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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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ist. Die Bedeutung dieses ältesten Geschlechterbesitzes kommt nun auch
während der Entwicklung der neuen Gestalt der Geschlechterordnung
durch das Hinzutreten und die Herrschaft der Grundherrlichkeit nicht
weiter zur Geltung. Nur eine Frage entsteht dabei, und diese Frage
ist in den verschiedenen Ländern Europas allerdings verschieden beant-
wortet und hat daher auch zu denjenigen Bestimmungen Anlaß gegeben,
welche formell die ganze Gemeinheitstheilung mit der Entlastungslehre
in äußern Zusammenhang bringen. Nachdem die Grundherren nämlich
die Herrschaft über die Gemeinde der altfreien Bauern gewonnen, mußte
an vielen Punkten der Zweifel entstehen, ob der nicht aufgetheilte Theil
der Gemarkung dem Dorfe -- der alten Gemeinschaft der Bauern-
geschlechter -- oder dem Gutsherrn als Eigenthum gehöre. Die Ent-
scheidung dieser Frage aber ist eine örtliche. Zunächst empfing ohne
Zweifel auch die ganze Allmend den rechtlichen Charakter derjenigen
bäuerlichen Besitzungen, welchen sie gehörte; sie war mit ihnen ganz
frei, wie bei den Freidörfern, Lehen bei den Lehnbauern, Eigenthum
des Herrn bei den aus Hintersassen bestehenden Dörfern. Dann aber
scheint es allgemein gegolten zu haben, daß alle ursprüngliche Allmend,
so weit sie nicht von den Bauernschaften wirklich in Besitz genommen,
bei den Waldungen neben den Grundherren vielfach vom Landesherrn,
bei den Gemeindefluren dagegen meistens ausschließlich von den Grund-
herren als Eigenthum angesehen und in Anspruch genommen ward. Es
entstand daher vielfach ein doppeltes, eigenthümliches und nur historisch
erklärbares Verhältniß für Waldland und Fluren der Allmend. Was
dabei zunächst die Gemeindeflur oder Gemeindeweide betrifft, so sind
hier die Grundverhältnisse in Europa folgende.

Zuerst folgte aus der alten Markgenossenschaft der Dorfgeschlechter,
daß die Gesammtheit der ansäßigen Bauern die eigentliche Allmend mit
ihrem Vieh unbeschränkt beweiden konnte. Dann erhielt sich aber
jene Idee des Gesammtgutes in vielen Ländern darin, daß alle Dorf-
genossen ein gegenseitiges Weiderecht auf den eigenen Feldern und
zwar naturgemäß nach der Ernte hatten. In diese Grundverhältnisse
der Bauerngeschlechterordnung tritt nun drittens die Grundherrlichkeit
ein und ändert dieß Recht in zwei Beziehungen. Zuerst nimmt der
Grundherr als der größte Mitbesitzer der Gemeindemark bei ursprüng-
lich freien Bauern dasselbe Recht für den Gemeindeacker in Anspruch,
das jeder Bauer hatte -- er trieb sein Vieh auf die Gemeinweide; und
da er nur zu oft fast allein einen bedeutenden Viehstand hatte, so ward
die Weideservitut des Grundherrn zu einem Haupttheile seines
grundherrlichen Rechts. Dann gelang es dem Grundherrn in sehr
vielen Gebieten, jenes Weideservitut auch auf das Eigenthum der

iſt. Die Bedeutung dieſes älteſten Geſchlechterbeſitzes kommt nun auch
während der Entwicklung der neuen Geſtalt der Geſchlechterordnung
durch das Hinzutreten und die Herrſchaft der Grundherrlichkeit nicht
weiter zur Geltung. Nur eine Frage entſteht dabei, und dieſe Frage
iſt in den verſchiedenen Ländern Europas allerdings verſchieden beant-
wortet und hat daher auch zu denjenigen Beſtimmungen Anlaß gegeben,
welche formell die ganze Gemeinheitstheilung mit der Entlaſtungslehre
in äußern Zuſammenhang bringen. Nachdem die Grundherren nämlich
die Herrſchaft über die Gemeinde der altfreien Bauern gewonnen, mußte
an vielen Punkten der Zweifel entſtehen, ob der nicht aufgetheilte Theil
der Gemarkung dem Dorfe — der alten Gemeinſchaft der Bauern-
geſchlechter — oder dem Gutsherrn als Eigenthum gehöre. Die Ent-
ſcheidung dieſer Frage aber iſt eine örtliche. Zunächſt empfing ohne
Zweifel auch die ganze Allmend den rechtlichen Charakter derjenigen
bäuerlichen Beſitzungen, welchen ſie gehörte; ſie war mit ihnen ganz
frei, wie bei den Freidörfern, Lehen bei den Lehnbauern, Eigenthum
des Herrn bei den aus Hinterſaſſen beſtehenden Dörfern. Dann aber
ſcheint es allgemein gegolten zu haben, daß alle urſprüngliche Allmend,
ſo weit ſie nicht von den Bauernſchaften wirklich in Beſitz genommen,
bei den Waldungen neben den Grundherren vielfach vom Landesherrn,
bei den Gemeindefluren dagegen meiſtens ausſchließlich von den Grund-
herren als Eigenthum angeſehen und in Anſpruch genommen ward. Es
entſtand daher vielfach ein doppeltes, eigenthümliches und nur hiſtoriſch
erklärbares Verhältniß für Waldland und Fluren der Allmend. Was
dabei zunächſt die Gemeindeflur oder Gemeindeweide betrifft, ſo ſind
hier die Grundverhältniſſe in Europa folgende.

