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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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dort mit ka a a . . . . . . einen Rundgang mache. In der That waren viele ringsum
laufende Fussspuren erhalten.

Schon bevor wir hier ankamen, luden die Bakairi, die den grösseren Teil
des Weges mir vorausgeschritten waren, stehen bleibend mich höflichst ein, den
Vortritt zu nehmen. Sie liessen deutlich merken, dass es ihnen nicht mehr ganz
geheuer war. Aber erst dicht vor dem Dorf begegnete uns ein Mehinaku, der
schleunigst Kehrt machte, nachdem wir ihm noch eben ein "kura, kura!" zuge-
rufen hatten. Gleich darauf betraten wir einen gewaltigen freien Platz, der von
14 Häusern im weiten Kreise umgeben war.

Ein höchst sonderbares Bild! Von allen Seiten stürzte man aus den Häusern
hervor, Alt und Jung rannte mit lebhaften Rufen und Geberden umher, teils auf
mich zu, teils zurückweichend. Bald wurde ich an den Händen gefasst und so,
freundschaftlich festgehalten, durch die bis über hundert Personen angewachsene
Schaar nach dem Flötenhaus geleitet, wo ich auf einen schöngeschnitzten Vogel-
schemel niedersitzen musste. Man betrachtete mich mit dem Ausdruck der
scheuen und angstvollen Neugier; die Frauen vielfach geschwärzt und teil-
weise mit Russ über und über bedeckt, verbargen sich hinter dem Ring der
Männer, die bei der leisesten unerwarteten Bewegung meinerseits zurückprallten.
Viele Kuyen mit Stärkekleister wurden kredenzt, und ich musste aus jeder trinken.
Beijus von vorzüglicher Qualität, weich, mit weisslichem Mehl, wie ein Tuch
zusammengeschlagen, erschienen in Massen; auf grünen Blättern wurde auch Salz
überreicht.

Ich war froh, als ich endlich in die Festhütte kriechen durfte, deren Eingang
hier nicht kniehoch war. Sie war gefüllt mit bunten Holzmasken verschiedener
Bemalung, aber gleicher Gestalt; bei einigen war auch das lange Buritigehänge,
das vorne wie ein mächtiger Bart herabfällt, rot gefärbt.

Ich eröffnete sofort das Tauschgeschäft und erhielt für Messer und Perlen
einige Masken und Töpfchen. Sie wollten absolut Messer und wieder Messer
haben, sie zeigten dabei ein recht ungeduldiges Gebahren. "Nur heraus mit
Deinen Sachen", schien ein Jeder zu sagen, "siehst Du denn nicht, dass ich warte?"
Das Wesen eines reellen Geschäftes, bei dem, wer etwas nimmt, auch etwas her-
giebt, war ihnen entschieden unklar. Tumayaua, der sich in seiner Rolle als
Impresario des interessanten Gastes überaus stolz und glücklich fühlte, setzte ihnen
in längerer Rede die Elementarbegriffe des europäischen Handelsverkehrs aus-
einander. Seine Geschicklichkeit, mit nicht viel mehr als drei oder vier Phrasen
seiner eigenen Sprache in dem Brustton der Ueberzeugung jene Auseinander-
setzung und später eine Erzählung unserer Erlebnisse zum Verständnis seiner
Zuhörerschaft zu bringen, war in hohem Masse bemerkenswert.

Später hatte ich eine lange Sitzung draussen unter Beteiligung zahlreicher
alter Weiber; wenn der Häuptling ein Karaibenwort von mir hörte, machte er
es wie ich, der ich seine Wörter in mein Buch eintrug, und kritzelte eifrig in
den Sand.


dort mit kā ā ā . . . . . . einen Rundgang mache. In der That waren viele ringsum
laufende Fussspuren erhalten.

Schon bevor wir hier ankamen, luden die Bakaïrí, die den grösseren Teil
des Weges mir vorausgeschritten waren, stehen bleibend mich höflichst ein, den
Vortritt zu nehmen. Sie liessen deutlich merken, dass es ihnen nicht mehr ganz
geheuer war. Aber erst dicht vor dem Dorf begegnete uns ein Mehinakú, der
schleunigst Kehrt machte, nachdem wir ihm noch eben ein »kúra, kúra!« zuge-
rufen hatten. Gleich darauf betraten wir einen gewaltigen freien Platz, der von
14 Häusern im weiten Kreise umgeben war.

Ein höchst sonderbares Bild! Von allen Seiten stürzte man aus den Häusern
hervor, Alt und Jung rannte mit lebhaften Rufen und Geberden umher, teils auf
mich zu, teils zurückweichend. Bald wurde ich an den Händen gefasst und so,
freundschaftlich festgehalten, durch die bis über hundert Personen angewachsene
Schaar nach dem Flötenhaus geleitet, wo ich auf einen schöngeschnitzten Vogel-
schemel niedersitzen musste. Man betrachtete mich mit dem Ausdruck der
scheuen und angstvollen Neugier; die Frauen vielfach geschwärzt und teil-
weise mit Russ über und über bedeckt, verbargen sich hinter dem Ring der
Männer, die bei der leisesten unerwarteten Bewegung meinerseits zurückprallten.
Viele Kuyen mit Stärkekleister wurden kredenzt, und ich musste aus jeder trinken.
Beijús von vorzüglicher Qualität, weich, mit weisslichem Mehl, wie ein Tuch
zusammengeschlagen, erschienen in Massen; auf grünen Blättern wurde auch Salz
überreicht.

