Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Unter der Beute heimkehrender Fischer fanden sich zwei kleine Fische Namens
irinko, piranyaähnlich: es war der Mereschu der Bakairi, der in der Ornamentik eine
grosse Rolle spielt. Wilhelm zeichnete den Fisch ab und war überrascht zu sehen,
welche grosse Anerkennung er für sein Bild bei den Indianern einerntete. Der
intelligente Yaurikuma begriff nach längerem Zureden endlich auch unseren Wunsch,
Masken zu erhalten, und versprach, dass wir sie bei der Rückkehr finden würden.

Allem Anschein nach nahm das Misstrauen etwas ab, in den Hütten
tauchten Gegenstände auf, die vorher verborgen gehalten waren. Es fanden sich
zwei grosse Töpfe, wie sie von den Mehinaku gefertigt werden, von mächtigem
Umfang mit einer Bemalung von senkrecht aufsteigenden Streifen ringsum und
einer aus zwei einander zugewandten Halbkreisen bestehenden Zeichnung aussen
auf dem Boden. Ehrenreich nahm im Flötenhaus ohne Schwierigkeiten anthro-
pologische Messungen vor.

Der Morgen des 11. Oktober war ruhiger. Es wurden ein paar Muschel-
ketten gebracht, eine mit einem durchbohrten grossen Stein, für die der Besitzer
zuerst durchaus Ehrenreich's grosses Waldmesser haben wollte. Wilhelm traf den
Häuptling hinter seiner Hütte mit Maispflanzen beschäftigt; er bohrte mit einem
Stäbchen Löcher 2--3 Zoll tief und legte mehrere Körner hinein. Als mein Vetter
hinzutrat, bestand der Alte darauf, dass er den Rest pflanze, ein Vorfall analog
meinem Erlebnis im ersten Bakairi-Dorfe.

Bald darauf entstand plötzlich eine grosse Erregung unter der Gesellschaft.
Wilhelm wurde in die Hütte des Häuptlings geführt und fand dort drei neue
Ankömmlinge sitzen, die finster vor sich hin starrten, während Alles lärmend
durcheinanderschwatzte und einige Weiber heulten. Er konnte aus dem Vorgang
nicht klug werden und begriff nur so viel, dass es sich um eine schlimme Botschaft
handle, deren Träger die drei rot angestrichenen Fremden waren. Erst in dem
Flötenhause wurden ihm mit vielen Pantomimen die Neuigkeiten verständlich ge-
macht. Die bösen Suya hatten endlich den Plan, die Trumai zu überfallen, zu
dessen Beihilfe sie uns 1884 zu bereden suchten, mit Glück ausgeführt. "Suya
Trumai tok tok
" so wurde mit lebhaftem Geberdenausdruck veranschaulicht, dass
die Suya die Trumai niedergeschlagen und vergewaltigt hätten. Es schien, dass
jene einen Teil der Trumaikanus mit Haken herangezogen und umgeworfen
hatten; Pfeile wurden auf die Schwimmenden geschossen, anderen wurden die
Arme auf dem Rücken zusammengebunden.

Die Leute, welche die Nachricht überbracht hatten, waren die den Trumai
zunächst wohnenden Nahuqua, die Guikuru heissen.

Am Vormittag des 11. Oktober kehrten Wilhelm und Ehrenreich, dessen
Unwohlsein zunahm, an den Hafen zurück und ruderten am 12. Morgens ab, um
mich einzuholen. Zwei der Mehinaku, die unter den Nahuqua wohnten und mein
Verschwinden richtig gedeutet hatten, waren mir schon am Tage vorher nach-
gefahren, kamen aber glücklicherweise einen Tag später an als ich selbst.