Zuerſt folgte aus der alten Markgenoſſenſchaft der Dorfgeſchlechter,
daß die Geſammtheit der anſäßigen Bauern die eigentliche Allmend mit
ihrem Vieh unbeſchränkt beweiden konnte. Dann erhielt ſich aber
jene Idee des Geſammtgutes in vielen Ländern darin, daß alle Dorf-
genoſſen ein gegenſeitiges Weiderecht auf den eigenen Feldern und
zwar naturgemäß nach der Ernte hatten. In dieſe Grundverhältniſſe
der Bauerngeſchlechterordnung tritt nun drittens die Grundherrlichkeit
ein und ändert dieß Recht in zwei Beziehungen. Zuerſt nimmt der
Grundherr als der größte Mitbeſitzer der Gemeindemark bei urſprüng-
lich freien Bauern daſſelbe Recht für den Gemeindeacker in Anſpruch,
das jeder Bauer hatte — er trieb ſein Vieh auf die Gemeinweide; und
da er nur zu oft faſt allein einen bedeutenden Viehſtand hatte, ſo ward
die Weideſervitut des Grundherrn zu einem Haupttheile ſeines
grundherrlichen Rechts. Dann gelang es dem Grundherrn in ſehr
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[254/0272] iſt. Die Bedeutung dieſes älteſten Geſchlechterbeſitzes kommt nun auch während der Entwicklung der neuen Geſtalt der Geſchlechterordnung durch das Hinzutreten und die Herrſchaft der Grundherrlichkeit nicht weiter zur Geltung. Nur eine Frage entſteht dabei, und dieſe Frage iſt in den verſchiedenen Ländern Europas allerdings verſchieden beant- wortet und hat daher auch zu denjenigen Beſtimmungen Anlaß gegeben, welche formell die ganze Gemeinheitstheilung mit der Entlaſtungslehre in äußern Zuſammenhang bringen. Nachdem die Grundherren nämlich die Herrſchaft über die Gemeinde der altfreien Bauern gewonnen, mußte an vielen Punkten der Zweifel entſtehen, ob der nicht aufgetheilte Theil der Gemarkung dem Dorfe — der alten Gemeinſchaft der Bauern- geſchlechter — oder dem Gutsherrn als Eigenthum gehöre. Die Ent- ſcheidung dieſer Frage aber iſt eine örtliche. Zunächſt empfing ohne Zweifel auch die ganze Allmend den rechtlichen Charakter derjenigen bäuerlichen Beſitzungen, welchen ſie gehörte; ſie war mit ihnen ganz frei, wie bei den Freidörfern, Lehen bei den Lehnbauern, Eigenthum des Herrn bei den aus Hinterſaſſen beſtehenden Dörfern. Dann aber ſcheint es allgemein gegolten zu haben, daß alle urſprüngliche Allmend, ſo weit ſie nicht von den Bauernſchaften wirklich in Beſitz genommen, bei den Waldungen neben den Grundherren vielfach vom Landesherrn, bei den Gemeindefluren dagegen meiſtens ausſchließlich von den Grund- herren als Eigenthum angeſehen und in Anſpruch genommen ward. Es entſtand daher vielfach ein doppeltes, eigenthümliches und nur hiſtoriſch erklärbares Verhältniß für Waldland und Fluren der Allmend. Was dabei zunächſt die Gemeindeflur oder Gemeindeweide betrifft, ſo ſind hier die Grundverhältniſſe in Europa folgende. Zuerſt folgte aus der alten Markgenoſſenſchaft der Dorfgeſchlechter, daß die Geſammtheit der anſäßigen Bauern die eigentliche Allmend mit ihrem Vieh unbeſchränkt beweiden konnte. Dann erhielt ſich aber jene Idee des Geſammtgutes in vielen Ländern darin, daß alle Dorf- genoſſen ein gegenſeitiges Weiderecht auf den eigenen Feldern und zwar naturgemäß nach der Ernte hatten. In dieſe Grundverhältniſſe der Bauerngeſchlechterordnung tritt nun drittens die Grundherrlichkeit ein und ändert dieß Recht in zwei Beziehungen. Zuerſt nimmt der Grundherr als der größte Mitbeſitzer der Gemeindemark bei urſprüng- lich freien Bauern daſſelbe Recht für den Gemeindeacker in Anſpruch, das jeder Bauer hatte — er trieb ſein Vieh auf die Gemeinweide; und da er nur zu oft faſt allein einen bedeutenden Viehſtand hatte, ſo ward die Weideſervitut des Grundherrn zu einem Haupttheile ſeines grundherrlichen Rechts. Dann gelang es dem Grundherrn in ſehr vielen Gebieten, jenes Weideſervitut auch auf das Eigenthum der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/272>, abgerufen am 30.04.2024.