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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Die Hüftschnur dient zu dem Zwecke, das Praeputium zu verlängern. Der
Penis wird aufwärts dem Leib angelegt und so unter die Hüftschnur geschoben,
dass das oberste Stück des Praeputium abgeklemmt bleibt. Man hält den Jüng-
ling zu diesem Verfahren an, wenn die ersten Erektionen eintreten. Er bemüht
sich, die Prozedur Tagelang inne zu halten, und beseitigt das lästige Schamhaar.

Die Trumai hatten eine absonderliche Methode, die auch von andern brasi-
lischen Stämmen berichtet wird. Sie banden das Praeputium vor der Glans mit
einem meist mit Uruku rot gefärbten Baumwollfaden zusammen. Das Vorderende
des Penis erschien wie ein Wurstzipfel. Sie hatten also im Dauerzustand das,
was die Andern mit ihrer Hüftschnur nur vorübergehend hatten. Leider haben
wir sie nicht unter normalen Verhältnissen in ihrem Dorfleben beobachten können.
Als wir sie auf der Flucht vor den Suya in der Nähe der Auetö fanden, bemerkten
wir den wunderlichen Faden nicht bei sämtlichen Männern, obwohl auch die nicht

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 17.

Penisstulp der Bororo.

damit versehenen die durch den Gebrauch erzeugte
Abschnürungsmarke am Praeputium erkennen liessen.
Es wäre nicht unmöglich, dass sich die Leute vor
den Auetö ein wenig genierten; wenigstens bekundeten
die übrigen Stämme, wenn wir mit ihnen von den
Trumai redeten, stets ein ganz besonderes Ver-
gnügen über den Wollfaden, den sie verspotteten
und ebenso komisch fanden wie wir. Doch hatten
wir die Gesellschaft ganz unter sich getroffen, und
der Hauptgrund, nehme ich an, war die in der Not-
lage nur zur erklärliche Vernachlässigung des Aeussern.
Auch bemerkten wir, dass es namentlich ältere In-
dividuen waren, denen der Faden fehlte, wie auch
die Aelteren betreffs der Tonsur am nachlässigsten
sind. Bei älteren Männern, die den Faden trugen, sass er dem Scrotum un-
mittelbar auf, und waren auch die Konturen des Penis völlig verschwunden, sodass
man nur ein zusammengeschnürtes Beutelchen erblickte. Und kaum anders war
es, wenn sie keinen Faden trugen.

Diese Folge dauernder Vergewaltigung trat nicht minder bei dem Stulp oder
der Strohmanschette zu Tage, die keiner der Kulisehustämme trug, die ich aber hier
mit anführen möchte. Wir sahen die auch sonst in Brasilien nicht unbekannte
Vorrichtung bei den Yuruna, den mit den oberen Stämmen unbekannten An-
wohnern des Mittel- und Unterlaufs, und in grösserem Format bei den Bororo
des südlichen Matogrosso. Ein langer Streifen ziemlich spröden gelben Palmstrohs
wird gerollt und gefaltet, wie die Abbildung zeigt, sodass ein trichterförmiger nach
unten spitz zulaufender Stulp entsteht; das links abstehende Ende des Streifens
in der Abbildung möge man sich wegdenken, da der Stulp nur bei festlichen
Gelegenheiten solch' eine mit roten Mustern bemalte Fahne trug. Sein Effekt
ist genau wie der des Fadens: das Praeputium wird so hindurchgezogen, dass das

Die Hüftschnur dient zu dem Zwecke, das Praeputium zu verlängern. Der
Penis wird aufwärts dem Leib angelegt und so unter die Hüftschnur geschoben,
dass das oberste Stück des Praeputium abgeklemmt bleibt. Man hält den Jüng-
ling zu diesem Verfahren an, wenn die ersten Erektionen eintreten. Er bemüht
sich, die Prozedur Tagelang inne zu halten, und beseitigt das lästige Schamhaar.

Die Trumaí hatten eine absonderliche Methode, die auch von andern brasi-
lischen Stämmen berichtet wird. Sie banden das Praeputium vor der Glans mit
einem meist mit Urukú rot gefärbten Baumwollfaden zusammen. Das Vorderende
des Penis erschien wie ein Wurstzipfel. Sie hatten also im Dauerzustand das,
was die Andern mit ihrer Hüftschnur nur vorübergehend hatten. Leider haben
wir sie nicht unter normalen Verhältnissen in ihrem Dorfleben beobachten können.
Als wir sie auf der Flucht vor den Suyá in der Nähe der Auetö́ fanden, bemerkten
wir den wunderlichen Faden nicht bei sämtlichen Männern, obwohl auch die nicht

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 17.

