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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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flächlichen Nachgraben nicht blosslegte. Antonio war sehr erschreckt gewesen,
als Perrot zu ihm sagte: "o doutor Carlos precisa d'uma cabeca". Nur mit
Mühe hatte man von Antonio erreicht, dass er die Fahrt mitmache und sich der
Möglichkeit aussetzte, den verhassten Trumai zu begegnen.

Die Tage vom 26. bis 31. Oktober brachten wir im Dorf und zum
grösseren Teil im Hafen der Auetö zu. Wir benutzten noch jede Gelegenheit
zu messen, zu photographieren und die sprachlichen Aufzeichnungen zu vervoll-
ständigen, und hatten dazu Exemplare fast aller Stämme zur Verfügung. Mit
den Auetö hatten wir uns recht angefreundet. Ein vergnügter Abend erinnerte
mich lebhaft an meine Bakairi-Idylle, auch hier wurden die Stimmen der euro-
päischen Haustiere mit grossem Jubel begrüsst, und wiederholte sich die Steinbeil-
pantomime mit stereotyper Treue. Es war ein besonderer Augenschmaus für
sie, wenn wir uns hinstellten und Holz hackten. Mit einem der Auetö machte
ich Schmollis nach Landesbrauch, wir vertauschten die Namen. Mayuli hiess
mein Spezialfreund, der mir den Antrag machte. Der Häuptling liess mich auf-
stehen, klopfte mich sechs oder sieben Mal auf den Rücken und sagte dazu
ebenso oft im Takt "Mayuli", blies mich auf die Brust und sagte mir "Mayuli"
in jedes Ohr hinein. In gleicher Weise hatte ich mit Mayuli's Person zu
verfahren und ihm mein "Karilose" für Carlos einzuprägen. Alle nannten mich
nun mit Betonung Mayuli, wobei ich immer an Mai-Juli dachte, und hoben hervor,
wie sehr sich die Frauen darüber freuen würden. In der That, sobald ich in eine
Hütte kam, riefen die Frauen "Mayuli" zum Willkomm.

Im Hafen sah es traurig aus. Dort hatte Peter mit Tumayaua und dem
Droschkenkutscher Wache gehalten. Es war ein jämmerlicher sumpfiger Platz,
eng und unfreundlich, der Regen hatte den mit faulem Laub bedeckten Boden
erweicht, die Ameisen waren eifrig an der Arbeit gewesen und hatten das Leder
und die Säcke zerschnitten, Alles sah schmutzig und hässlich aus. Dazu Schmal-
hans Küchenmeister. Der arme Peter hatte von Beiju gelebt, die Fische bissen
wieder einmal nicht an. Tumayaua schaukelte sich in der Hängematte und war
zufrieden, er betrachtete sich stundenlang in einem kleinen runden Spiegel und
rupfte sich die Härchen im Gesicht aus. Nachts quälten ihn die Moskitos; ich
hörte ihn einmal, da ich selbst nicht schlief, stundenlang klagen und klatschen.
Der Droschkenkutscher hatte sich, ehe wir eintrafen, in ein Kanu gesetzt und war zu
den Mehinaku gefahren. Nur ein Kanu, ein schlechtes, war bei unserer Ankunft
noch verfügbar. Zwei hatten Vogel und Perrot mit sich, eines vierten hatte sich
eine Bande Indianer bemächtigt und war damit drei Tage auf den Fischfang ge-
zogen. Sie kehrten zurück, das Boot bis an den Rand gefüllt mit gebackenen
Fischen. Man brät bei allen diesen Stämmen die Fische sofort, um das Fleisch
zu konserviren.

