit das, worauf es hier ankommt, die Beſtimmung der Stellung, welche ſpeciell die Grundentlaſtung als eine beſtimmte Stufe in dieſer großen hiſtoriſchen Entwicklung einnimmt. Man kann nämlich dieſe — vielleicht größte, wenn auch faſt vol- lendete Arbeit — der inneren Verwaltung in vier Hauptmomente theilen. Das erſte, was das Königthum braucht, um jene Unfreiheit zu brechen, iſt ein ſelbſtändiger, das iſt nicht mehr innerhalb der Ge- ſchlechterordnung und ihres Rechtsſyſtems ſtehender Rechtstitel für ſein Eingreifen in Verhältniſſe, welche ihrerſeits die ganze Geſtalt des Ge- ſchlechterrechts ausfüllen. Das zweite, was ſich daran anſchließt, iſt die Aktion, welche auf Grundlage dieſes Rechtstitels nun auch wirklich auf dem Wege der entſtehenden inneren Verwaltung in die unfreie Ordnung hineingreift, und ſie durch Geſetzgebung, durch Gericht und Polizei wirklich um- geſtaltet. Das dritte iſt dann die ſelbſtändige Bewegung des jungen Staats- bürgerthums, das theils durch das bei der herrſchenden Klaſſe ent- ſtehende Verſtändniß der nothwendigen Bedürfniſſe des Volkes, theils durch die Wiſſenſchaft des Rechts, des Güterlebens und ſelbſt der Staats- wirthſchaft die bereits erſchütterte unfreie Ordnung der Geſchlechter innerlich angreift, und ſie im Geiſte des Volkes als unhaltbar und mit den höchſten Intereſſen deſſelben im Widerſpruche ſtehend, ſo lange und ſo vielſeitig darſtellt, bis ſie in ihren einzelnen Punkten unhalt- bar wird. Wenn das geſchehen iſt, ſo erſcheint der vierte Theil des Proceſſes, die wirkliche Grundentlaſtung. Dieſe hat ihrerſeits ſtets zwei Stadien. Das erſte iſt die freie, die durch freies Uebereinkommen der Betheiligten ſtattfindet, aber der Regel nach nur in ſehr beſchränktem Maße zur Ausführung gelangt. Der Grund, weßhalb ſie ſo geringe Bedeutung hat, liegt im Weſen der Sache; denn die Grundentlaſtung ſoll die ganze ſtaatsbürgerliche Freiheit herſtellen, während die freie Abfindung ſich nur auf die wirthſchaftlichen Verhältniſſe, und noch dazu in

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/122>, abgerufen am 14.05.2024.