Unter der Beute heimkehrender Fischer fanden sich zwei kleine Fische Namens
irinko, piranyaähnlich: es war der Mereschu der Bakaïrí, der in der Ornamentik eine
grosse Rolle spielt. Wilhelm zeichnete den Fisch ab und war überrascht zu sehen,
welche grosse Anerkennung er für sein Bild bei den Indianern einerntete. Der
intelligente Yaurikumá begriff nach längerem Zureden endlich auch unseren Wunsch,
Masken zu erhalten, und versprach, dass wir sie bei der Rückkehr finden würden.

Allem Anschein nach nahm das Misstrauen etwas ab, in den Hütten
tauchten Gegenstände auf, die vorher verborgen gehalten waren. Es fanden sich
zwei grosse Töpfe, wie sie von den Mehinakú gefertigt werden, von mächtigem
Umfang mit einer Bemalung von senkrecht aufsteigenden Streifen ringsum und
einer aus zwei einander zugewandten Halbkreisen bestehenden Zeichnung aussen
auf dem Boden. Ehrenreich nahm im Flötenhaus ohne Schwierigkeiten anthro-
pologische Messungen vor.

Der Morgen des 11. Oktober war ruhiger. Es wurden ein paar Muschel-
ketten gebracht, eine mit einem durchbohrten grossen Stein, für die der Besitzer
zuerst durchaus Ehrenreich’s grosses Waldmesser haben wollte. Wilhelm traf den
Häuptling hinter seiner Hütte mit Maispflanzen beschäftigt; er bohrte mit einem
Stäbchen Löcher 2—3 Zoll tief und legte mehrere Körner hinein. Als mein Vetter
hinzutrat, bestand der Alte darauf, dass er den Rest pflanze, ein Vorfall analog
meinem Erlebnis im ersten Bakaïrí-Dorfe.

Bald darauf entstand plötzlich eine grosse Erregung unter der Gesellschaft.
Wilhelm wurde in die Hütte des Häuptlings geführt und fand dort drei neue
Ankömmlinge sitzen, die finster vor sich hin starrten, während Alles lärmend
durcheinanderschwatzte und einige Weiber heulten. Er konnte aus dem Vorgang
nicht klug werden und begriff nur so viel, dass es sich um eine schlimme Botschaft
handle, deren Träger die drei rot angestrichenen Fremden waren. Erst in dem
Flötenhause wurden ihm mit vielen Pantomimen die Neuigkeiten verständlich ge-
macht. Die bösen Suyá hatten endlich den Plan, die Trumaí zu überfallen, zu
dessen Beihilfe sie uns 1884 zu bereden suchten, mit Glück ausgeführt. „Suyá
Trumaí tok tok
“ so wurde mit lebhaftem Geberdenausdruck veranschaulicht, dass
die Suyá die Trumaí niedergeschlagen und vergewaltigt hätten. Es schien, dass
jene einen Teil der Trumaíkanus mit Haken herangezogen und umgeworfen
hatten; Pfeile wurden auf die Schwimmenden geschossen, anderen wurden die
Arme auf dem Rücken zusammengebunden.

Die Leute, welche die Nachricht überbracht hatten, waren die den Trumaí
zunächst wohnenden Nahuquá, die Guikurú heissen.