Gegen ein paar Beile wurden zwei Kanus von den Auetö erworben, die
sie durch den Wald herbeibringen sollten. Carlos ging nach dem Dorf, um die
besten auszusuchen, und erzählte, es sei ein grossartiges Bild gewesen, als die

flächlichen Nachgraben nicht blosslegte. Antonio war sehr erschreckt gewesen,
als Perrot zu ihm sagte: »o doutor Carlos precisa d’uma cabeça«. Nur mit
Mühe hatte man von Antonio erreicht, dass er die Fahrt mitmache und sich der
Möglichkeit aussetzte, den verhassten Trumaí zu begegnen.

Die Tage vom 26. bis 31. Oktober brachten wir im Dorf und zum
grösseren Teil im Hafen der Auetö́ zu. Wir benutzten noch jede Gelegenheit
zu messen, zu photographieren und die sprachlichen Aufzeichnungen zu vervoll-
ständigen, und hatten dazu Exemplare fast aller Stämme zur Verfügung. Mit
den Auetö́ hatten wir uns recht angefreundet. Ein vergnügter Abend erinnerte
mich lebhaft an meine Bakaïrí-Idylle, auch hier wurden die Stimmen der euro-
päischen Haustiere mit grossem Jubel begrüsst, und wiederholte sich die Steinbeil-
pantomime mit stereotyper Treue. Es war ein besonderer Augenschmaus für
sie, wenn wir uns hinstellten und Holz hackten. Mit einem der Auetö́ machte
ich Schmollis nach Landesbrauch, wir vertauschten die Namen. Mayúli hiess
mein Spezialfreund, der mir den Antrag machte. Der Häuptling liess mich auf-
stehen, klopfte mich sechs oder sieben Mal auf den Rücken und sagte dazu
ebenso oft im Takt »Mayúli«, blies mich auf die Brust und sagte mir »Mayúli«
in jedes Ohr hinein. In gleicher Weise hatte ich mit Mayúli’s Person zu
verfahren und ihm mein »Karilose« für Carlos einzuprägen. Alle nannten mich
nun mit Betonung Mayúli, wobei ich immer an Mai-Juli dachte, und hoben hervor,
wie sehr sich die Frauen darüber freuen würden. In der That, sobald ich in eine
Hütte kam, riefen die Frauen »Mayúli« zum Willkomm.

Im Hafen sah es traurig aus. Dort hatte Peter mit Tumayaua und dem
Droschkenkutscher Wache gehalten. Es war ein jämmerlicher sumpfiger Platz,
eng und unfreundlich, der Regen hatte den mit faulem Laub bedeckten Boden
erweicht, die Ameisen waren eifrig an der Arbeit gewesen und hatten das Leder
und die Säcke zerschnitten, Alles sah schmutzig und hässlich aus. Dazu Schmal-
hans Küchenmeister. Der arme Peter hatte von Beijú gelebt, die Fische bissen
wieder einmal nicht an. Tumayaua schaukelte sich in der Hängematte und war
zufrieden, er betrachtete sich stundenlang in einem kleinen runden Spiegel und
rupfte sich die Härchen im Gesicht aus. Nachts quälten ihn die Moskitos; ich
hörte ihn einmal, da ich selbst nicht schlief, stundenlang klagen und klatschen.
Der Droschkenkutscher hatte sich, ehe wir eintrafen, in ein Kanu gesetzt und war zu
den Mehinakú gefahren. Nur ein Kanu, ein schlechtes, war bei unserer Ankunft
noch verfügbar. Zwei hatten Vogel und Perrot mit sich, eines vierten hatte sich
eine Bande Indianer bemächtigt und war damit drei Tage auf den Fischfang ge-
zogen. Sie kehrten zurück, das Boot bis an den Rand gefüllt mit gebackenen
Fischen. Man brät bei allen diesen Stämmen die Fische sofort, um das Fleisch
zu konserviren.