Ich war froh, als ich endlich in die Festhütte kriechen durfte, deren Eingang
hier nicht kniehoch war. Sie war gefüllt mit bunten Holzmasken verschiedener
Bemalung, aber gleicher Gestalt; bei einigen war auch das lange Buritígehänge,
das vorne wie ein mächtiger Bart herabfällt, rot gefärbt.

Ich eröffnete sofort das Tauschgeschäft und erhielt für Messer und Perlen
einige Masken und Töpfchen. Sie wollten absolut Messer und wieder Messer
haben, sie zeigten dabei ein recht ungeduldiges Gebahren. »Nur heraus mit
Deinen Sachen«, schien ein Jeder zu sagen, »siehst Du denn nicht, dass ich warte?«
Das Wesen eines reellen Geschäftes, bei dem, wer etwas nimmt, auch etwas her-
giebt, war ihnen entschieden unklar. Tumayaua, der sich in seiner Rolle als
Impresario des interessanten Gastes überaus stolz und glücklich fühlte, setzte ihnen
in längerer Rede die Elementarbegriffe des europäischen Handelsverkehrs aus-
einander. Seine Geschicklichkeit, mit nicht viel mehr als drei oder vier Phrasen
seiner eigenen Sprache in dem Brustton der Ueberzeugung jene Auseinander-
setzung und später eine Erzählung unserer Erlebnisse zum Verständnis seiner
Zuhörerschaft zu bringen, war in hohem Masse bemerkenswert.

Später hatte ich eine lange Sitzung draussen unter Beteiligung zahlreicher
alter Weiber; wenn der Häuptling ein Karaibenwort von mir hörte, machte er
es wie ich, der ich seine Wörter in mein Buch eintrug, und kritzelte eifrig in
den Sand.


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[103/0135] dort mit kā ā ā . . . . . . einen Rundgang mache. In der That waren viele ringsum laufende Fussspuren erhalten. Schon bevor wir hier ankamen, luden die Bakaïrí, die den grösseren Teil des Weges mir vorausgeschritten waren, stehen bleibend mich höflichst ein, den Vortritt zu nehmen. Sie liessen deutlich merken, dass es ihnen nicht mehr ganz geheuer war. Aber erst dicht vor dem Dorf begegnete uns ein Mehinakú, der schleunigst Kehrt machte, nachdem wir ihm noch eben ein »kúra, kúra!« zuge- rufen hatten. Gleich darauf betraten wir einen gewaltigen freien Platz, der von 14 Häusern im weiten Kreise umgeben war. Ein höchst sonderbares Bild! Von allen Seiten stürzte man aus den Häusern hervor, Alt und Jung rannte mit lebhaften Rufen und Geberden umher, teils auf mich zu, teils zurückweichend. Bald wurde ich an den Händen gefasst und so, freundschaftlich festgehalten, durch die bis über hundert Personen angewachsene Schaar nach dem Flötenhaus geleitet, wo ich auf einen schöngeschnitzten Vogel- schemel niedersitzen musste. Man betrachtete mich mit dem Ausdruck der scheuen und angstvollen Neugier; die Frauen vielfach geschwärzt und teil- weise mit Russ über und über bedeckt, verbargen sich hinter dem Ring der Männer, die bei der leisesten unerwarteten Bewegung meinerseits zurückprallten. Viele Kuyen mit Stärkekleister wurden kredenzt, und ich musste aus jeder trinken. Beijús von vorzüglicher Qualität, weich, mit weisslichem Mehl, wie ein Tuch zusammengeschlagen, erschienen in Massen; auf grünen Blättern wurde auch Salz überreicht. Ich war froh, als ich endlich in die Festhütte kriechen durfte, deren Eingang hier nicht kniehoch war. Sie war gefüllt mit bunten Holzmasken verschiedener Bemalung, aber gleicher Gestalt; bei einigen war auch das lange Buritígehänge, das vorne wie ein mächtiger Bart herabfällt, rot gefärbt. Ich eröffnete sofort das Tauschgeschäft und erhielt für Messer und Perlen einige Masken und Töpfchen. Sie wollten absolut Messer und wieder Messer haben, sie zeigten dabei ein recht ungeduldiges Gebahren. »Nur heraus mit Deinen Sachen«, schien ein Jeder zu sagen, »siehst Du denn nicht, dass ich warte?« Das Wesen eines reellen Geschäftes, bei dem, wer etwas nimmt, auch etwas her- giebt, war ihnen entschieden unklar. Tumayaua, der sich in seiner Rolle als Impresario des interessanten Gastes überaus stolz und glücklich fühlte, setzte ihnen in längerer Rede die Elementarbegriffe des europäischen Handelsverkehrs aus- einander. Seine Geschicklichkeit, mit nicht viel mehr als drei oder vier Phrasen seiner eigenen Sprache in dem Brustton der Ueberzeugung jene Auseinander- setzung und später eine Erzählung unserer Erlebnisse zum Verständnis seiner Zuhörerschaft zu bringen, war in hohem Masse bemerkenswert. Später hatte ich eine lange Sitzung draussen unter Beteiligung zahlreicher alter Weiber; wenn der Häuptling ein Karaibenwort von mir hörte, machte er es wie ich, der ich seine Wörter in mein Buch eintrug, und kritzelte eifrig in den Sand.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/135>, abgerufen am 26.04.2024.