Am Vormittag des 11. Oktober kehrten Wilhelm und Ehrenreich, dessen
Unwohlsein zunahm, an den Hafen zurück und ruderten am 12. Morgens ab, um
mich einzuholen. Zwei der Mehinakú, die unter den Nahuquá wohnten und mein
Verschwinden richtig gedeutet hatten, waren mir schon am Tage vorher nach-
gefahren, kamen aber glücklicherweise einen Tag später an als ich selbst.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0133" n="101"/>
          <p>Unter der Beute heimkehrender Fischer fanden sich zwei kleine Fische Namens<lb/><hi rendition="#i">irinko,</hi> piranyaähnlich: es war der Mereschu der Bakaïrí, der in der Ornamentik eine<lb/>
grosse Rolle spielt. Wilhelm zeichnete den Fisch ab und war überrascht zu sehen,<lb/>
welche grosse Anerkennung er für sein Bild bei den Indianern einerntete. Der<lb/>
intelligente Yaurikumá begriff nach längerem Zureden endlich auch unseren Wunsch,<lb/>
Masken zu erhalten, und versprach, dass wir sie bei der Rückkehr finden würden.</p><lb/>
          <p>Allem Anschein nach nahm das Misstrauen etwas ab, in den Hütten<lb/>
tauchten Gegenstände auf, die vorher verborgen gehalten waren. Es fanden sich<lb/>
zwei grosse Töpfe, wie sie von den Mehinakú gefertigt werden, von mächtigem<lb/>
Umfang mit einer Bemalung von senkrecht aufsteigenden Streifen ringsum und<lb/>
einer aus zwei einander zugewandten Halbkreisen bestehenden Zeichnung aussen<lb/>
auf dem Boden. Ehrenreich nahm im Flötenhaus ohne Schwierigkeiten anthro-<lb/>
pologische Messungen vor.</p><lb/>
          <p>Der Morgen des 11. Oktober war ruhiger. Es wurden ein paar Muschel-<lb/>
ketten gebracht, eine mit einem durchbohrten grossen Stein, für die der Besitzer<lb/>
zuerst durchaus Ehrenreich&#x2019;s grosses Waldmesser haben wollte. Wilhelm traf den<lb/>
Häuptling hinter seiner Hütte mit Maispflanzen beschäftigt; er bohrte mit einem<lb/>
Stäbchen Löcher 2&#x2014;3 Zoll tief und legte mehrere Körner hinein. Als mein Vetter<lb/>
hinzutrat, bestand der Alte darauf, dass er den Rest pflanze, ein Vorfall analog<lb/>
meinem Erlebnis im ersten Bakaïrí-Dorfe.</p><lb/>
          <p>Bald darauf entstand plötzlich eine grosse Erregung unter der Gesellschaft.<lb/>
Wilhelm wurde in die Hütte des Häuptlings geführt und fand dort drei neue<lb/>
Ankömmlinge sitzen, die finster vor sich hin starrten, während Alles lärmend<lb/>
durcheinanderschwatzte und einige Weiber heulten. Er konnte aus dem Vorgang<lb/>
nicht klug werden und begriff nur so viel, dass es sich um eine schlimme Botschaft<lb/>
handle, deren Träger die drei rot angestrichenen Fremden waren. Erst in dem<lb/>
Flötenhause wurden ihm mit vielen Pantomimen die Neuigkeiten verständlich ge-<lb/>
macht. Die bösen Suyá hatten endlich den Plan, die Trumaí zu überfallen, zu<lb/>
dessen Beihilfe sie uns 1884 zu bereden suchten, mit Glück ausgeführt. &#x201E;<hi rendition="#i">Suyá<lb/>
Trumaí tok tok</hi>&#x201C; so wurde mit lebhaftem Geberdenausdruck veranschaulicht, dass<lb/>
die Suyá die Trumaí niedergeschlagen und vergewaltigt hätten. Es schien, dass<lb/>
jene einen Teil der Trumaíkanus mit Haken herangezogen und umgeworfen<lb/>
hatten; Pfeile wurden auf die Schwimmenden geschossen, anderen wurden die<lb/>
Arme auf dem Rücken zusammengebunden.</p><lb/>
          <p>Die Leute, welche die Nachricht überbracht hatten, waren die den Trumaí<lb/>
zunächst wohnenden Nahuquá, die Guikurú heissen.</p><lb/>
          <p>Am Vormittag des 11. Oktober kehrten Wilhelm und Ehrenreich, dessen<lb/>
