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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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und den Kirchlein des Senhor dos Passos, der Nossa Senhora de Rosario, der
Nossa Senhora do Bom Despacho und auf dem höchsten Hügel der Boa-
Morte. Wir treffen es nicht etwa so, dass kein Festtag wäre. Gewehre und
Revolver knattern, Raketen zischen in der hellen Himmelsluft empor und ver-
flüchtigen sich mit losen weissen Wölkchen: die Wahlschlacht ist entschieden.
Haben die Konservativen diesesmal oder die Liberalen den Sieg davon getragen?
Still verblüfft starrt die Bevölkerung unserm seltsamen Zuge nach. Ihr konnten
die Auetö und Kamayura und Nahuqua kein grösseres Interesse einflössen als uns
die Farbe ihrer Deputierten.

Auf dem freien Platz vor der Kathedrale machten wir Halt; hier war die
Post und dort lagen unsere Briefe. Aber da waren auch ein paar Freunde, die
uns stürmisch umarmten, Allen voraus der Chef des Postwesens, unser lieber
Andre Vergilio de Albuquerque. Wir befragten ihn, ob das Haus in der Rua
Nova noch unbewohnt und zu mieten sei. Und alle Achtung, da trat uns echt
brasilische Noblesse wieder einmal in einer Aufwallung entgegen, die den gar zu
gern Phrasen witternden Nordländer beschämen muss. "Dieser Herr", sagte
Senhor Andre Vergilio, "wünscht ihre Bekanntschaft zu machen, Doutor Carlos".
Er stellte mich einem noch jungen Manne vor, der freundlich und leicht verlegen
dreinschaute, dem Commendador Manoel Nunes Ribeiro. "Dieser Herr",
fuhr Vergilio fort, "würde sich glücklich schätzen, wenn Sie mit Ihren Freunden
sein leerstehendes Haus in der Hauptstrasse, eins der schönsten in dieser Stadt,
beziehen und darin solange verweilen wollten, als es Ihnen möglich ist". Und
dann begeisterte sich der gute Vergilio zusehends, sprach von unsern unsterblichen
Verdiensten um die Provinz Matogrosso, der Commendador verbeugte sich fleissig
und lächelte verbindlich, und wir sahen doch abgerissener und wilder aus als
eine von Gendarmen zusammengetriebene Bande Vagabunden. Wir nahmen das
gastliche Anerbieten mit herzlichem Dank an und fanden ein geräumiges Haus
mit prächtigem weitem Garten, mit einer Halle, in der wir unsere Sammlung auf
das Bequemste auspacken, trocknen und reinigen, mit einer "Sala", in der wir
sie übersichtlich aufstellen, mit je einem grossen Zimmer für Jeden von uns, in dem
wir uns nun auch selbst wieder ein wenig sammeln konnten.



und den Kirchlein des Senhor dos Passos, der Nossa Senhora de Rosario, der
Nossa Senhora do Bom Despacho und auf dem höchsten Hügel der Bôa-
Morte. Wir treffen es nicht etwa so, dass kein Festtag wäre. Gewehre und
Revolver knattern, Raketen zischen in der hellen Himmelsluft empor und ver-
flüchtigen sich mit losen weissen Wölkchen: die Wahlschlacht ist entschieden.
Haben die Konservativen diesesmal oder die Liberalen den Sieg davon getragen?
Still verblüfft starrt die Bevölkerung unserm seltsamen Zuge nach. Ihr konnten
die Auetö́ und Kamayurá und Nahuquá kein grösseres Interesse einflössen als uns
die Farbe ihrer Deputierten.

