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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Male hörte ich den Ausspruch, dass die Suya gut seien. Aber auch auf die
Trumai bezogen sich die Klagen des Alten. Sie und die Suya seien reich, weil
sie die Steinbeile hätten.

Die Alten sahen ungesund aus; mehrere Männer und Frauen hatten die
Haut zu einer Schuppenkruste verdickt. Kinder waren zahlreich, verhältnismässig
mehr als irgendwo sonst, vorhanden. Die Frauen sollen sich Anfangs sehr vor
mir gefürchtet haben; jetzt sassen sie gemütlich um mich herum, wie im ersten
Bakairidorf, aber sie beobachteten aufmerksam jede meiner Bewegungen und bei
der geringsten, die unerwartet kam, stürzte die eine oder andere bei Seite. Mit
einem plötzlichen Aufsprung hätte ich die ganze Gesellschaft in die Flucht treiben
können. Man unterhielt sich leise, schien sich aber nach einer Stunde Zu-
sammenseins noch nicht zu langweilen. Von meinen Zaubersachen machte zur
Abwechslung hier der Spiegel den grössten Eindruck und rief ein lautes "te he he he"
des Erstaunens hervor. Ein angebranntes Zündhölzchen, das ich wegwarf, ver-
pflanzte Einer zwischen dem Gras in das Erdreich.

Von den armen Menschen konnte ich nicht viel erwerben. Warum sie
eigentlich so jämmerlich daran waren, ist mir trotz der Manitsaua nicht verständ-
lich geworden. Ihre Pflanzung war allerdings in diesem Jahre durch Schweine
verwüstet worden. Es fanden sich ein paar hübsche Spindelscheiben, Beijuwender,
ein wenig Federschmuck und, das einzige Besondere und Beachtenswerte, eine
Anzahl Ketten mit durchbohrten Steinen.

Am Morgen des 19. Oktober hatte ich Antonio und Tumayaua nach den
Auetö zurückbeordert, um die anderen Gefährten zu holen, während ich die
sprachliche Aufnahme der Yaulapiti vollendete. Sie kehrten jedoch am Nach-
mittag zurück, da sie am Ende des Auetökanals kein Boot gefunden hatten.

Das von uns dort zurückgelassene, behaupteten die Yaulapiti, sei von ein
paar Trumai benutzt worden. Dieselben seien bei ihnen im Dorf gewesen, aber
aus Furcht vor mir bei meiner Ankunft entflohen. In dieser unangenehmen Si-
tuation beschloss ich sofort, damit wir nicht vergebens erwartet und die Gefährten
beunruhigt würden, zu den Auetö zurückzukehren. Es war doch zu hoffen, dass
ein Kanu der Auetö am nächsten Tage erscheine, und uns aufnehme.

Wir erhielten aber erst um 5 Uhr von den Yaulapiti ein Kanu, das vom
Fischfang zurückkehrte. Die Uya, wie die grosse Lagune genannt wird, war stark
bewegt. Es wetterleuchtete ringsum. Der junge Yaulapiti, der uns fuhr, blies,
im Kanu stehend, mit einer Ueberzeugung und einem Ernst gegen die herauf-
ziehenden Wolken, dass es eine Lust war, ihm zuzuschauen. Dem strammen
Boreas spritzte ein Sprühtrichter aus dem Munde.

Wir landeten aber noch zu rechter Zeit und gingen das letzte Stück des
Weges im tiefen Dunkel, während Blitze zuweilen den Pfad erhellten. In den
Schutzhütten der Auetö am Ende des Kanals richteten wir uns für die Nacht ein.
Von den vorhandenen Töpfen erwies sich bei näherer Untersuchung nur ein grosses
Ungetüm zum Kochen brauchbar; ich hatte nichts als zwei Gemüsetafeln bei

Male hörte ich den Ausspruch, dass die Suyá gut seien. Aber auch auf die
Trumaí bezogen sich die Klagen des Alten. Sie und die Suyá seien reich, weil
sie die Steinbeile hätten.

Die Alten sahen ungesund aus; mehrere Männer und Frauen hatten die
Haut zu einer Schuppenkruste verdickt. Kinder waren zahlreich, verhältnismässig
mehr als irgendwo sonst, vorhanden. Die Frauen sollen sich Anfangs sehr vor
mir gefürchtet haben; jetzt sassen sie gemütlich um mich herum, wie im ersten
Bakaïrídorf, aber sie beobachteten aufmerksam jede meiner Bewegungen und bei
der geringsten, die unerwartet kam, stürzte die eine oder andere bei Seite. Mit
einem plötzlichen Aufsprung hätte ich die ganze Gesellschaft in die Flucht treiben
können. Man unterhielt sich leise, schien sich aber nach einer Stunde Zu-
sammenseins noch nicht zu langweilen. Von meinen Zaubersachen machte zur
Abwechslung hier der Spiegel den grössten Eindruck und rief ein lautes „té he he hé
des Erstaunens hervor. Ein angebranntes Zündhölzchen, das ich wegwarf, ver-
pflanzte Einer zwischen dem Gras in das Erdreich.

Von den armen Menschen konnte ich nicht viel erwerben. Warum sie
eigentlich so jämmerlich daran waren, ist mir trotz der Manitsauá nicht verständ-
lich geworden. Ihre Pflanzung war allerdings in diesem Jahre durch Schweine
verwüstet worden. Es fanden sich ein paar hübsche Spindelscheiben, Beijúwender,
ein wenig Federschmuck und, das einzige Besondere und Beachtenswerte, eine
Anzahl Ketten mit durchbohrten Steinen.