Unwohlsein zunahm, an den Hafen zurück und ruderten am 12. Morgens ab, um<lb/>
mich einzuholen. Zwei der Mehinakú, die unter den Nahuquá wohnten und mein<lb/>
Verschwinden richtig gedeutet hatten, waren mir schon am Tage vorher nach-<lb/>
gefahren, kamen aber glücklicherweise einen Tag später an als ich selbst.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0133] Unter der Beute heimkehrender Fischer fanden sich zwei kleine Fische Namens irinko, piranyaähnlich: es war der Mereschu der Bakaïrí, der in der Ornamentik eine grosse Rolle spielt. Wilhelm zeichnete den Fisch ab und war überrascht zu sehen, welche grosse Anerkennung er für sein Bild bei den Indianern einerntete. Der intelligente Yaurikumá begriff nach längerem Zureden endlich auch unseren Wunsch, Masken zu erhalten, und versprach, dass wir sie bei der Rückkehr finden würden. Allem Anschein nach nahm das Misstrauen etwas ab, in den Hütten tauchten Gegenstände auf, die vorher verborgen gehalten waren. Es fanden sich zwei grosse Töpfe, wie sie von den Mehinakú gefertigt werden, von mächtigem Umfang mit einer Bemalung von senkrecht aufsteigenden Streifen ringsum und einer aus zwei einander zugewandten Halbkreisen bestehenden Zeichnung aussen auf dem Boden. Ehrenreich nahm im Flötenhaus ohne Schwierigkeiten anthro- pologische Messungen vor. Der Morgen des 11. Oktober war ruhiger. Es wurden ein paar Muschel- ketten gebracht, eine mit einem durchbohrten grossen Stein, für die der Besitzer zuerst durchaus Ehrenreich’s grosses Waldmesser haben wollte. Wilhelm traf den Häuptling hinter seiner Hütte mit Maispflanzen beschäftigt; er bohrte mit einem Stäbchen Löcher 2—3 Zoll tief und legte mehrere Körner hinein. Als mein Vetter hinzutrat, bestand der Alte darauf, dass er den Rest pflanze, ein Vorfall analog meinem Erlebnis im ersten Bakaïrí-Dorfe. Bald darauf entstand plötzlich eine grosse Erregung unter der Gesellschaft. Wilhelm wurde in die Hütte des Häuptlings geführt und fand dort drei neue Ankömmlinge sitzen, die finster vor sich hin starrten, während Alles lärmend durcheinanderschwatzte und einige Weiber heulten. Er konnte aus dem Vorgang nicht klug werden und begriff nur so viel, dass es sich um eine schlimme Botschaft handle, deren Träger die drei rot angestrichenen Fremden waren. Erst in dem Flötenhause wurden ihm mit vielen Pantomimen die Neuigkeiten verständlich ge- macht. Die bösen Suyá hatten endlich den Plan, die Trumaí zu überfallen, zu dessen Beihilfe sie uns 1884 zu bereden suchten, mit Glück ausgeführt. „Suyá Trumaí tok tok“ so wurde mit lebhaftem Geberdenausdruck veranschaulicht, dass die Suyá die Trumaí niedergeschlagen und vergewaltigt hätten. Es schien, dass jene einen Teil der Trumaíkanus mit Haken herangezogen und umgeworfen hatten; Pfeile wurden auf die Schwimmenden geschossen, anderen wurden die Arme auf dem Rücken zusammengebunden. Die Leute, welche die Nachricht überbracht hatten, waren die den Trumaí zunächst wohnenden Nahuquá, die Guikurú heissen. Am Vormittag des 11. Oktober kehrten Wilhelm und Ehrenreich, dessen Unwohlsein zunahm, an den Hafen zurück und ruderten am 12. Morgens ab, um mich einzuholen. Zwei der Mehinakú, die unter den Nahuquá wohnten und mein Verschwinden richtig gedeutet hatten, waren mir schon am Tage vorher nach- gefahren, kamen aber glücklicherweise einen Tag später an als ich selbst.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/133
Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/133>, abgerufen am 27.04.2024.