Gegen ein paar Beile wurden zwei Kanus von den Auetö́ erworben, die
sie durch den Wald herbeibringen sollten. Carlos ging nach dem Dorf, um die
besten auszusuchen, und erzählte, es sei ein grossartiges Bild gewesen, als die

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[125/0161] flächlichen Nachgraben nicht blosslegte. Antonio war sehr erschreckt gewesen, als Perrot zu ihm sagte: »o doutor Carlos precisa d’uma cabeça«. Nur mit Mühe hatte man von Antonio erreicht, dass er die Fahrt mitmache und sich der Möglichkeit aussetzte, den verhassten Trumaí zu begegnen. Die Tage vom 26. bis 31. Oktober brachten wir im Dorf und zum grösseren Teil im Hafen der Auetö́ zu. Wir benutzten noch jede Gelegenheit zu messen, zu photographieren und die sprachlichen Aufzeichnungen zu vervoll- ständigen, und hatten dazu Exemplare fast aller Stämme zur Verfügung. Mit den Auetö́ hatten wir uns recht angefreundet. Ein vergnügter Abend erinnerte mich lebhaft an meine Bakaïrí-Idylle, auch hier wurden die Stimmen der euro- päischen Haustiere mit grossem Jubel begrüsst, und wiederholte sich die Steinbeil- pantomime mit stereotyper Treue. Es war ein besonderer Augenschmaus für sie, wenn wir uns hinstellten und Holz hackten. Mit einem der Auetö́ machte ich Schmollis nach Landesbrauch, wir vertauschten die Namen. Mayúli hiess mein Spezialfreund, der mir den Antrag machte. Der Häuptling liess mich auf- stehen, klopfte mich sechs oder sieben Mal auf den Rücken und sagte dazu ebenso oft im Takt »Mayúli«, blies mich auf die Brust und sagte mir »Mayúli« in jedes Ohr hinein. In gleicher Weise hatte ich mit Mayúli’s Person zu verfahren und ihm mein »Karilose« für Carlos einzuprägen. Alle nannten mich nun mit Betonung Mayúli, wobei ich immer an Mai-Juli dachte, und hoben hervor, wie sehr sich die Frauen darüber freuen würden. In der That, sobald ich in eine Hütte kam, riefen die Frauen »Mayúli« zum Willkomm. Im Hafen sah es traurig aus. Dort hatte Peter mit Tumayaua und dem Droschkenkutscher Wache gehalten. Es war ein jämmerlicher sumpfiger Platz, eng und unfreundlich, der Regen hatte den mit faulem Laub bedeckten Boden erweicht, die Ameisen waren eifrig an der Arbeit gewesen und hatten das Leder und die Säcke zerschnitten, Alles sah schmutzig und hässlich aus. Dazu Schmal- hans Küchenmeister. Der arme Peter hatte von Beijú gelebt, die Fische bissen wieder einmal nicht an. Tumayaua schaukelte sich in der Hängematte und war zufrieden, er betrachtete sich stundenlang in einem kleinen runden Spiegel und rupfte sich die Härchen im Gesicht aus. Nachts quälten ihn die Moskitos; ich hörte ihn einmal, da ich selbst nicht schlief, stundenlang klagen und klatschen. Der Droschkenkutscher hatte sich, ehe wir eintrafen, in ein Kanu gesetzt und war zu den Mehinakú gefahren. Nur ein Kanu, ein schlechtes, war bei unserer Ankunft noch verfügbar. Zwei hatten Vogel und Perrot mit sich, eines vierten hatte sich eine Bande Indianer bemächtigt und war damit drei Tage auf den Fischfang ge- zogen. Sie kehrten zurück, das Boot bis an den Rand gefüllt mit gebackenen Fischen. Man brät bei allen diesen Stämmen die Fische sofort, um das Fleisch zu konserviren. Gegen ein paar Beile wurden zwei Kanus von den Auetö́ erworben, die sie durch den Wald herbeibringen sollten. Carlos ging nach dem Dorf, um die besten auszusuchen, und erzählte, es sei ein grossartiges Bild gewesen, als die

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/161>, abgerufen am 29.04.2024.