Am Morgen des 19. Oktober hatte ich Antonio und Tumayaua nach den
Auetö́ zurückbeordert, um die anderen Gefährten zu holen, während ich die
sprachliche Aufnahme der Yaulapiti vollendete. Sie kehrten jedoch am Nach-
mittag zurück, da sie am Ende des Auetö́kanals kein Boot gefunden hatten.

Das von uns dort zurückgelassene, behaupteten die Yaulapiti, sei von ein
paar Trumaí benutzt worden. Dieselben seien bei ihnen im Dorf gewesen, aber
aus Furcht vor mir bei meiner Ankunft entflohen. In dieser unangenehmen Si-
tuation beschloss ich sofort, damit wir nicht vergebens erwartet und die Gefährten
beunruhigt würden, zu den Auetö́ zurückzukehren. Es war doch zu hoffen, dass
ein Kanu der Auetö́ am nächsten Tage erscheine, und uns aufnehme.

Wir erhielten aber erst um 5 Uhr von den Yaulapiti ein Kanu, das vom
Fischfang zurückkehrte. Die Uyá, wie die grosse Lagune genannt wird, war stark
bewegt. Es wetterleuchtete ringsum. Der junge Yaulapiti, der uns fuhr, blies,
im Kanu stehend, mit einer Ueberzeugung und einem Ernst gegen die herauf-
ziehenden Wolken, dass es eine Lust war, ihm zuzuschauen. Dem strammen
Boreas spritzte ein Sprühtrichter aus dem Munde.

Wir landeten aber noch zu rechter Zeit und gingen das letzte Stück des
Weges im tiefen Dunkel, während Blitze zuweilen den Pfad erhellten. In den
Schutzhütten der Auetö́ am Ende des Kanals richteten wir uns für die Nacht ein.
Von den vorhandenen Töpfen erwies sich bei näherer Untersuchung nur ein grosses
Ungetüm zum Kochen brauchbar; ich hatte nichts als zwei Gemüsetafeln bei

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[114/0148] Male hörte ich den Ausspruch, dass die Suyá gut seien. Aber auch auf die Trumaí bezogen sich die Klagen des Alten. Sie und die Suyá seien reich, weil sie die Steinbeile hätten. Die Alten sahen ungesund aus; mehrere Männer und Frauen hatten die Haut zu einer Schuppenkruste verdickt. Kinder waren zahlreich, verhältnismässig mehr als irgendwo sonst, vorhanden. Die Frauen sollen sich Anfangs sehr vor mir gefürchtet haben; jetzt sassen sie gemütlich um mich herum, wie im ersten Bakaïrídorf, aber sie beobachteten aufmerksam jede meiner Bewegungen und bei der geringsten, die unerwartet kam, stürzte die eine oder andere bei Seite. Mit einem plötzlichen Aufsprung hätte ich die ganze Gesellschaft in die Flucht treiben können. Man unterhielt sich leise, schien sich aber nach einer Stunde Zu- sammenseins noch nicht zu langweilen. Von meinen Zaubersachen machte zur Abwechslung hier der Spiegel den grössten Eindruck und rief ein lautes „té he he hé“ des Erstaunens hervor. Ein angebranntes Zündhölzchen, das ich wegwarf, ver- pflanzte Einer zwischen dem Gras in das Erdreich. Von den armen Menschen konnte ich nicht viel erwerben. Warum sie eigentlich so jämmerlich daran waren, ist mir trotz der Manitsauá nicht verständ- lich geworden. Ihre Pflanzung war allerdings in diesem Jahre durch Schweine verwüstet worden. Es fanden sich ein paar hübsche Spindelscheiben, Beijúwender, ein wenig Federschmuck und, das einzige Besondere und Beachtenswerte, eine Anzahl Ketten mit durchbohrten Steinen. Am Morgen des 19. Oktober hatte ich Antonio und Tumayaua nach den Auetö́ zurückbeordert, um die anderen Gefährten zu holen, während ich die sprachliche Aufnahme der Yaulapiti vollendete. Sie kehrten jedoch am Nach- mittag zurück, da sie am Ende des Auetö́kanals kein Boot gefunden hatten. Das von uns dort zurückgelassene, behaupteten die Yaulapiti, sei von ein paar Trumaí benutzt worden. Dieselben seien bei ihnen im Dorf gewesen, aber aus Furcht vor mir bei meiner Ankunft entflohen. In dieser unangenehmen Si- tuation beschloss ich sofort, damit wir nicht vergebens erwartet und die Gefährten beunruhigt würden, zu den Auetö́ zurückzukehren. Es war doch zu hoffen, dass ein Kanu der Auetö́ am nächsten Tage erscheine, und uns aufnehme. Wir erhielten aber erst um 5 Uhr von den Yaulapiti ein Kanu, das vom Fischfang zurückkehrte. Die Uyá, wie die grosse Lagune genannt wird, war stark bewegt. Es wetterleuchtete ringsum. Der junge Yaulapiti, der uns fuhr, blies, im Kanu stehend, mit einer Ueberzeugung und einem Ernst gegen die herauf- ziehenden Wolken, dass es eine Lust war, ihm zuzuschauen. Dem strammen Boreas spritzte ein Sprühtrichter aus dem Munde. Wir landeten aber noch zu rechter Zeit und gingen das letzte Stück des Weges im tiefen Dunkel, während Blitze zuweilen den Pfad erhellten. In den Schutzhütten der Auetö́ am Ende des Kanals richteten wir uns für die Nacht ein. Von den vorhandenen Töpfen erwies sich bei näherer Untersuchung nur ein grosses Ungetüm zum Kochen brauchbar; ich hatte nichts als zwei Gemüsetafeln bei

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/148>, abgerufen am 26.04.2024.