Auf dem freien Platz vor der Kathedrale machten wir Halt; hier war die
Post und dort lagen unsere Briefe. Aber da waren auch ein paar Freunde, die
uns stürmisch umarmten, Allen voraus der Chef des Postwesens, unser lieber
André Vergilio de Albuquerque. Wir befragten ihn, ob das Haus in der Rua
Nova noch unbewohnt und zu mieten sei. Und alle Achtung, da trat uns echt
brasilische Noblesse wieder einmal in einer Aufwallung entgegen, die den gar zu
gern Phrasen witternden Nordländer beschämen muss. »Dieser Herr«, sagte
Senhor André Vergilio, »wünscht ihre Bekanntschaft zu machen, Doutor Carlos«.
Er stellte mich einem noch jungen Manne vor, der freundlich und leicht verlegen
dreinschaute, dem Commendador Manoel Nunes Ribeiro. »Dieser Herr«,
fuhr Vergilio fort, »würde sich glücklich schätzen, wenn Sie mit Ihren Freunden
sein leerstehendes Haus in der Hauptstrasse, eins der schönsten in dieser Stadt,
beziehen und darin solange verweilen wollten, als es Ihnen möglich ist«. Und
dann begeisterte sich der gute Vergilio zusehends, sprach von unsern unsterblichen
Verdiensten um die Provinz Matogrosso, der Commendador verbeugte sich fleissig
und lächelte verbindlich, und wir sahen doch abgerissener und wilder aus als
eine von Gendarmen zusammengetriebene Bande Vagabunden. Wir nahmen das
gastliche Anerbieten mit herzlichem Dank an und fanden ein geräumiges Haus
mit prächtigem weitem Garten, mit einer Halle, in der wir unsere Sammlung auf
das Bequemste auspacken, trocknen und reinigen, mit einer »Sala«, in der wir
sie übersichtlich aufstellen, mit je einem grossen Zimmer für Jeden von uns, in dem
wir uns nun auch selbst wieder ein wenig sammeln konnten.



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[152/0192] und den Kirchlein des Senhor dos Passos, der Nossa Senhora de Rosario, der Nossa Senhora do Bom Despacho und auf dem höchsten Hügel der Bôa- Morte. Wir treffen es nicht etwa so, dass kein Festtag wäre. Gewehre und Revolver knattern, Raketen zischen in der hellen Himmelsluft empor und ver- flüchtigen sich mit losen weissen Wölkchen: die Wahlschlacht ist entschieden. Haben die Konservativen diesesmal oder die Liberalen den Sieg davon getragen? Still verblüfft starrt die Bevölkerung unserm seltsamen Zuge nach. Ihr konnten die Auetö́ und Kamayurá und Nahuquá kein grösseres Interesse einflössen als uns die Farbe ihrer Deputierten. Auf dem freien Platz vor der Kathedrale machten wir Halt; hier war die Post und dort lagen unsere Briefe. Aber da waren auch ein paar Freunde, die uns stürmisch umarmten, Allen voraus der Chef des Postwesens, unser lieber André Vergilio de Albuquerque. Wir befragten ihn, ob das Haus in der Rua Nova noch unbewohnt und zu mieten sei. Und alle Achtung, da trat uns echt brasilische Noblesse wieder einmal in einer Aufwallung entgegen, die den gar zu gern Phrasen witternden Nordländer beschämen muss. »Dieser Herr«, sagte Senhor André Vergilio, »wünscht ihre Bekanntschaft zu machen, Doutor Carlos«. Er stellte mich einem noch jungen Manne vor, der freundlich und leicht verlegen dreinschaute, dem Commendador Manoel Nunes Ribeiro. »Dieser Herr«, fuhr Vergilio fort, »würde sich glücklich schätzen, wenn Sie mit Ihren Freunden sein leerstehendes Haus in der Hauptstrasse, eins der schönsten in dieser Stadt, beziehen und darin solange verweilen wollten, als es Ihnen möglich ist«. Und dann begeisterte sich der gute Vergilio zusehends, sprach von unsern unsterblichen Verdiensten um die Provinz Matogrosso, der Commendador verbeugte sich fleissig und lächelte verbindlich, und wir sahen doch abgerissener und wilder aus als eine von Gendarmen zusammengetriebene Bande Vagabunden. Wir nahmen das gastliche Anerbieten mit herzlichem Dank an und fanden ein geräumiges Haus mit prächtigem weitem Garten, mit einer Halle, in der wir unsere Sammlung auf das Bequemste auspacken, trocknen und reinigen, mit einer »Sala«, in der wir sie übersichtlich aufstellen, mit je einem grossen Zimmer für Jeden von uns, in dem wir uns nun auch selbst wieder ein wenig sammeln konnten.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/192>, abgerufen am 26.04.2024.