Penisstulp der Bororó.

damit versehenen die durch den Gebrauch erzeugte
Abschnürungsmarke am Praeputium erkennen liessen.
Es wäre nicht unmöglich, dass sich die Leute vor
den Auetö́ ein wenig genierten; wenigstens bekundeten
die übrigen Stämme, wenn wir mit ihnen von den
Trumaí redeten, stets ein ganz besonderes Ver-
gnügen über den Wollfaden, den sie verspotteten
und ebenso komisch fanden wie wir. Doch hatten
wir die Gesellschaft ganz unter sich getroffen, und
der Hauptgrund, nehme ich an, war die in der Not-
lage nur zur erklärliche Vernachlässigung des Aeussern.
Auch bemerkten wir, dass es namentlich ältere In-
dividuen waren, denen der Faden fehlte, wie auch
die Aelteren betreffs der Tonsur am nachlässigsten
sind. Bei älteren Männern, die den Faden trugen, sass er dem Scrotum un-
mittelbar auf, und waren auch die Konturen des Penis völlig verschwunden, sodass
man nur ein zusammengeschnürtes Beutelchen erblickte. Und kaum anders war
es, wenn sie keinen Faden trugen.

Diese Folge dauernder Vergewaltigung trat nicht minder bei dem Stulp oder
der Strohmanschette zu Tage, die keiner der Kulisehustämme trug, die ich aber hier
mit anführen möchte. Wir sahen die auch sonst in Brasilien nicht unbekannte
Vorrichtung bei den Yuruna, den mit den oberen Stämmen unbekannten An-
wohnern des Mittel- und Unterlaufs, und in grösserem Format bei den Bororó
des südlichen Matogrosso. Ein langer Streifen ziemlich spröden gelben Palmstrohs
wird gerollt und gefaltet, wie die Abbildung zeigt, sodass ein trichterförmiger nach
unten spitz zulaufender Stulp entsteht; das links abstehende Ende des Streifens
in der Abbildung möge man sich wegdenken, da der Stulp nur bei festlichen
Gelegenheiten solch’ eine mit roten Mustern bemalte Fahne trug. Sein Effekt
ist genau wie der des Fadens: das Praeputium wird so hindurchgezogen, dass das

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[192/0236] Die Hüftschnur dient zu dem Zwecke, das Praeputium zu verlängern. Der Penis wird aufwärts dem Leib angelegt und so unter die Hüftschnur geschoben, dass das oberste Stück des Praeputium abgeklemmt bleibt. Man hält den Jüng- ling zu diesem Verfahren an, wenn die ersten Erektionen eintreten. Er bemüht sich, die Prozedur Tagelang inne zu halten, und beseitigt das lästige Schamhaar. Die Trumaí hatten eine absonderliche Methode, die auch von andern brasi- lischen Stämmen berichtet wird. Sie banden das Praeputium vor der Glans mit einem meist mit Urukú rot gefärbten Baumwollfaden zusammen. Das Vorderende des Penis erschien wie ein Wurstzipfel. Sie hatten also im Dauerzustand das, was die Andern mit ihrer Hüftschnur nur vorübergehend hatten. Leider haben wir sie nicht unter normalen Verhältnissen in ihrem Dorfleben beobachten können. Als wir sie auf der Flucht vor den Suyá in der Nähe der Auetö́ fanden, bemerkten wir den wunderlichen Faden nicht bei sämtlichen Männern, obwohl auch die nicht [Abbildung] [Abbildung Abb. 17. Penisstulp der Bororó.] damit versehenen die durch den Gebrauch erzeugte Abschnürungsmarke am Praeputium erkennen liessen. Es wäre nicht unmöglich, dass sich die Leute vor den Auetö́ ein wenig genierten; wenigstens bekundeten die übrigen Stämme, wenn wir mit ihnen von den Trumaí redeten, stets ein ganz besonderes Ver- gnügen über den Wollfaden, den sie verspotteten und ebenso komisch fanden wie wir. Doch hatten wir die Gesellschaft ganz unter sich getroffen, und der Hauptgrund, nehme ich an, war die in der Not- lage nur zur erklärliche Vernachlässigung des Aeussern. Auch bemerkten wir, dass es namentlich ältere In- dividuen waren, denen der Faden fehlte, wie auch die Aelteren betreffs der Tonsur am nachlässigsten sind. Bei älteren Männern, die den Faden trugen, sass er dem Scrotum un- mittelbar auf, und waren auch die Konturen des Penis völlig verschwunden, sodass man nur ein zusammengeschnürtes Beutelchen erblickte. Und kaum anders war es, wenn sie keinen Faden trugen. Diese Folge dauernder Vergewaltigung trat nicht minder bei dem Stulp oder der Strohmanschette zu Tage, die keiner der Kulisehustämme trug, die ich aber hier mit anführen möchte. Wir sahen die auch sonst in Brasilien nicht unbekannte Vorrichtung bei den Yuruna, den mit den oberen Stämmen unbekannten An- wohnern des Mittel- und Unterlaufs, und in grösserem Format bei den Bororó des südlichen Matogrosso. Ein langer Streifen ziemlich spröden gelben Palmstrohs wird gerollt und gefaltet, wie die Abbildung zeigt, sodass ein trichterförmiger nach unten spitz zulaufender Stulp entsteht; das links abstehende Ende des Streifens in der Abbildung möge man sich wegdenken, da der Stulp nur bei festlichen Gelegenheiten solch’ eine mit roten Mustern bemalte Fahne trug. Sein Effekt ist genau wie der des Fadens: das Praeputium wird so hindurchgezogen, dass das

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/236>, abgerufen am 28.04.2024.